Wie ich Frieden mit der AfD schloss

… und trotzdem kein Nazi bin

Gast-Kommentar von Sarah Stern.

Stern lebt in der Nähe von Dresden, ist Mutter zweier Kinder und im medizinisch-sozialen Bereich tätig. „Wir alle sind voller Emotionen und täten gut daran, den Dingen mit Demut und einem offenen Geist zu begegnen.“

Lesedauer 4 Minuten

Ich bin ein Ossi. Obwohl ich im vereinten Deutschland geboren wurde, habe ich dieses Selbstverständnis mit in mein Leben genommen. Einerseits aus meinem Umfeld, der Familie, den Menschen, die ebenfalls hier leben, und die dieses Wort mit Stolz aussprechen. Andererseits aus den Medien und von Menschen, die nicht hier leben. Bei ihnen klingt es oft verächtlich und herablassend.

Unser Dialekt wird mit Dummheit assoziiert, unser Lebensstil als einfach und bäuerlich vermutet und die soziale Gesellschaftsstruktur als totalitär geprägt und duckmäuserisch wahrgenommen.

Wir alle haben im Geschichtsunterricht gelernt, dass in der DDR Menschen unterdrückt, für das öffentliche Aussprechen ihrer systemkritischen Meinung ins Gefängnis gebracht und dauerhaft überwacht wurden. Außerdem durften die Wenigsten das Land verlassen und regelmäßig Bananen kaufen. Das stimmt, zumindest das Meiste.

Vom Zusammenhalt der Menschen in der DDR

Doch ich kenne noch andere Teile der Geschichte, nämlich die aus vielen persönlichen Erzählungen.

Es gab eine große soziale Gemeinschaft. Die Menschen kannten sich, hielten zusammen im Angesicht ihres gemeinsamen Feindes Regierung, halfen einander und ließen sich bei regelmäßigen Stammtischabenden über den Irrsinn von Honecker und Co. aus. In Ermangelung an neuen Dingen wurde man erfinderisch. Mopedwerkstatt, Möbel Marke Eigenbau, Tomaten aus dem Garten oder vom Balkon, Urlaub bei den Großeltern, juckendes Heu überall, Fahrrad-Gang am Nachmittag, Jugendclub, Dorfkneipe, gestrickte Kleidung, die schon drei Kindern getragen hatten, der Geschmack von selbst gemachtem Kesselgulasch. Auch das ist die Wahrheit. Die, die uns in der Schule nicht erzählt wurde.

In der DDR gab es neben all dem Schlechten eine Sache, die uns heute längst abhanden gekommen ist – Zusammenhalt. Und genau aus diesem Gemeinschaftsverständnis entwickelte sich auch die friedliche Revolution 1989. Die Menschen hatten Visionen von Freiheit und Einheit.

Visionen endeten in einer großen Enttäuschung

Was sie bekamen, war eine riesengroße Enttäuschung. Die meisten großen Betriebe der DDR wurden geschlossen. Entsprechende Ausbildungsberufe waren von heute auf morgen wegrationalisiert. Bis heute, 30 Jahre später, bekommt man im Osten Deutschlands für die gleiche Arbeit bei der gleichen Firma wesentlich weniger Geld als im Westen. Dass der Altersdurchschnitt durch Abwanderung immer höher wird, ist die logische Konsequenz. Die, die noch da sind, fühlen sich abgehängt, betrogen und verraten. Sie wollten ein vereinigtes Deutschland und bekamen Herabwürdigung.

Was von damals geblieben ist, ist die kritische Grundhaltung gegenüber Autoritäten.

Jahrzehntelang dominierten die etablierten Parteien das politische Geschehen. In PDS und später Linker sahen die Ostdeutschen eine Chance, ein gleichwürdiger Teil Deutschlands zu werden. Doch im Laufe der letzten Jahre entwickelten sich PDS und die Linke immer mehr in die Richtung derer, die aus Sicht der Menschen hier die Verantwortung für all das tragen. Und dann kam eine Alternative.

Die AfD – Eine Alternative gegen den Einheitsbrei?

Ich selbst war fassungslos, als ich die Wahlergebnisse der AfD 2019 sah. Ich hatte in den Medien von dieser rechtsradikalen, feindseligen Partei gehört und konnte einfach nicht glauben, dass um mich herum Sympathie für solch eine Partei zu herrschen schien. Also fragte ich nach, las mich sogar ins Parteiprogramm ein, um entsprechende Argumente zu haben. Und verstand.

Die Wähler hatten sich nicht für die AfD, sondern gegen den Rest entschieden. Weil die übrigen Optionen in ihrem Empfinden ein homogener Einheitsbrei waren. Die Tatsache, dass „Mit denen reden wir nicht!“ zur Grundhaltung in Medien und Politik wurde, bestärkte das Gefühl nur noch. Wie gut machen Politiker und Journalisten ihren Job, wenn sie einer unliebsamen Meinung bestenfalls zum Diffamieren Gehör schenken?

Kritiker – ausgegrenzt, abgewertet, verhöhnt

Diese Frage habe ich mir selbst mittlerweile beantwortet. Denn heute bin ich unliebsam. Weil ich eine Politik kritisiere, die auf Kontrollwahn, Übergriffigkeit und einem korrupten System bis in alle Bereiche der Gesellschaft basiert. Damit bin ich quasi automatisch unmöglich geworden. Ich darf meine Meinung sagen, doch dann muss ich damit leben, sanktioniert, beschimpft und bedroht zu werden. Bevor es zu einer konstruktiven Diskussion kommt, wird mit der „Nazi“-Stempel auf die Stirn gedrückt. Widerspruch zwecklos.

An welchem Punkt haben einige Menschen entschieden, dass sie mir gar nicht zuzuhören brauchen, sobald ich nicht ihrer Meinung bin?

Ja, ich habe Frieden mit der AfD geschlossen. Ich finde die häufig aggressive Sprechweise einiger Parteimitglieder unpassend. Ich mag eine Reihe von Feindseligkeiten, die auch offiziell zur Partei gehören, nicht. Ich wünsche mir eine tolerante, offene und menschenfreundliche Gesellschaft. Und diese haben wir gerade nicht. Und zwar ohne den Einfluss der AfD. Wir, die Kritiker der aktuellen Politik, werden von  “den demokratischen und solidarischen” Stimmen aus der Öffentlichkeit so behandelt, wie man der AfD unterstellt, sie würde sich in dieser Art gegenüber Randgruppen äußern. So, wie es den DDR-Bürgern nach der Wende erging – ausgegrenzt, abgewertet, verhöhnt. Und dort schließt sich der Kreis.

Die Meisten im Osten spüren, dass etwas nicht stimmt

Das Vertrauen im Osten in die Politik ist nicht verloren gegangen. Es war nie da. Und das mediale, mittlerweile auch gesellschaftliche Menschenbild von Gut und Böse, Richtig und Falsch hat diese Dynamik lediglich untermauert. Wir fühlten uns schon vor 2020 von „denen da oben“ nicht ernst genommen. Also ließen wir sie reden und blieben uns selbst treu. Das kommt uns heute zugute. In meinem ganzen Umfeld findet sich nicht ein Mensch, der die Maßnahmen komplett befürwortet. Viele sind verängstigt um sich und ihre Lieben und rutschen aus Verunsicherung in den Phlegmatismus. Andere machen sich gar keine Gedanken. Doch die Meisten spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie kennen dieses Gefühl noch aus ihrer Zeit in der DDR. Und wissen von damals, dass Politik und Realität ganz unterschiedliche Dinge sein können.
Mein Opa, der selbst durch seine kritische Haltung im öffentlichen Dienst in der DDR große Probleme hatte, hat mir in einem langen Gespräch Folgendes gesagt: „Die Psychologie, die ich heute sehe, erinnert mich nicht an die DDR. Dort hatten wir uns, Zusammenhalt und Lebendigkeit. Das fehlt heute. Und das kenne ich aus den Erzählungen meiner Mutter.“


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