Von Vorsitzender Richterin Karin aus Heidelberg
Lesedauer 6 MinutenNach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Erziehung des Kindes das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Eltern können also grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung des Kindes gestalten. Diese Freiheit ist eine Freiheit zum Schutz des Kindes; oberste Richtschnur für die Ausübung des Elternrechts ist das Wohl des Kindes. Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung zum Wohl des Kindes auszuüben (§ 1627 BGB).
Das Kindeswohl ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zwar in verschiedenen Vorschriften genannt, aber nirgends definiert wird. Dazu gehört neben der körperlichen, geistigen und seelischen Unversehrtheit (§ 1666 Abs. 1 BGB) die Möglichkeit, zu einer selbstständigen und verantwortungsbewussten Person heranwachsen zu können (§ 1626 Abs. 2 BGB), sowie die Fähigkeit zum Zusammenleben in der Gemeinschaft.
Ich wiederhole: Zuvörderste Aufgabe der Eltern ist es, die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder zu schützen und sie zu einem Zusammenleben in der Gemeinschaft zu befähigen.
Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit
Die „Einbringung“ eines Impfstoffs in den Körper, bei dem es sich um ein Arzneimittel (vgl. § 4 Abs. 4 AMG) und somit um einen Stoff handelt, welcher im Körper entsprechende Reaktionen verursacht, stellt einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG) dar. Bei einer Impfung handelt es sich keineswegs nur um den medial verniedlichten „kleinen Pieks“.
Eine Schutzimpfung ‒ und um eine solche handelt es sich bei der Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 ‒ verfolgt das Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen (§ 2 Nr. 9 InfSG).
Eltern sind also von Gesetzes wegen verpflichtet, zu prüfen, ob mit einer Impfung gegen das Coronavirus das Ziel, ihr Kind vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen, erreicht werden kann. Sie haben die Folgen einer „natürlichen Erkrankung“ dem möglichen Impfrisiko gegenüberzustellen. Die Abwägung des Risikos einer Erkrankung mit dem möglichen Risiko einer Impfung haben die Eltern auf vernünftiger, wissenschaftlich belegter Basis zu treffen.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung gegen COVID-19 als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung haben. Im Übrigen spricht die STIKO keine Empfehlung aus1. Gesunde Kinder haben kein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung.
Das geht aus einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene vom 21.04.2021 hervor: „Die nun seit Beginn der Pandemie gemachte Beobachtung, dass von den schätzungsweise 14 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland nur etwa 1200 mit einer SARS-CoV-2-Infektion im Krankenhaus (< 0,01%) behandelt werden mussten und vier (4) an ihrer Infektion verstarben (< 0.00002%), sollte Anlass sein, Eltern übergroße Sorgen vor einem schweren Krankheitsverlauf bei ihren Kindern zu nehmen. In der Saison 2018/19 wurden nach Angaben des RKI insgesamt 7461 Kinder unter 14 Jahren mit Influenza als hospitalisiert gemeldet, 9 Kinder verstarben. Nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur lag im Jahr 2019 die Zahl der durch einen Verkehrsunfall getöteten Kinder bei 55, nach Angaben der DLRG die Zahl der ertrunkenen Kinder bei 25. Diese Zahlen sollen und dürfen keinesfalls gegeneinander aufgerechnet werden, mögen aber bei der Einordnung helfen.“
Solidarität als Einbahnstraße
Gesunde Kinder impfen zu lassen, könnte eine Verletzung der Elternpflicht sein. Angesichts dieser Zahlen und der Empfehlung der STIKO könnte es eine Verletzung der Pflicht der Eltern, die die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder zu schützen haben, darstellen, wenn sie ihre gesunden Kinder gegen das Coronavirus SARS-CoV -2 impfen lassen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass alle in der EU und damit in Deutschland zugelassenen COVID-19-Impfstoffe nur eine bedingte Zulassung erhalten haben. Erst wenn umfassende Daten darüber vorliegen, die bestätigen, dass die Nutzen-Risiko-Bilanz positiv ausfällt, d.h. der Nutzen für die Gesundheit die Risiken überwiegt, kann die bedingte Zulassung in eine Standardzulassung umgewandelt werden. Diese Daten liegen noch nicht vor.
Immer wieder verweisen Politiker und verschiedene Medien darauf, dass auch Kinder geimpft werden müssten, um ältere Menschen vor gravierenden Folgen einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen, und beschwören die Solidarität der Gemeinschaft. Aus den Grundwertungen des Kindeswohlprinzips ist zu entnehmen, dass die Kindesinteressen Vorrang vor allen anderen beteiligten Interessen haben. Dies dürfte umso mehr gelten, als jede volljährige Person es selbst in der Hand hat, sich durch eine Impfung gegen eine Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen.
Aber selbst unter Berücksichtigung dessen, dass es volljährige Personen gibt, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, werden die Eltern abzuwägen haben, ob es geboten ist, ihr eigenes und 14 Millionen andere Kinder mit einem bedingt zugelassenen Arzneimittel zu impfen, um einige wenige Personen zu schützen, mit denen ihre Kinder mutmaßlich nie in Kontakt kommen werden.
Es ist also keineswegs unsolidarisch, wenn Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen. Es wäre vielmehr unsolidarisch, wenn Ältere verlangen würden, dass die Kinder, die nun schon rund 1,5 Jahre nicht mehr regelmäßig Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen besuchen konnten, auch noch geimpft würden. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Älteren vor dem Hintergrund
- eines bedingt zugelassenen Impfstoffs
- der bestehenden Impfrisiken
- dem Wissen, dass gesunde Kinder kein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung haben
eine Impfung von Kindern nicht fordern würde.
Psychische Deformierung einer Generation
Zur Gemeinschaft der Kinder zählen neben den Eltern, Geschwistern und anderen Verwandten vor allem auch Erzieher und Lehrer sowie Gleichaltrige, denen die Kinder meist in Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen begegnen. Durch die Verpflichtung zum Tragen der Maske wird es ihnen erschwert, sich ein Bild von den Mitmenschen zu machen. Die Verpflichtung zum Tragen einer Maske stellt einen gravierenden Eingriff in das aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG folgende Grundrecht von Kindern dar, welches das Recht umfasst, das eigene äußere Erscheinungsbild nach eigenem Gutdünken selbstverantwortlich zu bestimmen. Viele Gerichte, wie z.B. der VGH Mannheim, haben in der Vergangenheit den Antrag, die sogenannte Maskenpflicht im Schulunterricht aufzuheben, abgelehnt, mit der Begründung, dass das Tragen einer Maske geeignet sei, das Ziel des Verordnungsgebers zu erreichen, das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potentiell sehr großen Zahl von Menschen zu schützen. Selbst auf Schulhöfen und bei Ausflügen im Freien mussten Masken getragen werden.
Wenn es um das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potentiell sehr großen Zahl von Menschen geht, wozu auch die 14 Millionen Kinder zählen, ist doch auch zu berücksichtigen, dass, wie „Die Welt“ am 03.06.2021 berichtet hat, eine Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie festzustellen ist. Erzwungenes Abstandhalten und Maskentragen, einhergehend mit Ausgrenzung, falls die Maske – das Symbol des regelkonformistischen Verhaltens -, aus welchem Grund auch immer, nicht getragen wird, können geeignet sein, solche Krankheiten auszulösen. Ebenfalls darf nicht unbeachtet bleiben, dass die staatlichen Maßnahmen nunmehr fast 1,5 Jahre andauern, was eine beträchtliche Zeitspanne für Kinder ist.
Der Aerosol-Experte Gerhard Scheuch, der ein eigenes Forschungsinstitut für Bio-Inhalation in Gemünden betreibt, erklärte gegenüber FOCUS Online, dass „die Gefahr, sich draußen anzustecken, … praktisch gleich Null ist. Man bräuchte im Außenbereich mindestens fünf bis 15 Minuten engen Zusammenstehens, damit es zu einer Infektion kommt“. Damit eine Ansteckung stattfindet, müsste eine Person mindestens 400 bis 4000 Viren aufnehmen, die durch Aerosolwolken eines Infizierten beim Sprechen und Atmen ausgestoßen werden.
Wenn es im Freien kein Ansteckungsrisiko gibt, kann man dieses auch nicht durch das Tragen einer Maske im Freien senken.
Lehrer in Virus-Angst vor ihren Schülern
Es ist schwer nachzuvollziehen, dass Erwachsene in einer Gaststätte ohne Masken – wenn auch in kleinen Gruppen – nebeneinandersitzen, reden und essen können, ohne eine Mund- Nase-Bedeckung zu tragen, während Kinder sie auch an heißen Sommertagen aufsetzen müssen und daran gehindert werden, unbeschwert und frei mit Gleichaltrigen zu kommunizieren und zu spielen.
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Dresden sind zu dem Schluss gekommen, dass “Kinder keine Treiber der Corona-Pandemie sind”. Die Münchner „Virenwächter-Studie“ fand bei 1.000 getesteten Kindern keinen einzigen positiven Testbefund und schlussfolgerte: „Wir können weiter keinen Anhaltspunkt dafür entdecken, dass Kinder zu den Hauptüberträgern des neuartigen Coronavirus zählen.“ In Norwegen wurden 8.000 Krankheitsfälle von Covid-19 nachverfolgt. Man fand keinen einzigen Fall, in dem das Virus in der Altersgruppe unter 20 Jahren weiterverbreitet worden wäre. Und Gérard Krause, Leiter der Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, stellte fest: „Wenn Kinder infiziert sind, dann haben sie sich die Infektion eher bei Erwachsenen geholt. Es ist eher nicht so, dass Kinder dazu beitragen, dass Erwachsene Infektionen bekommen. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis.“
Trotz allem gaben laut einer Studie der Charité 98 % der befragten Lehrer an, sie betrachteten Schüler als größte Corona-Gefahr. Wolfgang Kubicki hat recht, wenn er sagt, „dass ein Land, das es zulässt, dass sich seine Lehrer so vor den eigenen Schülern ängstigen, seine Zukunft verspielt und grundlegende zivilisatorische Errungenschaften infrage stellt.“ (zit.)
Denn aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG wird die Verpflichtung des Staates abgeleitet, ein Schulsystem zur Verfügung zu stellen und durch Gesetze zu ordnen, das dem Einzelnen die Möglichkeit bietet, sich die Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, die er für seine Persönlichkeitsentwicklung und seinen Lebens- und Berufsweg benötigt. Der Eingriff in die Lebens- und Berufschancen der betroffenen Schülerinnen und Schüler nimmt mit der Dauer der Beschränkungen des Schulunterrichts an Intensität zu.
Es ist Zeit für die Zukunft der Kinder zu kämpfen!
1 Anm d. Redaktion: Am 16.8.2021 änderte die STIKO auf beispiellosen politischen Druck, (siehe https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/weiter-druck-auf-stiko-wegen-corona-impfung-von-kindern,ScTtWyH) ihre ablehnende Haltung, um lt. Mitglied Kinderarzt Martin Terhardt: „”…. der Politik ein bisschen entgegenzukommen.”, https://www.badische-zeitung.de/die-stiko-will-der-politik-entgegenkommen–204092674.html
Der Beitrag wurde auf einer Veranstaltung der https://offene-gesellschaft-kurpfalz.de/ im Juli 2021 erstmalig öffentlich vorgetragen.