Zur Risikoabwägung bei Corona-Schutzimpfungen

ein Beitrag von Hans-Christoph Loebel

Lesedauer 7 Minuten
1bis19 - Zur Risikoabwägung bei Corona-Schutzimpfungen
Risiken

Alle Menschen, die sich bewusst für oder gegen eine Covid-19-Schutzimpfung entscheiden wollen, müssen eine Risikoabwägung vornehmen. Auf der einen Seite steht das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Auf der anderen Seite steht das Risiko, schwer an der Schutzimpfung zu erkranken.1

Das Risiko, an Covid-19 zu erkranken

Das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, könnte gut bewertet werden, wüssten die Bürgerinnen und Bürger, wie viele von ihnen je 100.000 oder 1.000.000 ohne Krankheitssymptome überhaupt infiziert werden, mit milden Krankheitssymptomen infiziert werden, mit erheblichen Krankheitssymptomen infiziert werden oder gar intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Solche repräsentativen Zahlen werden bis heute nicht ermittelt.2

Das Risiko, an Schutzimpfungen gegen Covid-19-Erkrankungen zu erkranken

Das Risiko, schwer an Corona-Schutzimpfungen zu erkranken3, führt zu einem grundlegenden Problem. Für die Lösung des Problems gibt es zwei Sichtweisen.

Die zwei Sichtweisen der Risikobewertung

Nach Sichtweise der Impfbefürworter gibt es nur die Nebenwirkungen von Schutzimpfungen, die empirisch nachgewiesen sind. Andere Nebenwirkungen gibt es nicht oder sind jedenfalls sehr unwahrscheinlich. Die Grundeinstellung ist: Es gibt nichts außerhalb des empirisch Nachgewiesenen. Wer Nebenwirkungen behauptet, muss nachweisen, dass sie eintreten.

Nach Sichtweise der Impfskeptiker gibt es die Nebenwirkungen von Schutzimpfungen, die empirisch nachgewiesen sind. Aber Nebenwirkungen, die noch nicht nachgewiesen sind, kann es ebenfalls geben. Die Grundeinstellung ist: Es ist zumindest offen, ob es neben dem empirisch Nachgewiesenen noch weiteres gibt. Wer die Nichtexistenz von Nebenwirkungen behauptet, muss nachweisen, dass keine eintreten können.

Die zwei Sichtweisen unterscheiden sich demnach in einem zentralen Punkt: Wie gehen wir mit möglichen, noch nicht erfassten Nebenwirkungen von Schutzimpfungen um?

Die zwei Gruppen innerhalb jeder Sichtweise

In der Antwort auf diese Frage gibt es bei den Impfbefürwortern wie bei den Impfskeptikern eine extreme und eine gemäßigte Gruppe.

Impfbefürworter-Impfgegner

Die extremen Impfbefürworter

Die extremen Impfbefürworter leugnen die Möglichkeit von bislang empirisch nicht erfassten Nebenfolgen der Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen. Diese Impfbefürworter berufen sich dabei auf die Erfahrungen mit bislang bewährten Schutzimpfungen. Die Grundannahme: Wenn es bislang bei Schutzimpfungen Nebenwirkungen gab, traten diese innerhalb kurzer Zeit nach Verabreichung des Impfstoffes auf. Diese Impfbefürworter räumen zwar ein, dass es in Folge von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen u.a. zu Übelkeit, Kopfschmerzen und Schüttelfrost kommen könne. Langzeitfolgen seien aber ausgeschlossen. Todesfälle relativ kurz nach Verabreichung des Impfstoffes werden damit erklärt, dass die Betroffenen vorgeschädigt waren oder ein ohnehin bereits hohes Alter erreicht hatten. Eine Risikoabwägung wird nicht vorgenommen, weil es – von Unpässlichkeiten für Betroffene abgesehen – Risiken der Schutzimpfung gar nicht gibt.4

Aus einem einfachen Grund ist die Position der extremen Impfbefürworter nicht haltbar: Für naturwissenschaftliche Erkenntnisse gilt (zumindest im Grundsatz), dass vor der Erkenntnis das Erkannte immer schon existiert haben muss.5 Bevor eine Krankheit entdeckt wird, existiert sie bereits. Bevor die Wirksamkeit eines Impfstoffs entdeckt wird, ist die Wirksamkeit des Impfstoffs bereits eine Tatsache. Ein kausaler Zusammenhang kann nur nachgewiesen werden, wenn er vorher schon besteht. Dann müssen wir (zumindest im Regelfall) auch einräumen, dass wir mit unserem Wissen immer dem, was gewusst sein kann, hinterherlaufen. Und wenn wir das einräumen, können wir nicht ernsthaft behaupten, dass es nur das gibt, was wir bereits kennen.6

Die gemäßigten Impfbefürworter

Die gemäßigten Impfbefürworter räumen die Möglichkeit von bislang nicht erfassten Nebenfolgen der Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen ein. Diese Impfbefürworter meinen aber im Hinblick auf ihre Kenntnisse und Erfahrungen sagen zu dürfen, dass schwere Nebenfolgen von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen unwahrscheinlich sind. Wenn diese Impfbefürworter als Berater oder Experten auftreten, sehen sie sich einer bestimmten Erwartungshaltung von Seiten der Politik oder der Medien ausgesetzt. Sie sollen für Entscheidungssicherheit sorgen, verbindliche Feststellungen treffen und Zweifel ausräumen. Wenn dann auch noch die Zeit für langfristig angelegte Forschungsarbeiten fehlt, neigen zumindest einige der gemäßigten Impfbefürworter dazu, sich von Seiten der Politik oder der Medien instrumentalisieren zu lassen. Dann wird das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, besonders betont, das Risiko, an Schutzimpfungen gegen solche Erkrankungen zu erkranken, aber kleingeredet.

Die extremen Impfskeptiker

Die extremen Impfskeptiker nehmen als Gewissheit an, was allenfalls möglich ist. Einige von ihnen leugnen die Existenz von SARS-CoV-2-Viren, andere leugnen die Gefährlichkeit dieser Viren oder meinen, den gesundheitlichen Gefahren mit einfachen Mitteln begegnen zu können. Die Maßnahmen der Politik zur Bekämpfung der Corona-Pandemie werden abgelehnt. Einige extreme Impfskeptiker vermuten fremde Mächte oder Interessen hinter diesen Maßnahmen. Die extremen Impfskeptiker nehmen überhaupt keine Risikoabwägung vor. Für sie steht fest, dass es zum Schutz der eigenen Gesundheit und zum Schutz der Gesundheit anderer keinerlei politischer Maßnahmen bedarf.

Die gemäßigten Impfskeptiker

Die gemäßigten Impfskeptiker leugnen nicht die Existenz von SARS-CoV-2-Viren. Die gemäßigten Impfskeptiker halten allerdings für möglich, das Ansteckungsrisiko auf andere Weise als vom Staat vorgegeben, beherrschen zu können. Zudem betonen sie die Möglichkeit von bislang nicht erfassten Nebenfolgen der Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen. Diese Impfskeptiker meinen, die bisherigen Erfahrungen mit Impfstoffen und die bislang vorhandenen Kenntnisse der Fachleute über Impfstoffe erlaube kein abschließendes Urteil über die Wahrscheinlichkeit schwerer Nebenfolgen von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen.7 Sofern solche Impfskeptiker selbst insbesondere als Mediziner hinreichende Fachkenntnisse haben, kommen sie im Regelfall in den öffentlichen Medien nicht zu Wort. Das beobachten die gemäßigten Impfskeptiker mit Argwohn ebenso wie die insgesamt unausgewogene Berichterstattung in den Medien, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die gemäßigten Impfskeptiker lehnen die Maßnahmen des Staates zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im Allgemeinen ab, insbesondere die Impfpflicht und jene Maßnahmen, die ausschließlich oder vorrangig Nichtgeimpfte benachteiligen.8 Die gemäßigten Impfskeptiker nehmen eine Risikoabwägung vor, stellen allerdings die Risiken der Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen heraus, und neigen dazu, die Risiken einer Covid-19-Erkrankung eher für gering zu halten.

Strategien zur Überwindung des Lagerdenkens

Im Lager der extremen Impfbefürworter gibt es gar kein Interesse an der Überwindung des Lagerdenkens. Im Gegenteil: Wer die Impfskeptiker als kleine radikale Minderheit bezeichnet, in ihnen „Tyrannen“ sieht, die die Mehrheit „in Geiselhaft“ nehmen, Impfskeptiker pauschal als Rechtsradikale oder Querdenker denunziert, dem liegt gerade nicht an einem Dialog, an einem offenen Diskurs, er will vielmehr von Legitimationsdefiziten staatlicher Freiheitsbeschränkungen infolge der Corona-Pandemie ablenken und jede sachliche Kritik von vornherein disqualifizieren.9 Diesem Zweck dient auch die Moralkeule, Impfskeptiker seien „egoistisch“, „unsolidarisch“, verträten einen „falschen Freiheitsbegriff“.10

Ein vernünftiger Diskurs kann nur zwischen den gemäßigten Impfbefürwortern und den gemäßigten Impfskeptikern geführt werden. Wenn an einem offenen Dialog alle Seiten beteiligt und sich ihrer Präferenzen und Neigungen zu unausgewogenem Urteil bewusst wären, könnte der Dialog gelingen.11 Es ist nur bedauerlich, dass es keinen Ort für einen solchen Dialog gibt.

Abschließend einige Fragen zum Urteilsvermögen von Bürgerinnen und Bürgern:

Gibt es „die“ Wissenschaft?

Ist das Wahre, Richtige, Gerechte (was auch immer Sie darunter verstehen) das, was die Mehrheit für wahr, richtig oder gerecht hält?

Wird eine Meinung dadurch falsch, dass sie von einem Idioten (wie auch immer Sie Idiotie definieren) vertreten wird?

Können Sie unterscheiden, was ist und was angenommen, vermutet, erwartet, befürchtet, erhofft … wird?

Können Sie zwischen Prominenz und Kompetenz unterscheiden?

Können Sie unterscheiden, was wissenschaftliche Erkenntnis ist und welche politischen Folgerungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ziehen sind?

Können Sie unterscheiden zwischen Selbstbestimmung und Rücksichtslosigkeit?

Wer macht „Experten“ zu Experten?

Halten Sie das allgemeine, nicht fachspezifische Urteilsvermögen der Experten für besser als Ihr eigenes?

Halten Sie das Urteilsvermögen der regierenden Politiker für besser als Ihr eigenes?

Gibt es einen guten Grund, nur solche Politiker zu wählen, die einen Beruf erlernt haben?

Gibt es einen guten Grund, die Politiker nach ihrem äußeren Erscheinungsbild zu beurteilen?

Gibt es einen guten Grund, Politikern nur dann Ämter zu übertragen, wenn sie über persönliche und fachliche Kompetenz verfügen?

1 Ein Aspekt der Risikoabwägung ist die bislang noch sehr kurze Schutzwirkung von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen, siehe dazu mit zahlreichen Nachweisen, Christian Felber, 30 Gründe, warum ich mich derzeit nicht impfen lasse, https://www.nachdenkseiten.de/?p=77850 (05.01.2022). Felber (mehrfach geimpft) weist a.a.O. im Rahmen seiner Ausführungen zu Grund 16 auf die geringe Wirkungsdauer von Schutzimpfungen hin. Der Grund erhält besonderes Gewicht, weil neue Virus-Varianten auftreten, und damit erforderlich wird, die vorhandenen Impfstoffe neu zu „justieren“. Dieser Aspekt der Risikoabwägung wird hier nicht näher behandelt.

2 Siehe zur Infektionssterblichkeit mit zahlreichen Nachweisen Christian Felber, 30 Gründe, warum ich mich derzeit nicht impfen lasse, https://www.nachdenkseiten.de/?p=77850 (05.01.2022). Felber (mehrfach geimpft) weist a.a.O. im Rahmen seiner Ausführungen zu Grund 2 auf Studien über die Risiken, an Covid-19 zu sterben, hin.

3 Siehe zu Impfschäden und Nebenwirkungen mit zahlreichen Nachweisen Christian Felber, a.a.O. https://www.nachdenkseiten.de/?p=77850 (05.01.2022), die Gründe 6 ff. Dass es eine Korrelation von Covid-Schutzimpfungen zur Übersterblichkeit gibt, ist nicht zu leugnen; siehe dazu https://odysee.com/@NUMBERS:9/NUMBERS-10_final:3 (30.01.2022). Aufschlussreich ist nur, dass sowohl das Robert-Koch-Institut als auch das Paul-Ehrlich-Institut ausdrücklich oder implizit ablehnen, sich mit dieser Korrelation auseinanderzusetzen.

4 Politiker, die schon immer oder inzwischen zu den extremen Impfbefürwortern gehören, kennen keine „roten Linien“, was sie aus verfassungsrechtlicher Sicht ohnehin disqualifiziert. Sie halten an der einmal eingeschlagenen Strategie fest, dass nur Impfen aus der Pandemie führt. Sie ignorieren dabei u.a. die geringe Wirksamkeit der bislang vorhandenen Impfstoffe und das vorhersehbare Auftreten von neuen Virus-Varianten. Sie stellen alle Fakten heraus, die die Gefährlichkeit der SARS-CoV-2-Viren deutlich machen können, sie behindern die Verbreitung gegenteiliger Fakten, und sie sind nicht daran interessiert, dass Nebenfolgen von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen umfassend ermittelt und vollständig aufgeklärt werden.

5 Aus philosophischer Sicht liegt der Einwand nahe, dass es diese Zweiteilung von erkannter Realität und Realität möglicherweise gar nicht gebe. Darauf kann hier nicht eingegangen werden.

6 Das bestätigen uns einfache Geschichtskenntnisse: Vor wissenschaftlicher Erkenntnis galt beispielsweise die Erde als Scheibe und Mittelpunkt des Sonnensystems. Wir wissen, dass schon zuvor die Erde keine Scheibe und nicht Mittelpunkt des Sonnensystems war.

7 Ein zentrales Argument der gemäßigten Impfskeptiker ist die derzeit noch geringe Dauer der Schutzwirkung von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen. Siehe dazu oben Endnote 1.

8 Einige Impfbefürworter scheinen unverhohlen eine geradezu sadistische Lust zu entwickeln, Nichtgeimpften das Leben erheblich zu erschweren. Selbst „Intellektuelle“ lassen sich hinreißen zu totalitären Machtphantasien („mehr Diktatur wagen!“), die nationalsozialistischem Denken und Handeln zugeordnet werden könnten.
Wer sich zur Ungleichbehandlung der Nichtgeimpften sachlich informieren möchte, lese bitte OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10.12., 13 MN 462/21, 13 MN 463/21, 13 MN 464/21, und 16.12.2021, 13 MN 477/21 – http://www.dbovg.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE210004286&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint (25.12.2021) sowie den Beschluss des VGH Mannheim vom 15.12.2021, Az.: 1 S 3670/21. Zur Einführung siehe https://www.anwalt.de/rechtstipps/ovg-lueneburg-und-vgh-mannheim-stoppen-2g-regelungen-195777.html (25.12.2021). 

9 Es ist schon erschreckend, dass in der Auseinandersetzung mit Impfskeptikern immer wieder Feindbilder bemüht werden. Allein der Umstand, dass auch Politiker der AfD zu den Impfskeptikern gehören, reicht vielen aus, um alle Impfskeptiker pauschal als rechtsradikal zu disqualifizieren. Was machen solche Impfbefürworter eigentlich, wenn in ihrer Gegenwart ein AfD-Politiker sagt, dass (auf der Basis des Zehnerzahlensystems nach geltenden mathematischen Axiomen) 2 mal 2 = 4 sei? Erfinden sie die Mathematik neu?

10 Siehe dazu Christian Felber, a.a.O. https://www.nachdenkseiten.de/?p=77850 (05.01.2022). Felber setzt sich im Rahmen seiner Ausführungen zu Grund 30 kritisch mit einigen Vorhaltungen auseinander.

11 Eine sinnvolle Vorbereitung wäre die Lektüre von Johannes F. Lehmann, Aus dem pandemischen Jetzt, in: der Freitag Nr. 1 vom 6. Januar 2022, S. 14. Lehmann zeigt hier auf der Grundlage eines Zeitrasters (gegenwartsbezogene Sichtweise, zukunftsbezogene Sichtweise), aus welchen Gründen die politischen Maßnahmen zur Abwehr der Pandemie unterschiedlich bewertet werden. Lehmann räumt auch auf mit der in demagogischer Absicht immer wieder von extremen Impfbefürwortern zitierten Zweiteilung der Gesellschaft in Mehrheit (selbstverständlich die Impfbefürworter) und Minderheit (selbstverständlich die Impfskeptiker).

Teilen

Ein Kommentar

  1. Wenn ich lesen muss, dass jemand etwas „leugnet“, gerade im Bereich Wissenschaft, finde ich den Text schon nicht mehr in Ordnung. Diese Begrifflichkeit sollte man denen überlassen, die damit „gut„ und „böse„ kategorisieren wollen . Oder Religionsgemeinschaften…

Kommentare sind geschlossen.