Recht verdreht

Ein Kommentar von RA StB Christian Moser

Lesedauer 5 Minuten
Auch ein Totentanz (1848) - Alfred Rethel
Auch ein Totentanz (1848) – Alfred Rethel

Rechtsverdreher“ nennt man landläufig gerne uns Anwälte. Um so staunender beobachte ich derzeit als Anwalt die Große Strafkammer des Landgerichtes Bochum, die seit einem halben Jahr über den Arzt Heinrich Habig zu Gericht sitzt, der bereits seit über einem ganzen Jahr in Haft verweilt, weil man ihm vorwirft, falsche „Impf“-Bescheinigungen ausgestellt zu haben.

Das Thema an sich ist politisch und medizinisch hochbrisant, aber das ist nicht der Grund, der mich staunen lässt. Was mich immer wieder aufs Neue überrascht, ist die Unbekümmertheit, mit der das Gericht sich über materielles Recht und Prozessrecht hinwegsetzt.

Untersuchungshaft ohne Haftgrund

Heinrich Habigs Praxis wurde im Januar 2022 durchsucht. Er war von einer Proktologin denunziert worden, die bei einem Friseurtermin aufgeschnappt hatte, dass er falsche Impfbescheinigungen ausstelle. Bei der Durchsuchung wurden Daten für bis zu 6.800 Fälle sichergestellt. Im Mai 2022 wurde Heinrich Habig dann in Untersuchungshaft genommen.

Für eine Untersuchungshaft ist sowohl ein entsprechend schwerer Tatvorwurf erforderlich, als auch Fluchtgefahr.

Die Schwere der Tat wurde deshalb angenommen, weil man ihm Gewerblichkeit vorwarf. Gewerblichkeit heißt, dass er sich durch die Tat eine fortgesetzte Einnahmequelle erheblichen Ausmaßes verschafft haben müsse. Vereinfacht gesagt, hätte Habig, um gewerblich zu handeln, die Tat begangen haben müssen, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Tatsächlich war es aber so, dass er nur freiwillige Leistungen annahm und ein riesiges Verlustgeschäft machte. Sein wahrer Antrieb war ganz offensichtlich, den Menschen, die sich unter Druck fühlten, eine Gen-Therapie über sich ergehen zu lassen, die sie und er für gefährlich hielten, aus dieser Not zu befreien.

Habig handelte gemäß der Berufsordnung

Völlig unabhängig davon, ob man seine Sichtweise teilt, war seine Motivationslage nicht eine Bereicherungsabsicht, sondern Hilfswille. Mehr noch, sein Handeln entsprach der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Die Berufsordnungen der deutschen Ärztekammern sind im Wesentlichen gleichlautend. In deren Paragraphen 2 regeln sie ausdrücklich, dass im Falle des Konfliktes zwischen der ärztlichen Kunst und dem ärztlichen Ethos einerseits und Gesetzen oder Anordnungen des Staates andererseits immer ärztliche Kunst und ärztlicher Ethos den Vorrang haben.

Es wäre daher vertretbar, den Tatvorwurf als nicht einmal tatbestandlich zu betrachten, denn hierzu ist die Verletzung der Sorgfaltspflicht erforderlich, die gerade nicht gegeben ist, wenn der Arzt ausdrücklich nach seiner Berufspflicht handelte, die nichts anderes ist, als die normierte Sorgfaltspflicht der Ärzte vor der Rechtsordnung. In dubio pro reo, also im Zweifel für den Angeklagten, wäre Habig aus diesem Rechtsgrunde bereits freizusprechen.

Immerhin, nach einem halben Jahr Verhandlung und über einem Jahr Untersuchungshaft ist mittlerweile auch das Gericht stillschweigend der Überzeugung, dass jedenfalls keine Gewerblichkeit vorliege. Freilich wurde Habig dennoch nicht entlassen, sondern verurteilt und das in einer haarsträubenden Weise.

Anklage war unzulässig

Zunächst einmal stand die Staatsanwaltschaft Ende des Jahres 2021 vor dem Problem, dass die normalerweise auf ein halbes Jahr begrenzte Untersuchungshaft schon überlange dauerte und nicht mehr zu rechtfertigen war.

Um Habig dennoch in Haft behalten zu können, fertigte die Staatsanwaltschaft vorschnell eine Anklageschrift über 600 der 6.800 Fälle. Diese Anklageschrift wurde von dem Landgericht zugelassen, obwohl sie unzulässig war. Nach der Strafprozessordnung sind Taten im prozessualen Sinne als Ganzes zu behandeln und dürfen nicht aufgeteilt werden.

Eine Tat im prozessualen Sinne ist ein gesamter Geschehensablauf, der bei verständiger Betrachtung als Einheit anzusehen ist und von einem umfassenden Tatentschluss getragen wird. Heinrich Habig wollte dem Vorwurf entsprechend seinen Patienten helfen, die alle dasselbe Problem hatten, nämlich dem Impfzwang ausgesetzt zu sein. Die auf die einzelnen Patienten bezogenen Handlungen sind daher nur Einzelausführungen dieses gesamten Tatentschlusses zur Hilfeleistung und damit eine Tat im prozessualen Sinne.

Die Staatsanwaltschaft hätte also alle 6.800 Fälle ausermitteln müssen, ehe sie Anklage hätte erheben dürfen. Hiervon ist sie auch heute noch weit entfernt.

Da die Anklage bezüglich 600 Einzeltaten nun anhängig ist, führt die etwaige Aburteilung dieser 600 Einzeltaten dazu, dass die verbleibenden 6.200 Einzeltaten dem sogenannten Strafklageverbrauch unterliegen. Da niemand in derselben Sache zweimal angeklagt werden darf und mit derselben Sache die Tat im prozessualen Sinne gemeint ist, führt eine Aburteilung der 600 Fälle dazu, dass die Staatsanwaltschaft sich wegen Strafvereitelung bezüglich der übrigen 6.200 Einzelfälle strafbar macht. Dasselbe gilt natürlich für das Gericht, das dieses Spiel mitspielt.

Unzulässiges Teilurteil

Nun, da ein weiteres halbes Jahr vergangen ist, sahen sich Staatsanwaltschaft und Gericht erneut unter Zugzwang und trennten 207 bereits verhandelte Einzeltaten von den 600 angeklagten Taten ab. Das Gericht erließ nun über diese 207 Einzeltaten ein „Teilurteil“.

Die Strafprozessordnung sieht grundsätzlich keine Teilurteile vor. Das hat der Bundesgerichtshof bereits ausdrücklich entschieden und lässt sich aufgrund des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Tat im prozessualen Sinne auch leicht nachvollziehen.

Dem Landgericht Bochum ist dies völlig egal. Es verurteilte Heinrich Habig wegen der 207 Taten zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft ohne Bewährung. Das Urteil ist sofort vollstreckbar, so dass Habig nun offiziell nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in Strafhaft sitzt. Gericht und Staatsanwaltschaft wähnen sich nun aus dem Schneider.

Trotzdem kommt aber auch das Landgericht Bochum nicht um die Erkenntnis herum, dass am Ende eine Gesamtstrafe aus allen zu verhandelnden Taten gebildet werden muss, so dass der Strafausspruch gar nicht endgültig sein kann. Trotzdem wird er schon vollstreckt.

Strafvereitelung im Amt

Nachdem nun 207 Einzeltaten abgeurteilt worden sind, tritt der besagte Strafklageverbrauch für die übrigen 6.593 Taten ein – wenn es denn insgesamt genau 6.800 wären. Staatsanwaltschaft und Gericht haben sich insoweit eindeutig wegen Strafvereitelung im Amt strafbar gemacht – jedenfalls wenn man das Handeln des Arztes als tatbestandlich, rechtswidrig und schuldhaft, folglich strafbar ansehen möchte und wenn zu erwarten wäre, daß das Gericht sich an den Strafklageverbrauch der übrigen Tagen halten werde. Das wird es aber gewiß nicht, denn der Strafklageverbrauch interessiert das Landgericht und die Staatsanwaltschaft Bochum genauso wenig wie die Unzulässigkeit des Teilurteiles, und deshalb geht die Verhandlung wegen der weiteren 400 Taten unbeirrt weiter.

Das Gericht weigert sich beständig, Beweis über die Frage zu erheben, ob die Gen-Behandlung schädlich war und welche Schäden drohten. Hierzu hatte die Verteidigung Sachverständigen-Beweis beantragt, den das Gericht jedoch ablehnte mit der Begründung, dass es nicht zulässig sei, bestimmte Sachverständige vorzuschlagen. Unnötig zu erwähnen, dass diese Begründung abwegig ist.

Statt nun wenigstens eigene Vorschläge zu machen und von sich aus Sachverständige zu bestimmen, weil die Beweisfrage ja weiterhin im Raume steht, beließ es das Gericht aber bei der schlichten Ablehnung des Antrages und erhebt über diese Frage überhaupt keinen Beweis.

Nothilfe wird nicht geprüft

Die Beweisfrage ist aber deshalb erheblich, weil die Schädlichkeit der Gen-Behandlung, zugleich auch ihre ebenfalls unter Beweisantritt gestellte Nicht-Wirksamkeit hinsichtlich der Ansteckungs-Vermeidung dazu führen, dass Habig aus dem Gesichtspunkte der Nothilfe gerechtfertigt war.

Wegen Nothilfe gerechtfertigt ist, wer einem anderen Hilfe leistet, der sich einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff gegenübersieht.

Die Patienten standen aufgrund der staatlich initiierten Impfkampagne und insbesondere der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unter dem Druck, sich einer Gen-Behandlung zu unterziehen, die nachweislich nicht eine Ansteckung verhinderte, dafür aber diverse schwerste Gesundheitsrisiken mit sich brachte.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, in der staatlichen Impfkampagne, die über die Arbeitgeber, Krankenhäuser, Supermärkte, Vergnügungsstätten etc. weitervermittelt wurde, einen Angriff auf die körperliche Unversehrtheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die Menschenwürde der Patienten zu sehen. Der Angriff war auch gegenwärtig, denn er dauerte so lange an, wie die Impfkampagne fortgeführt wurde. Er war seinerseits rechtswidrig, weil der Schutzzweck dieses Zwanges nicht erfüllt wurde, gleichzeitig aber die bekannten Risiken schwerster gesundheitlicher Schädigungen drohten.

Die Ausstellung falscher „Impf“-Zertifikate war als Hilfeleistung erforderlich, weil nur so der auf den Patienten lastende Druck beseitigt werden konnte und sie davor bewahrt wurden, die Gen-Behandlung vornehmen zu lassen und dadurch irreversible Schäden zu erleiden. Umgekehrt hatten die Patienten den drohenden Verlust ihrer Existenzgrundlagen nicht hinzunehmen, denn dem stand mangels Schutzwirkung der Gen-Behandlung kein legitimes Interesse der Allgemeinheit gegenüber.

Habig stellte die Rechtsordnung wieder her

Dass Habig mit seiner Hilfe gegen ein Gesetz verstieß, ist unschädlich, weil die Gefahr von eben jener Gesetzeslage, also vom Gesetzgeber herrührte. Ganz wie es die Nothilfe vorsieht, richtete sich die Hilfsmaßnahme damit direkt gegen den Angreifer. Tatsächlich richtete sich die Hilfe des Arztes Habig nicht gegen die Rechtsordnung, sondern stellte sie wieder her, da die Strafnormen, gegen die er verstieß, ihrerseits rechtswidrig, nämlich grundgesetzwidrig waren.

Die Staatsanwaltschaft wirft Habig indessen eine “rechtsfeindliche Gesinnung” vor. Das Gericht lehnte die Annahme einer Nothilfe mit der lapidaren Begründung ab, dass Nothilfe gegenüber Gesetzen grundsätzlich unmöglich sei. Das ist sehr bemerkenswert, wenn man einmal in die Geschichte blickt.

Am Ende wird man gespannt sein dürfen, welches Urteil die Geschichte dereinst über die Urteile dieses Landgerichtes fällen wird. Ich fürchte, es wird ebenso wenig milde sein, wie das Landgericht sich derzeit dem Arzt und seinen Patienten gegenüber stellt.

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2 Kommentare

  1. Meine Erwartung wäre nun, dass Herr RA StB Christian Moser nach Kenntnis der Strafvereitelung im Amt die Beteiligten anzeigt! Ist das schon geschehen, oder wenn nicht, ist es dann beabsichtigt?

    Auf folgender Webseite wird gezeigt, wie man einem Bußgeld wegen Verstoßes gegen Corona-Maßnahmen erfolgreich entgegentreten kann. Ganz ohne Anwalt und Kosten. In sieben dokumentierten Fällen war es bereits erfolgreich. Wahrscheinlich in vielen Fällen mehr, weil die Vorgehensweise inklusive Beweisanträgen etc. auf der Webseite veröffentlicht sind!

    https://www.wissen-neu-gedacht.de/gerichtsprozess-die-next-level-Strategie

  2. Nachtrag:

    Nun müsste vom Rechtsanwalt und seinen Beratern des Herrn Dr. Habig mal geprüft werden, ob – und – inwieweit diese Vorgehensweise im Bußgeldverfahren auf das Verfahren des Herrn Dr. Habig angewendet werden könnte.

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