Analyse eines CSU-Parteimitglieds – wie das passieren konnte
Gast-Kommentar von Christian Steidl, Diplomchemiker, seit 1989 CSU-Mitglied
Lesedauer: 5 MinutenGenerationen von Schülern werden sich im Geschichtsunterricht mit der Frage beschäftigen müssen, wie es in einer freien und demokratischen Gesellschaft möglich war, die elementaren Grundrechte ohne nennenswerte Gegenwehr von Parlament, Justiz, sonstigen Staatsbeamten, Journalisten und Bürgern über ein Jahr massiv einzuschränken. Ich möchte mich bei der Beantwortung der Frage primär auf die in Regierungsverantwortung stehenden Unionsparteien konzentrieren, weil ich seit 1989 als CSU-Mitglied seit 4 Jahren als Beisitzer im Bundesvorstand der WerteUnion ein wenig Einblick habe. Bevor ich auf die Corona-Krise komme, ist es nötig, zu erklären, wie Parteien ticken und an welchen anderen Ecken der Rechtsstaat seit Jahren erodiert.
„Geschlossenheit“ als oberstes Ideal
Parteien wollen Wahlen gewinnen, denn Opposition zu sein ist unbefriedigend. Also muss man sich dem Wähler als kompetent präsentieren. Um diesen Eindruck bei konservativen Wählern zu erwecken, ist ein geschlossenes Auftreten wichtig. Doch idealerweise sollte es vorher eine breite interne Debatte darüber geben. Aber die etablierten Parteien erinnern mich inzwischen etwas an die Beschreibungen des DDR-Systems aus dem Sozialkundeunterricht: Nach dem „Transmissionsriemen-Modell“ diente die Partei dazu, die Marschrichtung des Zentralkomitees jedem Parteimitglied und letztendlich jedem Bürger zu erklären. In der CSU wird das so formuliert: „Die Parteibasis muss die Lufthoheit über den Stammtischen gewinnen.“ Klar: Wenn eine Wahl verloren gegangen ist, dann sagt der Vorsitzende, die Partei(basis) habe es „nicht geschafft, den Menschen die gute Politik richtig zu erklären“.
Negative Selektion: Mitläufer machen Karriere
Die Parteifunktionäre fördern den Nachwuchs, der treu ergeben ist und nicht durch eine abweichende Meinung auffällt. Das ist menschlich verständlich, denn es ist schön, von Menschen umgeben zu sein, die einen loben. Außerdem sind diese kritiklosen Mitläufer meist nicht sonderlich intelligent und stellen somit keine Konkurrenz dar, die dem Abgeordneten sein Amt streitig machen könnte. Das gilt nicht für alle Abgeordneten. Manche haben die Delegierten auch durch jahrelange gute inhaltliche Arbeit überzeugt. Aber der Trend geht nach meiner Wahrnehmung mehr zum Mitläufer.
Die Gewählten haben nichts zu sagen
„Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden“, stellte Horst Seehofer vor vielen Jahren resigniert fest. Die ZDF-Reportage „Das Pharma-Kartell“ gab im Dezember 2008 Einblicke, was Horst Seehofer damit gemeint haben könnte. Aber ich möchte nicht die Pharma-Branche bewerten, sondern analysieren, warum die Abgeordneten ihre Entscheidungskompetenz kampflos aufgegeben haben. Ich vermute, die Antwort ist ganz einfach: „Weil sie es gelernt haben und gar nicht anders kennen.“ Wie oben geschildert wären viele nicht im Parlament, wenn sie nicht brav zur Politik von oben applaudiert hätten. Natürlich könnten sie jetzt, wo sie im Amt sind, eine eigene Meinung entfalten. Aber viele, die so selektiert wurden, sind nicht der Typ dafür. Außerdem will man nicht ewig Hinterbänkler bleiben, sondern Staatssekretär oder Minister werden. Und dafür muss man weiter „Geschlossenheit“ zeigen.
Solidarität ist keine Einbahnstraße
Ich kenne Markus Söder schon seit über 25 Jahren. Er war damals Landesvorsitzender der Jungen Union, und ich war stellvertretender JU-Bezirksvorsitzender in Unterfranken und Delegierter für den JU-Deutschlandtag. Bei den Delegierten-Vorbesprechungen gab uns Markus Söder Hinweise, mit wem er eine Koalition ausgehandelt hatte, um die bayerischen Kandidaten in den Bundesvorstand durchzubringen. „Solidarität ist keine Einbahnstraße“, lautete sein Motto und es bedeutete, „wählst du mich, dann wähle ich dich“. Da muss man auch mal eine Kröte schlucken. Politik lebt von Kompromissen und bei parteiinternen Wahlen gibt es Bündnisse. Das liegt in der Natur der Sache. Aber idealerweise sollten die Bündnisse so geschmiedet werden, dass man die Politik durchsetzen kann, von der man überzeugt ist, dass sie das Beste für unser Land ist.
Politiker wollen wiedergewählt werden
Analysiert man die Zielsetzungen eines Abgeordneten, so ist neben der großen Karriere als Minister erst einmal das Nahziel, dass man bei der nächsten Wahl wieder als Kandidat nominiert wird. Das kann man nicht nur dadurch erreichen, dass man mögliche Konkurrenz frühzeitig auf das Abstellgleis befördert, sondern auch durch hervorragende Politik, die die Menschen begeistert. Denn eine Partei stellt bevorzugt die Kandidaten auf, mit denen sie beim Wähler punktet. Das Beispiel der Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel zeigt, dass so etwas auch in der CDU heute noch möglich ist: Sie stimmte nicht nur gegen die Vergemeinschaftung der Schulden, sondern am 4. März 2021 auch – zusammen mit 6 weiteren Unionsabgeordneten – gegen die Verlängerung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.
Auflösung des Rechtsstaats
Wenn man bedenkt, dass alle Abgeordnete auf das Grundgesetz vereidigt sind, sind sieben verfassungskonform abstimmende Unionsabgeordnete eine magere Bilanz. Das lässt sich nicht entschuldigen, aber ein Stück weit damit erklären, dass der Rechtsstaat seit Jahren erodiert. Bei der illegalen Masseneinwanderung wurde das Grundgesetz einfach nicht angewendet, bei der EU-Schuldenunion wird es gebrochen und bei der Ehe für alle wurde es schlicht umgedeutet. Im Justizsystem wurde durch das Beförderungssystem eine negative Selektion betrieben. Da gibt es Reformbedarf. Das Bundesverfassungsgericht wurde mit treuen Parteisoldaten besetzt. Ehemalige Abgeordnete sollten für solche Ämter in Zukunft generell ausgeschlossen werden. Ich habe bei der Bundeswehr noch gelernt, dass ich grundgesetzwidrige Befehle nicht ausführen darf. Das muss in Zukunft die Lektion 1 in der Beamtenausbildung werden.
Aufstieg zum Volkshelden
Warum Markus Söder im März 2020 nach dem Motto „södern statt zögern“ für einen Lockdown eintrat, hat Prof. Sucharit Bhakdi in seinem Buch „Corona – Fehlalarm?“ richtig erkannt: Er sah die guten Umfragewerte von Sebastian Kurz und wollte die auch. Auf meine zahlreichen E-Mails mit Verweisen auf die Heinsberg-Studie, auf die Erkenntnisse von Prof. John Ioannidis, auf die Unzulänglichkeiten beim Test-PCR und auf die Risiken der Impfstoffe, sowie der Warnung, dass er da in eine Sackgasse läuft, erhielt ich anfangs noch ein paar Floskeln von einem Staatssekretär und dann gar keine Antwort mehr.
„Deutschland verrecke“ steht nicht im CSU-Grundsatzprogramm
Es ist nicht so, dass Markus Söder bei Parteitagen die linke Faust hebt und ruft: „Deutschland verrecke!“. Es steht auch nicht im Parteiprogramm und ich bin mir sicher, dass das nicht sein Ziel ist. Aber einen Fehler einzugestehen und zu korrigieren, nur um den Schaden für Deutschland, der durch die Lockdowns entsteht, zu begrenzen, das ist wohl zu viel verlangt. Und solange die Umfragewerte sehr gut waren, waren es nur wenige Mitstreiter von der WerteUnion und ein paar andere mitdenkende Parteifreunde, die die Regierung mit Ermahnungen „belästigten“.
Näher am Menschen?
Gibt es noch Hoffnung? Aktuell befinden sich die Umfragewerte der Union im steilen Sinkflug und mit jedem Bericht über die Impfnebenwirkungen geht es weiter bergab. Das könnte zur Auferstehung der im Tiefschlaf verharrenden Abgeordneten und Parteimitglieder führen. Denn wenn man nicht wiedergewählt wird, kann man auch keine Karriere machen. Entscheidend wird nun sein, ob man in Wagenburgmentalität verharrt, oder ob man sich öffnet für den Dialog mit vermeintlichen „Verschwörungstheoretikern“. Die CSU hat sich das Motto „Näher am Menschen“ gegeben. Jetzt gilt es, diesen Anspruch Wirklichkeit werden zu lassen!
RKI neu besetzen und „Lockdownverbot“ ins GG
Aber Bürgerdialog und ein „Entschuldigung“ reichen nicht. Es müssen deutliche Reformen passieren: Das RKI muss der Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums entzogen werden und der Leiter ist in Zukunft von den medizinischen Fachgesellschaften ohne Einmischung der Politik zu besetzen. In die Präambel des Grundgesetzes muss ein „Verbot von Lockdowns“ expressis verbis aufgenommen werden. Die Internetkontrollgesetze zur Meinungsfreiheitsbeschränkung müssen aufgehoben werden. Online-Petitionen müssen ab einem bestimmten Quorum zu Volksentscheiden führen. Nur so kann Vertrauen zurückgewonnen werden. 2020 war es nicht so, dass „demokratischen Systeme bei der Pandemiebekämpfung scheiterten“, sondern die Unfähigkeit der korrekten Lagebeurteilung resultierte aus der Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Demontage des Rechtsstaates.
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