ein Kommentar von Camilla Hildebrandt
Lesedauer 4 MinutenUnd er bemüht sie wieder, unsere „Solidarität“. Das sich Einsetzen für den Anderen, oder wie uns das Internet lehrt: „Aus dem Lateinischen: solidus, <fest> oder <echt>. Das gegenseitige füreinander Eintreten in der Gemeinschaft.“ Er bemüht sie und viele andere Politiker, Medienschaffende, Ärzte bemühen sie, besser gesagt: missbrauchen sie. „Ich appelliere an Ihre Vernunft, ich appelliere an Ihre Solidarität“1, so der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach am 13.01.2022 im Bundestag. „Viele von uns erbringen große Opfer, um Sie zu schützen. Bitte ergreifen Sie die Gelegenheit zumindest zur ersten Impfung.“ Solidarität als Mittel zum Zweck, als Begründung für die vielen evidenzlosen Corona-Maßnahmen.
Ein neues Verständnis der Solidarität
Was für ein Frevel an der uns bis dato heiligen Solidarität. Aber es funktioniert, und zwar ganz hervorragend. Seit der Corona-Krise gilt: Wer die Corona-Maßnahmen nicht einhält, ist nicht solidarisch, ergo ein schlechter Mensch und gehört aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Etikettiert und fertig. Du böse, ich gut. Diese Etikettierung ist offensichtlich bei vielen Menschen deutlich angekommen und nahezu ins Bewusstsein eingeschweißt. „Die Befindlichkeiten von Ungeimpften sollten nicht mehr über das Leben anderer Menschen gestellt werden“2 (Taz). „Wer sich nicht impfen lässt, sollte auf Spitalbehandlung verzichten“ 3 (Tagesanzeiger). „Ich und meine Freunde, wir treffen keine Ungeimpften mehr“ (Begründung zu meiner Ausladung zum Familien-Weihnachtsfest 2021). „Impfverweigerer müssen mit Kündigung rechnen“4 (MDR). Ganz nach dem Vorbild des Volksvertreters der deutschen Bürgerinnen und Bürger, Olaf Scholz: „Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet sich selbst, gefährdet Kinder und alle seine Mitmenschen“5.
Aber worin besteht genau diese Solidarität? Mich mit einem Vakzin impfen zu lassen, das nur per Notfallverordnung zugelassen wurde, sich nach wie vor in Testphase III befindet – Testpersonen: die Bevölkerung weltweit, Kinder und Erwachsene. Eine „Impfung“, der ich nicht vertraue und von der bekannt ist, dass ihre Wirksamkeit höchstens vier Monate anhält, mit der ich weder sicher vor einer Ansteckung bin, mit der ich das Virus an andere weitergeben kann und auch an COVID, Omikron oder Delta sterben kann. Dank den „One-and-only“-Statistiken des RKI muss ich nur den Wochenbericht vom Januar 20216 lesen, um dort bestätigt zu finden, was ich hier so „mir nichts dir nichts“ behaupte, würden Impfpflicht-Befürworter mich hierzu schelten.
Impfung gegen meinen Willen
Ich soll also die Alarmglocken in mir ignorieren, die bezüglich der COVID-Impfung deutlich und nahezu penetrant rot aufleuchten? Ich soll mein erarbeitetes Wissen über meinen Körper und meine Gesundheit Lügen strafen, meinen gesunden und sportlichen Körper für die Risikogruppe impfen lassen? Aber ist die eben Genannte nicht schon längst zum sehr großen Teil geimpft und könnte sorglos das neue 2G+-Leben in vollen Zügen genießen? Ja, um dazuzugehören, um nicht als gesellschaftlich schwarzes Schaf diskriminiert zu werden, MUSS ich mich impfen lassen. Denn wenn erst mal alle geimpft sind…dann…? „Alle Impfstoffe, die zurzeit in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigem Erkenntnisstand bei vollständiger Impfung und insbesondere nach Auffrisch-Impfung die allermeisten geimpften Personen wirksam vor einer schweren Erkrankung“7, so der Wochenbericht des RKI, Januar 2022. Sie schützen im besten Fall den Geimpften selbst, aber ich schütze mit meiner Impfung keineswegs andere, das ist mittlerweile bekannt. Und: „Die Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe gegen die Omikronvariante ist noch nicht endgültig zu beurteilen.“ Deswegen soll ich mich nun, in Solidarität mit den – zum größten Teil geimpften Risikogruppen-Menschen – doppelt impfen, boostern und im Herbst zum vierten Mal, im Frühjahr 2023 voraussichtlich zum fünften Mal mit den nicht ausgetesteten Vakzinen behandeln lassen?
Solidarität – was ist das?
Ich war neugierig, was meine Mitmenschen unter Solidarität verstehen und habe nachgefragt: „Mein Gegenüber verstehen und seine Überzeugungen“. Oder: „Akzeptanz, Unterstützung, gegenseitige Rücksichtnahme.“ Auch: „Mitgefühl, Rückgrat, Gemeinschaft“. Außerdem: „Jeder Mensch wird gleich behandelt, jeder Mensch ist ehrlich und achtet jeden.“ Keiner sagte: „Solidarität ist, sich gegen seinen Willen und seine Überzeugung impfen zu lassen, für die Risikogruppe.“ Selbst eines meiner Familienmitglieder – Risikogruppe und geboostert – gab zu, dass das mit der Solidarität gegen meinen Willen und Körper seiner Argumentation zufolge nicht wirklich funktioniere.
Ich sage: Solidarität heißt leben und leben lassen, mit Rücksicht, Toleranz und in Freiheit. Menschen zu zwingen sich gegen ihren Willen impfen zu lassen und als Mittel zum Zweck „mangelnde Solidarität“ anzuführen, mit Arbeitsplatz-Verlust zu drohen, Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben, mit menschlicher Degradierung8, siehe Frankreichs Präsident Macron (Liberté, Egalité, Fraternité!), das fällt unter Nötigung und steht im unmittelbaren Widerspruch zur Solidarität und zu den demokratischen Werten.
Leben und leben lassen
Lasst die Solidarität in Ruhe! Oder wie eine Bekannte schrieb: „Solidarität findet in unseren Herzen statt, man kann sie nicht erimpfen.“
Und auch wenn Karl Lauterbach gerne Kant zu Hilfe holen will bei seiner Rede im Januar 2022 im Bundestag und somit auch ihn als Mittel zum Zweck missbrauchen will, so ist ihm das nicht gelungen. Lauterbach: „Wer sich der Möglichkeit zur Impfung verweigere, verletzt sogar das moralische Gebot des kategorischen Imperativ im Sinne von Immanuel Kant“. Denn eine solche Verweigerung könne „nie die Maxime des Handelns für uns alle sein.“9
Der Kategorische Imperativ von Kant lautet aber: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Naturgesetz werde. In Umgangssprache bedeutet das: Handle nur nach dem Leitsatz, von dem du willst, dass er ein allgemeines Gesetz wird, oder: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu! Und das, Karl Lauterbach, passt nicht zu Ihrer Rede. Denn „Handle nur nach dem Leitsatz, von dem du willst, dass er ein allgemeines Gesetz wird“, das praktiziere ich jeden Tag. Ich zwinge niemanden etwas gegen seinen Willen zu tun, weil das nicht allgemeines Gesetz werden soll. Und ich missbrauche zur Erklärung auch nicht die Solidarität. Im Falle der COVID-Impfung bedeutet das: Mein Körper, meine Entscheidung, oder dein Körper, deine Entscheidung.
P.S. … auf der Webseite des Ihnen, Herr Lauterbach, zu hundert Prozent untergeordneten und in keiner Weise unabhängigen Robert-Koch-Instituts steht bezüglich der Aufarbeitung unserer Geschichte, aus der wir immerzu konstruktiv lernen sollten: „Für das Übertreten humanistischer Grundsätze, für die Verletzung der Würde und der körperlichen Unversehrtheit gibt zu keiner Zeit der Welt eine Rechtfertigung, auch wenn die Mehrheit ein solches Verhalten toleriert oder gar fordert“, so RKI-Präsident Jörg Hacker nach der Vorstellung der Ergebnisse eines Forschungsprojektes im Jahr 200810.
1 https://www.youtube.com/watch?v=_nok6jzo-Ws
2 Taz, November 2021, „Alle in die Impfpflicht nehmen“
3 Natalie Rickli, Zürcher Gesundheitsdirektorin, Tagesanzeiger, 1.9.2021, „Wer sich nicht impfen lässt, sollte auf Spitalbehandlung verzichten“
4 André Seifert, MDR 17.1.2022, „Impfverweigerer müssen mit Kündigung rechnen“
5 SPD-Portal, „Lassen Sie sich impfen“, Olaf Scholz bei Joko & Klaas 2.12.2021
6 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-01-13.pdf?__blob=publicationFile
7 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html
8 FAZ, 5.1.2022, „Impfgegner sind für Macron keine Bürger mehr“
9 „Die Welt“-Nachrichtensender 13.1.2022
10 Pressemitteilung des Robert Koch-Institut zu den Ergebnissen des Forschungsprojektes 1.10.2018, „Das Robert Koch-Institut in Nationalsozialismus“