Warum misstrauen Menschen der Wissenschaft? Weil es rational ist.

von Klaus Alfs

Lesedauer 6 Minuten
Die Vision des Hlg. Bernhard  (1882) von Wilhelm Bernatzik
Die Vision des Hlg. Bernhard (1882) von Wilhelm Bernatzik

Ob Medizin, Physik oder Klimaforschung – nie war der Wissensstand der Welt so gut wie heute. Dennoch leugnen einige Menschen wissenschaftliche Erkenntnisse. Welche Motive stecken dahinter – und wie lässt sich das ändern?“ So heißt es im Teaser eines Tagesschau- Beitrags.

Der Artikel befasst sich nicht mit möglichen Gründen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu bezweifeln, sondern nur mit den Motiven ihrer Leugnung. Es kommen ausschließlich Psychologen zu Wort, die alles Mögliche erzählen, um vermeintliche Leugner in ein schlechtes Licht zu rücken und als Rechtsextreme zu stigmatisieren. Wissenschaft erscheint hier als ein Ensemble von Wahrheiten, über die sich eine Priesterkaste – die „Experten“ – nun einmal einig sei. Wer deren Ratschluss anzweifelt, wird exkommuniziert und für vogelfrei erklärt. Die Definition des Physik-Nobelpreisträgers Richard Feynman, Wissenschaft sei der Glaube an das Nichtwissen von Experten, hat in diesem Weltbild keinen Platz.

Es mag irrational sein, an eine flache Erde zu glauben. Allerdings ist dies nicht irrationaler, als alles blind für wahr zu halten, was die Medien zu unbezweifelbarer Wissenschaft erklären. Wer im Glashaus sitzt, sollte also nicht mit Steinen werfen. Jemand, der beispielsweise überzeugt ist, die positive Wirkung der Covid-Impfung sei wissenschaftlich erwiesen, ist einem „esoterischen“ Impfgegner geistig in keiner Weise überlegen. Im Gegenteil. Da letzterer Recht hat, wenn er sie für wirkungslos und gefährlich hält, ist der Wissenschaftsgläubige der Dumme. Fasst er Wissenschaft so auf, wie oben beschrieben, hat er keinerlei Möglichkeit, seinen Irrtum zu erkennen. Damit unterscheidet er sich nicht von einem religiösen Fanatiker.

So jung wie heute…

Es gehört zur unreflektierten Wissenschaftshuldigung, mit dem aktuellen Wissensstand zu prahlen, welcher all seine Vorgänger deklassiere. Darin klingt noch immer das Drei-Stadien-Gesetz nach, demzufolge wir uns heute im wissenschaftlichen Zeitalter befänden, das den theologischen und metaphysischen Zeiten haushoch überlegen sei. Doch die Behauptung, der aktuelle Wissensstand sei so gut wie nie zuvor, ist nicht gehaltvoller als der Ausruf von Trinkbrüdern, so jung wie heute komme man nie mehr zusammen.

So wenig Wissenschaft aus sich heraus ihre eigene Überlegenheit erweisen kann, können es Wissensstände mit sich selbst als Maßstab. Jeder Wissensstand ist auf Grundlage seiner selbst immer der beste. Um anders als durch bloßes Hörensagen die Auffassung vertreten zu können, der heutige Wissensstand sei schlechter als der gestrige, muss man nämlich über das entsprechende Wissen verfügen, welches den gestrigen Wissensstand als besser auszeichnet. Dieser wäre damit faktisch der heutige, denn man weiß ja, dass der als heutig geltende Wissensstand schlechter ist, also weniger Wissen enthält. Letzterer wäre damit nichtig.

Da der Wissensstand auch zur Zeit der Hexenverfolgung so gut war wie nie zuvor, müsste die Tagesschau Menschen, die damals nicht an Hexen glaubten, ebenfalls zu „Wissenschaftsleugnern“ erklären. „Der Hexenwahn des 15. und 16. Jahrhunderts war eine Theorie der Besessenheit und stützte sich auf Beobachtungen, die heute in gleicher Weise zu machen sind“, stellt der Wissenschaftstheoretiker Hans Poser fest. Diese Theorie passte durchaus zu den Beobachtungsdaten. Hexenprozesse galten seinerzeit als wissenschaftlich hervorragend abgesichert, die Todesurteile wurden von Universitäten gegengeprüft. Jean Bodin (1530–1596), Verfasser eines einflussreichen Werkes über Hexerei, war zugleich ein bedeutender Staatstheoretiker, also eine wissenschaftliche Autorität. Niemand kann das leugnen.

Die meisten Theorien sind falsch

Generell laden Wissensstände nicht dazu ein, bei ihnen Wurzeln zu schlagen. Zwar gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Theorien, die womöglich für immer standhalten. Diese machen aber nur einen Bruchteil aller wissenschaftlichen Theorien aus. Fast alle jemals aufgestellten und anerkannten Theorien sind irgendwann wieder verworfen worden. Der Wissenschaftsphilosoph Larry Laudan schreibt dazu: „Angesichts der historischen Aufzeichnungen gibt es gute Gründe anzunehmen, dass die meisten wissenschaftlichen Theorien falsch sind.” Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ausgerechnet die aktuellen Theorien allesamt oder in ihrer Mehrzahl ewigen Bestand haben werden.

Das liegt vor allem daran, dass Wissenschaftler keine Übermenschen sind, auch wenn manche von ihnen sich so aufführen. Zu jeder Theorie sind zu jedem Zeitpunkt eine unbestimmte Anzahl radikal widerstreitender Theorien denkbar, die genauso gut oder besser zu den verfügbaren empirischen Daten passen. Sie existieren als konkrete Möglichkeit schon zu diesem Zeitpunkt. Wissenschaftler ziehen jedoch zum Zeitpunkt x stets nur eine sehr kleine Anzahl möglicher Theorien in Betracht. Dieses Phänomen wird in der Wissenschaftstheorie als „transiente Unterbestimmtheit“ bezeichnet.

Heutige Wissenschaftler sind den damaligen kognitiv nicht überlegen. Deshalb kann man davon ausgehen, dass sie genauso oft daneben liegen. Dagegen hilft auch keine größere Vernetzung oder „Schwarmintelligenz“. Engere Vernetzung erzeugt Gruppendenken und Gruppendruck, die nachweislich dazu führen können, den größten Unsinn für wahr zu halten. Heutige Wissenschaftler könnten daher sogar beschränkter sein als ihre damaligen Kollegen.

Aggressiver Opportunismus

Hätte es schon immer die Tagesschau mit ihren Faktencheckern und Wissensredakteuren gegeben, hätten diese in der Vergangenheit das geozentrische Weltbild, die Viersäftetheorie der Humanmedizin, die Phlogistontheorie, die optische und elektromagnetische Äthertheorie, die Korpuskeltheorie des Lichts, die Theorie der Urzeugung, den Vitalismus und vieles andere mehr mit größter Inbrunst vertreten. Diese Theorien hatten zum Teil lange Bestand, galten als gesichert oder bewährt, obwohl sie nach heutiger Ansicht nicht „referierten“, also auf nichts Reales bezogen waren.

Die Tagesschau, ihre Faktenchecker und Wissensredakteure hätten sich zu jedem Zeitpunkt der Geschichte darüber gewundert, dass irgend jemand irgendeine der als gesichert geltenden Theorien anzweifeln kann. Daran wird deutlich, dass sie lediglich aggressiven Opportunismus verbreiten. Sie hätten die Hexenverbrennung ebenso gerechtfertigt wie die Rassentheorie und die Eugenik mit ihren Sterilisations- und Vernichtungsprogrammen. Sie hätten alle an den Pranger gestellt, die damals bestritten, dass die Menschheit untergehe, wenn nicht drastische eugenische Maßnahmen ergriffen würden.

Korrumpierte Wissenschaft

Misstrauen gegenüber der Wissenschaft ist schon aus prinzipiellen Gründen geboten. Hinzu kommt aber noch der Wissenschaftsbetrieb in seiner gegenwärtigen Gestalt, welcher zusätzliches Misstrauen hervorrufen muss. Vielen Forschern ist selbst klar, dass derzeit etwas schiefläuft. Die Probleme sind unter anderem als „Publication Bias“ und „Replikationskrise“ einschlägig. Wie John Ioannidis bereits 2005 dargelegt hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nahezu alle öffentlich publizierten Forschungsergebnisse falsch sind.

Das liegt unter anderem an der Publikationspraxis. Wissenschaftler müssen möglichst schnell und viel publizieren, um Reputation zu erlangen, welche wiederum gute Stellen und gut dotierte Forschungsaufträge ermöglicht. Von Fachzeitschriften werden positive Resultate bevorzugt. Man kann keine Karriere damit machen, vermutete Effekte nicht zu finden. Für Fachzeitschriften ist es nicht sonderlich attraktiv, darüber zu berichten. Deshalb ist der Hype fester Bestandteil der heutigen Wissenschaftspraxis. Nicht vorhandene oder minimale Effekte werden in Abstracts, Presserklärungen und populärwissenschaftlichen Werken zu bedeutsamen aufgebläht.

Eine Untersuchung von 2434 wissenschaftlichen Studien ergab, dass der Anteil von Studien mit positiven Ergebnissen überproportional groß war. Am geringsten war er in der Astrophysik mit siebzig Prozent, am größten war er in der Psychologie mit über neunzig Prozent. Kontrollverfahren wie das Peer Review sind strukturell unzureichend und werden häufig missbraucht. Deshalb haben durch Manipulation erzielte positive Resultate die gleiche Chance auf Veröffentlichung wie lege artis erzeugte. Manipulation ist jedoch effizienter. Daher setzt sich schlechte, manipulierte Wissenschaft auf Dauer evolutionär durch. Vieles, was während der Coronazeit von Kritikern skandalisiert wurde, ist in der Wissenschaftspraxis normal – zum Beispiel, die Herausgabe von Rohdaten trotz gegenteiligem Data Sharing Statement zu unterlassen. Man sollte also bei aller berechtigten Kritik aufpassen, die gängige Praxis nicht implizit zu glorifizieren.

Die ungute Entwicklung wird verstärkt durch eine fortschreitende Politisierung der Wissenschaft mittels Ökologismus, Klimakatastrophismus, Wokismus und andere politische Strömungen. In diesem Milieu können sich schlechte Wissenschaftler gegenüber besseren durchsetzen, wenn sie die „richtige“ Einstellung haben und besonders willfährig sind. In der Sowjetunion setzte sich Lyssenko gegen die bedeutenden Genetiker Lewit und Agol durch. Letztere wurden schließlich erschossen, weil sie eine Theorie vertraten, die vom Regime geächtet wurde. So weit sind wir zwar noch lange nicht – aber die Entwicklung tendiert in diese Richtung.

Forschungsaufträge werden meist von staatlichen oder überstaatlichen Organisationen sowie von Stiftungen „philanthropischer“ Milliardäre finanziert. Wer bedacht werden will, sollte sich mit den potenziellen Geldgebern gutstellen. Klappern gehört zum Handwerk. Es muss ein möglichst großer gesellschaftlicher Missstand behauptet werden, damit sich der jeweilige Forschungszweig als besonders wichtig empfehlen kann.

Wie man unter anderem im Buch Von der Hypothese zur Katastrophe nachlesen kann, waren zum Beispiel Klimaforscher aufgrund günstiger politischer Bedingungen mit dem Klappern außergewöhnlich erfolgreich. Ihr unablässiges Auf-die-Pauke-Hauen hat sich zum institutionalisierten und überfinanzierten Größenwahn verselbständigt. Es wäre gegen ihre egoistischen Interessen, Entwarnung zu geben und die Klimakatastrophe abzusagen. Viele Wissenschaftszweige nähren sich von gesellschaftlichen Missständen, die entweder gar nicht existieren oder weit übertrieben werden. Die „Klimakrise“ ist für den Weltklimarat da, die „Biodiversitätskrise“ für den Weltbiodiversitätsrat usw. Nicht umgekehrt!

Fazit

Wer seine Sinne beisammen hat, wird wissenschaftlichen Experten, die offiziell bestallt und von den Medien hofiert werden, kaum ein Wort glauben. Es ist weit rationaler, sie allesamt für korrupt oder ideologisch verblendet zu halten. Das gilt ganz besonders in den Bereichen Gesundheit und Klima. Mit diesen Themen wird ebenso üble wie offensichtliche Propaganda gemacht, um Freiheitsrechte der Menschen massiv einzuschränken und Geschäftsinteressen einiger weniger Akteure zu erfüllen. Diese Bereiche sind von Korruption zerfressen. Es liegt zwar nahe, solche Phänomene als Missbrauch zu interpretieren und auf die „echte“ oder „wahre“ Wissenschaft zu vertrauen. Doch niemand weiß so recht, was das sein soll. Alle Versuche, Wissenschaft von Pseudowissenschaft abzugrenzen, sind jedenfalls kläglich gescheitert. Zudem stehen die Chancen derzeit schlecht, dass sich eine weniger korrupte Wissenschaft allgemein durchsetzt. Erklärungsbedürftig ist also nicht, dass es Menschen gibt, die der Wissenschaft misstrauen. Erklärungsbedürftig ist vielmehr, warum so viele Menschen der Wissenschaft vertrauen, obwohl zumindest in deren Namen so viel Unheil angerichtet wurde und wird.

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