Sachbuch: «POLITISCHE ANGST (2021)»

Die Erzeugung von Angst ist äußerst hilfreich, um Herrschaft zu etablieren und zu stabilisieren. Das ist spätestens seit Machiavelli bekannt. Doch wer von Angst überwältigt wird, kann nicht frei sein. Politische Angst unterhöhlt Rechtsstaat und Demokratie. In der „Coronakrise“ ist dies durch den repressiven, Angst erzeugenden staatlichen Zugriff auf Individuen und Gesellschaft vielen Menschen bewusst geworden.

Eine Rezension des neu erschienen Sachbuchs von Prof. Dr. Ulrich Teusch, «POLITISCHE ANGST – Warum wir uns kritisches Denken nicht verbieten lassen dürfen » von Eugen Zentner

Lesedauer 5 Minuten

Die letzten achtzehn Monate waren von politischer und gesellschaftlicher Unsicherheit geprägt. Im Zuge der Corona-Krise hat der Staat immer härtere Maßnahmen verhängt, auch wenn es zwischendurch Phasen der Lockerung gab. Bis heute sind zahlreiche Grundrechte eingeschränkt. Wer daran Kritik übt, wird als «Corona-Leugner» oder «Verschwörungstheoretiker» diffamiert. Die gesellschaftliche Spaltung nimmt dramatische Züge an. Neuerdings wird sogar darüber debattiert, Ungeimpfte vom sozialen Leben abzuschneiden. Das politische Klima ist zunehmend repressiv, der Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kaum zu übersehen.

Bei nicht wenigen Menschen stellt sich ein beklemmendes Gefühl ein. Sie verspüren einen permanenten Druck und sind geplagt von düsteren Ahnungen: Was wird als Nächstes kommen? Was wird die Politik jetzt wieder beschließen? Von diesem mentalen Zustand handelt das neue Buch des Publizisten Ulrich Teusch. Er nennt es «politische Angst». Der titelgebende Begriff umschreibt ein für die meisten neues Gefühl, das mit politischer Einsamkeit und Isolation einhergeht. Es stellt sich dauerhaft ein und wirkt enorm intensiv, sodass die Betroffenen sich in gewisser Weise unfrei vorkommen.

Diese Art der Angst sei politisch erzeugt und gewollt, schreibt Teusch. Sie diene seit jeher als Herrschaftsmittel, das durchaus Wirkung zeige. Aber wie lässt sich dieser Effekt begründen? „Warum lassen sich Menschen überhaupt (und so leicht) ängstigen?“, fragt der Autor. „Warum geben die meisten von ihnen dem Druck immer wieder nach? Warum opfern sie ihre individuelle Freiheit allzu oft einer trügerischen Sicherheit? – Und warum sind wenige andere standhaft?“

Persönliche Erlebnisse und theoretische Vertiefung

Um diese Fragen zu beantworten, lässt Teusch die letzten anderthalb Jahre Revue passieren. Er berichtet über persönliche Erlebnisse während der Corona-Krise, schildert Erfahrungen und beschreibt verschiedene Beobachtungen. Diese alltagsnahmen Darstellungen werden anschließend theoretisch unterfüttert, wobei der Autor Anleihen bei so großen Namen wie Hans Freyer, Simone Weil oder Erich Fromm macht, bei Intellektuellen, die sich in ihren Schriften mit den Erfahrungen in totalitären Systemen befassen. „Gerade in einer Zeit des Umbruchs und der Verunsicherung, einer Zeit, die weithin von politischer Angst durchsetzt und gelähmt ist, brauchen wir verlässliche, ermutigende Wegweiser“, begründet Teusch seine Auswahl. „Wir brauchen starke intellektuelle Bezugspunkte, von denen wir lernen können, auf die wir uns berufen können, an die wir anknüpfen können.“

Der abwechselnde Rückgriff auf persönliche Erfahrungen und theoretische Schriften bringt jedoch keine systematische Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen wie gesellschaftlichen Situation hervor, sondern eher einen essayistisch angelegten Text. «Politische Angst» gleicht einem Gedankenfluss, der hier und da eine Abzweigung nimmt, aber immer wieder zurück zum Hauptthema zurückfindet. Es ist ein Genuss, dieser Bewegung zu folgen. Man betritt dabei intellektuelles Terrain, auf dem sich überraschende Entdeckungen machen lassen. Teusch führt seine Leser in komplexe Sinnzusammenhänge ein, ohne sie zu überfordern. Die Argumentation geht durchaus in die Tiefe, wirkt aber nie verkrampft.

Der autoritäre Charakter

Das Werk ist geteilt in zwei Teile. Der erste beschäftigt sich mit den Missständen der heutigen Zeit. Es ist eine soziologische Zeitdiagnose, die bisweilen deutliche Worte enthält. Teusch wundert sich vor allem über das Verhalten der schweigenden Mehrheit. Es sehe so aus, als füge sich dieser Bevölkerungsteil der neuen Normalität, weil er Angst davor habe, zur Minderheit zu gehören und im Ernstfall allein zu stehen. Es komme einem Fluchtverhalten gleich, das der Autor so erklärt: „Wer bereit ist, auf seine Freiheit zu verzichten, wird durch eine neue Sicherheit entschädigt, durch die stolze Teilhabe an einer Macht, in der er aufgeht.“ Dieser Menschentypus entspreche dem von Erich Fromm beschriebenen «autoritären Charakter». Er kenne nur Macht und Ohnmacht, nur Herrschen und Beherrscht. Er bewundere die Autorität und sei bereit, sich ihr zu unterwerfen, möchte aber gleichzeitig selbst Autorität ausüben.

Die Kritik richtet sich aber auch an all jene, die Zweifler und Skeptiker gerne als «Verschwörungstheoretiker» brandmarken, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dabei sei ein gesundes Misstrauen gegenüber der Staatsmacht und anderen Machtformen „das Lebenselixier der Demokratie“, argumentiert Teusch und verweist auf den Fall Dreyfus. Der jüdische Offizier wurde am Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich wegen Hochverrats verurteilt und deportiert. Dass es sich um eine antisemitische Verschwörung im Generalstab handelte, kam erst später heraus, nachdem Émile Zola in der Zeitung „L’Aurore“ einen flammenden Brief unter dem Titel «J’accuse» (ich klage an) veröffentlicht hatte. Der Schriftsteller war so ein Zweifler und Skeptiker, dessen Ahnungen sich bewahrheiteten. „Was gegenwärtig als Verschwörungstheorie in die Ecke gedrückt wird“, lautet Teuschs Plädoyer, „lebt von einer Tugend, die im Grunde zutiefst aufklärerisch ist.“

Antipolitische Haltung

So düster die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist anmutet, so hoffnungsvoll klingt der zweite Teil. Darin versucht der Autor einige Antworten auf die Frage zu geben, wie man die politische Angst überwindet. Die Vorschläge reichen von der Emotionalisierung der Politik über Kooperation bis hin zur Bildung von Kreuz- und Querfronten. Im Mittelpunkt steht aber das, was Teusch als „antipolitische Haltung“ bezeichnet. Sie zeichne sich durch eine spezifische Form der „Fundamentalopposition“ aus, bei der die passive Verweigerung in eine aktive umgewandelt werde. Eine solche Haltung beinhalte, dass man sich immer wieder einmische und politische Themen pointiert kommentiere. „Antipolitik richtet sich nie gegen die Politik schlechthin“, so die Erklärung, „sondern immer gegen unerwünschte oder bedrohliche Ausprägungen einer ganz bestimmten, konkreten Politik. Vor allem richtet sie sich gegen ein Zuviel an Politik, gegen anmaßende Politik.“

Dass es funktioniert, veranschaulicht Teusch am Beispiel des ungarischen Schriftstellers György Konrád, der diese antipolitische Haltung wie kein anderer vorlebte. Obwohl der Dissident mehrmals die Möglichkeit hatte, sein Land zu verlassen, harrte er im sozialistischen System aus – mit einer Philosophie der Gelassenheit, geistiger Souveränität und ironischer Distanz. Er musste sich in Bescheidenheit üben und seine materiellen Ansprüche reduzieren. Aber er hörte nie auf, einen friedlichen, intellektuell-subversiven Kampf gegen die Politik von oben zu führen – bis das autoritäre System schließlich kollabierte. Dieses Schicksal macht in der Tat Hoffnung.

1bis19, Buchrezension "Politische Angst"
Politische Angst – Warum wir uns kritisches Denken nicht verbieten lassen dürfen
v. Prof. Dr. Ulrich Teusch, Westend Verlag Frankfurt 2021, 160 Seiten, Klappenbroschur
1bis19 - Ulrich Teusch
@ privat
Prof. Dr. Ulrich Teusch, ist ein deutscher Politikwissenschaftler und freier Publizist. Er lehrt an der Universität Trier und ist Autor mehrerer Sachbücher. Als Hörfunkautor wurde ihm für sein SWR-Feature “Nicht schwindelfrei – Über Lügen in der Politik” 2013 der Roman- Herzog-Medienpreis verliehen. Seit 2016 betreibt er den politischen Blog augenaufunddurch.net sowie als Co-Herausgeber das Online-Magazin Multipolar.
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