Sachbuch: «Krankenhaus im Ausverkauf (2022)»

eine Rezension von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten

Während der Corona-Krise wurde zunehmend deutlich, dass sich das Gesundheitswesen ökonomischen Prinzipien unterordnet. Diese Entwicklung hat gravierende Folgen, schreibt der Facharzt Thomas Strohschneider in seinem neuen Buch – und schlägt Alarm.

In den Jahren 2020 und 2021 wurden in Deutschland mehr als 20 Kliniken ganz oder teilweise geschlossen, ausgerechnet in dem Zeitraum einer vermeintlichen Pandemie. Allerdings soll es sich um eine Entwicklung handeln, die vor mehreren Dekaden begonnen hat. Um sie und ihre Folgen geht es in dem kürzlich erschienen Buch «Krankenhaus im Ausverkauf» von Thomas Strohschneider, einem Facharzt für Allgemein- und Gefäßchirurgie. Darin beschreibt der Mediziner das, was er seit Jahren selber hautnah beobachtet: eine sich steigernde Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Krankenhäuser, so seine Hauptthese, sind zum Spekulationsobjekt international agierender, privater Klinikkonzerne geworden. Ihre Renditen erzielen sie größtenteils aus dem Solidarsystem. Die Verlierer sind vor allem Patienten, Ärzte und das Pflegepersonal.

Dass sich Krankenhäuser zunehmend als Wirtschaftsunternehmen verstehen, kreidet Strohschneider unter anderem der Politik an. Sie habe Fehlanreize geschaffen, so der Facharzt, in dessen Buch sich das Problem schnell ausmachen lässt – die Fallpauschale-Regelung, auch DRG-System genannt. Das Kürzel steht für Diagnosis Related Groups und bezeichnet ein pauschalisiertes Abrechnungsverfahren, mit dem Patienten als „Krankenhausfälle“ anhand medizinischer Daten bestimmten Gruppen zugeordnet werden. Was sich zunächst sehr vernünftig anhört, erweist sich schnell als Rohrkrepierer. Das System zwingt die Einrichtungen dazu, die Daseinsfürsorge ökonomischen Prinzipien unterzuordnen. Liegen bei einem Patienten gleichzeitig mehrere schwere und dringend behandlungsbedürftige Krankheiten vor, erfolgt die Abrechnung nur nach genau einer Hauptdiagnose. Alle anderen gesundheitlichen Gebrechen werden hingegen als Nebendiagnosen verbucht und lediglich als „erschwerend“ berücksichtigt.

Tricks und Kniffe

Um für die Versorgung des Patienten nicht mehr auszugeben als einzunehmen, müssen die Krankenhäuser teilweise sehr kreativ werden, ja am Ende kriminelle Energie aufwenden. Zu welchen Tricks sie greifen, weiß Strohschneider: Werden Patienten mit der gleichen Diagnose stationär aufgenommen, kommt es zu einer sogenannten Fallzusammenführung und zu einer Rechnungskürzung. Also behilft man sich mit einer neuen Hauptdiagnose. Auf diese Weise, beklagt der Autor, entferne sich die ärztliche Praxis von der Humanmedizin. Der Facharzt hat es am eigenen Leibe erlebt und schildert in seinem Buch unter anderem, wie sich diese Entwicklung auf seine und die Psyche anderer Kollegen auswirkt. Viele ringen jahrelang mit sich selbst, andere werfen schnell das Handtuch. Doch es gibt auch Ärzte, die sich mit der Zeit zu Betriebswirten mausern, so sehr brennen sich die ökonomischen Prinzipien in ihre Köpfe ein.

Dieser Effekt wirkt nur wenig überraschend, wenn man den Druck berücksichtigt, den die Geschäftsführung auf Ärzte ausübt. Bei monatlichen Einzelbesprechungen, dem sogenannten Jour fixe, dominierten ausschließlich Wirtschaftsthemen, schreibt Strohschneider. Solche Gespräche können schnell unangenehm werden: „Bei Nichterreichen von Erlöszielen werden die Schuldigen zunächst in der Ärzteschaft gesucht.“ Damit sich die Fehler nicht häufen, werde bereits im Bewerbungsverfahren darauf geachtet, welche Kurse, Fortbildungen oder Qualifikationen mit ökonomischer Ausrichtung ein Arzt vorweisen kann. Operationserfahrung spiele dabei eine eher untergeordnete Rolle. „Die idealistische Vorstellung des Arztes als Helfer des hilfesuchenden Patienten hat in diesem System nur noch wenig Raum“, so der Autor. „Aus ökonomischer Sicht gilt sie als vollkommen überholt und ineffizient. Die Folgen seien fatal: Der ganzheitliche Blick auf den Patienten gehe mehr und mehr verloren. Dieser verkomme zu einem Fall und werde oftmals auch so behandelt.

Das Gesundheitswesen als größter Industriezweig

Strohschneider schildert solche Zusammenhänge sehr anschaulich und sachlich, trotz großer Frustration, die zwischen den Zeilen durchschimmert. Seine Betroffenheit rührt aus vielen unangenehmen Erfahrungen, die er mit den Lesern gelegentlich anhand einiger Episoden aus seinem Berufsalltag teilt. Sie führen vor Augen, wie ungerecht das Gesundheitssystem heute ist. Zu den Leidtragenden gehören vor allem Kranke, Alte und sozial Schwache. Die Gewinner findet man in den Etagen riesiger Klinikkonzerne, hinter denen, wie der Autor betont, meist große Pharmafirmen stehen. Ihr Profitwahn kenne keine Grenzen, was nicht unbedingt verwunderlich ist. Mit Gesundheit lässt sich viel Geld verdienen. Hierzulande ist es der größte Industriezweig neben der Automobilindustrie; in keinem anderen Bereich gibt es so viele registrierte Lobbyisten. Sie treiben die Politik zu Entscheidungen, von denen nur die ganz großen Player profitieren.

Als einen besonders fatalen Trend bezeichnet Strohschneider die Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser. Wenn sie unrentabel werden, kommt es zur Schließung. Ein Teil des Polit-Establishments, so der Facharzt, habe nach marktwirtschaftlichen Kriterien beschlossen, dass nur die wirtschaftlich gesund arbeitenden Kliniken überleben sollen. Andere lasse man defizitär und schließlich insolvent werden. In solchen Fällen könnten die politischen Verantwortlichen immer ausreichend Argumente dafür finden, Kliniken zu schließen. In diesem Zusammenhang tritt im Buch auch der heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf. Dieser soll schon vor Corona über prophetische Gaben verfügt haben, wie seine Tweets verraten. Man könne in Deutschland jede zweite Klinik in Deutschland schließen, hieß es 2019. „Das mag manche Kritiker nicht verwundern“, so Strohschneider, „war er doch als Lobbyist von 2001 bis 2013 im Aufsichtsrat eines der größten börsennotierten Klinikkonzern-Unternehmen, den Röhn-Kliniken. Ein Konzern, der 2019 aus seinen Gesundheitsgeschäften 44,5 Millionen Euro Gewinn auswies.“

Strohschneiders Buch ist ein Erfahrungsbericht, in dem ein Destruktionsprozess im Gesundheitswesen nachgezeichnet wird. Der Autor verfolgt mit ihm das Ziel, Alarm zu schlagen, damit die Entwicklung eine positive Wendung nimmt. Um seine Argumente zu untermauern, zitiert er immer wieder den Medizinethiker Giovanni Maio, der bereits in seinem Buch «Geschäftsmodell Gesundheit» auf die Gefahren der gegenwärtigen Entwicklung hingewiesen hat. Der Markt schaffe die Heilkunst ab, lautet die Hauptthese. Wollen wir das, fragt Strohschneider in seinem Schlussteil rhetorisch „Ich denke, es ist höchste Zeit zur Reflexion, zur Umkehr und zur Neuorientierung.“

1bis19 Sachbuch: «Krankenhaus im Ausverkauf (2022)»
< Krankenhaus im Ausverkauf> von Thomas Strohschneider, 240 Seiten, Broschur, Westend Verlag, Frankfurt 2022
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