Interview mit OP-Schwester Judith Gröschner* (*der Name wurde von der Redaktion geändert). Frau Gröschner arbeitet seit rund dreißig Jahren in einem der größten Krankenhäuser Deutschlands
von Camilla Hildebrandt
Lesedauer 7 Minuten1bis19
Auf der Informationsseite des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) ist zu lesen:
„Die Impfung erfolgt freiwillig, es wird in Deutschland keine Impfpflicht gegen COVID-19 geben. Nach aktuellem Stand kann ein Arbeitgeber keine Impfung verlangen. Unabhängig davon ist eine Impfung jedoch sehr ratsam, um sich selbst und die Gemeinschaft bestmöglich zu schützen.“ (Stand: 12.04.2021).
Frau Gröschner, wie ist die Bereitschaft in Ihrem Haus, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen?
„In der ersten Zeit, als es mit den Impfungen losging[1], war unter den Kollegen etwa die Hälfte dafür. Dann wurde vor allem durch die Ärzte sehr viel Druck gemacht, die Chefs wollten, dass ihre Oberärzte ganz schnell den Impfstoff bekommen. Da gab es sehr viel Druck. Daraufhin haben sich sehr viele mit dem BioNTech Pfizer-Impfstoff impfen lassen. Ab ungefähr Anfang März 2021 hieß es dann: Es gibt nur noch AstraZeneca. Da gab es schon die Ersten, die angefangen haben zu zweifeln.“
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Warum haben die Kollegen begonnen zu zweifeln?
„Weil bereits bekannt war, dass Nebenwirkungen durch diese Impfung auftreten können. Wie gesagt, viele haben die erste Impfdosis ja bekommen und waren auch sehr guter Stimmung. Es wurde sich dann morgens früh darüber unterhalten, wer welche Nebenwirkungen hatte: „Na wie waren denn Deine? – Ach, ich habe diese Tablette genommen. – Ich hatte heute Nacht hohes Fieber.“ Es gab eigentlich niemanden, der keine Nebenwirkungen hatte und nicht Medikamente genommen hat. Und es gab nur eine Person, die direkt am nächsten Tag wieder da war, trotzdem sie nachts hohes Fieber gehabt hat.“
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Wurde das Krankenhauspersonal über mögliche Nebenwirkungen informiert?
“Wir bekamen nur das zu lesen, was vom Robert-Koch-Institut ausgedruckt vorlag, das Aufklärungsmerkblatt für den Vektor-Impfstoff AstraZeneca . Am Anfang waren das Informationen vom Dezember 2020. Dann sind Kollegen so schlau gewesen und haben die neuen Ausdrucke verteilt. Aber Thema der internen Diskussion zu impfen oder nicht zu impfen war vor allem: „Ich möchte wieder in meine Heimat reisen und wieder in Urlaub fahren, deswegen lasse ich mich impfen.“
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Welche Impfreaktionen können nach der Impfung mit AstraZeneca auftreten?
Am häufigsten berichtete Impfreaktionen: Druckempfindlichkeit an der Einstichstelle (mehr als 60 %), Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen und Ermüdung (mehr als 50%). Häufig (zwischen 1 % und 10 %) wurde eine Verringerung der Blutplättchenzahl (Thrombozytopenie), Erbrechen, Durchfall, Rötung und Schwellung der Einstichstelle sowie Fieber beobachtet. (…) In sehr seltenen Fällen wurden (weniger als 0,01 %) Blutgerinnsel (Thrombosen), verbunden mit einer Verringerung der Blutplättchenzahl (Thrombozytopenie), teilweise auch mit Blutungen einhergehend, beobachtet. Darunter waren einige schwere Fälle mit Blutgerinnseln (z. B. im Gehirn als Sinusvenenthrombosen oder auch im Bauchraum), zusammen mit erhöhter Gerinnungsaktivität oder auch Blutungen im ganzen Körper. Die Mehrzahl dieser Fälle trat innerhalb von 2 bis 3 Wochen nach der Impfung und überwiegend bei Personen unter 60 Jahren auf. Einige der beschriebenen Fälle endeten tödlich oder mit bleibendem Schaden.
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Die Diskussion intern in Ihrem Haus ging selten darum, dass die Kollegen Angst vor einer Erkrankung mit Covid-19 haben und sich deswegen impfen lassen wollen?
„Ja. Diskussionen gab es natürlich. Der Großteil der Kollegen hat es vor allem getan, weil dieser Druck besteht, dass man vielleicht nicht mehr in den Urlaub fahren kann.“
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Aktuell sind in Ihrer Klinik viele der Kollegen nur einmal geimpft. Es werden aber zwei Impfdosen vorgesehen.
„Zwei Mal wurde die Impfstoff-Gabe ausgesetzt durch die Kommissionen in Deutschland. Und mit jedem Neu-Aussetzen gab es Fragen seitens der Kollegen. Anfangs stand nur der BioNTech Pfizer-Impfstoff zur Verfügung. Dann hat die Bundesregierung unserem Haus keine Dosen davon mehr zur Verfügung gestellt, sondern nur noch AstraZeneca, da es nicht mehr genug BioNTech Pfizer gab. Die Regierung steuert die Impfstoffverteilung.“
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Dann stand nur noch AstraZeneca zur Verfügung, obwohl es eine Empfehlung der Ständigen Impfkomission gibt, wegen der Gefahr einer Thrombose nur Patienten über 60 mit AstraZeneca zu impfen?
„Genau. Und da haben viele sofort angefangen, die Impftermine in unserem Haus abzusagen. Einige hatten sich ja bei der ersten Dosis mit AstraZeneca impfen lassen. Ca. Ende März/Anfang April kam dann die Empfehlung, diesen Impfstoff nur noch bei Menschen über 60 einzusetzen. Daher wird jetzt die zweite Dosis mit dem BioNTech-Impfstoff durchgeführt. Wer sich allerdings dennoch für AstraZeneca als zweite Dosis entscheidet, muss einen Sonderzettel ausfüllen und nach Risiken entscheiden, ob er sich die zweite Impfung damit geben lässt oder nicht.“
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Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat am 1. April 2021 ihre COVID-19-Impfempfehlung aktualisiert. Sie empfiehlt Personen unter 60 Jahren, die bereits eine 1. Impfstoffdosis mit AstraZeneca erhalten haben, anstelle der 2. AstraZeneca-Impfstoffdosis eine Dosis eines mRNA-Impfstoffs zu verabreichen. Diese Entscheidung beruht auf dem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse nach der AstraZeneca-Impfung bei Personen im Alter <60 Jahren und einem in dieser Altersgruppe niedrigeren Risiko für schwere COVID-19-Verläufe.
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Wie ist jetzt Anfang Mai 2021 die Bereitschaft der Kollegen in Ihrem Haus, sich mit einer zweiten Dosis gegen Covid-19 impfen zu lassen?
„Was ich aktuell wahrnehme ist, dass eine große Verunsicherung herrscht. Denn zuerst sollten wir selbst entscheiden, welchen Impfstoff wir uns von den beiden, die zur Verfügung stehen, spritzen lassen wollen. Es wird nun sogar empfohlen, dass man AstraZeneca mit dem mRNA Impfstoff BioNTech kombiniert, obwohl es noch keine Studien dazu gibt. In dem Informationsschreiben heißt es:
– Für die Kombination der Impfstoffe liegen noch keine Studiendaten vor, aber folgende Überlegungen sprechen dafür: Es ist möglich, dass bei einem Teil der Personen eine Autoimmunreaktion mit Ausbildung von Sinusvenenthrombosen erst nach der zweiten Impfung mit AstraZeneca auftritt. Und immunologisch betrachtet kann eine Impfung mit zwei verschiedenen Impfstoffen sogar vorteilhaft sein. – Aber das ist nur eine Vermutung. Die Aussprache intern bei uns lautete: Jetzt kann man entscheiden zwischen Herzmuskel-Entzündung oder Sinusvenenthrombose. Das Wichtigste war, dass es leider keine Garantie gibt, dass man wieder reisen, sprich die möglichen Lockerungen der Regierung in Anspruch nehmen kann, wenn man sich nur einmal impfen lässt. Eigentlich wollten meines Erachtens die Meisten sich nicht weiter impfen lassen. Weil beide Impfstoffe ja schon nachgewiesene Nebenwirkungen haben, die nicht zu unterschätzen sind.“
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Gab es eine Überbelastung der Intensivbetten in Ihrem Haus ?
„Am Anfang waren alle sehr besorgt, weil sehr viel Angst gemacht wurde. Aber das hat sich relativ schnell gelegt, bis auf ein paar Wenige, die aus dieser Angst nicht rausgekommen sind, bis heute. Die meisten schütteln aber schon lange den Kopf über die Maßnahmen. Natürlich ist es so, dass die Menschen hier auf die Intensivstation gekommen sind. Aber alle wissen ja schon sehr lange, dass Pflegenotstand besteht, nicht erst seit Corona. Es sind Zusatz-Intensivstationen aufgebaut worden. Das hat sehr viel Personal gebunden. Und durch die ganzen Verordnungen, die von der Regierung gemacht wurden, also Stationen schließen und nur noch Not-Operationen durchführen, hat man das alles mitmachen müssen. Jede Fachrichtung hat gekämpft, dass sie die Betten und das Personal behält. Jeder hat versucht, weiter zu operieren, soweit es irgendwie ging, immer mit der Befürchtung, dass Stellen gestrichen werden, was natürlich passiert ist.“
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Aktuell kann man lesen, die deutschen Krankenhäuser kämen an ihre Kapazitätsgrenze. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warnt eindringlich davor. In der Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums vom 30. April 2021 steht aber: „Die Mitglieder des Beirats betonten, dass die Pandemie zu keinem Zeitpunkt die stationäre Versorgung an ihre Grenzen gebracht hat.“
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Beirat diskutiert und verabschiedet Analyse von Prof. Augurzky und Prof. Busse zum Leistungsgeschehen der Krankenhäuser und zur Ausgleichspauschale in der Corona-Krise:
Im Jahresdurchschnitt waren vier Prozent aller Intensivbetten mit Corona-Patientinnen und -Patienten belegt. (…) Die Mitglieder des Beirats betonten, dass die Pandemie zu keinem Zeitpunkt die stationäre Versorgung an ihre Grenzen gebracht hat.
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„Nach jeder Welle wurden die Intensivbetten reduziert und die OP-Kapazitäten bis fast hundert Prozent hochgefahren. Die abgesagten Operationen von der ersten Welle wurden versucht nachzuholen. Dann kam die nächste Welle, und wieder wurde alles abgesagt und verschoben. Es wurden wieder Zusatz-Intensivbetten zur Verfügung gestellt, aber vor allem in der dritten Welle deutlich weniger als in der ersten und zweiten Welle. Die Warnhinweise der Intensivmediziner deute ich dahin, dass jetzt die Zeit ist, auf die Politik Druck auszuüben. Sowohl bei der technischen Ausstattung der Krankenhäuser, als auch bei der Bezahlung der Mitarbeiter ist in den letzten Jahren viel versäumt worden. Es ist schon seit vielen Jahren in der Politik bekannt, dass es eine starke Unterbesetzung auf den Intensivstationen gibt. Es gab viele Streiks, um auf normale Personal-Besetzungen zurückzukommen und nicht mehr permanent unterbesetzt zu sein.“
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Dann kam die Corona-Pandemie, und die massive Unterbesetzung des Personals in vielen Krankenhäusern wurde noch deutlicher?
„Mit Corona kam hinzu, dass die Kollegen, die auf den Intensivstationen arbeiten, über Stunden in dieser Infektions-Schutzausrüstung arbeiten mussten. Wenn man das über Stunden macht, ohne ausgewechselt zu werden, über Monate, in so einer Kleidung, dann brennen natürlich immer mehr Mitarbeiter aus. Normalerweise muss man eine FFP2-Maske nach 75 Minuten eine halbe Stunde ausziehen und sich erholen, was auf den Intensivstationen natürlich so nicht möglich ist, unter anderem wegen des Personalmangels und auch aus organisatorischen Gründen. Das heißt, die Kollegen haben teilweise acht bis zehn Stunden durchgearbeitet. Die Sauerstoff-Unterversorgung und die Kohlendioxid-Rückatmung wirkt sich definitiv auf den Körper aus. Und dann hatte man natürlich ganz schnell wieder eine Unterversorgung. Dieses Ausbrennen nach einem Jahr ist ja auch deutlich zu sehen: Dreißig Prozent der Intensiv-Mitarbeiter sind nicht mehr bereit diesen Job auszuüben, weil sie überlastet sind und sehr schlecht dafür bezahlt werden. Es wurden immer finanzielle Versprechungen gemacht, die nur in Häppchen verteilt wurden, um die Leute bei Laune zu halten. Es sind keine neuen finanziellen Anreize geschaffen worden, immer nur punktuell. Jetzt nach einem Jahr sieht man, dass das nicht wirklich in die Tat umgesetzt wird und weiter Kapazitäten abgebaut werden. Von daher wird sich diese Situation mit Sicherheit in Zukunft nicht verbessern.“
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Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e. V. (DGIIN) hat eine Online-Befragung unter Mitarbeitenden auf Intensivstationen, Notaufnahmen und im Rettungsdienst durchgeführt. Ergebnis: Mehr als 70 Prozent fühlen sich während der aktuellen dritten Welle der Corona-Pandemie überlastet. Rund ein Drittel der Befragten gibt an, den Beruf in den nächsten zwölf Monaten verlassen zu wollen – drei Viertel davon aufgrund der Belastungen durch die Corona-Pandemie. (Umfrage: 5. April 2021 – 16. April 2021)
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Kann man in Ihrem Haus offen über die Corona-Politik sprechen?
„2020 konnte man sich, wenn man etwas anderer Meinung war oder skeptisch gegenüber diesen ganzen Maßnahmen, mit wenigen Kollegen darüber unterhalten, weil sehr viele es gut fanden, wie die Maßnahmen umgesetzt wurden. Anfang 2021 schlug das jedoch deutlich um. Als sich nämlich herausstellte, dass diese Impfstoffe doch relativ gefährlich sind und viele nicht mehr hinter diesen Maßnahmen stehen, die immer strenger wurden, obwohl es bei Weitem nicht so eine hohe Belegung in den Häusern gab[2]. Und obwohl die dritte Welle längst ihren Höhepunkt überschritten hat, wurden die Maßnahmen verschärft. Die Belegung war auch bei Weitem nicht so hoch wie bei den anderen beiden Wellen. Selbst im Divi-Intensivregister ist im Kleingedruckten zu lesen, dass Verlegungen innerhalb von Abteilungen Mehrfach-Zählungen verursachen.“
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„Das heißt, wenn man jetzt sagt, 6.000 Betten sind belegt, dann kann man davon ausgehen, dass es nicht wirklich 6.000 Corona-Fälle sind. Mittlerweile sind offene Gespräche unter Kollegen an der Tagesordnung. Denn viele fragen sich jetzt, was eigentlich hier passiert. Es werden sowohl die Maßnahmen in Zweifel gezogen als auch die Impfungen.“
Anmerkung der Redaktion: Im Aufklärungsmerkblatt für Vektor-Impfstoff AstraZeneca des Robert-Koch-Instituts, Stand Mai 2021, ist zu lesen:
„Auch wenn Sie geimpft sind, ist es notwendig, dass Sie weiterhin die AHA + A + L-Regeln beachten und somit sich und Ihre Umgebung schützen. Gründe dafür sind, dass der Schutz nicht sofort nach der Impfung einsetzt und auch nicht bei allen geimpften Personen gleichermaßen vorhanden ist. Zudem lässt sich zurzeit noch nicht mit Sicherheit sagen, ob Personen das Virus (SARS-CoV-2) trotz Impfung weiterverbreiten können.“
[1] Anmerkung der Redaktion: Die Impfungen haben in Deutschland am 27.12.2020 begonnen
[2] Siehe: https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen
[…] Job, seinen Unterhalt, mitunter im Impfstreit mit dem Partner seine Kinder. Wer kann das aushalten? OP-Schwester Judith Gröschner, die seit rund dreißig Jahren in einem der größten Krankenhäuser Deutschlands arbeitet ist […]