Biodeutsch als Monopol für Unwort-Experten
von Katja Leyhausen
Lesedauer 10 Minuten
Unwörter und Vorurteile
Januar ist Unwort-Zeit – wie überhaupt das ganze Jahr: Die Aktion Unwort des Jahres hat im Januar rückblickend für 2024 ein weiteres Mal ein Wort auf den ersten Platz ihrer Liste gewählt, das, wie viele andere Unwörter die Jahre zuvor, ihrer Ansicht nach als diskriminierend zu gelten hat. Aufgegriffen wurde dieses Mal das Adjektiv biodeutsch (oft auch als Substantiv: die Biodeutschen). Der Jury zufolge wird es benutzt, „um Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren“, was „gegen die Idee von demokratischer Gleichheit und Inklusion“ verstoße („verstößt“) „und eine Privilegierung […] gegenüber Gruppen“ darstelle, „die aus dem rassistischen Konstrukt der vermeintlichen Biodeutschen ausgeschlossen“ würden. Biodeutsch in dieser Verwendung sei „eine Form von Alltagsrassismus.“
Man muss das Wort biodeutsch im Alltag bisher noch gar nicht verwendet haben, um der Entscheidung der Unwort-Experten mit Skepsis zu begegnen: Denn wer mit biodeutsch durch wen diskriminiert und ausgeschlossen, wer privilegiert oder doch einfach nur bespöttelt wird, sich vielleicht selbst bespöttelt, ist nicht so leicht zu sagen. Was mit dem Wort vollzogen wird, das ist perspektivisches Sprechen und ändert sich je nach Standort und Perspektive desjenigen, der es benutzt. Der Online-Duden erklärt biodeutsch immerhin nicht als rassistisch, sondern als „meist ironisch abwertend“. Der kommunikative und auch politische Sinn von Ironie ist es aber, im gesellschaftlichen Dialog einmal die Perspektive zu wechseln, um die eigenen Vorurteile von der anderen Seite zu betrachten. Der Unwort-Jury hätte ein Perspektivenwechsel gutgetan. Ihr Umgang mit dem ironischen Wort zeigt: Vorurteile „vor dem Hintergrund vermeintlich[er] […] Kriterien“ bedienen nicht nur die, die biodeutsch sagen. Die Unwort-Experten meinen, gegen Rassismus zu kämpfen, der als Vorurteil im Alltag mächtig wäre. Doch sie aktivieren nur ihre eigenen Vorurteile über den gesellschaftlichen Alltag.
Mediale Skandalisierung
Das Muster der medialen Vorgänge ist von anderen Unwort-Geschichten schon bekannt. Wie bspw. das Wort Gutmensch so war auch biodeutsch zuerst (beide in den 1990ern) eine geistreiche Erfindung, mit der gesellschaftliche Konfliktlagen kreativ besprochen werden können: Bio-deutsch wurde mit Bindestrich geschrieben als Anspielung auf Deutsche, die im Bio-Laden einkaufen, was sich migrantische Gruppen nicht leisten können – und auch viele andere nicht. Jedesmal nehmen dann, früher oder später, niedrigschwellige Massenmedien und politische PR-Agenturen das Wort gierig als Reizwort auf, um damit am übersättigten Markt von Information, Unterhaltung und Skandalisierung Kasse zu machen. Dabei wird ausprobiert, wie man es am besten monetarisiert (bio-deutsch oder biodeutsch? mit Anführungszeichen oder ohne?). Dieses Pokerspiel geht so lange, bis irgendein Medienmacher oder Politiker es übertreibt und das System zum Kippen bringt. Bei biodeutsch war es vielleicht ein AfD-Politiker, der es mit seinem Profilierungsgehabe in einem ideologisch-völkischen Zusammenhang stellte und verlautbarte: „Biodeutsche mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern“ sollten sich dafür einsetzten, dass „unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von […] einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird“ (LTO berichtete am 28.4.2017). Der damalige Landtagsabgeordnete Ralph Weber (Meck-Pom) verschob hier Gebrauch und Bedeutung des Wortes tatsächlich dahin, dass mit ihm „Menschen“ nach „biologischen Abstammungskriterien […] diskriminiert“ wurden. Denn die Diskriminierung wird ja im Kontext eindeutig ausformuliert, weil nur diejenigen, die seiner Ansicht nach einer deutschen Abstammungsgemeinschaft angehören, bei der kulturellen Entwicklung des Landes mitreden sollten. Daraufhin wurde, wie immer, die mediale Skandalmaschinerie angeworfen – allerdings nur, um das Erregungspotential des Wortes noch ein weiteres Mal zu melken (Spiegel-Online 06.06.2017; BILD 6.12.2017; vgl. das „Leipziger Corpus“). Die Aufregung über das Wort als solches – nicht über die konkret vollzogene Diskriminierung aus einzelnem Munde – wird künstlich aufrechterhalten. Mit ein paar Jahren Verzögerung kommt dann schließlich eine Handvoll verschlafener Experten aus der Universität daher und gibt dem Wort mit dem Unwort-Stigma eine Art Todesstoß.
Der wörtliche Gebrauch – Ein Phantom in der Kritik
Dieses Mal allerdings ist es anders, vielleicht zum ersten Mal in der Unwortgeschichte. Denn die Juroren kritisieren nicht (wie es in den Auswahlkriterien niedergelegt ist) das Wort an sich, also nicht das Wort in seiner Fiktion als Einheit von Form und Inhalt, Bedeutung und Handlung. Gutmensch bspw. wurde 2015 als Ganzes und schlechthin zum Unwort erklärt, ungeachtet dessen, dass sich die Punker von den Toten Hosen bereits 2014 die Markenrechte am Wort gekauft hatten, um sie für ihre Merchandising-Produkte zu verwenden. Schon vor den Unwort-Profis hatten sich diese Vertreter der Zivilgesellschaft, selbstgefällig und gewinnorientiert, eine Art Monopol über das Wort organisiert. Sie wollten es nicht, wie die akademischen Sprachreiniger tabuisieren. Sie wollten die öffentliche Deutungshoheit zurückgewinnen übers Wort und vor allem über das, was einen guten Menschen ausmacht. T-Shirts der Marke Gutmensch oder linksversiffter Gutmensch wurden schließlich gern gekauft.
Bei biodeutsch nun ist es anders: Die Experten kritisieren an ihm explizit nur einen einzigen Wortgebrauch, und zwar eben den biologisch nach Abstammungskriterien diskriminierenden. Es geht ihnen dabei allerdings nicht um den skandalheischenden Wortgebrauch der Völkischen, sondern um einen „sehr gedankenlosen und unreflektierten“ Alltagsgebrauch, den sie von dem der Scharfmacher nicht nur nicht unterscheiden, sondern geradezu mit ihm in eins setzen. Als rassistisch kriminalisiert werden also nicht die Völkischen, sondern Leute, die sich angeblich beim Sprechen nicht viele Gedanken machen: sprachliche Laien, die überall im gesellschaftlichen Alltag vermutet werden. Außerdem sei dieser gedankenlose und diskriminierende Wortgebrauch der „wörtlich gemeinte“, also gewissermaßen der eigentliche Wortgebrauch, der allem anderen – dem Perspektivischen, dem Ironischen, dem Kritischen – irgendwie als primitive Variante zugrundeliegt. Stigmatisiert und zum Tabu erklärt wird nicht mehr das Wort im Ganzen, sondern eine Redeweise, die als Meinung asozial und kriminell sein soll, zugleich aber ganz üblich und weitverbreitet.
Praktiziert wird dieser angeblich wörtliche Gebrauch, nach Ansicht der Sprachprofis, besonders auf dubiosen Internet-Blogs und Social-Media-Accounts. Für die Experten ist er demzufolge nicht zitierfähig. Zwar empfiehlt die Satzung der Unwortaktion seit 1991 die Nennung von Belegen ausdrücklich („Eine Quellenangabe sollte vermerkt sein“). Die Unwort-Begründung für biodeutsch enthält aber keine zitathaften Belege. Mediale Berichte über völkische Skandale mit dem Wort biodeutsch sind sowieso längst gelöscht worden (auch das berichtete LTO). Oder sie kommen gar nicht erst zur wörtlichen Veröffentlichung, denn das allgemeine, gedankenlose Unbewusste soll ja geschützt werden. So geistert also der von den Experten behauptete, überaus unreflektierte, irgendwie alltagsrassistische und – deswegen oder trotzdem – eigentlich relevante und angeblich frequente Wortgebrauch nur auf dem Weg der tagesaktuellen Unwort-Nachrichten von Januar 2025 wie ein Phantom durch den öffentlich-medialen Raum.
Biodeutsch in den niedrigschwelligen Massenmedien
Gut dokumentiert ist das Wort allein in demjenigen sozialen Milieu, dem die Juroren selbst angehören: dem Milieu der Deutsch-Profis, die im Mediensektor arbeiten. In den Massenmedien, die die Experten mutmaßlich selbst konsumieren, hat biodeutsch ein breites Anwendungsspektrum. Als Bezeichnung oder Attribut für historisch-reale Personen und Personengruppen zum Zweck des politischen Kommentars verwendet es die tageszeitung (taz) besonders gerne. Sie bezieht es dabei bspw. auf CDU-Politiker, auf die Grünen oder radikalökologische Gruppen, die ihr (zu) biodeutsch sind. Außerdem findet man das Wort in den Feuilletons anderer niedrigschwelliger Zeitungsangebote (wie Spiegel-Online, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, taz) für die Kunstkritik und Rezension von Kunstfiguren in Literatur und Film: Dann stellt sich das Personal bspw. als „weiß, biodeutsch, bürgerliches Milieu“ heraus (Süddeutsche Zeitung, 31.03.2022). Oder ein Familienvater – „strafrechtlich unauffällig und biodeutsch“ – gibt die Hauptfigur eines Romans ab (Die Zeit, 14.09.2023). Es geht um Kinder, die „biodeutsch de luxe“ sind „und cute PoC-Freund:innen in der Kita“ haben (taz, 09.09.2022). Rezensiert werden auch Musikclubs, in denen sich „zwischen biodeutsch und migrantisch, gangstertätowiert mit schwarzer Adidas-Jacke einerseits und elegantem Styling andererseits … eine interessante Balance“ fände (Berliner Zeitung, 25.03.2023). Sogar das Publikum von Kulturveranstaltungen bekommt das Attribut, wenn es dem Rezensenten „als zu alt, zu gebildet und zu biodeutsch“ gilt (Kölner Stadt-Anzeiger, 21.03.2021).
In diesen Rezensionen von Kultur, Politik und Gesellschaft geht es bei biodeutsch also ums soziale und kulturelle Milieu (strafrechtlich unauffällig, bürgerlich, elegantes Styling, de luxe, gebildet). Die Äußerlichkeiten dieses Milieus werden durchaus mit biologischen Kriterien assoziiert: nicht nur mit alt und weiß, sondern erstaunlich oft auch mit dem Erscheinungsbild, das vor allem die Kinder dieser Familien abgeben. Sogar der Online-Duden verzeichnet die biodeutsche Auffälligkeit ausgerechnet der Kinder in seiner Beispielangabe vom „klassischen biodeutschen Mittelstandskind“. Das Kriterium der Unterscheidung nach biologischer Familien-Abstammung, das mit dem Wort biodeutsch aufgerufen wird, ist also im Milieu der Unwort-Experten massenmedial weithin akzeptiert. Gleichzeitig erscheint in der dort praktizierten Assoziationskette der Gegensatz von migrantisch und biodeutsch nur indirekt biologisch und eher kulturell gemeint zu sein. Abwertend ist er trotzdem, wenn nämlich nicht biodeutsch bspw. mit strafrechtlich auffällig assoziiert wird. Insofern dieser Bezug aufs Strafrecht Verfolgungs- und Ausschlussassoziationen aufruft, sind sogar Diskriminierungen dabei, nicht direkt wegen biologischer Kriterien, sondern wegen Kriterien des Sozialverhaltens.
Dieser bewertende bis diskriminierende Gebrauch ist in diesem Milieu so weit verbreitet, dass das Wort auch übertragen werden kann von Personen auf konkrete und abstrakte Sachen, auf Äußerungen, Handlungen und Ereignisse. Spiegel-Online (16.01.2023) verwendete es bei einer Kritik der Besetzung des Weilers Lützerath: „Parallelwelten gibt es nicht nur in migrantischen Milieus. Das größere Problem ist biodeutsch und radikalökologisch“. Man kann biodeutsch sogar als Adverb benutzen und „hübsch egoistisch biodeutsch daher argumentieren“, wenn man wie Friedrich Merz behauptet, „wir sind kein Einwanderungsland“ (bzw. sich über Merz echauffiert, taz, 13.03.2023). Biodeutsch steht also in diesen Beispielen neben solchen abfälligen Bewertungen wie radikal oder egoistisch. Als (prädikativ) bewertendes Adjektiv findet man es auch in Restaurantbesprechungen, wenn das Menu „nicht nur biodeutsch ist“ ( Berliner Zeitung, 30.09.2023). Solche metonymischen Übertragungen der Personen(gruppen)bezeichnung im Grunde auf all ihre Ausdrucksformen – auf ihre Kleidung, ihre Namen, ihre Sprache, auf Probleme, die Biodeutsche hervorrufen, oder eine Parallelwelt bis hin zu ihrem Essen – all diese Verwendungen zeigen, dass das bewertende, für Diskriminierungen immer offene Wort in den deutschen Wortschatz, in Semantik, Pragmatik und Grammatik des herrschenden Diskurses fest integriert ist, sogar in verschiedenen Wortarten (als Adjektiv, Substantiv, Adverb).
Der satirische Gebrauch ist der wörtliche Gebrauch
Bleiben wir also bei diesem Gebrauch des Wortes, der realiter zuhauf nachweisbar ist. All diese Verwendungen sollen wohl dem „ironisch-satirischen“ Wortgebrauch unterfallen, den „die Jury“ ausdrücklich „nicht kritisiert“. Sie halten sich damit an den Rechtschreib-Duden (28., Aufl. 2020), wo das Wort (etwas ausführlicher als online) erklärt wird als „meist ironisch abwertend für deutscher Abstammung und in Deutschland heimisch“. Diesen Wortgebrauch stellen die Experten dem angeblich „wörtlich“ gemeinten (gedankenlos rassistischen) Unwort trennscharf gegenüber – so, als handele es sich um die Trennschärfe von Ketchup und Mayo in Tütchen. Doch haben die Experten diese „wörtliche Bedeutung“ für ihren Zweck selbst erst erfinden müssen. Das Muster dafür sieht man wieder an der Parallele zum Unwort Gutmensch: Als Gutmensch im Jahre 2015 in Deutschland auf den ersten Platz der Liste gewählt wurde, hieß es in der Unwort-Begründung: „Hilfsbereitschaft und Toleranz“ würden „mit diesem Wort […] pauschal als naiv, dumm oder weltfremdes Helfersyndrom diffamiert“. Mit Gutmensch würden also gute Menschen und die Güte ihrer Handlungen oder sogar ihres Charakters diffamiert. Schon diese holzschnittartige Pauschalisierung lag aber nicht beim Wort und seinem alltäglichen Gebrauch, sondern bei den Experten.
Ungehört kritisierte damals die renommierte Grammatikerin Gisela Zifonun die sachfremde und denunziatorische Kritik (Gisela Zifonun: Warum wir Gutmensch brauchen. In: Sprachreport 32 (2016), Heft 2, S. 26). Wortbildungsgrammatisch handelt es sich bei (der) Gutmensch wie bei (der) Biodeutsche um die klassifikatorische Modifikation als „das [nicht irgendein!] Grundmuster der deutschen Substantivkomposition“. Zum Vergleich sei hier das bekannte Beispiel von Schweineschnitzel vs. Kinder- oder Seniorenschnitzel (oder vielleicht Männerschnitzel?) erwähnt. In diesen zusammengesetzten Wörtern „liegt […] keine Qualitätszuschreibung durch das Adjektiv vor“: Das Kinderschnitzel besteht nicht aus Kind, der Gutmensch nicht aus Güte und der Biodeutsche nicht aus biologisch deutscher Abstammung. Der Biodeutsche ist so wenig biologisch deutsch, wie der Gutmensch gut ist oder das Männerschnitzel ein (Stück vom) Mann. Im Grundmuster solcher Zusammensetzungen „[identifiziert] das Adjektiv […] einen bestimmten Subtyp des vom Substantiv bezeichneten Typs, im Falle von Gutmensch also einen bestimmten Typus Mensch, der irgendwie mit dem Konzept gut in Verbindung gebracht werden kann. Wie der Bezug auf das Konzept des Guten aussieht, bleibt offen und kontext- und intentionsabhängig“. Da biodeutsch diesem Muster angehört, kann der, die oder das Deutsche darin von jedem Sprecher in jedem Kontext anders, neu und eben „irgendwie“ (ironisch, kritisch, zynisch) „mit dem Konzept bio in Verbindung gebracht werden“. Das alles heißt nichts anderes als: Der ironische bzw. satirische Gebrauch von biodeutsch ist der wörtliche Gebrauch.
Volksetymologie statt Sachkenntnis bei den Experten
Beim Grundmuster der „klassifikatorischen Modifikation“ handelt sich um „eines der charakteristischen Merkmale der deutschen Sprache“ (Zifonun 2016). Jedes Kleinkind beherrscht es, aber nicht die Unwort-Experten. Aus ideologischen Gründen erklären sie für ihre Unwörter eine „wörtliche Bedeutung“, die aber tatsächlich keiner linguistischen Sachkenntnis, sondern am ehesten dem Prinzip der Volksetymologie entspricht: Eine Volksetymologie bildet sich normalerweise über Jahrhunderte aus, vor allem in einem mündlich geprägten sprachgeschichtlichen Umfeld: Wenn die Sprecher ein zusammengesetztes Wort wie mittelhochdeutsch (mhd.) moltwurf nicht mehr verstehen, weil ihnen (durch den Mangel an fixierter schriftlicher Überlieferung und andere Gründe) das Wort molt aus ihrem kulturellen Gedächtnis verloren gegangen ist, dann suchen sie sich eine plausible Erklärung für die Herkunft (das Etymon) des Wortes, die sich dann auf seine Form niederschlägt: Aus dem, was man neuhochdeutsch mit Erdwerfer übersetzen müsste (zu mhd. molt/molta = Erde), haben die Sprecher über die Jahrhunderte den Maulwurf gemacht, mit der Vorstellung, dass sich das Tier mit seinem Maul durch den Boden wühlt (präziser nachzulesen im Etymologischen Wörterbuch). Auch unverständliche Eigennamen und Fremdwörter werden oft volksetymologisch umgedeutet.
Dieses Prinzip der Sinnentstellung und falschen Sinnunterstellung durch Volksetymologie kann man ganz offensichtlich auch politisch-ideologisch nutzen, wenn man ein zusammengesetztes Wort nicht (mehr) verstehen will (unabhängig davon, ob man es vielleicht wegen mangelnder Fachkenntnisse nicht verstehen kann). Die Unwort-Experten machen die Volksetymologie zur ideologischen Waffe, wenn sie vorgeben, die modifikatorisch-perspektivierende Ironie biodeutsch (wie auch Gutmensch) nicht identifizieren zu können. Man könnte das als ideologische Etymologie bezeichnen: Dem Wort einen unironischen Gebrauch als eigentliche, wörtliche und im Alltag häufige Bedeutung zu unterstellen, das ist von Seiten angeblicher Sprachexperten im Ergebnis nur populistische Demagogie.
Die Experten organisieren sich ein Sprachmonopol auf Diskriminierung
Durch den Unwort-Eingriff realiter getrennt werden nicht eine wörtliche und eine übertragene Bedeutung, sondern der gute Gebrauch im Milieu der Experten vom schlechten Gebrauch der Laien im Alltag. Die tatsächliche, modifizierende Vielfalt des perspektivischen Wortgebrauchs wird heruntergebrochen auf eine dichotome Zweiteilung in zulässig und unzulässig. Was dabei herauskommt, das ist – ähnlich wie bei Gutmensch für die Toten Hosen – der Anspruch auf ein lukratives Sprachmonopol im Milieu der Experten. Durch aktives Missverstehen, Überinterpretieren und Skandalisieren organisieren sie sich das Monopol über das Wort, seine Deutung und seinen Gebrauch. Die Unwort-Profis beanspruchen dabei nicht weniger als das Monopol auf sprachlich-soziale Diskriminierung: das Monopol, Biodeutsche zu benennen, zu bewerten und ggf. zu diskriminieren – sowie im Kontext dann auch die jeweils entgegengesetzte Gruppe, ob aufwertend (cute PoC-Freund:innen) oder abwertend (strafrechtlich auffällig).
Satire ist Diskriminierung
Um sich dieses Monopol zu beschaffen, unterscheiden die Unwort-Profis in ihrer Unwort-Begründung nicht zwischen einteilen, bewerten und diskriminieren, was sie in der Rolle ernstzunehmender Experten selbstverständlich tun müssten. Wer aber diese drei Sprechakte tatsächlich nicht unterscheiden muss, das sind die Satiriker: Denn die unausgesprochene Gratwanderung zwischen dem bloßen Unterscheiden von Personen und Personengruppen, der Bewertung, die damit einhergeht, und einer persönlichen Zurücksetzung, die einen diskriminieren Appell zum Ausschluss aus Kultur, Gesellschaft, Rechtsordnung formuliert – diese Gratwanderung ist der Kern von Satire und Spott. Übertreibung ist das Mittel der Satire. Sie übertreibt es also mit dem Kategorisieren, sie beleidigt und grenzt sogar aus, damit sich die Wirkungen von Spott und ironisch-polemischer Kritik auch einstellen. Im medialen und sozialen Milieu der Unwort-Experten, vom Feuilleton bis in den politischen Bericht hinein, ist das völlig üblich. Es muss überall üblich sein und sein dürfen.
Nicht Diskriminierung vs. Satire machen den Unterschied, sondern Humor vs. Feindseligkeit
An ihre Grenze gelangen Übertreibung und Satire dort, wo aus Spott Feindseligkeit wird. Die Grenzen sind nicht nur für zertifizierte Akademiker deutlich überschritten, wenn die Diskriminierung als politisches Programm so deutlich artikuliert wird wie bei Ralph Weber 2017. Für manche ist die Grenze schon erreicht, wenn Demonstranten – in der Unwort-Diktion sind das „Menschen“ – auf dem Umweg über das Adjektiv biodeutsch zu einem„Problem“erklärt werden, wie es Der Spiegel mit den Demonstranten von Lützerath tat. Denn das Wort Problem enthält (ähnlich wie Unkraut) per se eine deontische (Sollens-)Bedeutung, also einen Appell: Probleme müssen fix aus der Welt geschafft werden – und gemeint war damit nicht das Problem der Enteignung ganzer Dörfer oder der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sondern es waren für dieses Boulevard-Medium diejenigen, die dagegen protestierten.
Der Unterschied zwischen biodeutsch und biodeutsch und biodeutsch (und biodeutsch …) besteht also nicht zwischen einem wörtlichen, liederlich rassistischen Gebrauch durch Alltagsdeppen und einem reflektiert-raffinierten Gebrauch im akademisierten Milieu der Unwort-Experten. Die Unterschiede sind Unterschiede im mehrzähligen Plural, und die spielen sich auf zwei Ebenen ab: Zuerst zwischen Humor einerseits und offener Feindseligkeit andererseits. Und dann macht auch der Humor selbst einen Unterschied, denn Rhetorik und Ästhetik kennen nicht nur den lustigen Scherz, sondern auch den ernsten Scherz, der nicht mehr spaßig ist, aber trotzdem Humor braucht, um verstanden und akzeptiert zu werden. Ein Scherz kann sich (bei Essens- und Clubrezensionen) in Klamauk und Kitsch erschöpfen. Er kann dabei sogar in demjenigen medialen und sozialen Milieu, das sich selbst für kultiviert und akademisch hält, dümmlich, geschmacklos und schließlich feindselig sein. Der ernste Scherz dagegen kann bitterernst werden, ohne feindselig zu sein. Dieser ernste Humor ist für die reife politische und gesellschaftliche Debatte unverzichtbar. Eine demokratische Gesellschaft und Sprachgemeinschaft braucht ihn nicht zuletzt, um übergriffige „Experten“ provokativ herauszufordern, wenn die unter diesem Titel bloß die Machtinteressen ihres eigenen Milieus durchsetzen wollen. Es braucht Mut zum Unwort.