ein Bericht von Jakob Luttermann
Lesedauer 4 MinutenSollte ein Vegetarier auf den Kongress der Fleischerinnung gehen, um über die Sinnhaftigkeit des Tötens von Tieren zu Genusszwecken zu diskutieren? Sollte ein afghanischer Flüchtling auf einen Parteitag der NPD gehen, um Verständnis für seine Lage einzufordern? Welchen Sinn macht es, als Abtreibungsgegnerin im nächsten Frauencafé für die Rechte ungeborenen Lebens zu werben?
Aus der Regionalgruppe der Initiative 1bis19 erfuhr ich, dass die „Bücherhallen Hamburg (Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen)“ in der Zentralbibliothek zu einer Veranstaltung des vom Bundesfamilienministerium geförderten CJD-Angebots „Kurswechsel – Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit Rechts“ unter dem Titel „Meine Eltern glauben an Verschwörungen! Wie soll ich damit umgehen?“ mit Vortrag und Diskussion einlud. In der Ankündigung der Veranstaltung hieß es dann weiter: „….trotz tausender Toter und Langzeitgeschädigter kursieren noch immer viele Falschinformationen und Verschwörungserzählungen. Zwar ist die Gruppe der Corona-Leugner*innen im Laufe der Zeit kleiner geworden, aber auch radikaler. Neben Rechtsextremen finden sich hier auch Menschen aus der sogenannten <Mitte der Gesellschaft>, die zu Teilen mehr oder weniger offen antisemitische und rechte Verschwörungstheorien propagieren.“
Was können wir eigentlich gegen solch widerwärtige Unterstellungen tun, durchfuhr es mich. Die Empörung in unserer Gruppe wuchs – und eh ich mich versah, sah nicht nur ich mich zur Teilnahme an dieser Veranstaltung verpflichtet. „Es könnten mehrere von uns hingehen und mit konstruktiven Beiträgen die Veranstaltung in andere Bahnen lenken, als vom Veranstalter gedacht“, so mein Gedanke.
Der Abend kam, und dort wurde schnell offenbar, dass die Vortragende mit ihrer Powerpoint-Präsentation ein festgefügtes Programm abspulte. Stück für Stück, Chart für Chart baute sie einen Zusammenhang zwischen Maßnahmengegnern und Antisemiten auf. Zwar relativierte sie bei Nachfragen, dass nicht alle Maßnahmengegner zwangsläufig Verschwörungstheoretiker oder Nazis seien, aber im Gesamtkonstrukt des Vortrags verschmolzen die Gruppen von Folie zu Folie immer mehr zu einem schaurig-gruseligen unentrinnbaren Ganzen.
Im Besitz alleinseligmachender Wahrheit
Wie agiert man nun in solch einer Situation als diskussionsfreudiger aber höflicher und sachlicher Zuhörer und Gast? Denn im Grunde hätte fast jedem Satz, fast jeder Folie widersprochen werden müssen. In diesem Fall wäre jedoch die Veranstaltung gesprengt worden. Und das Ziel, junge und unentschlossene Teilnehmer zu erreichen, wäre so sicher gescheitert.
Ich beschränkte deshalb meine Bemerkungen und Einwände auf das Wesentliche, um wenigstens die eklatantesten Kardinalfehlschlüsse des Vortrags in eine differenziertere Betrachtung und Bahn zu lenken. So bemängelte ich zunächst die von der Referentin präsentierten Statistiken, die einen zunehmenden Glauben an Verschwörungstheorien zu belegen suchten, obschon in den jeweiligen Befragungen Fragen modifizierter Natur gestellt worden waren, die in „entkriminalisierter“ Thesenform den Befragten bei der zweiten Befragung es zweifelsohne einfacher machten, diesen zuzustimmen.
Auch wies ich darauf hin, dass die im Vortrag als „Beweis“ angeführten Aufnahmen von Demonstrationsplakaten, die sich z.B. des Symbols des „Judensterns“ bedienten, wohl kaum antisemitische Intentionen hatten, sondern in Heranziehung und Erinnerung unserer nationalen Geschichte auf aktuell gesellschaftliche Fehlentwicklungen und totalitäre Tendenzen hinweisen wollten.
Die Vortragende blieb von solchen Einwänden unberührt. Sie beanspruchte Deutungshoheit, die zu hinterfragen oder zu konzedieren sie nicht willens war. Stattdessen sah sie sich mittels willkürlich herangezogener Anekdoten aus dem Rauschen der Social Media dazu berechtigt, die Intentionen solch gesellschaftlicher Kritik als xenophob zu verunglimpfen, indem sie behauptete, dass in diesen Kreisen gängige Redewendung sei,„Ich nehm’ doch nicht diese Genstoffe die dieser Türke entwickelt hat!“
In Anbetracht solcher „Beweisführung“ dämmerte mir, dass der Abend nicht ganz einfach zu ertragen und es mich Mühe kosten werde, die Fassung zu wahren und konstruktiv-kritisch am Ball zu bleiben. Ich überlegte, ob nicht gerade das starre Festhalten an einer alleinseligmachenden Wahrheit nicht eigentliche Ursache und Grund für das Abdriften Vieler, die Spaltung der Gesellschaft, und schließlich deren Hinwendung zu Verschwörungstheorien sei. Gerade die Einseitigkeit der sogenannten „Leitmedien“ in ihrer Preisgabe von Meinungsvielfalt wurden zum Abbild der Erosion der offenen Gesellschaft, des verlorenen Ideenwettbewerbs auf der Suche nach Wahrheit. Hier sind die eigentlichen Ursachen zu suchen, warum sich eine wachsende Zahl von Menschen von den herrschenden Narrativen verabschiedet. Und hier wäre zunächst anzusetzen, um mit extremen Kritikern wieder ins Gespräch zu kommen.
Genug geredet!
Im Verlauf der Debatte und Überschau der Situation wurde klar, dass von den dreizehn Besuchern drei Mitglieder der Veranstaltungsorganisation angehörten, sechs aus dem veranstaltungskritischen Umfeld kamen und letztlich nur vier unentschiedene Gäste übrigblieben: Eine ältere Dame, die ob ihrer zur Schau gestellten FFP-2-Maske kaum zu verstehen war und drei Mädchen.
Am Ende dann doch noch ein kleiner Eklat: Als ich die Vortragende bei der üblichen Deklamation der Todeszahlen unterbrach und daran erinnerte, dass die Verstorbenen „mit“ und nicht unbedingt „an“ Corona verstorben seien, und dass die Euromomo-Statistik schon seit längerem keine Übersterblichkeit mehr anzeigten, wuchs spürbar der Unmut der Veranstalterin. Aber als ich dann des Weiteren beklagte, dass sie mit derartigen Halbwahrheiten letztlich die Verschwörungstheoretiker spiegele, und schließlich gar noch um Verständnis für das Demonstrationsrecht warb und auf die Menschen verwies, die in der Pandemie ihre wirtschaftliche Existenz verloren und die ihrer Not Gehör finden müssten, war das Maß voll. Angesichts meiner hartnäckigen Einreden verlor die Veranstalterin der Zentralbibliothek die Façon und gebot mir ab sofort zu schweigen, ich hätte „genug geredet!“.
Fazit: In ein Wespennest zu fassen und Differenzierung anzumahnen, kommt üblicherweise im Nest nicht gut an. Was also hat’s gebracht? Nun -, ich durfte unmittelbar die perfide Strategie studieren, wie man Maßnahmenkritiker mit Reichsbürgern und Nazis in einen Topf bekommt. Die Veranstalter, sofern sie aufnahmefähig waren, haben gelernt, dass sie in solchen Veranstaltungsformaten mit Gegenwind zu rechnen haben, der, weil maßvoll und zur Differenzierung aufrufend, schwieriger zu diskreditieren ist.
Ansonsten blieben die Einsichten für alle Beteiligten wohl überschaubar, weil sich an einem milden Frühlingstag in Hamburg nur noch wenige für solche Debatten interessieren. Denn, ich räume es ein, wer tut sich eigentlich so etwas freiwillig an, außer Hardcore-Fetischisten?
Ich finde ihre Initiative, sich an dieser Veranstaltung zu beteiligen, sehr gut. Überhaupt, „wir“ dürfen uns nicht aus allem zurückziehen. Insofern war der Austritt aus meiner Partei ein Fehler. Sicher, die haben ein weiteres Mitglied weniger – aber ich kann auch keinen Einfluss mehr nehmen.