Marie-Agnes Strack Zimmermann: #Reshape Europe

Ein Vortragsbericht von Andreas Hansel

Lesedauer 7 Minuten
Marie-Agnes Strack Zimmermann: #Reshape Europe
Die Generalität im 1. Weltkrieg – John Singer Sargent (1922)

Die Friedrich-Naumann-Stiftung hatte in Zusammenarbeit mit der LHG (Liberale Hochschulgruppe Mainz) zu einer Vortragsveranstaltung unter dem Titel „#Reshape Europe: Europa als globalen Akteur stärken“ eingeladen.

Gegen 16:45 Uhr traf ich am Muschel-Hörsaalgebäude ein und reihte mich in die Schlange an den Sicherheitskontrollen ein. Ähnlich wie beim Eintritt in die Abflughallen eines Flughafens, mussten alle metallischen Gegenstände abgelegt werden, bevor man mit einem Scanner auf weitere Metallteile untersucht wurde. Die Sicherheitsbeamten sortierten bei einigen Besuchern Gegenstände aus, die nicht mit in den Saal genommen werden durften, beispielsweise ein kleines Taschenmesser. Eine Frau mit einer Friedensfahne durfte den Hörsaal nicht betreten, da sie die Fahne nicht abgeben wollte.

Der Hörsaal N1 ist ein eher kleiner, relativ steiler Hörsaal, in den seit dem Baujahr 1969 scheinbar nicht mehr viel investiert wurde, so mein Eindruck. Er hat zwei Eingänge, von denen jeweils eine Treppe nach unten zum Vortragstisch führt. An den Seiten standen Plakatständer der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Formen des seelischen Leids

Kurz nachdem ich Platz eingenommen hatte, kam Frau Strack-Zimmermann mit einer Entourage von mehreren Personen die Treppe des Hörsaals herunter, darunter Sicherheitspersonal.

Pünktlich um 17 Uhr begann sie ihren Vortag, ohne Vorredner, ohne Vorstellung. Der Hörsaal war inzwischen gut gefüllt. Ungefähr 150 Personen waren anwesend, darunter ein großer Anteil junger Menschen unter 30 Jahren. Lokale Politprominenz, die sonst bei solchen Veranstaltungen gerne zugegen ist, habe ich nicht wahrgenommen.

Sie eröffnete ihren Vortrag mit dem Thema „Fußball“, da im nahegelegenen Stadion das Spiel von Mainz 05 gegen Borussia Mönchengladbach noch andauerte. Sie erkundigte sich nach dem Spielstand (1:1), da dieser erfahrungsgemäß Einfluss auf die Stimmung im Saal habe. Sie selbst sei Mitglied bei Fortuna Düsseldorf und wisse, welches seelische Leid der Fußball verursachen könne. Vermutlich war ihr bekannt, dass Mainz 05 derzeit auf einem Abstiegsplatz logiert.

Weiter schickte Sie vorweg: Sie stelle Ihre Sicht der Dinge vor, diese müssten nicht unbedingt mit der des Publikums übereinstimmen. Über die Differenzen könne im Anschluss in einer Fragerunde diskutiert werden, diese solle aber bitte sachlich stattfinden.

Sie kam sogleich zum Thema, ich paraphrasiere: Wir befinden uns in aufgewühlten Zeiten. Diese dürfen uns aber keine Angst machen. Die Angst hindere uns daran, die Probleme zu lösen, so Strack-Zimmermann. Sie sei oft vor Ort gewesen in den vielen Krisengebieten dieser Welt (Ukraine, Mali, Afghanistan, weitere). Sie habe dort viel Zerstörung und Leid gesehen und mit vielen Menschen über deren Situation und Probleme gesprochen. Niemand wolle seine Heimat verlassen. Es seien ca. 3,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten davon wollten wieder zurück.

Despot und Imperialist Putin

Sie fuhr fort, dass der Ukraine-Krieg vor 10 Jahren mit der Annexion der Krim durch Russland begonnen habe. Damals habe es keine geeignete Reaktion des Westens gegeben. Seitdem seien 400.000 russische Soldaten verletzt oder gefallen. Dem Kriegsbeginn sei ein einjähriges Manöver vorausgegangen. Die Soldaten seien von Putins Militär unmittelbar aus dem Manöver über die Grenze in den realen Krieg geführt worden. Putin und dessen militärische Führung hätten die Soldaten diesbezüglich im Unklaren gelassen. Putin sei ein Despot und habe angekündigt, dass er imperiale Absichten hege und das russische Reich in seinen Ursprüngen wieder herstellen möchte. Dies sei in einem YouTube Video aus dem Jahre 2007 zu sehen und zu hören.

Wir befänden uns in einem Kampf der Systeme, führte sie aus. Europa sei ein großes Friedensprojekt von 27 Staaten, die sich im Ersten und Zweiten Weltkrieg noch die Köpfe eingeschlagen haben und jetzt friedlich miteinander zusammenleben. Um die EU zu erhalten, an die viele andere Staaten nicht glauben, müssten wir uns zur Wehr setzen. Das Problem sei jedoch, dass Europa keine eigene einheitliche Außenpolitik habe. Denn die Verteidigung sei Ländersache. Würden die Staaten diesbezüglich an einem Strang ziehen, könnte die Verteidigung deutlich effizienter und kostengünstiger gestaltet werden.

So haben beispielsweise die Niederlande keine eigenen Panzer mehr, sie verließen sich diesbezüglich auf Deutschland. Zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Rede hob sie die Bedeutung der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich hervor und sagte, sie erwarte, dass Scholz und Macron sich baldmöglich auf eine gemeinsame Linie verständigten.

Der Geruch der Angst

Strack-Zimmermann erläuterte, dass die USA ein jährliches Budget von ca. 750 Milliarden US-Dollar für ihr Militär ausgeben und dass die USA einen ähnlich hohen Betrag für Zinsen zu leisten haben, also insgesamt 1,5 Billionen. Da die USA etwa 33 Billionen USD an Schulden haben, seien Investitionen in den Ukraine-Krieg auf Dauer nicht von den USA zu leisten. Deswegen müssten die EU-Staaten selbst in ihre Streitkräfte investieren, um ihre Verteidigung aus eigener Kraft zu ermöglichen, zumal der Ukraine-Krieg vor ihrer eigenen Haustür stattfinde.

Die EU habe sich in langer Zeit einen eigenen Wertekanon erarbeitet, der sich von denen der Russen oder Chinesen unterscheide, und den es zu verteidigen gälte. Abschreckung sei notwendig, um den Frieden zu erhalten. Putin wolle ein anderes Gesellschaftssystem etablieren. Er rieche die Angst, deswegen dürfen wir keine Angst zeigen. Geschichte sei nie zu Ende geschrieben, sie entwickle sich immer weiter und bleibe niemals stehen. Putin dürfe diesen Krieg nicht gewinnen. Sollte er gewinnen, hole er sich zuerst den Rest der Ukraine, dann Moldawien und marschiere anschließend im Baltikum ein, legte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses dar. Mit dem Resümee, „Wir haben darin versagt, die Ukraine frühzeitig zu unterstützen“, beendete Sie den Teil ihrer Rede über den Ukraine-Krieg.

Bedrohung China

Im Folgenden legte die Vortragende ihre Sicht auf den China-Taiwan-Konflikt dar und hob die Bedeutung Taiwans als bedeutendes Herstellerland elektronischer Bauteile hervor. Sie unterstrich die Wichtigkeit freier Seewege. Die Chinesen hätten ausgeführt, dass sie Handel mit der EU nur so lange betreiben würden, wie er Ihnen nützlich sei. China ginge davon aus, dass die EU in den nächsten 20 Jahren zerfalle.

China wolle einen Teil des Meeres als chinesisches Gebiet deklarieren und damit die Regelungen der 12-Meilen-Zone aushebeln. Dies hätte zur Folge, dass China die totale Kontrolle über die Durchfahrt von Schiffen, insbesondere Frachtschiffen, durch diesen Teil des Meeres erlange, was zu einer extremen Gefährdung der Lieferketten führe.

Sie warnte: Bereits als kürzlich ein Frachter den Suez-Kanal blockierte, habe man die Auswirkungen blockierter Seewege zu spüren bekommen, da unsere Industrie inzwischen auf „just in time“-Produktion umgestellt ist und keine Lagerhaltung von Teilen mehr betreibt. In diesem Abschnitt legte sie weiterhin dar, dass die kriegerischen Aktionen der Huthi-Rebellen dazu führen, dass die Fracht inzwischen um das Horn von Afrika herum transportiert werden muss, was zu deutlich längeren Lieferzeiten (plus 2 bis 3 Wochen) und deutlich höheren Kosten führt.

Informationskrieg und Desinformation

Im Anschluss ging sie auf die Veröffentlichung des Audiomitschnitts deutscher Luftwaffen-Offiziere ein. „Warum passiert sowas immer am Wochenende, wenn ich auf Vortragsreisen unterwegs bin?“, fragte sie. Sie erläuterte dann, dass es die normalste Sache der Welt sei, dass Luftwaffen-Offiziere über Angriffsmöglichkeiten mit Taurus diskutieren. Auch wenn Kanzler Scholz die Lieferung derzeit noch ablehne, könne es sein, dass er seine Haltung ändere. Sollte dies eintreten, sei die Bundeswehr bereits vorbereitet und zeitnah handlungsfähig.

Mit diesem Exkurs schwenkte sie zum um Thema „Hybride Angriffe und Desinformation“. Diese Angriffe finden schon seit vielen Jahren statt und sind eine große Gefahr für die Demokratie, klärte Sie auf. Bereits zu Corona-Zeiten sei massiv Desinformation in den alternativen Medien kursiert. Es sei ein Fehler gewesen, die Menschen in Ihren Wohnungen allein zu lassen, darunter würden wir in Zukunft noch zu leiden haben.

Insbesondere zu Wahlkampfzeiten fänden massive Desinformationskampagnen statt. Sie forderte die Zuhörer auf, Informationen immer zu überprüfen und zu versuchen weitere Quellen zu sichten. Mittels Desinformation würden fremde Mächte, insbesondere Russland, versuchen, unsere Gesellschaft von innen zu zersetzen. „Die Spaltung der Gesellschaft wird mit allen Mitteln vorangetrieben“, so ihre Worte.

Nichts Neues aus Palästina

Danach wechselte sie zum Israel-Palästina-Konflikt. Sie hob die Existenzrechte Israels und Palästinas hervor und berichtete über eine israelische Frau, die lange Zeit gefangen gehalten wurde, jetzt wieder freigekommen und stark traumatisiert ist. Auch, dass es noch ca. 100 Gefangene Israelis gäbe, deren Schicksal unklar ist. Sie führte aus, es könne nicht sein, dass die Palästinenser bzw. die Hamas mit deutschen Entwicklungshilfegeldern Verteidigungsanlagen (Tunnel) errichteten und Hass gegenüber Israel schürten. Auch dürfe dieser Konflikt keinesfalls auf deutschen Straßen ausgetragen werden.

Abschließend appellierte sie an das Publikum, zu wählen, aber dies bitte demokratisch zu tun. Man sollte keinesfalls sein Kreuz bei der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht setzen, nur um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Das sei keine gute Idee, denn diese beiden Parteien wollten Deutschland aus der EU führen. Der Austritt Deutschlands aus der EU würde zu einer volkswirtschaftlichen Katastrophe führen. Darüber hinaus würde das Erstarken der Nationalisten dazu führen, dass es wieder zu Kriegen zwischen den EU-Staaten kommen wird. Damit beendete Sie ihren Vortrag.

Frau Oberstleutant

Das Publikum wurde im Anschluss aufgefordert, Fragen zu stellen. Einige junge Zuhörer bedankten sich sehr für ihren Mut und ihr Engagement, seien sie doch in Sorge, dass ihre Kinder irgendwann gegen Russland kämpfen müssten.

Ein Mann erinnerte daran, dass es die USA waren, die mit einer Lüge, wie man heute weiß, den Irakkrieg – völkerrechtswidrig – begannen und verglich dies mit dem Eingreifen der USA in der Ukraine. Er beklagte ferner, dass Deutschland sich einseitig auf Israels Seite stellte und nur deren Leid sehe, nicht aber das der Palästinenser. Auf die Frage zum Krieg in Palästina ging sie nicht ein.

Zum Irak bemerkte sie, dass seinerzeit Schröder und Westerwelle den Amerikanern nicht gefolgt seien und dafür viel Missachtung in den internen Politikzirkeln einstecken mussten. Auf den Völkerrechtsverstoß der USA ging sie nicht weiter ein.

Ein weiterer Zuhörer sprach das Risiko an, dass es zum Einsatz von Atomwaffen kommen könnte. Darauf antwortete sie, dass Sie diese Diskussion für überflüssig halte, da Atomwaffen nur der Abschreckung dienen. Jeder wisse, dass ihr Einsatz zur Auslöschung des Planeten führen würde. Deswegen glaubt sie nicht, dass diese Waffen eingesetzt würden.

Eine junge Frau, die sich als Offizier der Bundeswehr vorstellte, fragte, ob es sinnvoll sei, die Bundeswehr für Bürger aus anderen EU-Staaten zu öffnen, und ob das Aussetzen der Wehrpflicht wieder zurückgenommen werden sollte, da beides ein deutliches Signal an Putin sei.

Strack-Zimmermann antwortete, dass es problematisch sei, die Bundeswehr für andere EU-Bürger zu öffnen, da der Sold in der Bundeswehr erheblich höher sei und dies zu Abwanderung von Soldaten aus anderen Ländern führen könnte. Zur Wehrpflicht antwortete sie, dass dies zwar diskutiert werde, aber aus Gründen des Kasernen-, Ausbilder- und Materialmangels nicht so einfach möglich sei. Auch würde diese Maßnahme dem Arbeitsmarkt Fachkräfte entziehen, die derzeit händeringend benötigt werden.

Ein Zuhörer fragte, ob Sie selbst denn gedient habe, da sie in den Medien immer als Oberstleutnant der Reserve bezeichnet wird. Hierzu führte sie aus, dass das nicht der Fall sei, sondern, dass Sie an Bundeswehrübungen teilgenommen habe und dort jeder einen dem Alter entsprechenden Rang zugeteilt bekäme. Auf die Nachfrage, warum sie denn in der Öffentlichkeit dennoch als Oberstleutnant der Reserve bezeichnet werde, entgegnete sie, dass die Presse eben viel schreibe.

Scherze und brennende Fragen

Danach wurden keine weiteren Fragen mehr zugelassen und die Veranstaltung war zu Ende.

Abschließend sei erwähnt, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann ca. 45 Minuten ohne Manuskript referierte. Der Vortrag war zu keiner Zeit langweilig. Ab und an streute sie einen kleinen Scherz ein und erhielt gelegentlich Applaus vom Publikum, das mit großer Mehrheit ihre Sicht auf die Dinge teilte. Geschätzte 70% waren mit ihr auf einer Linie. Es gab einen einzigen Zwischenrufer, der forderte „Wir brauchen Frieden, keine Waffen“. Er wurde aber sofort von anderen Personen aus dem Publikum darauf hingewiesen, doch bitte sachlich zu bleiben.

Unabhängig davon, ob man die Positionen von Frau Strack-Zimmermann teilt oder diesen eher kritisch gegenübersteht, bleiben unter anderem folgende Fragen offen:

Woher nimmt sie ihren Glauben, dass Putin keine Atomwaffen einsetzen wird? Sie selbst klassifiziert ihn doch als Despoten, mit dem zu verhandeln sinnlos sei.

Warum treibt China das Projekt Seidenstraße voran, wenn China kein langfristiges Interesse an einem dauerhaften Handel mit der EU hat?

Ist die deutsche Volkswirtschaft nicht bereits aufgrund der aktuellen Politik auf dem Weg in den Abgrund und warum stellt sich die FDP dem nicht entgegen?

Wie stellt sie sich einen Friedensschluss vor? Glaubt sie, dass die NATO Putin besiegen wird?

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Ein Kommentar

  1. Ich war bei diesem Vortrag ebenfalls anwesend.

    Ein kleiner Fehler hat sich eingeschlichen: Sie ist nicht zum Oberstleutnant d.R. ernannt worden sondern zum Oberleutnant d.R. Nach dem schwer zu ertragenden und permanenten Auslassen der ihr nicht genehmen Teile der Wahrheit, scheinen ihre Schlussfolgerungen nachvollziehbar. Faszinierend, wie sie die Psyche Putins genau (woher, hat Sie uns leider nicht mitgeteilt) zu kennen vorgab. Beeindruckend, wie sie immer wieder die eminente Bedeutung und Notwendigkeit der Dialogfähigkeit hervohob. Das gilt aber nur – wie sie auch ausführte – wenn es sinnvoll sei … “Putin ist ein Despot und die AfD rechtsradikal ! ” Mit denen kann und soll man nicht reden ! Sie betonte ebenfalls, dass man Ihre Partei oder sie selbst durchaus zum Kotzen finden könne … Ich finde keinen Menchen zum Kotzen auch nicht sie … aber ihre Moral strahlt heller als jeder Atompilz !

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