Willkommenskultur passé: eine Konzertankündigung als Politikum

von Martina Binnig

Lesedauer 2 Minuten
Hackordnung © seagulls.jpg

Die Musikschule, an der ich in Teilzeit unterrichte und deren Pressearbeit ich betreue, befindet sich in städtischer Trägerschaft. Zu meinen Aufgaben gehört es, Pressemitteilungen zu schreiben und über das städtische Presseamt zu veröffentlichen. Oft handelt es sich dabei um Konzertankündigungen. Eigentlich eine harmlose und angenehm unpolitische Tätigkeit. Bislang jedenfalls. Denn selbst die Vorgaben zum Gendern und zur einfachen Sprache lassen sich mit etwas Geschick halbwegs elegant handhaben ‒ zumal einfache Sprache und Gendern einander ohnehin ausschließen. Doch jetzt stecke ich in einer Zwickmühle. Routinemäßig schrieb ich heute eine Konzertankündigung. Plötzlich stutze ich: „Es gilt 2G“, hat mir ein Kollege dazu notiert. Zunächst halte ich diesen Hinweis für einen Irrtum, da der Unterricht an der Musikschule offiziell unter 3G-Bedingungen stattfindet. Es kommt mir allzu absurd vor, dass ein gesunder getesteter Schüler zwar zum Unterricht kommen, jedoch fünf Minuten später im selben Gebäude kein Konzert besuchen darf. Das kann ja nicht wahr sein! Zwei Telefonate später wird klar: Es ist wahr. Konzerte an unserer Musikschule unterliegen ab sofort tatsächlich der 2G-Regel. Nicht etwa, weil sich die Schulleitung das so wünscht, sondern einzig und allein, weil die Stadt in Bezug auf Veranstaltungen und Museen an 2G festhält und die Musikschule einen städtischen Fachbereich darstellt. Zwar gibt es Ausnahmen etwa für Jugendliche, die an ihren Schulen regelmäßig getestet werden, doch wer durchs Raster fällt, muss draußen bleiben.

Reagieren auf den gesellschaftlichen Wandel

Unwillkürlich höre ich innerlich den Slogan, mit dem die Schule gerne wirbt: „Musik und Kunst machen das Leben bunter!“ Offenbar soll diese Buntheit nicht mehr allen gleichermaßen zuteilwerden. Widerspricht 2G aber nicht unserem Leitbild? Ich schaue nach. „Wir ermöglichen allen Bürgern kulturelle Teilhabe“, steht hier schwarz auf weiß. Und weiter: „Unsere Musik- und Kunstschule entwickelt sich als lebendiger Treffpunkt in unserer Stadt, der für alle kulturellen Gruppen und Generationen offen steht und alle gesellschaftlichen Randgruppen einbindet.“ Alle Randgruppen? Das war einmal. Mir fällt ein Leitartikel ein, der 2016 auf der Titelseite der jährlich erscheinenden hauseigenen Zeitung prangte: „Willkommenskultur in der Musik&Kunstschule“. Fünf Jahre ist das erst her. Was ist seitdem passiert? Bitter genug, dass überhaupt 3G-Bestimmungen alltäglich geworden sind. Doch 2G bedeutet vollends den medizinisch in keiner Weise begründbaren Ausschluss einer Minderheit vom kulturellen Leben: untragbar für eine Musikschule, die sich eine Willkommenkultur auf die Fahne geschrieben hat! Natürlich werde ich das Thema aufs Tapet bringen, brauche aber eine Lösung für den Moment. Also lasse ich 2G schlichtweg unerwähnt und spekuliere auf eine unbürokratische Regelung vor Ort. Allerdings erscheint mir nun der letzte Satz des Leitbildes in einem ganz neuen Licht. Er lautet: „Wir reagieren als lernende Organisation mit immer neuen Konzepten auf den gesellschaftlichen Wandel und die sich stetig verändernde Bildungslandschaft.“

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