Post-Corona-Coaching

Eine skurrile Kampagne der Techniker Krankenkasse

ein Beitrag von Eugen Zentner

Lesedauer 6 Minuten

1bis19 - Post-Corona-Coaching
Die Techniker Krankenkasse

Die Corona-Politik nimmt seit zwei Jahren immer groteskere Züge an. Doch weit abstruser sind die Kampagnen um sie herum. Als ein besonders aberwitziges Beispiel erweist sich das Post-Corona-Coaching der Techniker Krankenkasse (TKK), die dafür den Mediziner und Fernsehmoderator Dr. Johannes Wimmer gewinnen konnte. Im Frühjahr startete er eine Video-Reihe, um Menschen „lehrreich durch die anstrengende und belastende Corona-Zeit“ zu lotsen. Das Ziel des Coachings, so heißt es auf dem Portal der TKK, bestehe darin, Lösungen anzubieten, „die gut in den Alltag passen und das Leben leichter machen“. Angepasst wurden die Videos an drei Betroffenheitsgrade.

Ein Strang deckte Tipps und Ratschläge für Menschen ab, die von Corona genervt sind und ein wenig Entlastung brauchen. Der zweite richtete sich an eine Zielgruppe, die Covid-19 gerade erst überstanden hat, aber sich noch immer ausgelaugt fühlt – sowohl körperlich als auch mental. Die dritte Variante sprach Menschen an, die an Long-Covid leiden. Zwei Wochen lang erschien jeden Tag jeweils ein Video, das die Zuschauer nach persönlicher Betroffenheit anschauen konnten. Wer eines dieser Beiträge anklickte, traf auf einen stets gut gelaunten Coach, der auf einer bequemen braunen Couch sitzt und in ein technisch hochwertiges Mikrofon spricht. „Hallo. Toll, dass du wieder da bist“, begrüßt Dr. Johannes Wimmer jedes Mal seine Zuschauer und lächelt in die Kamera, um sympathisch zu wirken. Er will nett sein, witzig und verständnisvoll. Seine Bemühungen sind nicht zu übersehen. Wimmer setzt seinen Körper ein, gestikuliert, zieht Grimassen und verstellt die Stimme.

Mehr Schein als Sein

Die Zuschauer sollen seinem Charme erliegen, seiner Lässigkeit, seiner demonstrativ ausgestellten Kompetenz. Oder soll der etwas zu liebenswürdige Auftritt von dem Inhalt ablenken, der durch die ganze Kampagnen-Aufmachung zwar bedeutungsschwanger daherkommt, sich aber sehr schnell als trivial entpuppt? Dieser Verdacht kommt schon nach den ersten Videos auf. Wimmers Tipps sind so spektakulär wie Karl Lauterbachs alltägliche Twitter-Ergüsse, nur dass der Mediziner und Fernsehmoderator es besser versteht, sie unterhaltsam vorzutragen. Doch wie sehen seine „Lösungen“ für den Alltag aus? Menschen, die nichts mehr von Corona hören wollen, rät er, mehrere Tage einfach keine Zeitung zu lesen und schon gar nicht die Kommentare in den sozialen Medien. Was dort für Unwahrheiten verbreitet würden, einfach nur schrecklich. Stattdessen empfiehlt Wimmer die Lektüre eines guten Buches oder Entspannung in der Natur.

Donnerwetter! Das sind ja Vorschläge, die geradezu revolutionär wirken. Wimmer hätte allein für diese intellektuelle Leistung den Nobelpreis verdient. Aber er greift nach den Sternen – mit Ratschlägen wie diesen: Wer sich vorsätzlich anstecken lassen möchte, um das Thema endlich hinter sich zu lassen, sollte ganz schnell von dieser Idee abkommen. Schließlich könnte es Langzeitfolgen geben. Und der Genesenenstatus sei kein Freiheitsschein. „Du könntest immer noch andere anstecken“, gibt der Mediziner und Fernsehmoderator mit ernster Miene zu bedenken. Wer also zu diesem perfiden Trick greifen wollte, wird es sich nach diesen schlagenden Argumenten sicherlich zwei Mal überlegen. Mindestens genauso überzeugend wirken seine Ausführungen zu Fällen, in denen Menschen sich vor einer Ansteckung ängstigen und befürchten, Schuld auf sich zu laden, wenn sie das Virus weitergeben. Die Angst sei unbegründet, so Wimmer, und beruhe oftmals auf Erzählungen ferner Bekannter. Doch es handele sich oftmals bloß um Geschichten.

Pseudo- und seriöse Experten

Der als Experte auftretende Coach empfiehlt, nur Informationen aus erster Hand Glauben zu schenken. Vertrauenswürdig seinen nur „seriöse Quellen“, also die „gängigen Nachrichtenmagazine und -Blätter“. Auf keinen Fall dürfe man auf diese „Pseudoexperten“ hören oder die vielen Quacksalber, die sich als Mediziner und Wissenschaftler ausgeben, aber das Virus auf „äußerst fragwürdigen Internetseiten verharmlosen oder sogar leugnen“. Spätestens hier entpuppt sich das Post-Corona-Coaching als Propaganda-Kampagne, deren Ziel einzig darin besteht, das Narrativ zu festigen, dass es sich um ein sehr gefährliches Virus handelt. Anders kann man es sich nicht erklären, warum Wimmer ab dem fünften Video von dem angekündigten Vorhaben abkommt. Anstatt weitere epochale Tipps zu geben, wie die Zuschauer dem nervigen Thema Corona entkommen könnten, spricht er über die Stärkung der Abwehrkräfte. Von nun an werden gesundheitliche Aspekte in den Vordergrund gerückt, damit man, wie Wimmer immer wieder betont, gegen den Erreger gut geschützt ist. Wie das Menschen helfen soll, die von Corona nichts mehr hören wollen, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel.

Ihren mentalen Zustand beschreibt der stets grinsende Coach anfangs noch so: „Es geht nur um das eine: Corona, Corona, Corona. Und ganz ehrlich, es gibt Tage, da kann ich es auch echt nicht mehr hören. Da hängt es mir richtig zum Hals raus, und wenn ich dann jemanden treffe, der zum x-ten Mal mit mir über die aktuellen Tendenzen diskutieren möchte oder die Impfstrategie oder auch die neuesten Symptome von Variante xyz, dann möchte ich mir manchmal am liebsten ein paar Ohrstöpsel verpassen, die erst wieder herausfallen, wenn die Pandemie endlich vorbei ist. Tja, das kennst du wahrscheinlich.“ Ohrstöpsel wären auch während Wimmers Videos keine schlechte Lösung. Nicht nur dass seine Tipps absolut banal anmuten, er garniert sie zudem mit faden Kalauern – über die er jedes Mal selber lacht. Dabei vergisst der Entertainer wohl, dass es Beiträge wie die seinen sind, die dafür sorgen, dass die Menschen von dem Thema Corona die Nase voll haben.

Post- und Long-Covid

In den beiden anderen Video-Varianten dreht Wimmer dann komplett auf. Nicht mit Ratschlägen – die bleiben weiterhin fade –, sondern mit Warnungen, Aufzählungen von Symptomen oder Gefahren. Die Message, die sich wie ein roter Faden durch die ganze Videoreiche zieht, lautet: SARS-CoV-2 ist ein furchtbar gefährliches Virus. Wer sich für die zweite Variante entschieden hat, habe es in den letzten Tagen und Wochen nicht einfach gehabt, begrüßt Wimmer seine Zuschauer, um dann suggestiv zu fragen: „Corona hatte dich ordentlich im Griff, oder?“ Was der Coach dann empfiehlt, hört sich wieder einmal bahnbrechend an: genug schlafen, nährstoffreiche Nahrung zu sich nehmen, sich entspannen und ein gutes Buch lesen. So einige Tipps gab er schon in der ersten Videoreihe. Sie kreuzen sich und tauchen mal hier, mal dort auf. „Mach langsam“, heißt es, ob es nun um Post- oder Long-Covid handelt.

Viel öfter als seine Ratschläge wiederholt Wimmer aber die Warnung, dass sich jeder jederzeit infizieren und andere anstecken könne, selbst nach einer bereits überstandenen Infektion. „Ein Restrisiko gibt es immer“, unterstreicht er seinen Appell, damit keiner auf die Idee kommt, das Virus zu verharmlosen. Die „Experten“ hätten dies bestätigt. Welche das sind, verrät der besorgte Coach natürlich nicht. Aber es müssen sicherlich die „seriösen“ Fachleute gewesen sein, sonst würde er sich nicht auf sie beziehen. Schließlich hat er als Coach die Deutungshoheit. Genauso überzeugend klingen seine ständigen Verweise auf Röntgenbilder, aus denen die Covid-Schäden deutlich hervorgingen. Die gleichen Experten hätten übrigens Patienten den Stempel „Long-Covid“ aufgedrückt, weil sie noch Wochen nach der Erkrankung an Atemproblemen, Müdigkeit, geringer Belastbarkeit oder an Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung leiden. Diese Symptome wurden zwar schon früher nach einer Grippe-Erkrankung festgestellt. Komischerweise hat sich der Begriff Long-Grippe aber nicht etablieren können. Das liegt vermutlich an den „Experten“, die vor Corona noch nicht über so einen reichen Wortschatz verfügten. Wer nun aber von ihnen den „Stempel“ aufgedrückt bekommen hat, erhält in der Video-Reihe diverse Ernährungs- und Entspannungstipps.

Zusammenhang zwischen Corona und Klimawandel

In einer Sitzung tritt sogar nicht Wimmer auf, sondern Luisa, eine Physiotherapeutin und Yogacoachin, die Atemübungen vorexerziert. In einem weiteren Clip geht es um die verschiedenen Vitamine und deren Nutzen für den Körper. Neben diesen Weisheiten präsentiert der allwissende Coach dann auch noch Erklärungen, warum es keinen Weg zurück zur alten Normalität geben wird: „Die Pandemie hat so viel mehr Baustellen aufgedeckt“, lautet seine Erkenntnis, „die wir in der alten Normalität wunderbar verdrängt haben und hatten, die jetzt aber nicht mehr auszublenden sind und unbedingt angegangen werden müssen. Die Klimakrise zum Beispiel. Oder die Lücken im Gesundheits- und Sozialsystem.“ Gerne hätte man erfahren, was diese „Baustellen“ mit der Verfassung der Long-Covid-Betroffenen zu tun haben und inwiefern die Klimakrise mit Corona zusammenhängt, aber der Experte ist zu sehr damit beschäftigt, seinen Zuschauern ans Herz zu legen, sich jetzt nicht schmollend in die Ecke zu hocken, sondern konkrete Pläne zu machen, „wie wir die neue Normalität gestalten wollen“.

In diesem Stil coacht Wimmer die drei Zielgruppen vierzehn Tage lang. Doch wer schaut sich das an, drängt sich die Frage schon nach der ersten Hälfte auf. Wer ist so verzweifelt, dass er oder sie solche Ratschläge braucht, um den Alltag zu bewältigen. Viele können es nicht sein, wie die Aufrufzahlen verraten. Belaufen sie sich zu Beginn noch im besten Fall auf knapp 3.000, geht es im weiteren Verlauf stetig bergab in den dreistelligen Bereich. Das Desinteresse sinkt mit jedem neuen Video. Ob das an dem gewollt lustigen Auftritt des Coaches liegt, an dem Gehalt seiner Ratschläge oder an dem fehlenden Fokus, darüber kann man nur spekulieren. Als ziemlich sicher gilt jedoch, dass hier wieder einmal mit viel Geld eine Kampagne umgesetzt wurde, die zum Glück ins Leere gelaufen ist.

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