Nichts wie weg

Wenn Kulturschaffende einem Land den Rücken zukehren

Ein Beitrag von Eugen Zentner

Lesedauer 5 Minuten
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Seit Beginn der Corona-Politik haben es die Kulturschaffenden schwer. Lange Zeit mussten sie praktisch mit einem Berufsverbot leben. Ihnen entgingen Einnahmen in beträchtlicher Höhe, weshalb nicht wenige noch immer unter Existenzängsten leiden. Dass Kulturveranstaltungen wieder stattfinden dürfen, ändert an dieser Situation nur wenig. Es gelten zum Teil strenge Vorschriften. Hygiene- und unterschiedliche G-Regeln schränken die Tätigkeit deutlich ein, vor allem für Kulturschaffende, die sich gegen eine Impfung aussprechen. Ihnen droht nicht nur ein langfristiges Berufsverbot, sondern auch gesellschaftliche Ächtung. Sie werden angefeindet und diffamiert, ausgeladen und abgedrängt.

Bedingungen, die schaden

Diese unwirtlichen Bedingungen tragen dazu bei, dass Kulturschaffende beginnen das Land zu verlassen. Zu ihnen gehört der Theaterpädagoge und Märchenerzähler Frederik Finn. Zwischen 2005 und 2020 trat der 44-Jährige freiberuflich mit einem Programm auf, das eine Mischung aus Literatur und Musik bot. Er erzählte traditionelle Märchen für alle Altersgruppen – immer frei und auf das jeweilige Publikum abgestimmt. Seine Auftritte absolvierte er an unterschiedlichen Orten, auf Gartenpartys und in Kirchen, auf Firmenfesten und in den Schulen, in Kindergärten und Seniorenheimen, in Museen und Bibliotheken.
Ein abruptes Ende nahm diese Tätigkeit, als die Bundesregierung im März 2020 die Corona-Maßnahmen verhängte. „Ich habe faktisch ein Berufsverbot erhalten“, sagt Finn. Seitdem empfindet er die Lebensumstände als unerträglich. „Veranstaltungen sind nur noch unter Bedingungen erlaubt, die dem Publikum und den Künstlern schaden“, beklagt er sich.
Anfang dieses Jahres hat er den Saint Grail Verlag übernommen, der unter anderem die Zeitschrift «Jugend – die Neue» herausgibt. Das sei die einzige Möglichkeit gewesen, trotz Corona-Maßnahmen kulturell tätig sein zu können.
So sehr ihn diese Aufgabe erfüllt, so wenig ändert sie an der gesellschaftlichen Atmosphäre, die durch Spannungen gekennzeichnet ist. „Es tut mir weh, meine Heimat so zu sehen“, sagt Finn. Im September ist der Märchenerzähler aus seiner Heimatstadt Bad Reichenhall zu einem Freund auf einen Bauernhof in Oberösterreich gezogen. Deutschlands Nachbarland ist ihm gut bekannt. Finn hat dort studiert und hat noch viele Kontakte.
Ob ihm der Wiedereinstieg in seinen Beruf gelingt, wird sich zeigen. In der Anfangszeit hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, will später aber den Versuch unternehmen, in der österreichischen Kulturszene Fuß zu fassen. „Ich habe die freie Kunst- und Kulturszene immer als sehr lebendig und experimentierfreudig empfunden – gerade die Kleinkunst. Hier könnte es wieder eine Nische geben.“

Hochgefährliches Singen

Bessere Perspektiven im Ausland sieht auch das Künstlerduo Sago. Isabel Katharina Sandig und Ralf Gottesleben planen noch in diesem Jahr den Umzug nach Dänemark, wo sie in der Kommune Sønderborg einen Hof erworben haben. Bis März 2020 betrieb das Paar erfolgreich ein kleines Hinterhoftheater in Essen. Ihre Chansonprogramme und künstlerischen Angebote waren vielseitig und umfassten unterschiedliche Genres: Szenische Lesungen, literarisch-poetische Abende als auch Theaterstücke und musikalische Programme, oft mit kabarettistischen Einlagen. So entwickelte sich das Sago-Hinterhoftheater zu einer Begegnungsstätte, in der auch viele neue Ideen entstanden.
Wie in vielen Kultureinrichtungen konnte auch im «Sago» seitdem keine künstlerische Darbietung mehr stattfinden, da die Corona-Politik das Zusammenkommen in Räumen untersagte und selbst Singen als hochgefährlich einstufte und verbot. Seitdem ist das Hinterhoftheater geschlossen. Eine Wiedereröffnung unter den neuen Hygieneregeln und 3-G-Vorschriften kommt für das Künstlerpaar nicht in Frage. Die teils willkürlichen und irrationalen Vorgaben des Staates entsprechen nicht ihrem Verständnis von Kunstfreiheit und liberaler Demokratie.
In Dänemark sieht das Paar für sich günstigere Bedingungen. 2004 hatte das Duo mit dem Übersetzer zusammen den in Skandinavien hochgeschätzten Kulturpreis des Kaj Munk Mindefonds Kopenhagen erhalten. Daran wollen Isabel und Ralf in Zukunft anschließen.
In Dänemark wollen sie zunächst den erworbenen Hof sanieren und dann einen Teil davon zu einer dänisch-deutschen Begegnungsstätte machen – mit Bühne, Workshops und Diskussionsabenden. Die «Sagos» wollen an ihrem Konzept festhalten, aber das Programm etwas internationalisieren. Isabel singt schon immer gerne französische Chansons. In Zukunft würde auch Liedgut in dänischer und englischer Sprache hinzukommen. Schließlich sprächen im Grenzgebiet viele Dänen Deutsch, was den Einstieg erheblich erleichtere. Doch die «Sagos» wollen natürlich auch die dänische Sprache erlernen.

Nur Ungewissheit und Unsicherheit

Attraktivere Aussichten locken auch den Düsseldorfer Gitarristen André Krengel ins Ausland. Der Musiker hat sich erst kürzlich wieder in den US-Bundesstaat Florida begeben, wo es so gut wie keine Corona-Maßnahmen gibt. Anders als in Deutschland kann Krengel in Florida unter Bedingungen auftreten, wie man sie aus der Zeit vor Corona kennt. Wenn er auf seinem Instrument spielt, sitzt vor ihm ein fröhliches, unvermummtes Publikum. Den Zutritt bekommen alle Kulturinteressierten, unabhängig davon, ob sie geimpft sind oder nicht.
Krengel spielt nicht nur in Jazz-Clubs oder Gastronomiebetrieben, sondern arbeitet auch gemeinsam mit Jeanine MacAdams Nesbit und Marylin Maingart an einem Crossover-Projekt, das ab 2022 innerhalb der USA auf Tournee gehen soll. Das Engagement erhielt der gebürtige Rheinländer bereits im Frühling dieses Jahres, als er schon einmal mehrere Monate in Florida verbrachte. Die Gründe waren damals die gleichen wie heute. Während in Deutschland die vielen Corona-Einschränkungen die beruflichen Chancen von Kulturschaffenden schmälern, lässt sich in Florida noch Geld verdienen. Und Krengel kann es gut gebrauchen. 2020 sollte er eigentlich auf Schottland-Tournee gehen und mehrere Konzerte in Kanada und Indien spielen. Mit den Corona-Maßnahmen wurden alle Auftritte abgesagt. Als die Regierung im Spätherbst den zweiten Lockdown verhängte, verlor der Gitarrist die Hoffnung, seinem Beruf demnächst wieder nachgehen zu können.
Seine Stimmung war auf dem Tiefpunkt, verbesserte sich aber, als er in Nordamerika nach neuen Möglichkeiten zu suchen begann. Nach nur wenigen Tagen kamen die ersten Gigs und Gagen. Später lernte er einen Agenten kennen, der ihm weitere Engagements vermittelte. Weil aber Krengel zu Hause in Düsseldorf weiterhin eine Wohnung mietet und seinen Papagei Rocco versorgen muss, kehrte er im Sommer zurück. Doch die beruflichen Bedingungen blieben hier weiterhin prekär. Außer ein paar Hinterhof- und Wohnzimmerkonzerten kamen kaum Auftritte zustande.
Der Winter rückt nun immer näher – und mit ihm die Furcht vor einem erneuten Lockdown. „Bevor ich wieder in eine solche Situation gerate wie im letzten Jahr, fliege ich lieber zurück nach Florida“, sagt der Musiker „Dort warten auf mich Auftritte, hier nur Ungewissheit und Unsicherheit.“ Seine Tournee wurde in diesem Jahr erneut abgesagt. Ob sie 2022 stattfinden kann, steht unter einem großen Fragezeichen. Doch damit will sich der Gitarrist nicht mehr beschäftigen. Er konzentriert sich ganz auf seine Arbeit in den USA.

Wenn Youtube die Songs löscht

Die gleiche Strategie verfolgt der Kölner Liedermacher Alex Olivari. Der 54-Jährige pendelt zwischen Deutschland und Kroatien, wo er nicht nur seine Wurzeln, sondern mittlerweile auch ein Haus hat. Wie alle Maßnahmenkritiker stört sich der Musiker an der Bevormundung des Staates. Anstatt auf Selbstbestimmung zu setzen, greift dieser immer tiefer in das Leben der Bürger ein und beschneidet deren Freiheiten. Darüber hat Olivari schon mehr als einmal gesungen. Seit Frühjahr 2020 sind zehn Songs entstanden, in denen er mit der Corona-Politik hart ins Gericht geht.
Dafür musste der Musiker viel einstecken. Er wurde angefeindet und diffamiert. Berufliche Nachteile erlitt er gleich nach den ersten kritischen Songs, die „Semmel Concerts“ zum Anlass nahm, das gemeinsame Arbeitsverhältnis zu beenden. Bis zu diesem Zeitpunkt war Olivari dort als Bandleader und Musical Director engagiert. Weil seine politische Haltung aber nicht mit der des Entertainment-Unternehmens übereinstimmt, musste er gehen. Seitdem produziert er eigenständig Songs mit meist kritischen Inhalten und ist auf die Unterstützung seiner Fans angewiesen.
Anders als die zuvor genannten Kulturschaffenden hat Olivari zusätzlich mit Zensur zu kämpfen. In den letzten Monaten wurden drei seiner Songs auf YouTube gelöscht. Als der Musiker Beschwerde eingelegt hatte, ließ die Video-Plattform die drei Lieder wieder freischalten. „Sie wollen uns Kritiker mürbe machen“, sagt er. Gleiches gelte für die immer neuen Beschränkungen, die Ungeimpfte erleiden müssen.
Weil die Stimmung in Deutschland ihm unerträglich erscheint, hält er sich sein Haus in Kroatien als Zufluchtsort offen. Die wenigen Wochen und Monate an der Adria reichen aus, um den Kopf frei zu bekommen. „Entspannte Menschen, gutes Essen, toller Wein, das Meer – all das wirkt wie Balsam“, so Olivari. „Unter diesen Bedingungen finde ich die nötige Kreativität.“
Ob gesellschaftliches Klima, Auftrittsbeschränkungen oder Zensur – viele Kulturschaffenden fühlen sich in Deutschland nicht mehr wohl und suchen im Ausland nach neuen Möglichkeiten. Das einstige Land der Dichter und Denker vergrault kreative Köpfe. Das sollte nicht nur der Politik zu denken geben, sondern auch jenen, die sich an den vielzähligen Diffamierungskampagnen gegen Maßnahmenkritiker beteiligen. Woher sollen Ideen und Impulse kommen, die eine Gesellschaft braucht, um fortschrittlich, integer und schöpferisch zu sein?

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