Tiefer Einblick in den kanadischen Fernfahrer-Protest
ein Beitrag von Eugen Zentner
Lesedauer 4 MinutenIm letzten Winter sorgten die Trucker-Proteste in Kanada weltweit für Aufsehen. Fernfahrer aus den verschiedensten Regionen des Landes begaben sich auf den Weg nach Ottawa, um der Regierung zu demonstrieren, dass sie deren drakonische Corona-Politik ablehnen. Die Bundestraßen waren gesperrt, in der Hauptstadt entstanden Blockaden. Die Protestaktion wurde so groß, dass Premierminister Justin Trudeau sich veranlasst sah, zu harten Mitteln zu greifen. Er verhängte erstmals per Gesetz den Notstand, was der Regierung ermöglichte Bürgerrechte außer Kraft zu setzen, Demonstranten leichter zu verhaften, ihre Lastwagen zu beschlagnahmen und die Finanzierung der Protestierenden zu unterbinden. Das tat sie dann auch, mit brachialer Gewalt und begleitendem medialen Framing.
Wer nur das Fernsehen schaute, konnte gar nicht begreifen, was auf den Straßen wirklich geschah. Aus diesem Grund haben die beiden Filmemacher Andrew Peloso und Jeremy Regoto sich das Ziel gesetzt, die Ereignisse in einer Dokumentationsserie möglichst wahrheitsgetreu abzubilden. Unter dem Titel «Trucking for Freedom» soll er einen tiefen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Protests verschaffen, mit authentischen Aufnahmen und exklusiven Interviews der Beteiligten. Angelegt ist die Doku-Serie als Sechsteiler, an dem die Filmemacher noch immer arbeiten. Als die erste Folge fertig war, wandten sie sich an konventionelle Kinobetreiber, erhielten jedoch nur Absagen. In Deutschland hat sich hingegen der alternative Streamingdienst Nuoflix bereit erklärt, die Dokumentationsreihe im Original, aber mit Untertiteln auszustrahlen. Die ersten zwei Folgen liegen bereits vor, die restlichen sollen in den nächsten Monaten folgen.
Beispiellose Freiheitsbeschränkungen
Dass sich die Produktion hinzieht, liegt überwiegend in der Finanzierung begründet sowie in der Bewältigung des gewaltigen Materials. Die beiden Filmemacher haben nicht nur selber vor Ort gedreht, sondern erhielten eine Menge kurzer Videos, die die Bürger mit ihren Handys aufgenommen hatten. Zu Hochzeiten habe es um die 6.000 Uploads pro Tag gegeben, erzählte Jeremy Regoto im Interview mit Nuoflix. Das Resultat ist beachtlich, wie bereits die ersten zwei Folgen erahnen lassen. Die Filmemacher erzählen die Geschichte der kanadischen Trucker nicht nur mithilfe emotionaler wie spektakulärer Aufnahmen, sie greifen zudem zu Stimmungsbildern, nachgestellten Szenen und symbolisch aufgeladenen Inszenierungen, in denen sich angekettete Menschen unter Wasser zu befreien versuchen. Genau darum ging es bei den Protesten – um den Ausbruch aus dem Korsett einer Lockdown-Politik, das vor allem der Arbeiterklasse die Luft zuschnürte.
Diesen schleichenden Prozess, der im Frühjahr 2020 begann, zeichnet die Doku-Serie in der ersten Folge nach. «Wie es dazu kommen konnte» heißt sie bezeichnenderweise und ruft ins Gedächtnis, welche Ereignisse zum Trucker-Protest geführt haben. Wie in anderen Ländern reagierte die kanadische Regierung auf das Corona-Virus mit Freiheitsbeschränkungen. Doch schon bald machte sich in der Bevölkerung Skepsis gegenüber dem Gesundheitsmanagement breit. Epidemiologen und Mediziner sprechen in dem Film darüber, wie unwissenschaftlich die Maßnahmen begründet wurden. Gegenstimmen stießen auf eine Wand aus Ignoranz, Realitätsleugnung und Diffamierung. Immer mehr Menschen konnten in der Realität nicht die gemeingefährliche Seuche sehen, von der in den Leitmedien pausenlos die Rede war. Die Maßnahmen erschienen ihnen unverhältnismäßig.
Premier Trudeau lässt seine Maske fallen
Das Fass zum Überlaufen brachte jedoch die Impfkampagne, die in Kanada um einiges härter ausfiel als hierzulande. Nahezu alle Lebensbereiche waren davon betroffen. Wer fliegen wollte, auch innerhalb des Landes, musste einen Vakzin-Nachweis erbringen. Neben den staatlichen Institutionen übten vermehrt Arbeitgeber Druck aus. Angestellte mussten um ihren Job fürchten – so wie die Fernfahrer, für die die Impfung nach der Omicron-Variante schließlich verpflichtend wurde. Ein Teil der Trucker wollte das nicht hinnehmen. Er fing an, sich zu organisieren – der Freiheit willen, wie die Trucker im Film mehrmals betonnen. Es sei darum gegangen, sich die Bürgerrichte zurückzuholen. Wie sich der „Freiheitskonvoi“ schließlich in Bewegung setzte, erzählt die zweite Folge mit dem treffenden Titel «Winter-Flächenbrand».
Neben selbstgedrehten Videos der betroffenen Fernfahrer und Interviews mit ihnen sind vor allem Zusammenschnitte aus Nachrichtensendungen zu sehen. Besonders häufig tritt Premierminister Justin Trudeau auf, der trotz seiner Eloquenz keine gute Figur macht. Immer wieder bezeichnet er die Trucker als „Rassisten“, „White Supremacists“ oder „Homophobe“, ohne wirkliche Intention, auf die Sorgen der Betroffen einzugehen. Sie fingen jedoch schon vor der Impfpflicht an, wie die zweite Folge herausarbeitet. Sie widmet sich dem Schicksal der Fernfahrer zu Beginn der Corona-Politik und führt die vielen Erniedrigungen vor Augen, die die Trucker erdulden mussten. Während der ersten Lockdown-Zeit waren sie gezwungen, sich weiterhin auf die Straßen zu begeben, durften ihre Fahrzeuge jedoch nicht verlassen. Die Fernfahrer konnten nicht duschen und auch keine Restaurants besuchen. Und wenn sie es doch taten, wurde ihnen mit Verachtung begegnet. Man sah in ihnen keine Arbeiter mit gewöhnlichen Bedürfnissen, sondern schlicht Gefährder.
Immer mehr Bürger solidarisierten sich mit den Truckern
Diese Erfahrungen hinterließen bei ihnen Narben, weshalb sich die ersten Fernfahrer mit emotionalen Kurzvideos an die Öffentlichkeit wandten. Diese Hilferufe fanden Nachahmer und führten dazu, dass sich die Trucker vernetzten und Initiativen gründeten. Nach und nach entstand die Idee eines Freiheitskonvois, der durch das ganze Land rollen sollte. Kurz darauf wurden Road Captains in jeder Gruppe ernannt, die die Routen koordinierten. Die Straßen füllten sich daraufhin, auch weil mehr und mehr Bürger sich mit den Truckern solidarisierten und sie am Rand mit der Flagge hissend anfeuerten. Es sei eine tiefe Verbundenheit spürbar gewesen, erzählen mehrere Fernfahrer in den Interviews, oftmals den Tränen nahe. Die Begeisterung erfasste das ganze Land. Überall wo die Trucker ankamen, wurden sie mit Dankbarkeit und Jubel empfangen. Selbst im Ausland nahm man sie zum Vorbild für ähnliche Proteste. Das Regisseuren-Duo bezeugt das mit Aufnahmen aus Deutschland, den USA oder Brasilien, wo Fernfahrer als Zeichen der Anerkennung ebenfalls die kanadische Flagge hochhalten.
Das war gleichzeitig der Zeitpunkt, an dem die Regierung um Justin Trudeau mit einer Gegenkampagne reagierte und die Trucker als eine „small fringe minority“ bezeichnete – eine kleine Randminderheit. Wer die Ereignisse hautnah mitverfolgte, wusste, dass es gelogen war. Die Bilder im Film bezeugen das. Auf den Straßen sind Massen von tanzenden, fröhlichen Menschen zu sehen. Doch die gute Stimmung wurde getrübt, wie die Dokumentationsserie in den nächsten Folgen zeigen wird. Sie hat den anschwellenden Konflikt gerade erst zu erzählen begonnen, dramaturgisch so geschickt, dass das Interesse nicht abflacht. Spannung ist garantiert, zumal die beiden Filmemacher nicht nur die Entstehungsbedingungen mitreflektieren, sondern auch mit Cliffhangern arbeiten und unter anderem andeuten, welche Wirkung dieser Moment in der kanadischen Geschichte bei den Bürgern des Landes hinterlassen hat.