Buchrezension: „Die Krisenmaschine“ (Juni 2025) Vom Versagen der liberalen Demokratie

eine Rezension von Eugen Zentner

Lesedauer 4 Minuten

Die liberale Demokratie ist der größte Etikettenschwindel des noch jungen 21. Jahrhunderts. Diese These stellt der Publizist Markus Vahlefeld in seinem neuen Buch auf. Dessen Titel gibt zugleich zu verstehen, was die liberale Demokratie eigentlich ist: „Die Krisenmaschine“. Damit entlarvt Vahlefeld „eine der größten Lügen des Westens“. Dass es tatsächlich eine ist, belegt sein Buch in einem ständigen Abgleich zwischen Theorie und Praxis, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen polit-medialer Rhetorik und gesellschaftlichem Alltag.

In diesem Spannungsverhältnis entstehen zahlreiche Widersprüche, die aufgrund ihrer Fülle mittlerweile selbst interessierten Beobachtern entgehen, die Vahlefeld aber fleißig zusammenträgt. Sie beginnen bereits auf der Begriffsebene. „Liberal“, erinnert der Autor, ist in seiner ursprünglichen Form als ein Misstrauen gegen autoritäre Instanzen zu definieren. Heute bedeute es das Gegenteil, weil „die Strukturen und Institutionen in Deutschland auf allen Ebenen geprägt sind von allergrößter staatlich-politischer Einflussnahme“. Vahlefeld untermauert diese These, indem er aufzeigt, in welche Bereiche staatliche Organe in Deutschland hineinreichen – nämlich in praktisch alle: Von Kindergärten und Schulen, über Schulen und Universitäten bis hin zu Theatern, Museen und Rundfunk.

Gleiches gilt für den Begriff „Demokratie“, die ursprünglich die notwendige Voraussetzung für individuelle Selbstbestimmung und Wohlstand war. Sie zeichnete sich durch Abwehrrechte gegen den Staat aus, durch das Rechtsstaatsprinzip mit scharfer Gewaltenteilung und durch eine möglichst freie Marktwirtschaft. Diese Grundsätze unterlaufen die heutigen „liberalen Demokratien“, wie der Autor stichpunktartig darlegt – unter anderem durch das „Zulassen unkontrollierter Masseneinwanderung“, durch die „damit einhergehende Überforderung der öffentlichen Infrastruktur“, durch die „sozial- und kontrollstaatliche Aufblähung“ und durch die „juristische Ungleichbehandlung der autochthonen Bevölkerung“.

Konstrukt aus Meinungszensur und staatlicher Überreglementierung

In dieser Manier unternimmt Vahlefeld immer wieder Exkurse in die Geschichte des Liberalismus und kehrt dann in die Gegenwart zurück, um zu veranschaulichen, dass sich die liberale Demokratie „in ein Konstrukt aus Katastrophenrhetorik, Schweigespiralen, Meinungszensur und staatlicher Überreglementierung verwandelt“ hat. Diese Vorgehensweise macht „Die Krisenmaschine“ zu einem intellektuell anspruchsvollen und zugleich kurzweiligen Buch. Erschienen ist es übrigens in der Edition des Kontrafunks, wo Vahlefeld die wöchentliche Genusssendung „Leib und Speise“ produziert.

Der Publizist weiß, wie man schwere Kost schmackhaft macht, wie man sie zubereitet und kredenzt. Das mehrgängige Menü der „Krisenmaschine“ serviert er im essayistischen Stil. Die Leser müssen sich nicht durch eine akademische Sprache kämpfen, sondern können entspannt dem Gedankenstrom folgen, der sie durch polemische Zuspitzungen, geistreiche Pointierungen und herrliche Zitate führt. Mehrmals kommt dabei der Satiriker Bernd Zeller zu Wort, aber auch ehemalige Politiker wie Hans Maier. Von ihm findet sich in dem Buch ein Bonmot, das die deutsche Ausprägung der liberalen Demokratie treffend wiedergibt: „Deutschsein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu übertreiben.“

Die Übertreibung, so Vahlefeld, drückt sich regelmäßig in der Definierung „großer Aufgaben“ aus: Klimarettung, Humanität, Friedensprojekt EU, Virusabwehr. Der Feind wird gleich mitgeliefert: Corona-Leugner, Putin, Nazi, Trump. „Je größer die Aufgabe ist, desto mehr muss man zugleich die Ränder zwischen wir und die schärfen“, schreibt der Autor und merkt an, dass die „Lust und das Interesse der Politik an den kleinen Problemen“ wie innere Sicherheit, Schulen, Wohnungsbau oder die Verkehrsinfrastruktur gegen solche Großprojekte eher verblassen.

Zivilgesellschaft – ein weiterer Etikettenschwindel

Das ist das Wesen der „Krisenmaschine“ aka liberale Demokratie, als deren Kern Vahlefeld die „Zivilgesellschaft“ bezeichnet – ebenfalls ein Etikettenschwindel, wie der Autor ausführt. An ihr arbeitet er sich pausenlos ab, zunächst aber an ihrem theoretischen Wegbereiter: Jürgen Habermas. Ein ganzes Kapitel ist ihm und dessen Legende vom „herrschaftsfreien Diskurs“ gewidmet. Vahlefeld schreibt es mit spitzer Feder, sodass gar nicht zu übersehen ist, welche Freude es ihm bereitet, die Galionsfigur unter den Leitmedien-Philosophen zu kritisieren.

Habermas hat seine Diskursphilosophie mit der Formel von der „normativen Kraft des Faktischen“ unterfüttert. Das klinge auf den ersten Blick wie das „entspannte Aushalten der Wirklichkeit”, die sich immer gegen „Ideologien und Wolkenkuckucksheime“ durchzusetzen imstande sei, schreibt Vahlefeld und entlarvt die Formel als das genaue Gegenteil: „Nach Habermas ist das Faktische nie die Wirklichkeit, sondern ausschließlich der Teil der Wirklichkeit, der im Diskurs behandelt wird. Im medialen Diskurs entwickelt sich das Faktische dann zu einer mit Machtanspruch ausgestatteten Norm, die über den unverhandelten Rest der Wirklichkeit herrschen kann und soll.“

Wie es in der heutigen Praxis funktioniert, zeigt Vahlefeld eindrucksvoll, indem er die perfiden Methoden der vermeintlichen „Zivilgesellschaft“ seziert und in diesem Zuge quasi inventarisierend alle beteiligten Akteure nennt: von Correctiv, zahlreichen NGOs und Leitmedien bis hin zu Parteien, Gewerkschaften und Verbänden. „Dieser Chor aus Einverständnis erschafft erst das Faktische, das dann zur Norm erhoben werden kann.“

Ein Archiv der Widersprüche

Darin besteht das Wesen der heutigen liberalen Demokratie, von der aus Vahlefeld unter anderem Parallelen zur Postmoderne, zum Puritanismus und Protestantismus oder zu Mao Zedong zieht. Zwischendurch streut er Satire-Kapitel ein, kurze Geschichten in Dialogform, die durchspielen, wie manche Gespräche vor bekannten Medienskandalen womöglich abliefen. Humor und Esprit sind bei der Lektüre ein ständiger Begleiter. In verdichteter Form finden sie sich in Sätzen wie diesen: „Alle Menschen müssen der nun herrschenden Staatsideologie folgen, damit sich niemals wiederholen kann, was vor 80 Jahren geschah, als alle Menschen der herrschenden Staatsideologie gefolgt sind.“

Die kognitive Dissonanz der vermeintlichen Zivilgesellschaft, wie sie in diesem Aperçu zum Vorschein kommt, wird im Buch immer wieder vor Augen geführt. In diesem Sinne ist Vahlefelds „Krisenmaschine“ ein Archiv der Widersprüche, die den politischen und gesellschaftlichen Alltag von heute prägen – quasi ein schriftliches Kuriositätenkabinett mit ideologischen Skurrilitäten und institutionellen Missbildungen, die noch in hundert Jahren Staunen hervorrufen werden.

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