Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

eine Analyse von Eugen Zentner

Lesedauer 5 Minuten
1bis19 - Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Patricia Schlesinger – ehemalige Intendantin RBB – Foto Sandro Halank Wikimedia SA3.0

Teil 5 der kritischen Analyse zu den Mängeln und Fehlentwicklungen unseren freiheitlich-demokratischen Grundordnung heute – Teil 4 hierTeil 3 hierTeil 2 hier Teil 1 hier

Die Medien werden allgemeinhin als Vierte Macht bezeichnet. Obwohl sie gesetzlich nicht verankert sind wie die Exekutive, Legislative und Judikative, stellen sie in einem System der Gewaltenteilung doch eine feste Säule dar. Ihnen kommt eine umfassende Kontrollfunktion zu. Sie fungieren als demokratieschützendes Korrektiv und müssen nicht nur die ganze Gesellschaft beobachten, sondern vor allem jene drei Gewalten prüfend im Blick behalten, damit es nicht zum Machtmissbrauch kommt. Im Laufe der letzten Jahre ist jedoch eine zunehmende Verflechtung der Medien mit der politischen Klasse zu beobachten, was sich nicht nur in der einseitigen und meist regierungsnahen Berichterstattung offenbart. Die Kontrollfunktion wurde quasi pervertiert. Sie richtet sich nicht mehr auf die Legislative, Judikative und Exekutive, sondern auf alle Institutionen und Bürger, die die Regierungspolitik kritisieren, von offiziellen Narrativen abweichen oder die herrschende Meinung nicht übernehmen.

Die klebrige Nähe zwischen Medien und politischer Klasse ist sehr facettenreich. Wer sie verstehen will, muss das Geflecht von verschiedenen Seiten entwirren. Beginnen könnte man mit einer Betrachtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR). Eigentlich unterliegt er dem Gebot der Staatsferne und hat den Auftrag, zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. In der Realität sieht es jedoch anders aus, wie spätestens während der Corona-Krise deutlich geworden ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erweist sich vielmehr als hocheffektives Machtinstrument, mit dem die ‚herrschende Meinung‘ hergestellt wird. Er gewährleistet der politischen Führung die Deutungshoheit über alles, was das Staatsvolk betrifft und bewegt. Das liegt nicht zuletzt an der Zusammensetzung des Rundfunkrats, der als Kontrollgremium einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt auftritt.

Dominanz der Parteien im Rundfunkrat

Laut Gesetz sollen in ihm „gesellschaftlich relevante“ Gruppen vertreten sein. Wer „gesellschaftlich relevant“ ist, beschließen jedoch die Länderparlamente. Deswegen setzt sich der Rundfunkrat zu knapp einem Drittel aus Vertretern staatsnaher Institutionen zusammen. Es dominieren die Parteien, allen voran die beiden ehemals großen – CDU und SPD. Das schlägt sich nicht zuletzt in dem Programm und der Nachrichtenberichterstattung nieder, weil der Rundfunkrat die Geschicke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestimmt. Er wählt nicht nur den Intendanten und dessen Stellvertreter, sondern genehmigt auch sowohl den Wirtschaftsplan als auch den Jahresabschluss des Senders. Aus seinen Reihen bildet sich zudem der Verwaltungsrat, zu dessen Aufgaben es gehört, die Geschäftsführung des Intendanten zu überwachen. Neben diesem formellen Einfluss hat der Rundfunkrat zudem einen inhaltlichen: Er bestimmt das Programmangebot– und somit darüber, ob die Nachrichtensendungen Informationen enthalten oder Propaganda.

Die Nähe zwischen Medien und der politischen Führung wird außerdem über sogenannte Thinktanks hergestellt, in denen Minister und Abgeordnete genauso verkehren wie die Chefredakteure, Journalisten und Eigentümer privater Medienorgane. Die Münchner Sicherheitskonferenz, die Atlantik-Brücke, das Aspen Institute oder die Bundesakademie der Sicherheitspolitik sind nur einige Beispiele. Alle diese Organisationen haben auf ganz bestimmte politische Themen eine eigene Sicht, die sich letztendlich in der Berichterstattung der großen Medien widerspiegelt, weil dessen Spitzenvertreter in jenen Thinktanks mitwirken. Einige von ihnen sitzen sogar in den Beiräten und müssen laut Satzung der jeweiligen Institution die Bundesregierung beraten, während sie diese in ihrer Funktion als Journalisten eigentlich kritisieren und kontrollieren sollten.

Politik wirbt Top-Journalisten ab

In den letzten Jahren hat die Politik eine weitere Technik entwickelt, um die Medien gefügig zu machen. Sie wirbt vordergründig Top-Journalisten ab, die in die jeweiligen Ministerien nicht nur Know-how, sondern auch Kontakte mitbringen. Durch diese Medienvertreter lernt das politische Establishment, wie die Branche funktioniert, denkt und handelt. Wer das weiß, kann es zum eigenen Vorteil nutzen und die öffentliche Kommunikation so steuern, dass die Berichterstattung in die gewünschte Richtung geht. Den gleichen Zweck erfüllen die Kontakte der Top-Journalisten zu ihren vorherigen Redaktionen. Diese können die alten Kollegen kontaktieren und darum bitten, dem gemeinsamen freundschaftlichen Verhältnis zuliebe gewisse Informationen zu unterdrücken oder zu lancieren, je nachdem, was für die Regierung gerade vorteilhafter erscheint.

Bekannte Moderatoren aus den Fernsehnachrichten erwecken zudem Vertrauenswürdigkeit und bieten den Bürgern eine Identifikationsfläche. Ein gutes Beispiel ist der ehemalige Journalist Stefen Seibert, der zunächst jahrelang unter anderem in den Nachrichtensendungen des ZDF zu sehen war und später unter Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Regierungssprecher avancierte. Zu seinen Schulkameraden, heißt es auf Wikipedia, gehört der „Zeit“-Chefredakteur Giovanni de Lorenzo. Er war es auch, der die Berater Angela Merkels auf Seibert aufmerksam machte. Hier schließt sich der Kreis und führt in offensichtlicher Weise vor Augen, wie ausgeprägt die personelle Verflechtung von Politik und Medien ist.

Richtlinien, Selbstverpflichtungen, direkte Behördeneingriffe

Sie zeigt sich auch im digitalen Bereich, wenn nicht auf personeller Ebene, so doch auf der von staatlichen Richtlinien für die Medienbetreiber, zu denen auch Konzerne wie YouTube, Facebook oder Twitter gehören, weil viele Nachrichten heutzutage über sie geteilt werden. Der Medienwissenschaftler Michael Meyen spricht in diesem Zusammenhang von einem „Digitalkonzernstaat“. Er habe eine „Zensurmaschine“ installiert und sorge mit Gesetzen, Selbstverpflichtungen der Medienorgane und direkten Eingriffen der Behörden dafür, dass Presse-, TV- und Radiosendungen ebenso wie die wichtigsten Digitalplattformen nichts verbreiten, was den Narrativen des politischen Establishments widerspricht.

Als Repräsentant für diese Art der Nachrichtensteuerung steht die „Trusted News Initiative (TNI), ein Zusammenschluss von 15 Digital- und Medienkonzernen. Hier sind die wichtigsten Meinungsfabriken vereint: Nachrichtenagenturen, Rundfunkanstalten, große Zeitungen und die genannten Internetgiganten. „Worauf man sich hier einigt“, so Michael Meyen, „wird zu einer Wahrheit, der sich alle beugen müssen, die in den Leitmedien arbeiten, weil auch die Reichweite und die Arbeitsweise jeder deutschen Lokalredaktion inzwischen von der Plattformlogik bestimmt wird.“ Ihre Sicht nehme die TNI aus den gleichen Quellen wie die Regierung, weshalb sie zum Beispiel in der Corona-Zeit unter dem Label „Fake News“ alles unterdrückte, was gegen die Impfung spricht.

Strategische Kommunikation

Der Wissenschaftsjournalist und Dokumentarfilmer Ekkehard Sieker akzentuiert hingegen eine andere Form der politischen Einflussnahme auf die Medien. Das Stichwort lautet „strategische Kommunikation“, eine Methode, die aus dem PR-Bereich stammt. Ihre Ideen und Mittel werden mittlerweile systematisch im Bereich der politischen Manipulation angewendet, auch im Bereich der journalistischen Berichterstattung. Konkret sieht es so aus, dass das politische Establishment seine PR-Darreichungen bereits thematisch und inhaltlich aufbereitet den Journalisten zur Veröffentlichung übergibt.

In einem Interview mit der Zeitschrift Hintergrund sagte Sieker: „Es ist falsch anzunehmen, dass die meisten Journalisten gerade auch in den großen Medien überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickelt hätten, welche Interessenzusammenhänge hinter den Informationen stecken, die sie gerade in die Öffentlichkeit tragen. Diejenigen, deren Aufgabe die tagesaktuelle Berichterstattung ist, gehen davon aus, dass das, was sie zum Beispiel bei Nachrichtenagenturen lesen, im Wesentlichen ‚stimmen‘ wird.“ Die kleineren Journalisten mögen ahnungslos sein, die Chefredakteure, Medieneigentümer und Intendanten sind es nicht. Je weiter nach oben man in die einflussreichen Medien blicke, so Sieker, desto eher könne man erkennen, dass dieser Personenkreis recht gut in politischer Hinsicht weiß, was journalistisch in seinem Medium vor sich geht und was zu tun oder auch zu unterlassen ist.

Die Methoden und Techniken, mit denen die Verflechtung von Medien und Politik erzeugt wird, sind vielfältig und meist so subtil, dass sie nicht auffallen. Deswegen muss in der Bevölkerung ein stärkeres Bewusstsein für diese Art der Demokratieaushöhlung entstehen. Sie schreitet weiter voran, gerade weil das politische Establishment seine eigene Medienarbeit professionalisiert und den Journalismus dadurch vereinnahmt. Dessen Kontrollfunktion übernehmen derzeit die sogenannten Alternativmedien. Sie stellen ein Gegengewicht dar und unternehmen den Versuch, den demokratischen Verfall zu stoppen und wieder so etwas wie pluralistische Verhältnisse herzustellen. Sie können jedoch nur dann reüssieren, wenn die Bürger ihnen mehr Vertrauen entgegenbringen und sie in einem größeren Maße rezipieren.

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