Zu Besuch in der „Lotusflöte“

ein Beitrag von Martina Binnig

Lesedauer 2 Minuten
1bis19 - Zu Besuch in der „Lotusflöte“
Kartoffeln

Ich stehe in der Warteschlange vor dem China-Restaurant „Zur Lotusflöte“. Es ist der 25. März 2025. Dunkel erinnere ich mich daran, dass es in früheren Zeiten einmal möglich war, spontan ein Restaurant zu betreten und sich an einen freien Tisch zu setzen. Dass die Menschen damals keine Angst dabei verspürten?! Jetzt ist alles wunderbar organisiert zum Wohle der Sicherheit eines jeden Einzelnen.

Nach ein paar Stunden ist es so weit: Ich werde aufgerufen. „Status“? werde ich gefragt. Ein bisschen schade finde ich es ja, dass dies die neue Begrüßungsformel geworden ist. „Guten Tag“ fand ich angenehmer. Aber ich habe natürlich Verständnis dafür, dass ein schneller reibungsloser Ablauf wichtiger ist als altmodische Höflichkeitsfloskeln. „2G++++“, antworte ich. Die Kellnerin zuckt zusammen: „Nur 2G++++?“ Ich schäme mich und stammele: „Ja, also…“. – „Ich weiß nicht, ob wir für diesen Status überhaupt Plätze anbieten“, fällt mir die Kellnerin ins Wort und zieht die Augenbraue über der FFP2-Maske hoch.

Ich wage nicht, darauf hinzuweisen, dass ich online sämtliche Restaurants der Stadt durchgegangen und nur bei der „Lotusflöte“ fündig geworden bin. Alle andern Restaurants gewähren nämlich ausschließlich ab dem Status 2G+++++ Einlass. Außerdem ist die „Lotusflöte“ das einzige China-Restaurant der Stadt, in dem die Bedienung noch nicht vollständig von Drohnen und Robotern übernommen wird. „Sie haben Glück, gerade ist ein Einzelplatz freigeworden“, stellt die Kellnerin zu meiner Erleichterung fest, prüft meinen QR-Code, misst mein Fieber und nimmt mir Blut ab.

Nun führt sie mich durch das Restaurant. An ansprechend gedeckten Tischen mit heimeligem Kerzenlicht sind zwar noch zahlreiche Plätze frei, doch die meisten, besonders die am Panoramafenster, stehen lediglich Trägern des Status 2G++++++ und höher zur Verfügung. Mir bedeutet die Kellnerin, ihr in den Keller zu folgen. Direkt neben der Tür zur Herren-Toilette befindet sich tatsächlich noch ein freier Tisch, der zwar auch als Ablage für Klopapierrollen dient, doch ich nehme erleichtert Platz. Endlich einmal wieder in einem Restaurant!

Nach nur 45 Minuten kommt die Kellnerin zurück, um meine Bestellung aufzunehmen. Im Internet hatte ich mir schon den Teller „Zum fröhlichen Buddhisten“ ausgesucht, doch noch bevor ich die entsprechende Nummer nennen kann, ruft mir die Kellnerin zu: „Wir haben unser Angebot für den Status 2G++++ eingeschränkt! Ich muss einmal nachschauen, ob wir überhaupt noch etwas in dieser Kategorie anbieten.“ Ich spüre Enttäuschung in mir hochsteigen, doch gleichzeitig bin ich von Dankbarkeit erfüllt: Selbst wenn ich hier nun doch nichts würde essen können, hätte ich immerhin zum ersten Mal nach etlichen Jahren ein Restaurant betreten.

„Sie haben schon wieder Glück!“, jubelt die Kellnerin und ich habe sie schon richtiggehend ins Herz geschlossen. „Ein Gericht haben wir für den Status 2G++++ noch im Angebot belassen: eine Pellkartoffel.“ – „Eine Pellkartoffel?“, frage ich begeistert zurück und gebe die Bestellung strahlend auf. Was bin ich doch für ein Glückspilz! Wie wunderbar, dass ich jetzt nicht zu Hause meine tägliche Kartoffel kochen muss!

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