Sachbuch: «Das Virus Demokratie? (2021)»

Eine Rezension von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten
1bis19 Buchrezension Virus Demokratie Richling
< Das Virus Demokratie? > eine Abschätzung von Matthias Richling, 256 Seiten broschiert, Verlag Westend, Frankfurt 2021

Mathias Richling ist einer der wenigen Kabarettisten, die den Mut aufbringen, Kritik an der Corona-Politik zu äußern. Während viele seiner Kollegen dieses Thema bewusst auslassen, legt er den Finger in die Wunde. Zum Ausdruck kommt das vor allem in den bissigen Parodien, für die seine eigene Satire-Show beim SWR seit jeher bekannt ist. Um auf die Missstände zu verweisen, schlüpft Richling in die Rollen diverser Protagonisten wie Karl Lauterbach oder Lothar Wieler. Dabei werden die jeweiligen Figuren so überzeichnet, dass sofort deutlich wird, worin ihre Schwächen in der Rechtfertigung der Maßnahmenpolitik liegen. Die profiliertesten Parodien hat der Kabarettist nun in seinem neuen Buch «Das Virus Demokratie?» gebündelt.

Das 250 Seiten starke Werk ist eine Auseinandersetzung mit der Corona-Krise, die zwischen Humor und Ernsthaftigkeit changiert. Neben Parodien enthält es Richlings eigene Gedanken zum Thema sowie reale Interviews, die er in den letzten anderthalb Jahren verschiedenen Zeitungen gegeben hat. Damit die Leser den Überblick behalten und zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden können, wurden die jeweiligen Textsorten farblich markiert. Während echte Interviews in blauer Schrift abgedruckt sind, verweist ein alarmierendes Rot darauf, dass der Kabarettist hier einen Charakter imitiert. Seine eigenen Ausführungen zur Corona-Krise lesen sich schließlich ganz konventionell in Schwarz.

Den Wert des Lebens neu berechnet

Was Richling an solchen Stellen schreibt, führt mitten hinein in die Widersprüchlichkeit der Maßnahmenpolitik. Er geht auf die wichtigsten Narrative ein und nennt die jeweiligen Argumente, um sie danach ad absurdum zu führen. Die Kritik zielt insbesondere auf die Herangehensweise vieler Entscheidungsträger ab, die in ihrem Eifer demokratische Werte zunehmend als störend empfinden. Vorgetragen wird sie in zugespitzter Form, wie eine zentrale Passage veranschaulicht. Sie pointiert nicht nur das verfehlte Krisenmanagement, sondern erklärt auch, worauf der Buchtitel anspielt: „So war man oft schon versucht, zu fragen, ob denn das eigentliche Virus die Demokratie sei“, schreibt der Kabarettist süffisant. „Und ob man in Wahrheit die Deutschen vor diesem Virus «Demokratie» schützen müsse, damit nicht zu viele von ihm infiziert werden und damit die Inzidenz minimal gehalten wird, damit das Gemeinwesen nicht überlastet werde, wenn sich an demokratischen Werten Erkrankte in die leerstehenden Innenstädte ergießen?“

Mit der Corona-Politik sei der ganze Rechtsstaat pervertiert, so Richling. „Aus Angst vor dem Virus Corona ließen wir es wirklich zu, dass Gesetze, an die wir uns gewöhnt haben, ins Gegenteil verkehrt wurden“, gibt er zu bedenken. Als Beispiel führt der Kabarettist das Vermummungsverbot an. Seit den Siebzigerjahren gilt es in Deutschland auf allen Demonstrationen. In Corona-Zeiten werden Menschen jedoch bestraft, wenn sie sich nicht mit einem Mundnasenschutz vermummen. Als genauso bedenklich empfindet der Kabarettist den plötzlichen Hang zur Dramatisierung, die so gut wie jedes Narrativ begleitet. Um das zu belegen, führt Richling die Leser zurück in das Jahr 2020, als es noch hieß, dass 85 Prozent der Infektiösen keine Symptome hätten. Bei den restlichen fünfzehn Prozent ließen sich hingegen leichte, mittlere und schwere Ausbrüche feststellen. „Aber dramatische Verläufe gibt es bei AIDS, bei Malaria, bei TBC ebenso“, wendet der Kabarettist ein und wirft implizit die Frage auf, inwiefern der Corona-Alarmismus gerechtfertigt ist.

In diesem Modus beleuchtet Richling verschiedene Aspekte der Pandemie-Politik und zeigt auf, worin ihre Denkfehler bestehen. Meistens geschieht dies auf indirekte Weise, wenn der Autor alle Register seiner Kunst zieht. Es gibt aber auch Passagen, in denen er seine Kritik unverblümt formuliert. Manchmal kommt sie sogar in einem philosophischen Gewand daher und nutzt die Methodik dialektischen Denkens. „Wollte man bei Corona zeigen, dass man den Wert des Lebens neu und höher berechnet hat“, fragt Richling, um gleich danach zwei Gegenfragen anzuschließen: „Aber den Wert des Lebens welcher Menschen? Haben wir eine Drei- oder Vierklassengesellschaft geschaffen, wenn wir wirtschaftliche und soziale und psychische Kosten immer höher schrauben, um nur die überleben zu lassen, die an Corona erkrankten?“

Und nur die Radikalen bleiben übrig

Dieser Sachverhalt lässt den Kabarettisten nicht los, weshalb er sich dem Problem ein weiteres Mal aus einer anderen Perspektive nähert. Seine Frage zielt darauf ab, welchen Preis ein Menschenleben inzwischen hat. „Wenn die Welthungerhilfe“, so die scharfsinnige Bemerkung, „vor Millionen von Hunger-Toten warnte, muss noch einmal gefragt werden, ob die alle nichts wert sind?“ Die Antwort schiebt Richling gleich hinterher, im anklagenden Ton zwar, aber nicht mit dem Finger auf andere zeigend: „Wir haben Menschen verhungern lassen, wir haben Menschen später oder zu spät zugelassen zu Operationen oder Behandlungen, damit wir andere Menschen schützen!“

Nicht ganz so stringent mutet der Gedankengang vieler Personen an, die in der Corona-Politik den Ton angeben. Richling exemplifiziert das in einigen seiner Parodien. Am prägnantesten kommt das Wirrwarr der Aussagen zum Ausdruck, wenn er den RKI-Chef Lothar Wieler sprechen lässt: „Und zwar gehe ich da davon aus, dass wir etwas wissen, was wir schon lange wissen. Aber das wissen wir nur insofern schon lange, als wir es als Wissen nicht wissentlich wahrgenommen haben. Wenn ich verstehe, was ich meine.“ Durch derlei Kauderwelsch ist auch der SPD-Politiker Karl Lauterbach aufgefallen, den Richling nicht weniger gekonnt zu charakterisieren weiß: „Die einzige Chance, das Virus «Demonstration» einzudämmen“, schreibt er in dessen Duktus, „ist, indem wir, wie bei Corona, die Sorge der Leute schüren. Und zwar die Sorge, als Nazi eingestuft zu werden vom Verfassungsschutz. Die Mehrheit ist nicht «rechts», das gebe ich zu. Aber wenn diese Mehrheit spürt, dass wir sie einstufen als «rechts» und als radikal, dann bleiben sie bei den Demonstrationen weg und nur die Radikalen bleiben übrig.“

Neben Wieler und Lauterbach parodiert Richling politische Größen wie Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble oder Winfried Kretschmann. Nicht immer geht es dabei um Corona. Der Kabarettist lenkt in seinen humoristischen Ausführungen die Aufmerksamkeit unter anderem auf das, was schon vor der Krise schieflief, nun aber umso deutlicher zum Vorschein kommt. Es macht durchaus Spaß, diese teils sehr witzigen Passagen zu lesen. Der Autor überzeugt mit originellen Einfällen und einer kreativen Sprache, die dazu beiträgt, dass die implizite Kritik an Schärfe gewinnt. Sein Buch stellt einen Versuch dar, die Leser auf komödiantische Weise dafür zu sensibilisieren, welchen Schaden die Panik-Maßnahmen dem Grundgesetz zufügen. Es ist eine schonungslose, aber bekömmlich verpackte Bestandsaufnahme, die zum Nachdenken anregt und auf die physischen wie psychischen Langzeitfolgen für unsere Gesellschaft verweist.

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