eine Rezension von Eugen Zentner
Lesedauer 5 MinutenDie Corona-Politik hat das soziale Gefüge durcheinandergebracht. Ihr Triebmotor war die Angst. Sie wurde gezielt eingesetzt, um Maßnahmen durchzubringen, die die Bürger unter normalen Verhältnissen niemals gebilligt hätten. Sie hat es auch zuwege gebracht, dass Menschen begannen, sich von ihren Familienmitgliedern, Bekannten und Freunden abzuwenden, nur weil sie vor dem Virus nicht die gleiche Angst verspürten oder die Corona-Impfung für nicht notwendig erachteten. Wie sind diese Vorgänge zu erklären? Eine Antwort darauf liefert der Psychoanalytiker und -therapeut Hans-Joachim Maaz1 in seinem neuen Buch. In «Angstgesellschaft» beschäftigt er sich mit der Psychodynamik hinter der Corona-Krise und seziert die Bedingungen, unter denen die Gesellschaft krankhafte Züge entwickeln konnte.
Was in den letzten zweieinhalb Jahren schiefgelaufen ist, benennt Maaz so deutlich wie eindrücklich, oftmals sogar in Auflistungen: Aufleben eines perfiden Denunziantentums, gesellschaftliche Spaltung, autoritäre Politik und schwindende Urteilskraft, die sich unterem darin zeigt, dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, eindeutige Widersprüche in den offiziellen Narrativen zu erkennen. Um diese Phänomene zu erklären, bemüht der Autor Begriffe aus der Massen-, Sozial- und Entwicklungspsychologie. Ganz vorne rangiert der der „Normopathie“. Maaz versteht darunter, eine „pathologische Gesellschaftsentwicklung, in der das Gestörte, das Falsche für normal gehalten wird, weil die Gesellschaft von einer Mehrheit der Frühentfremdeten gestaltet wird.“ Mit dieser Definition führt der Psychoanalytiker einen weiteren Begriff ein, der für sein Buch von zentraler Bedeutung ist.
Frühtraumatisierung in der Kindheit
Unter Frühentfremdung ist eine Traumatisierung in der frühen Kindheit zu verstehen. Sie führt nicht nur dazu, dass das Kind sich von den Eltern emotional wie praktisch extrem abhängig macht, sondern auch den Druck verspürt, seine wirklichen Gefühle zu unterdrücken und sich von seinem wahren Selbst zu entfernen. Das wiederum führe zum Gefühlsstau, ein ebenfalls wichtiges Konzept, nach dem schon Maaz’ letztes Buch benannt ist. Um ihn abzubauen, bedürfe es einer Aufarbeitung der Frühtraumatisierung. Geschehe das nicht, müsse der Gefühlsstau immer wieder kompensiert werden. Allerdings gibt es nach Maaz unterschiedliche Frühtraumatisierungen, die er in Kategorien wie diese einordnet: Mutterbedrohung, Muttervergiftung, Muttermangel oder Vaterflucht und Vatererpressung. Auf diese Weise baut der Autor zunächst seinen analytischen Werkzeugkasten auf, um anschließend aufzuzeigen, warum ein so großer Teil der Bevölkerung sich von der Angst leiten ließ und den degenerierten Zustand als Normalität betrachtete.
Angst-Herrschaft
Je nach Frühtraumatisierung, so eine der Thesen, haben die Menschen unterschiedlich auf die staatlichen Corona-Maßnahmen und auf den Druck zur Impfung reagiert. „In Krisenzeiten“, so Maaz, „verlieren die individuellen Lebensformen ihre kompensierende Bedeutung und fokussieren sich auf Führung und Rettung. Die Normopathen werden dann zum mehrheitlichen Heer der Mitläufer, und der Schritt zum Mittäter für falsches, verlogenes bis verbrecherisches Handeln in der Gefolgschaft und im Dienste der Herrschaft ist nur noch sehr klein.“ Das Falsche solle mit noch mehr Falschem betäubt werden. „In diesem Zustand befindet sich die Pandemie-Angstgesellschaft.“ Zu einer solchen gehöre aber auch eine „Angst-Herrschaft“. Sie sei der erfolgreichste Weg, um politisch-ökonomische Ziele auf undemokratischen Wegen zu erreichen: „Ängste machen die Perspektive eng und die freie Wahrnehmung unfrei, sie lassen ihre Opfer für Maßnahmen einer Gesundheits-Diktatur empfänglich werden.“
Das Perfide an der Angst-Herrschaft, beschreibt Maaz, bestehe darin, dass sie auf ganz persönliche Lebensängste abziele und diese missbrauche, um eine „Neue Normalität“ unter Auflösung der bisherigen demokratischen Strukturen zu etablieren. Hierbei erfolge ein Rückgriff auf massenpsychologisches Wissen, das den Prozess beschleunigt. Denn eine irgendwie verbundene Gruppe von Menschen, wie schon Gustave Le Bon herausgearbeitet hat, denkt, fühlt und handelt anders, als es der Einzelne tun würde. Die Reaktion von Menschen in der Masse ist unkritisch, unlogisch, ist suggestibel bis hypnotisch und leicht manipulierbar. Insofern beschreibt Maaz’ Buch das Zusammenspiel von Angstherrschaft und massenhypnotischer Unterwerfungsbereitschaft, die ihre Ursprünge in der frühkindlichen Traumatisierung hat.
Ob diese Thesen überzeugen, müssen die Leser selbst entscheiden. Anregend wirkt die Lektüre allemal, vor allem deswegen, weil «Angstgesellschaft» einer der wenigen Versuche ist, die Corona-Krise und ihre Hintergründe psychologisch unter die Lupe zu nehmen. Maaz bemüht sich zudem um eine verständliche Sprache, obwohl es der Gegenstand, wie an manchen Stellen durchscheint, nicht immer möglich macht. Als besonders interessant erweisen sich die vielen Kategorisierungen und Persönlichkeitstypen, die der Autor jeweils mit einer kurzen Charakterisierung einführt. Sie regen zum Nachdenken darüber an, inwiefern die vorgestellten Eigenschaften auf Menschen zutreffen, die im eigenen Umfeld die Maßnahmen befürworteten und sich für die Corona-Politik einspannen ließen. Sie verleiten aber auch dazu, den Blick auf sich selbst zu richten und die eigene Persönlichkeitsstruktur samt der Vorgeschichte zu analysieren.
Von der Demokratie zur normopathischen Diktatur
Wer Maaz’ Buch liest, wird quasi dazu verleitet, sich nicht nur noch einmal mit der Corona-Krise auseinanderzusetzen, sondern auch mit sich selbst und der Spezies Mensch. Wozu ist er in Krisenzeiten in der Lage? Welche Faktoren machen ihn zu einem gefährlichen Wesen? Welchen Schaden richtet er für das Gemeinwesen an? Wie kann er ihn abwenden? Das sind die Fragen, auf die der Autor in seinem Buch eine Antwort liefert. Als größte Gefahr sieht er manipulativ hervorgebrachten Übergang zu einer Regierungsform, die totalitäre Züge trägt: „Auch eine Demokratie kann zu einer normopathischen Diktatur einer Mehrheit über Minderheiten werden, wenn durch eine Angst-Herrschaft den Selbstentfremdeten eine illusionäre Rettung ständig suggeriert wird.“
Die Vorgänge in der Corona-Krise deuten für Maaz in diese Richtung. Er vermutet, dass dahinter ein politisch-ökonomischer Plan stecke – und erläutert es erneut in der Sprach eines Psychoanalytikers: „Ich bin der Überzeugung, dass Normopathie und Plan zusammengefunden haben. Die zugespitzt abnorme Normopathie entwickelt den Plan einer globalen, digitalen, totalitären Herrschaft. Diese sich entwickelnde demokratielose Herrschaft verstärkt die krankheitswertigen Grundlagen der Normopathie.“ Es sei nämlich ein Leichtes, ein angstvoll-verunsichertes Volk unter Kontrolle zu halten. Dafür müsse man lediglich eine Pandemie erfinden, mit der ein unsichtbarer Feind die Ängste steigert. Die wiederum lähme das Denken, befördere Abhängigkeit und intensiviere den Wunsch nach Rettung und Erlösung: „Die Angstprojektion auf ein Virus sammelt alle frühen Ängste auf.“
Doch Maaz verliert sich nicht nur im Pessimismus, sondern zeigt auch einen Ausweg auf. Seiner Meinung nach könne die Demokratie gerettet und weiterentwickelt werden. Allerdings gelinge das nur, wenn „jeder von uns bemüht ist, seine Frühängste zu begreifen und den Gefühlsstau abzutragen.“ Als erfolgsversprechend erweise sich eine Lebensform, die der Autor als 3. Weg bezeichnet. Dieser eröffne Handlungsoptionen, die alle Menschen zu jeder Zeit in eigener Verantwortung prüfen können: Anpassung, Widerstand, Subversivität, Rückzug, Gemeinschaft. Welche dieser Handlungsoptionen die beste ist, müsse jeder in der jeweiligen Lebensphase entscheiden. „Gesund und lebendig ist derjenige“, gibt Maaz den Lesern auf den Weg, „der zwischen allen Optionen ständig hin und her ‚switchen‘ kann, je nach Situation, Belastung und Gefahr, und der seine Option jederzeit verändern kann.“
1Dr. med. Hans-Joachim Maaz ist Psychoanalytiker, Psychotherapeut und Psychiater. Er leitet die Stiftung Beziehungskultur. Bekannt geworden ist er unter anderem durch seine Bestseller „Der Gefühlsstau“ und „Das gespaltene Land“. Das Thema Angst und Gesellschaft beschäftigt ihn seit Jahren. Die Zuspitzung der Situation in der Corona-Krise hat er früh in dem Band „Corona – Angst. Was mit unserer Psyche geschieht“ analysiert.