Der Fall Lisa Fitz

Ein Kommentar von Hans-Christoph Loebel

Lesedauer 4 Minuten
© Lisa Fitz 2018

Die Kabarettistin Lisa Fitz hat im Rahmen eines Auftritts in der Sendung Spätschicht des SWR am 10. Dezember 2021 gesagt, es gebe in der Europäischen Union (EU) 5000 Tote infolge von Corona-Schutzimpfungen.[i] Das muss jemanden gestört haben. Die Sendung wurde jedenfalls aus der ARD-Mediathek entfernt.[ii] Der Programmdirektor des SWR Clemens Bratzler rechtfertigte diese Maßnahme mit der Begründung, falsche Behauptungen über Tatsachen würden nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt.[iii]

Wie ist der Vorgang zu bewerten?

Die Antwort führt zu zwei Fragen.

1. Ist die Behauptung von Lisa Fitz, dass es infolge von Corona-Schutzimpfungen 5000 Tote gab, falsch?

2. Wenn die Behauptung falsch sein sollte, wäre sie dann nicht mehr durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützt?

Zur ersten Frage:

Lisa Fitz sprach in der genannten Sendung davon, dass ein EU-Fond für die Toten von Corona-Schutzimpfungen für 5000 Menschen zu spät komme.[iv] Das beinhaltet die Aussage, es habe in der EU bislang 5000 Tote infolge von Corona-Schutzimpfungen gegeben. Lisa Fitz bezieht sich hier vermutlich auf Zahlen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, nach der es im Zeitraum bis Sommer 2021 5781 gemeldete Verdachtsfälle für tödlich verlaufene Impfungen gegeben haben soll.[v] Richtig ist also die Zahl von mehr als 5000 Verdachtsfällen, falsch ist die Zahl von 5000 Toten. Richtig ist, dass bei den Verdachtsfällen nur ein enger zeitlicher Zusammenhang mit den Corona-Schutzimpfungen vorliegt.[vi] Falsch ist, dass bei den Verdachtsfällen ein gesicherter kausaler Zusammenhang mit den Corona-Schutzimpfungen vorliegt. Ob es einen solchen Zusammenhang gibt, ist allerdings offen. Schon deshalb ist es falsch zu behaupten, dass die Behauptung von Lisa Fitz nachweislich falsch ist.[vii] Zudem überrascht hier die hohe semantische Sensibilität der Fitz-Kritiker. Was ist denn beispielsweise von den angeblich über 100.000 Toten „im Zusammenhang mit“ Corona-Infektionen zu halten? Wie viele Tote sind denn wirklich ausschließlich[viii] an einer Corona-Infektion und nicht nur nach einer Corona-Infektion gestorben?[ix] Wenn selbst in Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Zahl der sogenannten Corona-Toten undifferenziert und unkritisch verkündet werden, bleibt die Frage, mit welcher Berechtigung denn hier genaue Zahlenangaben verlangt werden dürfen.[x]

Zur zweiten Frage:

Man wird nicht unbedingt erwarten können, dass Intendant oder Programmdirektor einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nur werden kann, wer Charakter und Rückgrat hat und insbesondere politischer Einflussnahme widerstehen kann. Doch sollte man zumindest rudimentäre Grundrechtskenntnisse erwarten dürfen, zumal öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten an die Grundrechte gebunden sind. Dementsprechend sind u.a. die Grundrechte der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG von Programmdirektoren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beachten.

Das Grundrecht der Kunstfreiheit

Der Programmdirektor des SWR hätte im Fall Lisa Fitz vorrangig eine Verletzung des Grundrechts der Kunstfreiheit prüfen müssen, denn dieses Grundrecht ist in der Konkurrenz zur Meinungsfreiheit das speziellere. Und es schützt auch den sogenannten Wirkbereich der Kunstfreiheit, also jenen Bereich, in dem die Kunst dem Publikum präsentiert wird. Zudem wird das Grundrecht der Kunstfreiheit vorbehaltlos gewährleistet: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes sahen also gar nicht erst vor, dass irgendein Träger öffentlicher Gewalt Kunst in irgendeiner Form einschränken dürfe. Gleichwohl ist aus guten Gründen anerkannt, dass auch die Kunstfreiheit durch Grundrechte anderer und Rechtswerte von Verfassungsrang eingeschränkt werden darf.  Doch welche Grundrechte anderer könnten durch den Auftritt von Lisa Fitz und ihre Behauptungen beeinträchtigt sein? Die grundrechtlich geschützte Gewerbefreiheit von pharmazeutischen Unternehmen rechtfertigt jedenfalls kein Kritikverbot oder die Unterdrückung einer kritischen Meinungsäußerung. Nichts anderes gilt für das Grundrecht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Und Rechtswerte von Verfassungsrang wie etwa die öffentliche Fürsorge (siehe Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) oder Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten (siehe Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) werden ebenso wenig beeinträchtigt durch den Auftritt von Lisa Fitz. Die Verfolgung wohlbegründeter Interessen schützt nicht vor Kritik und Satire.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit

Der Programmdirektor des SWR meinte allerdings, das Grundrecht der Meinungsfreiheit schütze nicht die falsche Behauptung von Tatsachen.[xi] Doch hier irrt der Programmdirektor einmal mehr. Richtig ist, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit Meinungen schützt, also Werturteile. Wenn Tatsachen aber als Voraussetzung von Werturteilen genannt werden, wird die Äußerung insgesamt vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt. Dementsprechend könnte sich Lisa Fitz auch dann auf ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit berufen, wenn die behaupteten Zahlen über die Toten der Corona-Schutzimpfungen gar nicht stimmen würden.

Fazit

Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit sind für eine freiheitliche Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung. Eine staatlich gelenkte Meinungsbildung darf es in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht geben. Dementsprechend soll die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG die freie Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Dabei ist es vorrangig Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Vielfalt bestehender Meinungen möglichst vollständig abzubilden. Demzufolge ist es völlig verfehlt, zur Verhinderung einer angeblich falschen Balance ausschließlich oder auch nur vornehmlich regierungsservile Politiker, Wissenschaftler und Journalisten an den von ARD und ZDF gesendeten Schwatzrunden teilnehmen zu lassen. Ebenso wenig dürfen künstlerische, insbesondere satirische Beiträge bei politischem Nichtgefallen vorzeitig aus dem Programm geworfen werden. Die Schere im Kopf der Akteure ist ohnehin scharf genug. Und wer Impf-Euphoriker ist, wird sich durch den kritischen Beitrag einer Kabarettistin sicher auch nicht von Impfungen gegen Covid-19-Erkrankungen abhalten lassen.


[i] Siehe https://youtu.be/iQ1Bm0tL-QM (23.12.2021).

[ii] Siehe etwa https://rp-online.de/panorama/coronavirus/lisa-fitz-falsche-behauptungen-ueber-todeszahlen-nach-corona-impfung-der-swr-reagiert_aid-64709699 (23.12.2021); https://www.nw.de/nachrichten/panorama/23153370_Falschaussagen-verbreitet-SWR-loescht-Sendung-mit-Lisa-Fitz-aus-Mediathek.html (23.12.2021).

[iii] Siehe https://rp-online.de/panorama/coronavirus/lisa-fitz-falsche-behauptungen-ueber-todeszahlen-nach-corona-impfung-der-swr-reagiert_aid-64709699 (23.12.2021); https://www.nw.de/nachrichten/panorama/23153370_Falschaussagen-verbreitet-SWR-loescht-Sendung-mit-Lisa-Fitz-aus-Mediathek.html (23.12.2021).

[iv] Richtig ist wohl, dass ein solcher Fond lediglich im EU-Parlament beantragt wurde. Siehe https://www.welt.de/vermischtes/article235746458/Lisa-Fitz-Fragwuerdige-Zahlen-zu-Impftoten-SWR-nimmt-Sendung-aus-Mediathek.html (23.12.2021).

[v] Siehe dazu https://www.welt.de/vermischtes/article235746458/Lisa-Fitz-Fragwuerdige-Zahlen-zu-Impftoten-SWR-nimmt-Sendung-aus-Mediathek.html (23.12.2021).

[vi] Es wird behauptet, dass es nicht einmal 5000 Tote in engem zeitlichem Zusammenhang mit Corona-Schutzimpfungen gab. Siehe https://www.welt.de/vermischtes/article235746458/Lisa-Fitz-Fragwuerdige-Zahlen-zu-Impftoten-SWR-nimmt-Sendung-aus-Mediathek.html (23.12.2021). Doch das ist Spekulation. Im Hinblick darauf, dass nicht alles, was ist, auch gemeldet wird oder zeitnah gemeldet wird, dürfte die Zahl der Toten in engem zeitlichem Zusammenhang mit Corona-Schutzimpfungen eher höher liegen.

[vii] Richtig ist zwar, dass mit dem Sprechakt der Behauptung immer auch der Anspruch auf Richtigkeit verbunden ist. Demzufolge trägt derjenige, der etwas behauptet, im Allgemeinen auch die Beweislast für die Richtigkeit der Behauptung. Im Kontext von Grundrechtseingriffen liegt die Argumentations- und Beweislast aber beim Staat bzw. bei den Trägern der öffentlichen Gewalt, hier bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt.

[viii] Eine interessante Frage: Können Mediziner bei vorgeschädigten Corona-Toten überhaupt feststellen, woran die Menschen nun wirklich gestorben sind?

[ix] Eine weitere interessante Frage: Wie hoch ist eigentlich das Durchschnittsalter der Corona-Toten?

[x] Ein weiteres Beispiel für undifferenzierte und unkritische Verkündung regierungsoffizieller Zahlen in Nachrichtensendungen der öffentlichen Rundfunkanstalten: Die sogenannten „saisonbereinigten“ Arbeitslosenzahlen.

[xi] Ein Fall der Zensur im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG liegt nicht vor, denn mit Zensur ist hier nach nicht unbestrittener, aber ganz überwiegend vertretener Meinung nur die Vorzensur gemeint, also nur eine Zensur vor Kundgabe der Meinungsäußerung.

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