„Das Thema Corona schreit nach filmischer Umsetzung.“

Ein Interview von Eugen Zentner mit dem Filmemacher Werner Köhne

Lesedauer 7 Minuten
Der Tod als Erwürger (1851) - Alfred Rethel
Der Tod als Erwürger (1851) – Alfred Rethel

Lockdowns, willkürliche Hygienemaßnahmen, Berufsverbote: Die Anfänge der Corona-Krise erinnerten den Filmemacher Werner Köhne an die Prosa von Franz Kafka. Wenige Monate später schrieb er das Buch «Minima Mortalia» und setzte sich darin mit den gesellschaftlichen Verwerfungen unter dem Aspekt des Todes auseinander. Ging es hier hauptsächlich um die prekären Auswirkungen der Verendlichung des Todes in der Moderne, übte Köhne in seinem 2022 erschienenen Lyrikband «Die Corona-Litanei» in poetischer Form Kritik an der „Maßregelsprache“, die unbedingte Unterwerfung forderte und zugleich Lebenshilfe versprach. Ihr setzte der Filmemacher eine Poesie des Lebens entgegen, in der sich der Wille zur Krisenbewältigung kundtut. Im Interview spricht der zur 68er-Generation gehörende Köhne über das Spannungsfeld beider Sprachfelder, über eine mögliche filmische Umsetzung der Corona-Zeit und die Krise der politischen Linken.

Herr Köhne, in Ihrem neuen Gedichtband stellen sie lyrisch zwei Spachwelten gegenüber – die Maßregelsprache und die Poesie des Lebens. Wie ist die Idee gekommen, die Coronakrise und deren Folgen anhand der Sprache abzubilden?

Schon die Anfänge dieser Coronakrise erinnerten mich – ohne genau zu wissen warum – an die Prosa von Franz Kafka. Es ging wie in Kafkas Erzählungen um das Gefühl, einer Macht ausgesetzt zu sein, die bedrängend nah erschien, gleichwohl schwer zu fassen war. Ein Gefühl, das sich in diesem Falle vermischte mit dem Bewusstsein, von einer Pandemie in einem fast biblischen Sinne „heimgesucht“ worden zu sein. Das setzte – wie wir schon bald erfahren haben – eine Sprache in Gang, die regelsetzend und bedrohlich schien und aus dem normalen Diskurs und den üblichen Verständigungsformen ausscherte. Im Gegensatz etwa zu dem sonstigen Sprech, wie wir ihn aus politisch-kulturellen Diskursen, ja selbst aus dem Bereich des „gesunden Menschenverstandes“ kennen, die zusammen selbst in Krisenzeiten den Menschen eine gewisse Sicherheit boten. 

Die Ungewissheit, die sich sofort ausbreitende Panik und die Verengung des Lebens auf puren Selbsterhalt im Corona-Szenario schufen in diesem Falle aber einen Ausnahmezustand. Darin – und das war neu – entstand eine statistisch zementierte Kultur der Maßnahmen, die zunächst die allgemeine Überforderung spiegelte, aber bald schon als Dauerkrise von einer politisch medialen Elite bewusst inszeniert wurde – jenseits einer sinnvollen Krisenbewältigung. Wissenschaftsstandards wurden außer Kraft gesetzt und individuelle Erfahrungswerte blieben bei all den Dekreten und Verordnungen auf der Strecke. Das war in der Einseitigkeit geradezu monströs. Und fast alle machten mit und wurden eben vor allem sprachlich medial eingeschworen auf eine neue Normalität.

Was macht für Sie die Maßregelsprache aus. Was ist ihr Wesenskern?

Ja, das war wirklich neu: Es gab einen wahren Run auf diese Sprache. Sie versprach Ordnung, unbedingte Unterwerfung und zugleich Lebenshilfe. Sie ließ Verordnungen fluten und schuf Maßregeln, die uns bei deren Missachtung androhten, gemaßregelt, also bestraft zu werden, bei richtigen Verhalten aber auch Vergünstigungen versprach. Das erstaunliche: Es funktionierte nicht nur gut, es war auch die Stunde einer Machtergreifung durch das sich bildende Corona-Krisenmanagement. Damit hatte nämlich eine ermüdete Elite aus Politik Medien und Wissenschaft nicht gerechnet – dass sie so leichthin ohne Gegenwehr die Chance erhielt, ihre Macht geradezu sprunghaft auszubauen. Kafkaesk auch, wie gerade die Verwaltungs- und Juristensprache instrumentalisiert, ja durch Verschiebungen und Verdrehungen ad absurdum geführt wurde. Es schien, als ob hier ganz konkret die dystopischen Visionen Kafkas von einer abgründigen Moderne Realität würden – in erschreckender Klarheit auch noch.     

Der Maßregelsprache stellen Sie die Poesie des Lebens gegenüber. Worin zeigt sie sich? Wie kann man sich die Poesie des Lebens vorstellen?

Die bewusste Gegenüberstellung zwischen der Maßregelsprache und der Poesie des Lebens spiegelt ein, wenn nicht das größte Dilemma des Corona-Szenarios: Man setzte mit seinen Maßnahmen und Verlautbarungen auf das Prinzip der unbedingten Lebenserhaltung, vergaß darüber aber, das gelebte Leben in all seiner Komplexität mit in den Prozess der Verständigung und Krisenbewältigung einzubeziehen. Das führte dann zu Situationen, wie die, dass eine Enkelin ihren im Sterben liegenden Großvater nicht besuchen konnte und dieser als von der Gesellschaft ausgeschlossener „Homo Clausus“ zurückblieb. Genauso traf das zu, wenn Kleinkinder mit Masken im grünen Park im streng eingehaltenen Abstand zu einem kinderfeindlichen Dasein eingeschworen und zuletzt als potentielle Virenschleudern gesellschaftlich geächtet wurden. Was für ein Wahn! Was für eine Verkennung und Verfehlung des Lebens.

Der österreichische Philosoph Peter Strasser hat schon vor einigen Jahrzehnten ein Dilemma in der späten Moderne so beschrieben: „Wir haben die Lust am Leben eingetauscht gegen die Gier nicht sterben zu müssen.“ Und was wäre die Lust am Leben anderes als die Poesie des Lebens, was anderes als das von den alten Griechen beschworene geglückte Leben oder als Nietzsches Feier des dionysischen Augenblicks, der das Gegenteil eines reglementierten Daseins ist. Der Corona-Verengung tritt hier auch Albert Camus’ wunderbare Metapher von der „zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt“ entgegen. Diese existentialen Äußerungen wurden in drei Jahren Corona-Szenario geradezu erstickt. Umso dringlicher erschien mir, mit Poesie das zurückgestaute Leben wieder in Erinnerung zurückzuholen – ein Leben, das Liebe Abschied, Scheitern und Glück kennt. Davon geht es ja im zweiten Teil des Gedichtbandes.

Sie haben ihren Lyrikband «Corona-Litanei» genannt. Wie lässt sich dieser religiöse Aspekt mit der politisch-gesellschaftlichen Krise in Verbindung bringen?

Erstmal wollte ich neben der inhaltlichen Seite einen Rhythmus finden, in dem die Coronasprache in ihrer dumpfen Einförmigkeit, ihrem wieder und wieder erhobenen Appellen sichtbar gemacht werden kann. Und damit auch den Prozess zu dokumentieren, in dem die stetige Lüge sich in Wahrheit verwandelt. Das Litaneienhafte verweist aber auch auf gewichtige kulturelle und religiöse Traditionen; die antike griechische Mimesis ist ebenso wie die raunende erste Sprache unserer Urahnen in Poesie getaucht – nicht in die Prosa eines Romans oder in einen Diskurs.

In christlichen Ritualen steht die Litanei hingegen im Dienst einer Anrufung Gottes. Es geht um die Erflehung von Hilfe und Sinn durch mythische Wiederholung. Ich nutze dabei aber das Litaneienhafte nicht, um kulturelle Traditionen zu diskreditieren, sondern um in der Corona-Litanei gerade die Zerstörung dieser Traditionen zugunsten einer einseitigen Instrumentalisierung aufzudecken. Als besonders beklemmend kommt mir vor, dass selbst der sogenannte „gesunde Menschenverstand“ in diesen Corona-Jahren einer Erosion unterzogen wurde – was den Visionen vom neuen Menschen eines Herrn Schwab Nahrung gibt. All diese Komponenten wollte ich einbeziehen. Es geht dabei eben nicht nur um Corona.

Vor dem Lyrikband haben Sie 2020 das Buch «Minima Mortalia» veröffentlicht, in dem die gegenwärtige Gesellschaftskrise unter dem Aspekt des Todes thematisiert wird. Könnten Sie bitte ihre Kernthesen kurz erläutern.

Hier sollte ich erwähnen, dass ich mich in meiner Doktorarbeit in Philosophie mit dem Thema „Die Inversion (Verendlichung) des Todes in der Moderne“ beschäftigt hatte, schon 1989. Dabei trat ein gewisser Frust ein über den Begriffswahn, dem ich mich nahezu sechs Jahre lang ausgeliefert hatte, ein Wahn, der besonders beim Thema Tod äußerst realitätsfern ausartete. Schon Nietzsche prägte in seiner Kritik an der Metaphysik den Satz: Der Begriff ist nur das Residuum einer Metapher. Genau dem wollte ich in meinem Buch „Minima Mortalia“ nachkommen. Es gibt keine sinnvolle begriffliche Fassung des Todes, dafür aber Bilder, symbolische Formen, einzelne Erfahrungen und Prozesse, die den kontextuellen Rahmen des Todes bilden, die uns helfen, den Tod zu domestizieren.

Insgesamt ging ich dabei von der These aus, dass die Verendlichung des Todes in der Moderne prekäre Auswirkungen zeitigte. Konkret hieß das: An Stelle der kraftlos gewordenen religiösen Einbettung fand eine Tabuisierung, Verdrängung und Aufschiebung des Todes statt. Phillip Aries hat von einer Verwilderung des Todesgesprochen: Der Tod wird an den Rand unseres Bewusstseins gedrängt, taucht dafür aber verwildert in unserem Rücken auf. Der einstige symbolische Austausch mit dem Tod wird ersetzt durch eine abstrakte Polarität zwischen Leben und Tod, die in einer Art moralisch hysterisierten Form auch auf den heutigen Corona-Wahnsinn verweist.

Gleichzeitig hat Michel Foucault, darauf  hingewiesen, dass unsere Vorstellungen von Individualität ausgerechnet in den Kellern der anatomischen Pathologie generiert wurden, und zwar  ausschließlich funktionalistisch: Man lenkt den Blick auf nicht mehr funktionierende Organe und definierte von dieser Position aus das Leben als ein Funktionssystem: Wir werden dabei  positivistisch und in einem technologischen Sinne zu Objekten – und verlieren so gerade den Status von Lebensintensität und Individualität. Das führt dann zu solchen „Sprachspielen“, wenn auf dem Klinikflur ein Arzt anordnet: „Die Leber kommt zur Obduktion“ – oder eine Schwester fragt: „Wann können wir den Toten denn endlich abstellen?“

Der Titel spielt auf Theodor W. Adornos Klassiker «Minima Moralia» an. Welche gedanklichen Bezüge stellen Sie zu diesem philosophischen Werk her?

Dazu nur eine Geschichte: Die Schrift „Minima Moralia“ von Adorno /Horkheimer habe ich als damaliger Krankenpfleger in der Psychiatrie während der Nachtwache gelesen. Ich habe fast nichts verstanden, aber ahnte doch einiges von dem, was da in Sprache gegossen war. Speziell an der „Minima Moralia“ haben mich Form, Rhythmus und der spürbare Atem dieser essayistischen Miniaturen angezogen. Ich erinnere mich da auch an den leider früh verstorbenen Lyriker Thomas Kling: „Unsere Arbeit an der Moderne muss Fragment sein“, Insbesondere gilt das für Lyrik. Der heutige Wahn des süffigen „Storytellings“ verstellt den Zugang auf die Matrix unserer modernen Existenz. Dies sei auch an die Vollstrecker des Corona-Narrativs gerichtet.

Sie sind eigentlich Filmemacher und sind es gewohnt, in der Bildsprache zu denken. Wie nehmen Sie die gegenwärtige Krise in dieser Funktion wahr?

Bilder können nicht nur die Faszination einer Bildsprache hervorrufen, sie reizen auch zu Sprachbildern. Als Filmemacher musste ich leidvoll erfahren, dass etwa in Dokumentationen Bilder so massiv in den Vordergrund rücken, dass eine mögliche Sprache dann nur noch zu Übergangsfloskeln dient. Mir ging es aber immer um einen Dialog zwischen Bild und Sprache. Der essayistische Film aber hat es immer schwerer in der heutigen Bilderflut.

Wenn Sie einen Dokumentarfilm über die Corona-Krise drehen würden, wie würden Sie ihn gestalten? Was in den Mittelpunkt rücken?

Das Thema Corona schreit ja geradezu nach einer filmischen Umsetzung. Es gibt ja schon einige Filme. Die meisten davon reihen allerdings Talking Heads an Talking Heads, verbunden durch Archiveinspielungen oder im Wind wehendes Gras; sie dokumentieren so die Absicht, nichts anderes als einen Diskurs nachzubilden. Aber dieser Diskurs ist inzwischen ermüdet oder fand gar nicht statt. Ich würde in einem essayistischen Film die Dramaturgie strukturieren um Bilder und Gegenbilder. Aber das ließe sich nicht mal auf ARTE machen. Selbst die lassen nur noch bestimmte Formate zu, die in die heutige coroniert-geframte Political Correctness passen.

Sie haben die 68er-Bewegung hautnah miterlebt und sind in der linken Szene sozialisiert worden. In der Corona-Krise hatte sich die Mehrheit der politischen Linken von ihren Ursprungswerten entfernt und setzte sich in einer ungewöhnlichen Einheit mit den Staatsorganen für eine Einschränkung der Freiheit und Menschenrechte ein. Wie erklären Sie sich diese Haltung?

Ach, ein Thema, das mich schaudern lässt. Aber es bestätigen sich einige Annahmen. Hier nur eine davon: Die Linke und, eigentlich bezogen auf die Zeit von 1968 bis heute, die Linksalternative zeigte schon immer eine Skepsis gegenüber dem Willen zur Freiheit. Und sie sprach in diesen Zusammenhängen lieber von Massen, die es auch staatlich zu befriedigen gelte. Ich fühle mich nach wie vor als Linker, aber die Essenz dieser Haltung wurde von mir auf der Straße gewonnen. 68 war für mich die Straße, nicht nur die des „Street Fighting Man“, sondern die des Trampers, der am Rand der Straße in den Himmel schaut, den weißen Wolken folgend – und beseelt ist von der „zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt“.

Die politische Linke befindet sich somit ebenfalls in einer Krise. Was glauben Sie, wie es weitergeht – ist das Projekt Linke am Ende? Oder wird sie zu ihrem Wesen zurückfinden?

Als Projekt ist sie wohl am Ende, aber nicht als verzweifelter Schrei, gerade dies nicht zuzulassen.

Zur Person: Werner Köhne ist langjähriger arte-Dokumentarfilmer. Er arbeitete als Radiofeaturist für den deutschen Rundfunk und war Kolumnist der Zeitung Demokratischer Widerstand. 2020 erschein sein Buch „Minima Mortalia“, in denen er die Corona-Krise philosophisch verarbeitete. 2022 folgte der Lyrikband „Die Corona-Litanei“.

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