von Camilla Hildebrandt
Lesedauer 6 MinutenTV-Moderatoren dürfen ungeimpft nicht mehr das Studio betreten. Fußballer ohne Impfung werden aus ihren Clubs entlassen, Kinder in den Schulen gemobbt, Krankenhauspersonal wegen fehlender Covid-Impfung von ihrer Arbeit entbunden – zum Schutz der Gesellschaft.
Am 17. März 2022 gab es eine hitzige Debatte im Bundestag zum Thema Impfpflicht. Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) sagte, man müsse alles tun, um Menschen vor großen Freiheitseinschränkungen zu schützen. „Die Freiheitsabwägung beziehungsweise die Freiheitsinterpretation der Wenigen darf nicht zur permanenten Freiheitseinschränkung der Vielen führen“. Das bedeutet: Jeder Einzelne muss seine Freiheit aufgeben für das Wohl der Gesellschaft.
Für viele ist diese Interpretation der „neuen Freiheit“ nachvollziehbar und das einzig Richtige, was aktuell getan werden muss. Auch wenn längst wissenschaftlich belegt wurde, dass die Covid-Impfung nicht den Anderen, sondern im besten Falle den Geimpften selbst schützt, bzw. auch das nur bedingt. Virologe Hendrick Streeck sagte am 16. März gegenüber ntv: „Ein Fehler in der Kommunikation ist gewesen, dass man gesagt hat, der Impfstoff schützt vor einer Infektion. Das macht er leider nicht. Darauf wurden die Impfstoffe im Übrigen auch nie getestet.“ Die Impfung zeige, so RKI im März 2022, „eine hohe Wirksamkeit (…) gegenüber schweren Verläufen.“ Dennoch sagte Wissenschaftsjournalist Harald Lesch noch im Dezember 2021 in der Terra-X-Kolumne auf ZDF heute: „Mir reicht´s. Seit Monaten predigen wir, bitten, argumentieren. Im „Land der Dichter und Denker“ verweigern sich immer noch erwachsene Menschen der Impfung gegen das Coronavirus. Lasst! Euch! Impfen!“ Auf der Webseite des Bayrischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege heißt es: „Impfen gehen! Für dich. Für mich. Für alle.“ Und #DerApotheker meint in seiner Kolumne: “Beim Impfen gibt es „Glücksgefühle gratis“.“
#ichlassemichnichterpressen
Andere wiederum sagen klar und deutlich: ich lasse mich nicht erpressen. Denn darum handelt es sich, laut dieser Gruppe: um Erpressung. Wer sich nicht impfen lässt, wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, als unsolidarisch bezeichnet, verliert womöglich seinen Job, seinen Unterhalt, mitunter im Impfstreit mit dem Partner seine Kinder. Wer kann das aushalten? OP-Schwester Judith Gröschner, die seit rund dreißig Jahren in einem der größten Krankenhäuser Deutschlands arbeitet ist überzeugte Covid-Impf-Kritikerin. Aber dem Druck hat sie nicht standhalten können. „Ich muss das Studium meiner Kinder finanzieren!“ Anfang März 2022 hat sie sich „zwangsimpfen lassen“, so ihre Worte.
„Es ist aber trotzdem eure Entscheidung“
Für Profi-Basketballer Tobi aus Hessen, 35 Jahre, begann die Saison gut. Aber dann kam erneut die 2G und 2G+ Regel. „Ich war eigentlich Arbeitnehmer beim Verein, durfte aber nicht mehr spielen“, erklärt er. „Und mir wurde ans “Herz” gelegt mich doch für die Mannschaft zu impfen. Wir waren drei impfstofffreie Spieler. Der jüngste von uns hat sich dann schließlich überreden lassen, auch weil er Angst hatte nicht weiter zu studieren können. Wir anderen haben mit Basketball aufgehört. Weil unsere Freiheit ist uns wichtiger als der Sport, den wir lieben!
Aber es ist schon traurig zu sehen, welche Artikel und Videos uns vom Management zugeschickt worden sind, damit wir uns endlich impfen lassen, immer mit dem netten Spruch: es ist aber trotzdem eure Entscheidung.“
Wie wird man kritisch?
Prof. Christian Schubert, Psychoneuroimmunologe, Arzt, Psychologe und Psychotherapeut aus Innsbruck sagte im Interview, dass man aktuell davon ausgehen könne, dass sich ein Großteil der Menschen in einer Massenpsychose befände, dass die Bevölkerung durch massive Panik-Verbreitung traumatisiert worden sei. „Wir haben 30 Prozent, (…) die sind vorerkrankt und nun in eine Situation hineingerauscht, wo man sie kaum mehr rausholen kann.“ Für sie gelte das westliche Medizin-Narrativ zur Covid-19-Krise, erklärt Schubert. „Und dieses Narrativ lautet: Killer-Virus! Ihr müsst Angst haben vor dem Killer-Virus! Und wir bieten euch gleichzeitig eine Behandlungsmöglichkeit an, nämlich die Impfung, die vor allem bei denen, die nun ihre diffusen Ängste endlich auf etwas projizieren können – auf das Virus -, äußerst willkommen ist.“
Rund 30 Prozent würden völlig kritiklos mitlaufen und nur ca. 20-30 Prozent hätten der Covid-19-Krise von Beginn an kritisch gegenüberstanden. Wie wird man jedoch kritisch?
Wer erpresst wen
Selbständiges Denken, nicht alles ungefragt hinnehmen, Drohungen und Druck standhalten, diese Haltung verbindet aktuell viele, die in der Covid-Krise sagen: #ichlassemichnichterpressen. Auch wenn Gesundheitsminister Karl Lauterbach – der während seiner kurzen Amtszeit schon mehrmals grundlegend falsche Prognosen getroffen hat und weiterhin Panik verbreitet -, das Ganze umdreht und behauptet, die Corona-Kritiker würden die Politiker erpressen. Der Tagesspiegel formulierte es am 06. Dezember 2021 folgendermaßen: „Der Staat darf sich nicht erpressen lassen. Wir lassen uns nicht erpressen“, nahm der SPD-Gesundheitsexperte Bezug auf Einschüchterungsversuche der sogenannten Querdenker. Es sei „absolut indiskutabel“, wenn Abstriche an der Gesetzgebungskompetenz gemacht werden, „wenn wir unter Druck der Straße sind“.
Anklage wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“
Elke aus Berlin empfindet es als Geschenk, an etwas festhalten zu können, was sie selbst durchdacht und für richtig befunden habe.
„Das verdanke ich zum einen meinem „Dickkopf“, der zu meinem Charakter gehört. Aber ich habe auch von meinem Opa gelernt. Er hat als junger Mann die Chance genutzt, Land erwerben und mit Erfolg einen Bauernhof aufgebaut. In der DDR sollte er dann alles in eine LPG (Genossenschaft) einbringen. Er sagt, dort waren aber vor allem diejenigen, die keine Lust hatten zu arbeiten, also weigerte er sich. Der Fund einer rostigen Pistole, die sein Sohn, mein Onkel, auf dem Feld gefunden und auf dem Heuboden versteckt hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Es kam zur Anklage wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“ und zu sechs Jahren Zuchthaus. Aber mein Opa hat sich durch all das nicht brechen lassen. Er hat mir beigebracht, zu seinen Überzeugungen zu stehen, aber auch geraten, nicht immer frontal zu stehen, sondern dem Druck auch mal etwas auszuweichen.“
Maria Krug aus Bayern hat ebenso viel von ihrer Familie gelernt. „Meine Eltern haben mich zu einem Menschen erzogen, welcher hinterfragt“, sagt sie. „Nicht alles glauben, was man sieht. Einfach nicht mit der Masse mitgehen, sondern nachdenken. Ich frage mich aber auch immer wieder, warum ich so denke. Ob es wirklich „nur“ an der Erziehung lag?“ Wahrscheinlich hätten es die Eltern ihr mehr vorgelebt als sie dahingehend zu erziehen. „Ich liebe einfach meine Freiheit und kann auf Sicherheit besser verzichten.“
„So viele haben mitgemacht“
Wohin wollen wir uns als Gesellschaft entwickeln? Hin zu einer Masse, die ohne zu hinterfragen akzeptiert, was Politiker, Medien und Wissenschaftler vorgeben? Akzeptieren wir kritiklos einen Bundeskanzler der vor seiner Wahl Impfpflicht ausschließt und nach seiner Wahl, nur ein paar Monate später, verkündet: „Die Impfpflicht ist notwendig für den nächsten Herbst und Winter“? Folgen wir aus Ermangelung eines eigenständigen Denkens der Aufforderung „Anständige Bürger beteiligen sich nicht an verbotenen Demonstrationen. Sie folgen auch Aufforderungen der Polizei und halten sich an Regeln“? Sind wir kommentarlos einverstanden mit der Ansage eines saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU) in der ZDF-Sendung Maybrit Illner am 21. Dezember 2021: „Zuerst einmal müssen wir eine klare Botschaft an die Ungeimpften senden: Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben“? Lassen wir uns gegen unseren Willen impfen, um damit “unsere Freiheit zurückzubekommen“?
„Ich bin seit meiner Kindheit von Menschen aus meinem nahen Umfeld manipuliert und in Lebenssituationen gebracht worden, die ich nicht wollte“, berichtet Alexandra, 50 Jahre, aus dem Ruhrgebiet. „Danke dafür, denn diese Erfahrungen zahlen sich heute aus. Ich mache nichts mehr im Leben was ich nicht will.“
„Ich war jahrzehntelang bis zum Ausstieg vor zehn Jahren in einer sehr indoktrinativen Sekte. Bei Corona dachte ich sofort, dass es sich um dieselben Mechanismen von Lügen, Gehorchen und Unterwerfung handelt. – Sabrina aus Dresden.
Sophia ist schon als Kind immer neugierig gewesen. Als sich die Eltern scheiden ließen, habe sie aber gelernt, dass man selbst diesen nicht alles glauben kann, und dass es immer zwei Seiten gibt. „Am Anfang meiner Ausbildung kommentierte ein älterer Vorgesetzter meine vielen Fragen mit: ´dass es eben so sei, und warum ich denn ständig alles hinterfragen müsse´. Das hat mich leider viele Jahre verstummen lassen. Dann kam Corona. Die Mainstream-Medien verbreiteten Angst und Panik. Ich wurde stutzig: Warum wird in so einer Situation nicht erklärt, wie man sein Immunsystem stärkt? In der Arbeit ließen sich die ersten impfen. Viele nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern der „Freiheit wegen.“ Da begann bei mir innerlich die Abspaltung. Ich wollte nicht so sein wie sie. Ich werde nie so sein wie sie. So viele haben mitgemacht. Kaum hinterfragt. Am Ende vom Tag möchte ich mich noch im Spiegel anschauen können. Deswegen verrate ich meine Überzeugungen nicht. Ich lass mich nicht erpressen.“
„Alleine hätte ich nicht bis heute durchgehalten“
Alleine sich gegenüber der Masse zu behaupten sei sehr schwer, sagen viele. Sie haben es dennoch getan und Gleichgesinnte in Foren oder Gruppen gesucht. Gleichgesinnte, die das Leben nicht kritiklos hinnehmen, sondern nachdenken, selbst entscheiden, was für ihr Leben richtig ist, ohne anderen damit zu schaden. Denn Freiheit ist nicht verhandelbar, niemals, sagen alle.„Ich schaue mir gern positive Beispiele, Gewohnheiten, Fähigkeiten von anderen Menschen ab, um sie womöglich in mein eigenes Handeln zu integrieren“, berichtet Torsten Kraus aus Bochum. Ihn und seine Frau hätte in diesem Sinne unter anderem Dr. Daniele Ganser, Historiker und Friedensforscher, sehr beeindruckt. „Begegnungen mit solchen Menschen, sei es auch nur im Geiste, geben Kraft, sich auch weiterhin nicht erpressen zu lassen zu einer Impfung. Die Vorwürfe, damit unsolidarisch, rechtsradikal, antisemitisch etc. zu handeln, treffen mich sehr. Zeigen sie doch, wie unglaublich heruntergekommen unser Staatswesen und unsere Gesellschaft mittlerweile sind. Aber wenn man sich einmal dazu entschlossen hat, ein kritischer Geist zu sein und nicht alles widerspruchslos hinzunehmen, begleitet das einen ein Leben lang.“
Vielleicht habe sie ja nicht nur äußere Merkmale von ihrem Großvater geerbt, führt Elke noch abschließend hinzu. „Je älter ich werde, umso mehr Respekt habe ich davor, wie er an seinem Lebensentwurf festhielt, trotz Zuchthaus. Eins möchte ich noch ergänzen: Wenn ich ganz allein wäre mit meiner Entscheidung, mich gegen den politischen Mainstream zu stellen, hätte ich nicht bis heute durchgehalten. Die Verbindung mit Menschen, die wie ich denken und fühlen, gibt mir viel Kraft. Ohne die Demonstrationen und Spaziergänge, Gespräche und Nachrichten in den sozialen Netzwerken wäre ich momentaner Verzweiflung und Resignation vielleicht nicht mehr entkommen. Also danke, dass Ihr da seid.“