Kleinkunstszene leidet bis heute unter den Maßnahmen

ein Beitrag von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten

1bis19 - Kleinkunstszene leidet bis heute unter den Maßnahmen
G.F. Watt – Die Hoffnung (1886)

Für Kulturschaffende waren die Corona-Maßnahmen ein Schock. Von einem Tag auf den anderen stellte sich ihr Leben auf den Kopf. Geplante Auftritte wurden abgesagt, Einnahmen fielen aus. Wie lange das indirekte Berufsverbot andauern würde, konnte die Politik nicht sagen. Es machte sich Unsicherheit breit, die die Branche lahmlegte. Besonders betroffen waren Kulturschaffende, die auf sogenannten Kleinkunstbühnen auftreten – Kabarettisten, Singer-Songwriter, Varieté-Artisten oder Chansonsänger. Ein solcher ist der Berliner Boris Steinberg.

Er ist seit 30 Jahren im Geschäft und gehört zu jener Zunft, die man einst «Neue Berliner Chansonszene» nannte. Der Musiker hat zahlreiche CDs veröffentlicht, engagierte sich lange Zeit als Mitbegründer und Veranstalter des Chansonfests Berlin und fungierte als Gastgeber seines «Salon-Chanson» an der Berliner Volksbühne (Grüner Salon). Wenn einer die Kleinkunstszene kennt, dann er. Steinberg bekam hautnah mit, wie sich die Maßnahmen auf die Branche auswirkten. Er selber bezeichnet es als „Plattmachung der Kulturlandschaft“. Bis heute herrsche dauerhafte Stagnation. Man verharre in Ungewissheit, weil nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre damit zu rechnen sei, dass immer wieder neue Lockdowns folgen könnten.

Hilfsgelder, aber keine Perspektiven

In Steinbergs Worten schwingt Ernüchterung mit. In ihnen kommt eine Existenzangst zum Vorschein, mit der viele Kulturschaffenden seit März 2020 leben müssen. Für deren Nöte scheint sich die Politik nicht zu interessieren. Sie signalisiert zwar Verständnis, unternimmt aber nicht sonderlich viel, um den Künstlern eine gewisse Zukunftsperspektive zu geben. Im Gegenteil: Meinungsmacher wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach schüren weiter Panik und kündigen weitere Virus-Mutationen oder neue Wellen an. „Wie soll man da aus dem Sorgenkarusell aussteigen“, fragt sich Steinberg. Der Chansonsänger bemühte sich sogar, Kontakt zur Politik aufzunehmen. Er schrieb Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und die ehemalige Kulturbeauftragte Monika Grütters (CDU) an, um zu erfahren, wie es für die Kulturschaffenden weitergehen soll. Die Antwort fiel nicht sonderlich ergiebig aus, zeigte keine Perspektiven auf, sondern verwies bloß auf die Hilfsgelder. „Seitdem ist eigentlich nicht sehr viel passiert“, so Steinberg.

Eines der Programme, mit denen der Staat den Künstlern unter die Arme greift, heißt «Neustart Kultur». Lange Zeit wurde darüber debattiert, ob diese Hilfsgelder tatsächlich gezahlt wurden. Laut Boris Steinberg soll das tatsächlich passiert sein. Aus Gesprächen mit Kollegen hat er erfahren, dass mittlerweile sogar die Beantragung weniger Probleme bereite. Somit erhielten Kulturschaffende die Hilfsgelder schneller als noch zu Beginn der Krise. Er selbst sei darauf nicht angewiesen, sagt er: „Ich habe mich bislang gut mit Aufträgen als Sprecher und Privatlehrer über Wasser halten können.“ Dieses Glück hatten nicht alle seiner Kollegen. Einige sollen sich mit Nebenjobs an der Supermarktkasse verdingt haben. Andere entschlossen sich dazu, ihre künstlerische Tätigkeit an den Nagel zu hängen. Viele hangeln sich immer noch von Monat zu Monat, ohne zu wissen, ob sie ihren Lebensunterhalt in Zukunft weiter bestreiten werden können.

Stiller Protest gegen die Maßnahmen

Neben den fehlenden Einnahmen zerrt an den Künstlern, dass sie noch immer nicht auftreten dürfen – und wenn, dann unter unangenehmen Bedingungen. Das betrifft vor allem Kulturschaffende, die sich gegen das Corona-Vakzin aussprechen. Steinberg geht davon aus, dass alle Künstler, die derzeit auf der Bühne stehen, tatsächlich geimpft sind. Live-Auftritte per Stream wie zu Beginn der Maßnahmen stellen eine unbefriedigende Alternative dar, so dass nicht wenige auf sie gerne verzichten. So sieht es auch Steinberg, der unter solchen Bedingungen genauso wenig auftreten möchte wie unter dem Zwang der G-Regeln. „Dann trete ich lieber gar nicht auf“, sagt er. Aus Protest hat er ein neues Abendprogramm ins Leben gerufen – mit einer kritischen Anspielung im Titel: «Boris Steinberg singt ChanGsonGs… ohne Gs».

Der Kleinkünstler würde es begrüßen, wenn seine Kollegen ebenfalls den Mut aufbrächten, gegen den Strom zu schwimmen. Zwar hätten einige wenige Gesicht gezeigt und die Maßnahmen kritisiert, aber in der Breite sei der Protest sehr mau ausgefallen. Umso mehr findet Steinberg lobende Worte für die Schauspieleraktion #allesdichtmachen. „Das war ganz, ganz wichtig“, sagt er. Die Teilnehmer hätten nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern auch dazu beigetragen, dass weitere Aktionen wie #allesaufdentisch entstanden. Er selber nahm daran ebenfalls teil und interviewte den engagierten Pfarrer Martin Michaelis aus Quedlinburg zum Thema Kirche und Glauben während der Corona-Zeit. Die Reaktionen auf beide Aktionen bezeichnet der Chansonsänger als übel: „Beschimpfungen, Verunglimpfungen, Abwertungen – Das war ein regelrechter Schock für mich.“

Von medialer Zensur zur Selbstzensur

Aufgrund dieses unangenehmen Echos, das unter anderem auch auf die Aussagen der Sängerin Nena und der Kabarettistin Lisa Fitz folgte, kann es Steinberg verstehen, wenn sich seine Kollegen mit öffentlicher Kritik zurückhalten. Die mediale Diffamierung schüchtere sie ein, sagt er. Dass unbequeme Künstler mundtot gemacht werden, Engagements verlieren und andere Unannehmlichkeiten befürchten, empfindet er als Zensur. Aber die beginnt für ihn schon dort, wo nicht mehr jede Person zu seinen Konzerten kommen darf. Er sieht in der gegenwärtigen Situation eine Fehlentwicklung. Zwar habe er noch nicht gehört, dass staatliche Institutionen direkt in das Programm der Kleinkünstler eingreifen oder die Textauswahl beeinflussen, doch es sei nicht schwer sich auszumalen, wohin es führen kann, wenn Äußerungen nicht als korrekt oder als nicht gut recherchiert empfunden werden – wie im Fall Lisa Fitz.

Es werde mit zweierlei Maß gemessen, so Steinberg. Während kritische Künstler geschasst würden, komme ein Karl Lauterbach mit unkorrekten Verlautbarungen problemlos durch. Solche Erfahrungen dürften sich in den Köpfen der Kulturschaffenden festgesetzt haben. Und so sei der Weg zur Selbstzensur nicht weit. Wer nicht öffentlich an den Pranger gestellt werden möchte, bliebe in seinem Kulturprogramm lieber unauffällig und ecke nicht an. Boris Steinberg sieht diese Gefahr, mag sich aber dieses Szenario wegen der Kraft der Gedanken gar nicht vorstellen: „Das wäre ja fatal.“

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