Sachbuch: «Recherchieren 2022»

eine Rezension von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten

Der Leitmedien-Journalismus der letzten Jahre hat sich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Spätestens seit der Corona-Krise wurde großen Teilen der Bevölkerung klar, dass er seiner Hauptfunktion nicht nachkommt. Diese besteht darin, die politische Macht einzuhegen. Das ist einer der Kerngedanken der Aufklärung, denen das neue Buch des Politikwissenschaftlers und Publizisten Patrik Baab verpflichtet fühlt. In «Recherchieren» zeigt er, wie Kritik und Kontrolle von Eliten wieder in den Mittelpunkt journalistischer Arbeit rücken können. Es kommt als ein Werkzeugkasten mit Instrumenten der Aufklärung daher. Mit ihrer Hilfe soll es gelingen, den Dingen auf den Grund zu gehen und Informationen zu erhalten, die mächtige Interessensgruppen vorenthalten wollen.

Bevor Baab diesen Werkzeugkasten öffnet, lässt er die Leser in die Ideenwelt der Aufklärung eintauchen, um ins Gedächtnis zu rufen, dass der Wunsch nach politischer Begrenzung aus historischen Erfahrungen mit Macht- und Gewaltverhältnissen resultiert. Einige Philosophen lieferten schließlich die nötigen Konzepte, wie eine Kontrolle unter demokratischen Gesichtspunkten aussehen könnte. Baab zeichnet diese Entwicklung anhand bedeutender Denkfiguren von Hobbes, Locke und Kant nach, gibt aber zu bedenken, dass Machteliten historisch nichts unversucht gelassen hätten, um die Überlegungen der Aufklärung umzuwandeln – „in eine Form der instrumentellen Vernunft, die sich wiederum zum Ausbau und zur Absicherung der Macht“ nutzen ließ. Zu deren Apologeten hätten sich mittlerweile auch die Leitmedien gemacht. Anstatt Macht- und Gewaltverhältnisse aufzuklären, vernebelten sie die Interessen von Eliten und mauserten sich zu Unterstützern der Gegenaufklärung.

Recherche als oppositionelles Konzept

Um dem entgegenzuwirken, müsse echter Journalismus eine profunde Recherche betreiben. Baab sieht in ihr „ein oppositionelles Konzept.“ Recherchieren bedeutet für ihn, „den Debattenraum zu erweitern“. Wie das gelingt, zeigt der Autor anhand von Teiloperationen wie Themenfindung oder den Umgang mit Quellen. Baab geht dabei vor wie in einem Einführungsbuch für Studenten, arbeitet mit Beispielen und Listen, in denen die wichtigsten Punkte stichpunktartig zusammengefasst werden. Die Leser erfahren so, wie sich „optische Recherchen“ von „Fakten-Recherchen“ unterscheiden, wie ein Kampagnen- und wie ein investigativer Journalismus aussieht. Er stellt Datenbanken vor, nennt zuverlässige Suchmaschinen und Arbeitsprogramme oder gibt Ratschläge, wenn es um die Arbeit im analogen Raum geht.

Wer brisante Informationen an Land ziehen möchte, müsse den Schreibtisch, den Fernseh-Sessel oder die Pressekonferenz verlassen, so Baab. Ansonsten führe die Recherche wieder in den Mainstream zurück. Die besten Ideen für eine gute Recherche fänden sich immer noch dort, wo das Leben ist. Deshalb gehöre es unabdingbar zur Themensuche, „aufzustehen, rauszugehen, sich auch unbequemen Situationen auszusetzen und mit betroffenen Menschen zu reden“. Solche Sätze lassen vermuten, dass der Autor sich mit seinem Buch ausschließlich an Journalisten wende. Baab spricht jedoch auch Blogger und Internet-Aktivisten an, vor allem aber Menschen, die politischen Lügen nicht auf den Leim gehen wollen.

Verschiedene Manipulationstechniken

Um die Sinne zu schärfen, veranschaulicht er diverse Manipulationstechniken. Als ein markantes Beispiel dient der Fall des ehemaligen Spiegel-Journalisten Claas Relotius, der in seinen Reportagen nicht die Realität abbildete, sondern Ereignisse erfand. Das Kernproblem, so Baab, seien jedoch die Vorgaben seines Arbeitgebers gewesen. Die Spiegel-Redaktion habe bereits im Auftrag formuliert, welches Ergebnis sie sehen möchte. Somit stehe die Geschichte schon fest, bevor die Vor-Ort-Recherche überhaupt beginnt: „Das sogenannte Storytelling prägt die Abbildung der Realität, nicht die Realität die Dramaturgie.“

Als eine weitere beliebte Manipulationstechnik bezeichnet Baab die Streuung „alternativer Fakten“. Es handle sich um ein probates Mittel, auf das interessierte Kreise aus Politik und Wirtschaft gerne zurückgreifen. Mithilfe von bezahlten Studien, Forschungskooperationen, Stiftungen und Lobbyismus säe man Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen. „Eine klassische Strategie der Gegenaufklärung“, so der Autor, „bei der die kritische Vernunft in instrumentelle Vernunft im Dienst der klassischen Eliten zurückfällt.“ Wer recherchiert, ob beruflich oder privat, sei deshalb Gefahren ausgesetzt. Diese zeigen sich unter anderem in dem Wunsch, beide Seiten zu zitieren. Wer aus diesem Impuls heraus, die alternativen Fakten aufgreift, macht sich mitverantwortlich für die Verbreitung von Lügen. Vernachlässigt man diese aber, kommt schnell der Vorwurf mangelnder Ausgewogenheit.

Schutz der Quellen

Die größten Gefahren zeigen sich jedoch im digitalen Raum. Baab erinnert daran, indem er auf die heutigen Möglichkeiten der Geheimdienste hinweist, Quellen mithilfe präziserer Technologien ausfindig zu machen: „Denn jeder Suchvorgang des Rechercheurs löst im Hintergrund eine Vielzahl von Tracking-, Kontroll-, Überwachungs-, Auswertungs-, Auswahl-, Prognose- und Datenverteilprozessen aus, die erhebliche Auswirkungen auf den Recherche-Prozess, das Ergebnis, die Recherche-Vertraulichkeit, das Verbreitungsorgan und den Recherchierenden selbst haben.“ Deswegen gehöre es zum Handwerk professioneller Journalisten, sich dieser Mechanismen bewusst zu sein und die eigenen Quellen zu schützen. Baab widmet dieser Aufgabe ein ganzes Kapitel, in dem praktische Tipps dabei helfen sollen, der eigenen Verantwortung gerecht zu werden.

Ebenfalls viele Seiten widmet der Autor einem Trend, mit dem der Journalismus ins Hintertreffen gerät. Interessensgruppen investieren immer mehr in die Öffentlichkeitsarbeit, so dass die Ressourcen in diesen Bereich fließen. Baab verdeutlicht das anhand von Zahlen, die zeigen, welch niedrigen Stellenwert der Journalismus mittlerweile in der Gesellschaft genießt: „Kamen in den Vereinigten Staaten 1990 zwei PR-Mitarbeiter auf einen Journalisten, so waren es 2011 schon vier, und derzeit wird das Verhältnis auf sechs zu eins geschätzt, Tendenz weiter steigend.“ Damit wird deutlich, welche Interessen im Vordergrund stehen – nicht die der Öffentlichkeit, sondern die von Unternehmen, Verbänden, Behörden, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen.

Autoritäre Tendenzen

Baabs Buch kommt zwar als praktische Hilfe für Berufs- und Hobbyjournalisten daher, präsentiert sich an vielen Stellen aber als eine fundamentale Abrechnung mit dem Zeitgeist. Es steht stark unter dem Eindruck der letzten zwei Jahre, wie das letzte Kapitel zu erkennen gibt. Darin geht der Autor explizit auf die Ereignisse rund um die Corona-Politik ein und benennt Missstände, die sie hervorgebracht hat: „Viele Grundrechte wie das Versammlungs- und Demonstrationsrecht werden auf dem Vorordnungswege außer Kraft gesetzt. Regiert wird unter Umgehung der Parlamente mittels Ausnahmeregelungen und Notverordnungen. Durch Kontaktverbote werden Kommunikation und Kollektivität verhindert, Orte der Zusammenkunft gibt es nicht mehr.“

In den westlichen Staaten hätten sich die autokratischen Strukturen verstärkt. Demokratische Institutionen blieben zwar erhalten, aber sie verlören ihre Funktion, weil die Politik an ihnen vorbei gemacht werde. Für Baab zeigt sich darin der Zerfall der bürgerlichen Öffentlichkeit. Sein Buch möchte dazu beitragen, sie zu retten. Öffentlichkeit sollte mehr sein als ein Raum zur Veröffentlichung von Herrschaft, lautet sein Appell. Und wer eine kritische Öffentlichkeit erzeugen möchte, müsse richtig recherchieren.

Patrik Baab © Foto privat

< Recherchieren – Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung> von Patrick Baab, 272 Seiten, Klappenbroschur, Westend Verlag, Frankfurt 2022

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