Corona-Aufarbeitung: Nichtwissen ist keine Ausrede

ein Beitrag von Klaus Alfs

Lesedauer 4 Minuten
1-19-Corona-Aufarbeitung: Nichtwissen ist keine Ausrede
Perseus befreit Andromeda – Paolo Veronese (um 1578)

Nachdem sich die Corona-Pandemie als gar nicht so dramatisch herausgestellt hat, übertreffen sich die einstigen Scharfmacher mit naiv klingenden Rechtfertigungen. Alle seien irgendwie unsicher gewesen. Man habe keine rechte Wahl gehabt. Dagegen lassen sich jedoch leicht Gegenargumente finden.

Am 3. Juli 2023 kommentierte die Leiterin der ARD-Rechtsredaktion Hörfunk, Gigi Deppe, in den Tagesthemen die Klage aufgrund von Impfschäden gegen BioNtech. Über die Berichterstattung zum Thema sagte sie: „Wir waren alle irgendwie unsicher, was wir da tun. Aber wir hatten keine rechte Wahl.“ Dagegen regte sich ebenso starker wie berechtigter Protest, vor allem auf Twitter.

Dass die Medien in diffamierender Weise Propaganda für die Impfung und gegen „Impfverweigerer“ gemacht haben, soll hier allerdings nicht weiter erläutert werden, da es evident ist. Stattdessen soll gezeigt werden, dass es auch unter Bedingung der Unsicherheit nur eine Wahl hätte geben dürfen, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Rationalität erfüllt hätte – nämlich das „Nichtstun“.

Was weiß man schon?

Es liegt für alle Verantwortlichen und Befürworter des Corona-Desasters nahe, sich darauf herauszureden, sie hätten es eben nicht besser gewusst. In der Regel wird darauf erwidert, dass man es – anhand bestimmter Fakten – sehr wohl hätte besser wissen können. Doch „Wissen“ ist ein dehnbarer Begriff. Die seit der Antike gängige Vorstellung, Wissen bedeute „gerechtfertigte, wahre Überzeugung“, wurde 1963 von Edmund Gettier fundamental erschüttert. Seitdem weiß niemand mehr so recht, was Wissen eigentlich ist. Fest steht aber, dass Wissen über Tatsachen sich nicht auf die Zukunft erstrecken kann. Nur Kassandra wusste im strengen Sinn, was kommen wird: „Wissend, schauend, unverwandt muss ich mein Geschick vollenden.“ 

Wir alle waren also in diesem strengen Sinn unwissend. Es war trotz früher Einwände von Michael Levitt oder John Ioannidis weder logisch noch sachlich gänzlich ausgeschlossen, dass Corona ein Killervirus ist, das die Weltbevölkerung weitgehend auslöscht. Die Frage war, ob es rational ist, sich an Worst-Case-Szenarien zu orientieren. Neil Ferguson vom Imperial College präsentierte ein solches. Es basierte auf exakt demselben Modell, mit dem die Oxforder Epidemiologin Sunetra Gupta einen eher milden Verlauf errechnete.

Wissenschaft oder Prophetie?

Beachtet man die Regeln der empirischen Wissenschaft, ist der Fall klar. Dort wird eine Alternativhypothese (Corona ist ein Killervirus) gegen die korrespondierende Nullhypothese (Corona ist kein Killervirus) gestellt. Man versucht sodann, die Nullhypothese zu widerlegen. Bleibt diese nach festgelegten Kriterien mindestens gleich plausibel, gilt sie weiterhin. Die Alternativhypothese muss verworfen werden. Das Worst-Case-Szenario nach Ferguson (Killervirus) kann schon aus prinzipiellen Gründen nicht plausibler sein als das Szenario von Gupta (kein Killervirus), weil es sich jeweils bloß um Modelle handelt. Da dasselbe Grundmodell verwendet wurde, gilt also das Szenario von Gupta. 

Der Nullhypothese entspricht auch das medizinische Prinzip primum non nocere, „erstens nicht schaden.“ Vom Impfen abgesehen handelte in Europa am ehesten Schweden gemäß der Nullhypothese. Genau deshalb ist Schweden unterm Strich hervorragend durch die Pseudo-Pandemie gekommen und hat nun die geringste Übersterblichkeit. Wie der kanadische Physiker Denis Rancourt darlegt, haben Länder, die nichts Außergewöhnliches gegen Covid unternommen haben, die geringsten Sterbezahlen.

Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen: Unter Voraussetzung der proklamierten Wissenschaftlichkeit war dies im Vorhinein gewiss. Man wusste unabhängig von der empirischen Realität, dass die Nullhypothese gilt, wenn man die oben genannten Regeln anerkennt. Daraus folgt, dass man sie zur Grundlage der Corona-Politik hätte machen müssen, sofern man den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit in diesem Sinn einlösen will.

Hektischer Aktivismus 

Was aber stand dem entgegen? Jeder, der Bedenken äußerte, wurde barsch mit dem Satz zurechtgewiesen: „Soll man etwa gar nichts machen?“ Die korrekte Antwort hätte gelautet: „Genauso ist es. Nichts tun, was über die normalen Maßnahmen bei Grippe hinausgeht.“ Antwortete man so, steigerte sich die Empörung ins Grenzenlose. Man wurde als Mörder und asoziales Subjekt beschimpft.

Diese Empörung hatte keinerlei rationale Grundlage. Sie speiste sich aus dem, was heute mit dem Modewort „kognitive Verzerrung“ bezeichnet wird. Offenbar gibt es bei den Menschen eine starke Voreingenommenheit für das Tun gegenüber dem Unterlassen oder Zulassen. Diese Voreingenommenheit wird in der Psychologie „Kontrollillusion“ genannt. 

Es gibt aber weder ontologisch (vom Sein her) noch logisch (vom Denken her) einen Vorzug des Tuns gegenüber dem Unterlassen. Im Gegenteil. Hektischer Aktivismus führt fast notwendig zur Self-Fullfilling-Prophecy. Man erzeugt durch Handeln das, was man durch dieses Handeln verhindern will. Die „Jahrhundertpandemie“ Covid ist nicht nur eine Pandemie der leeren Betten, sondern auch eine Pandemie der kognitiven Verzerrungen

Da es sich um einschlägig bekannte Mechanismen handelt, hätten diese operationalisiert und in die Szenarien integriert werden müssen. Nichts dergleichen ist geschehen. Deshalb sind auch die exaktesten Daten untauglich. Sie werden durch erwähnte nicht beachtete Mechanismen nach oben verzerrt. 

Absurdes Vorsorgeprinzip

Dass es sich hierbei um Verzerrungen handelt, wird den Menschen vor allem deshalb nicht bewusst, weil sie in Gestalt des „Vorsorgeprinzips“ seit Jahrzehnten Richtschnur des politischen Handelns sind. Das Vorsorgeprinzip ist in seiner reinen Version jedoch absurd: „Da jede Vorgehensweise Risiken birgt, verbietet das Vorsorgeprinzip sowohl ein Tätigwerden als auch ein Nichttätigwerden und alles, was dazwischen liegt“, schreibt der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein. 

Der Philosoph Hans Jonas (1903–1993) formulierte das Prinzip in dubio pro malo: Im Zweifel solle stets die schlimmste Prognose handlungsleitend sein, da „die Einsätze in dem Spiel zu groß“ seien. Es drohe eine Weltkatastrophe, wenn die Maxime nicht beachtet werde. Diese wurde in der Folge zur allgemeinen Grundlage der ökologistischen Ethik, also eines sich selbst verstärkenden Wahns, der nun überall auf den Straßen festklebt und nicht mehr beseitigt werden kann. Dabei ist das Ganze sehr leicht mit bloßer Self-Fullfilling-Prophecy zu erklären.

Fazit

Der Streit darum, was man hätte wissen können, führt ins Nichts, wenn man bloß Tatsachenbehauptung gegen Tatsachenbehauptung setzt. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Hier wie überall schlägt immanente Kritik die Standpunktkritik. Man kann zeigen, dass die Täter auch auf Basis des Nichtwissens über konkrete Fakten a priori hätten wissen müssen, dass nichtpharmazeutische Maßnahmen keineswegs geboten waren. Das ergibt sich zwingend aus ihrem proklamierten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

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Ein Kommentar

  1. Unwissenheit schützt nicht vor Strafe!
    Mehr ist dazu nicht mehr zu sagen!

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