Sachbuch: «An ihren Taten sollt ihr sie erkennen (2021)»

Eine Rezension von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten
1bis19 - An ihren Taten sollt ihr sie erkennen
«An ihren Taten sollt ihr sie erkennen» von Hans-Christian Lange, Verlag Westend, Frankfurt 2021

Der Unmut der Bevölkerung gegenüber Eliten ist in der Geschichte ein weit verbreitetes Phänomen. Nach dem Zweiten Weltkrieg flachten die Spannungen etwas ab und nahmen erst wieder in den letzten Jahren zu. Während der Corona-Krise haben sie ihren Höhepunkt erreicht. Die Bürger spüren, dass die demokratischen Institutionen nicht mehr funktionieren, weil Eliten das politische System in zunehmendem Maße kontrollieren. Nicht das Volk ist der Souverän, so der Eindruck, sondern Finanzinstitute, Digitalunternehmen, Pharmariesen und Funktionäre. Der Ex-Kanzleramtsberater und ehemalige Top-Manager Hans-Christian Lange bezeichnet sie in seinem neuen Buch als „neue Geld- und Politikkaste“ und beschreibt die Taten, an denen man sie angeblich erkennt.

Lange hat vor einigen Jahren die Seite gewechselt. Verkehrte er früher in den Kreisen hochrangiger Politiker und Unternehmer, setzt er sich heute für die Belange der einfachen Leute ein. Er gründete die erste deutsche Band- und Leiharbeitergewerkschaft «Social Peace» und fungiert als Vorsitzender der von Sahra Wagenknecht initiierten Protestbewegung «Aufstehen» in Bayern. Aufgrund dieser ereignisreichen Berufsbiografie dürfte Lange über ein Wissen verfügen, das den meisten Bürgern fehlt. Doch mit dem Buch sollen auch sie einen tieferen Einblick bekommen in die innersten Zirkel der Wirtschafts- und Finanzelite Europas, die der Autor als „ein hermetisches Biotop“ bezeichnet, in dem sich eine „seltene Spezies“ aufhält. So lautet zumindest das Versprechen, das nicht nur der Titel, sondern auch der Untertitel abgibt. „Ein Insider entlarvt die neue Geld- und Politikkaste“, heißt es.

Kurze Zusammenfassung bekannter Ereignisse

Was Lange dann aber auf knapp 220 Seiten ausbreitet, geht wahrlich nicht in die Tiefe. Seine Ausführungen bleiben bis zum Schluss enttäuschend. Man wartet gespannt, bis endlich die Insiderinformationen geliefert werden. Doch sie kommen einfach nicht. Stattdessen umreißt der Autor in meist kurzen Kapiteln nationale wie internationale Ereignisse, die bereits aus den Leit- und sozialen Medien bekannt sind. Diese Beschreibungen wirken wie kurze Zusammenfassungen ohne nennenswerten Mehrwert. Lange geht auf die Gelbwesten-Proteste in Frankreich ein, skizziert das Aufbegehren gegen die Corona-Maßnahmen und verweist darauf, dass die Superreichen während der gegenwärtigen Krise noch reicher geworden sind. Er erwähnt die soziale Spaltung, beschreibt die Folgen der Globalisierung und benennt die Verfehlungen der EU-Politik, die sich unter anderem darin zeigt, dass viele Regierungen sich nicht mehr trauen, weitere Referenden durchzuführen.

Der Autor greift viele Themen auf und verbindet Ereignisse, die eigentlich nur bedingt in einem Zusammenhang stehen – den Kapitol-Sturm in Washington, Sarah Wagenknechts Initiative «Aufstehen», den Wirecard-Skandal oder die Prepper-Bewegung. Alles wird mit allem vermischt. Ein roter Faden lässt sich nur schwer erkennen, erst recht nicht die verheißungsvolle „Entlarvung“, die die Leser dem Untertitel nach erwartet. Die Hauptaussage ist so schlicht wie oberflächlich: Geld regiert die Welt. In Langes Buch hört sich das so an: „Denn die politische Elite kontrolliert das Spiel längst nicht mehr. Die Geldelite hat diese umgekehrt zur zweiten Garde degradiert. Die neue Generation der Geldeliten diktiert der politischen Klasse, dass sie konsequent Maßnahmen struktureller oder sogar realer Gewalt für Klasseninteressen einsetzt – aber nur für die Interessen einer bestimmten Klasse.“

Neoliberalismus als Sündenbock

Das ist keine neue Erkenntnis – und auch keine wirklich profunde. Sie wirft lediglich weitere brisante Fragen auf, nämlich solche, die ans Eingemachte gehen: Wie sehen die Machtstrukturen konkret aus? Was wird hinter den Kulissen konkret besprochen? Wie und unter welchen Bedingungen kommen Verträge zustande – ganz konkret? Wer sitzt in solchen Runden am Tisch? Namen, Methoden, Gebräuche, ungeschriebene Gesetze – das wäre interessant. Der im Untertitel angekündigte „Insider“ könnte da ins Detail gehen. Man hätte gerne das erfahren, was in den Zeitungen nicht steht, was gerne verheimlicht und sofort als «Verschwörungstheorie» stigmatisiert wird. Anstatt einen exklusiven Einblick in jene „Geld- und Politikkaste“ zu geben, begnügt Lange sich mit Pauschalurteilen und bietet für die bekannten Missstände eine ebenso einfache Erklärung: Schuld an allem ist der neoliberale Zeitgeist. Als läge Geldgier und Machtmissbrauch nicht im menschlichen Wesen begründet, sondern in dieser speziellen Ideologie.

Widersprüche zeigen sich zudem dort, wo der Autor auf die Corona-Krise zu sprechen kommt. In seinen Ausführungen kritisiert er zwar die unverhältnismäßigen Maßnahmen, hält aber an dem Narrativ fest, dass es sich um eine „Pandemie“, ja um eine „Seuche“ handelt. Ob es wirklich eine solche ist oder ob sie mithilfe von Definitionsänderungen und Zahlenmanipulationen zu einer solchen stilisiert wurde, hinterfragt der Autor nicht. Im gleichen Atemzug erwähnt er aber mit erhobenem Zeigefinger das 2019 stattgefundene Pandemie-Planspiel «Event 201». Einerseits wird also angedeutet, dass die Eliten die Corona-Krise möglicherweise vorbereitet hätten, andererseits erscheint die „Pandemie“ bzw. „Seuche“ als Naturereignis. Beides lässt sich nur schwer vereinbaren.

Pharmakonzerne und die Impfkampagne

Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit der Impfkampagne. Einerseits kritisiert Lange die großen Pharmakonzerne und moniert, dass sie sich mit Hilfe der Regierung bereichern. Anderseits stellt er das Corona-Vakzin geradezu als Allheilmittel dar, von dem alle Bürger überzeugt sind und nach dem sie sich sehnten, es aber aufgrund bürokratischer Hürden nicht bekämen. In einer Passage wird das besonders gut deutlich: „Über 60-Jährige erhalten nach Wunsch BioNTech-Impfstoff und nehmen diesen den Jüngeren weg, die, wenn überhaupt, sich oftmals mit dem für sie gefährlicheren Astra Zeneca Impfstoff (sic!) begnügen müssen. Nachdem die Welle der älteren Jahrgänge erstgeimpft ist, werden aber Ende Mai weitere Erstimpfungen von oben gestoppt. Die Conclusio: Die jüngere Generation hat keinerlei Priorität mehr.“ Abgesehen davon, dass der angedeutete Impfenthusiasmus an der Realität vorbeigeht, weil sich doch ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung gegen ein Vakzin ausspricht, könnte man zumindest die Fragestellung des Autors erwarten, ob es bei der Corona-Impfkampagne ausschließlich um Gesundheit oder nicht um Profite geht.

So besehen entsteht der Eindruck, dass Langes Kritik an den Eliten arg pauschal ausfällt. Der Autor führt zwar Argumente gegen diese ins Feld, bemerkt aber nicht, dass er sich in Widersprüchlichkeiten verwickelt. Nichtsdestotrotz gibt es in dem Buch aber auch Analysen, die ins Schwarze treffen. Das betrifft vor allem die gegenwärtige Entwicklung in Richtung eines autoritären Staates. Die deutsche Regierung schränke mit Hilfe von Ausnahmegesetzten die demokratischen und parlamentarischen Rechte ein, so Lange. „Es ist deshalb in unser aller Interesse, die Demokratie und den souveränen Staat zu retten und zu stärken“, schreibt er am Ende des Buches. Und die Lösung folgt auf dem Fuße: „Darum bleibt nur eines, was in einer Demokratie (noch) möglich ist, bevor auch das verboten wird: die oberen Kasten abzulösen und sie zu ersetzen.“

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