Von Eugen Zentner
Lesedauer 4 MinutenSeit Ausbruch der Corona-Krise im Frühling 2020 verfügt die Exekutive in Deutschland über mehr Machtbefugnisse, als ihr die Verfassung eigentlich zubilligt. Für sie ist die Notstandssituation praktisch. Man kann durchregieren, ohne dass die Maßnahmen vorher im Parlament diskutiert werden. Dementsprechend hart fallen sie aus. Eine Prüfung auf Verhältnismäßigkeit findet so gut wie gar nicht mehr statt, und die Alt-Parteien tragen diese Politik mit, selbst wenn sie aus der Opposition kommen. Kritische Stimmen sind rar gesät. Eine lautstarke Ausnahme ist der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki. Seit über einem Jahr meldet er sich immer wieder zu Wort und rügt die Exekutive für ihre Kompetenzüberschreitungen. Nun hat der Abgeordnete ein neues Buch vorgelegt, in dem seine Kritik gebündelt und näher ausgeführt wird.
«Die erdrückte Freiheit» lässt sich als eine Abrechnung mit der Politik während der Pandemiezeit verstehen. Kubicki geht mit den Entscheidungsträgern hart ins Gericht und wirft ihnen Versagen auf vielen Ebenen vor. Allerdings bezieht sich diese Kritik ausschließlich auf das Krisenmanagement. Zweifel an dem offiziellen Pandemie-Narrativ werden hingegen nicht geäußert. Kubicki setzt sich weder damit auseinander, ob das neuartige Virus tatsächlich so gefährlich ist, wie allgemein behauptet, noch stellt er Fragen zur Aussagekraft von PCR-Tests. Was ihn stört, ist der Umgang mit Grundrechten. Er tritt als Verteidiger der Verfassung auf und geriert sich als Verfechter der Freiheit, die – wie der Titel seines Buches andeutet – während der Corona-Krise stark gelitten hat.
Inhumanes und überholtes Grundgesetz?
Kubickis Auseinandersetzung mit den Grundrechtseinschränkungen erfolgt aus einer ausschließlich juristischen Perspektive. Seine Argumentation orientiert sich am Gesetz, das der Bundestagsabgeordnete heranzieht, um die „inakzeptablen Überschreitungen“ der Exekutive zu belegen. Dabei geht er in erster Linie auf die Funktion und Bedeutung der Grundrechte ein und erinnert daran, dass sie eigentlich Abwehrrechte gegenüber dem Staat darstellen. Wer sie einschränkt, muss das sehr gut begründen. Vor allem darf das nicht länger passieren, als unbedingt nötig. „Eine Verfassung darf man nicht ein- und ausschalten, wie es gerade passt“, lautet ein markanter Satz in dem Buch. Gegen diesen Grundsatz wurde jedoch verstoßen, findet Kubicki. Mit Erschrecken musste er feststellen, dass das Grundgesetz plötzlich als „inhuman und überholt“ galt.
Herrschte bis zum Frühjahr 2020 noch ein Bild des Staates vor, der seine Schutzpflichten, aber auch seine Grenzen kennt, etablierte sich ab diesem Zeitpunkt eine andere Auffassung: „Auf einmal glaubten viele, die Bundeskanzlerin könne im Rahmen des Bevölkerungsschutzes freihändig über die Zuteilung von gesellschaftlichen und individuellen Freiheiten verfügen. Der Staat müsse in der Pandemie völlige Handlungsfreiheit haben, um das Virus zu bekämpfen, so der Gedanke.“ Diese Wahrnehmungsverschiebung begründet Kubicki mit Angst, die die Regierung bewusst geschürt habe. Um diese These zu untermauern, bezieht er sich auf ein vom Robert Koch-Institut erstelltes Strategiepapier, das vorsah, den Menschen noch mehr Schrecken einzujagen, damit die harten Maßnahmen legitimiert werden konnten.
Versagen und Hetze des Leitmedien-Journalismus
Dass der Staat vor einer derartigen Manipulation nicht zurückschreckt, empfindet der FDP-Politiker als alarmierend. Für ihn zeigen sich darin erste Anzeichen, dass die Demokratie in schweres Fahrwasser gerate: „Staatliche Organe, die Folgsamkeit mit dem Mittel der Angst erzeugen wollen, repräsentieren keinen Staat der Freiheit mehr“, schreibt er freimütig. „Vielmehr haben sie den Boden des Autoritären betreten.“ Dieser Verdacht erhärte sich, wenn sowohl die Wissenschaft als auch die Leitmedien Schützenhilfe leisten. „Denn damit fallen wichtige Korrektivakteure einfach weg“, so Kubicki. Ein besonders schlechtes Zeugnis stellt er den Journalisten aus. Viele von ihnen hätten einer breiten Debatte entgegengewirkt, indem sie nicht nur die Alternativlosigkeit der Corona-Politik mittrugen, sondern Andersdenkende sogar ausgrenzten.
Als Beispiel wird die Diffamierungskampagne gegen die Schauspieler der Initiative #allesdichtmachen angeführt, die bitter feststellen mussten, „dass Solidarität manchmal nur eine Richtung kennt.“ Kubicki lehnt solche Exklusionspraktiken entschieden ab und greift auf Argumente zurück, die wie gewohnt juristisch grundiert sind. Deutschlands freiheitlicher Grundordnung sei ein Kollektivismus fremd, schreibt er: „Das Grundgesetzt hat sich sehr bewusst von der Idee einer – wie auch immer gearteten – «Volks»- oder «Schicksalsgemeinschaft distanziert» und den freien, mündigen Bürger an dessen Stelle gesetzt.“ Mit solchen Kommentaren beweist der Bundestagsvizepräsident seine ganze Expertise. Seine Ausführungen sind scharfsinnig und in sich schlüssig, zudem so verfasst, dass auch Laien die rechtlichen Sinnzusammenhänge problemlos nachvollziehen können.
Kubickis Prosa kommt ohne Fremdwörter und Fachbegriffe aus. Sie klingt nicht wie das typische Juristendeutsch, sondern besteht aus klaren, verständlichen Sätzen, die elegant formuliert sind, manchmal sogar mit sehr spitzer Feder. Besonders gerne richtet sich diese gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. An vielen Stellen erscheint der CSU-Hardliner als ein autoritärer Politiker, der sich weniger an der Verfassung orientiert als an den Möglichkeiten, Karriere zu machen. Nicht besser kommen Pandemie-Protagonisten wie Karl Lauterbach, Jens Spahn oder Angela Merkel weg. Ihre Verfehlungen stellt Kubicki gerne anhand von Episoden aus seinem Politikalltag dar oder mittels Aussagen, die in den Medien große Beachtung fanden.
Das unentschlossene Lavieren der Liberalen
Die Kritik an der Bundesregierung zieht sich durch das ganze Buch. Im vorletzten Kapitel geht der Autor sogar detailliert auf das «Staatsversagen» ein, indem er so heikle Punkte wie die Vernachlässigung von Alten und Jungen oder die Probleme bei der Beschaffung der Impfstoffe anspricht. Zu der zweifelhaften Wirksamkeit der Vakzine selbst sagt er nichts – genauso wenig wie zu den mittlerweile in großer Zahl registrierten Nebenwirkungen und Todesfällen. An solchen Stellen zeigen sich die Schwächen einer allein juristisch argumentierenden Analyse, die zwar richtig ist, aber sich weigert, bis zum Kern aller Probleme vorzudringen. Berücksichtigt man, dass die Impfstoffe eine Notfallzulassung erhalten haben, die wiederum mit einer «epidemischen Lage von nationaler Tragweite» begründet wird, erscheint die Verzögerung bei der Vakzinbeschaffung in einem ganz anderen Licht – zumal seit 2009 nicht mehr Todes- und Krankheitszahlen für eine Pandemie ausschlaggebend sind, sondern bloße Infektionsfälle, selbst wenn die Betroffenen keine Symptome zeigen.
Die Liste widersprüchlicher Annahmen, auf denen das offizielle Pandemie-Narrativ beruht, könnte man problemlos fortsetzen. Umso erstaunlicher ist es, dass Kubicki nicht in die Tiefe geht, um seiner Kritik Nachdruck zu verleihen. Dort ließen sich durchaus stärkere Argumente finden, warum die andauernden Grundrechtseinschränkungen als Verfassungsbruch zu bewerten sind. So wirkt seine Analyse wie eine Ablenkung vom Wesentlichen, auch wenn sie in ihrem begrenzten Rahmen zutreffend ist. Zudem stellt sich die Frage, warum Kubicki mit seinen Thesen zumindest seine eigene Partei nicht zu einer vehementeren Opposition bewegen konnte – zumal diese in mehreren Bundesländern mitregiert.