Das Sterben der ungeimpften Republikaner – Wissenschaftliche Standards im freien Fall?

ein Beitrag von Kay Klapproth

Lesedauer 6 Minuten
Das Sterben der ungeimpften Republikaner – Wissenschaftliche Standards im freien Fall?
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In den USA standen Anhänger der Republikaner den neuen Impfstoffen gegen Covid-19 von Beginn an skeptischer gegenüber als Anhänger der Demokraten. Im Mai 2021 hatten weniger als die Hälfte der Republikaner ein Impfangebot angenommen, aber bereits über 80 Prozent der Demokraten. Dieser Unterschied in den Impfquoten besteht bis heute fort.

Nun ist im angesehenen Journal of the American Medical Association(JAMA)ein Artikel mit dem Titel “Excess Death Rates for Republican and Democratic Registered Voters in Florida and Ohio During the COVID-19 Pandemic” erschienen. Ein Forschungsteam der Yale Universität untersuchte Wählerregistrierungsdatensätze aus dem Jahr 2017 und Sterbedatensätzen aus den Jahren 2018 bis 2021 für Ohio und Florida und verglich Sterberaten republikanischer und demokratischer Wähler vor und nach Covid. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass ab Beginn der Impfkampagne die Übersterblichkeit unter republikanischen Wählern um 43 Prozent höher war als unter demokratischen Wählern [1]. Auffällig hoch fielen die Unterschiede dabei in Bezirken aus, in denen die Impfquoten besonders niedrig waren.

These: Ungeimpfte Republikaner sterben häufiger als geimpfte Demokraten

Dass sich der Abstand in den Übersterblichkeiten der beiden politischen Lager vergrößert hat,seit Impfstoffe gegen Covid-19 verfügbar sind, deutet nach Einschätzung der Forscher darauf hin, dass die Inanspruchnahme dieser Impfstoffe dabei wahrscheinlich eine wichtige Rolle gespielt hat. Ihre Ergebnisse würden die entscheidende Bedeutung von Impfstoffen unterstreichen, mutmaßte Jason L. Schwartz, einer der Autoren der Studie. Und sein Kollege Jacob Wallace meinte, ihre Daten ließen den Schluss zu, dass tausende Leben hätten gerettet werden können, wenn die Impfbereitschaft unter Republikanern größer gewesen wäre.

Diese Interpretation wurde von US-amerikanischen Medien begierig aufgenommen und verbreitet. Die Daten passten so gut zueinander, dass man kaum umhin komme, eine offensichtliche Schlussfolgerung zu ziehen, erklärte beispielsweise die Washington Post bereits im Oktober letzten Jahres, noch bevor die Studie der Yale-Forscher offiziell von Fachleuten begutachtet worden war [2]. Seit die Studie am 24. Juni veröffentlicht worden ist, können sich die Autoren über eine riesige Medienaufmerksamkeit freuen. Zu gut passt ihre Einschätzung in das offizielle Bild, dass rückständige Trump-Wähler den Preis für ihre unvernünftige Impfskepsis mit dem Leben bezahlen mussten.

Spekulationen statt methodisch korrekter Analyse

Aber haben die Autoren der Yale-Studie tatsächlich gezeigt, dass die höhere Sterblichkeit republikanischer Wähler auf Covid-19 Todesfälle zurückzuführen ist? Wenn man die Studie aufmerksam liest, stellt man fest, dass diese Frage von den Wissenschaftlern gar nicht untersucht wurde. Tatsächlich beschreiben sie eine insgesamt höhere Übersterblichkeit unter Republikanern, ohne die individuellen Todesursachen zu berücksichtigen. Dabei vernachlässigen sie in ihren Analysen den Einfluss anderer Faktoren wie Lebensumstände, Bildungsniveaus, Einkommen oder den Zugang zu medizinischer Versorgung. In allen diesen Bereichen schneiden republikanische Wähler allerdings seit Jahren bekanntermaßen schlechter ab.

Wähler der Republikaner sind im Schnitt älter und ärmer. Sie ernähren sich schlechter, leben in engeren Wohnverhältnissen und haben einen schlechteren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Studien haben gezeigt, dass Bewohner von Bezirken mit einem republikanischen politischen Umfeld auch schon vor Covid-19 schlechtere Gesundheitsergebnisse aufwiesen. Nach einer Studie im British Medical Journal stiegen daher die Unterschiede altersbereinigter Sterblichkeitsraten von Republikanern gegenüber Demokraten zwischen 2001 und 2019 deutlich an [3].

Vor diesem Hintergrund ist die Aussagekraft der Yale-Studie äußerst begrenzt. Es handelt sich um eine reine Beobachtungstudie, kausale Schlussfolgerungen sind auf der begrenzten Datenlage nicht möglich. Eine Vielzahl möglicher Einflussfaktoren wird von den Autoren vernachlässigt und durch eine einseitige Interpretation ersetzt: die Wirksamkeit von Covid-19 Impfstoffen sei der Grund für eine geringere, aber dennoch vorhandene, Übersterblichkeit bei Demokraten. So wird die Annahme, dass diese Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit besitzen zur Basis für eine Beweisführung, dass diese Impfstoffe wirken.

Aber die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler über kausale Zusammenhänge ihrer Beobachtungen werden durch eine unzureichende Datenauswertung nicht gestützt. Das ist den Autoren durchaus bewusst, denn sie weisen auf diese Limitationen hin. Der Hinweis auf die Grenzen in der Aussagekraft einer wissenschaftlichen Arbeit reicht aber nicht aus. Stattdessen hätten die offenen Fragen angemessen gewürdigt und in die Analysen mit einbezogen werden müssen. Das wäre ohne großen Aufwand möglich gewesen und es stellt sich die Frage, warum die Gutachter der Arbeit nicht darauf bestanden haben. Verglichen mit bisher geltenden wissenschaftlichen Standards, die früher als Voraussetzungen für eine Publikation in einem angesehenen Journal galten, steht diese Arbeit damit auf einer überraschend schwachen Basis.

Covd-19-Artikel sind schlechter als andere wissenschaftliche Publikationen

Seit Ausrufung der Corona-Pandemie beobachten wir eine drastische Geschwindigkeitssteigerung in der biomedizinischen Forschung. Es wurden umgehend gigantische öffentliche und private Ressourcen bereitgestellt, die zur Erforschung von Fragen im Zusammenhang mit Covid-19 verwendet werden sollten. Gleichzeitig haben viele hochrangige Fachjournale selbst „Fast-Track“-Publikationsmöglichkeiten für Covid-19 Studien angeboten. Während der Begutachtungsprozess einer wissenschaftlichen Arbeit durch Fachkollegen früher im Schnitt 110 Tage dauerte, waren es für Corona-Forschungsarbeiten plötzlich nur noch 13 Tage [4].

Für Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen wurden dadurch Anreize geschaffen, sich auf Themen zu konzentrieren, für die auf einmal erhebliche finanzielle Mittel zu Verfügung standen und die ihnen auch eine deutlich schnellere Veröffentlichung ihrer Forschungsarbeiten ermöglichte. Auch für solche Wissenschaftler, die sich bisher mit ganz anderen Themen befasst hatten, wurde der Einstieg in die Corona-Forschung damit sehr lukrativ. Umso mehr, als viele andere laufende Forschungsarbeiten während der Lockdowns abgebrochen werden mussten.

Warnungen, dass die schnelle Veröffentlichung von Forschungsarbeiten zu einer generellen Abnahme in der Qualität führen werde, gab es bereits früh. Schon im Mai 2020 wiesen Paul Glasziou, Professor für evidenzbasierte Medizin, und Tammy Hoffmann, Professor für klinische Epidemiologie darauf hin, dass schon vor Corona bis zu 85 % der Forschungsergebnisse aufgrund unzureichender Fragestellungen, eines unzureichenden Studiendesigns, ineffizienter Regulierung und Durchführung sowie fehlender oder mangelhafter Berichterstattung verschwendet wurden[5]. In der Covid-19 Forschung würden sich diese Probleme jetzt aber noch deutlich verschärfen, so die Wissenschaftler.

Inzwischen gibt es Untersuchungen, die nachweisen, dass die methodische Qualität in Covid-19-Artikeln geringer ist, als bei Artikeln zu anderen Forschungsthemen [6][7][8][9]. Gleichzeitig stieg ihr Anteil an allen Veröffentlichungen in medizinischen Fachmagazinen deutlich an. Artikel zu anderen wichtigen Fragestellungen ohne Bezug zu Covid-19 wurden dadurch verdrängt und Zuschüsse wurden aus Forschungsfeldern abgezogen, die nichts mit Covid-19 zu tun haben [10]. Durch die schnelle Publikation von Covid-19-Artikeln, die zum Ziel hatte, einer breiten Öffentlichkeit möglichst schnell neue Erkenntnisse über diese Erkrankung zukommen zu lassen, steht heute die Brauchbarkeit vieler Ergebnisse in Frage. Die generell niedrigeren Qualitätswerte von Covid-19-Artikeln wird wohl dazu führen, dass in Zukunft viele Studien neu bewertet werden müssen.

Gewünschte Ergebnisse bei Covid-19-Forschung wichtiger als richtige Methoden

Aber alle geäußerten Bedenken werden auf absehbare Zeit nicht zu einer Korrektur des gegenwärtigen beschleunigten Publikationsverfahrens und der Verschwendung von Ressourcen führen. Jede akademische Karriere basiert auf Publikationen. Je mehr Veröffentlichungen jemand vorweisen kann, umso leichter gelingt das Vorwärtskommen in einem Wissenschaftssystem, in dem an der Spitze nicht für alle Platz ist. Und auch für die veröffentlichenden Journale ist die Entwicklung durchaus nicht nur negativ. Artikel zu Covid-19 haben eine durchschlagende Wirkung auf die wichtigen Zeitschriften-Impact-Faktoren, und damit auch erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für die Verlage.

Die Forscher der Yale-Studie hätten die Seriosität ihrer Arbeit verbessern können, wenn sie methodisch sauber vorgegangen wären, und mehr relevante Daten, die zur Verfügung standen, in ihren Analysen berücksichtigt hätten. Aber die Interpretation, dass politische Zugehörigkeit einen Einfluss auf das Sterbegeschehen haben kann, lässt sich deutlich besser verkaufen. Sie garantiert mediale Aufmerksamkeit und fügt sich hervorragend ein in einen sogenannten „wissenschaftlichen Konsens“, der besagt, dass die Impfungen gegen Covid-19 erfolgreich waren.

Offenbar funktioniert in einer Situation der globalen Fokussierung auf ein Thema die wissenschaftliche Selbstkorrektur nicht mehr. Falsche Fragestellungen, falsches Studiendesign, falsche Methoden und schlechte Durchführung von Forschungsprojekten sind heute kein Hindernis für erfolgreiche Wissenschaft, solange sie die politisch gewollten Ergebnisse liefern.

[1] J. Wallace, P. Goldsmith-Pinkham, und J. L. Schwartz, „Excess Death Rates for Republican and Democratic Registered Voters in Florida and Ohio During the COVID-19 Pandemic“, JAMA Internal Medicine, Juli 2023, doi: 10.1001/jamainternmed.2023.1154.

[2] P. Bump, „Analysis | After vaccines became available, a partisan gap in deaths emerged“, Washington Post, 3. Oktober 2022. Zugegriffen: 31. Juli 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.washingtonpost.com/politics/2022/10/03/pandemic-biden-trump-deaths/

[3] H. J. Warraich, P. Kumar, K. Nasir, K. E. J. Maddox, und R. K. Wadhera, „Political environment and mortality rates in the United States, 2001-19: population based cross sectional analysis“, BMJ, Bd. 377, S. e069308, Juni 2022, doi: 10.1136/bmj-2021-069308.

[4] R. G. Jung u. a., „Methodological quality of COVID-19 clinical research“, Nat Commun, Bd. 12, Nr. 1, S. 943, Feb. 2021, doi: 10.1038/s41467-021-21220-5.

[5] P. P. Glasziou, S. Sanders, und T. Hoffmann, „Waste in covid-19 research“, BMJ, Bd. 369, S. m1847, Mai 2020, doi: 10.1136/bmj.m1847.

[6] R. G. Jung u. a., „Methodological quality of COVID-19 clinical research“, Nat Commun, Bd. 12, Nr. 1, Art. Nr. 1, Feb. 2021, doi: 10.1038/s41467-021-21220-5.

[7] C. Candal-Pedreira, A. Ruano-Ravina, und M. Pérez-Ríos, „Comparison of COVID-19 and non-COVID-19 papers“, Gac Sanit, Bd. 36, S. 506–511, Mai 2023, doi: 10.1016/j.gaceta.2022.03.006.

[8] M. Zdravkovic, J. Berger-Estilita, B. Zdravkovic, und D. Berger, „Scientific quality of COVID-19 and SARS CoV-2 publications in the highest impact medical journals during the early phase of the pandemic: A case control study“, PLoS One, Bd. 15, Nr. 11, S. e0241826, Nov. 2020, doi: 10.1371/journal.pone.0241826.

[9] A. Khatter, M. Naughton, H. Dambha-Miller, und P. Redmond, „Is rapid scientific publication also high quality? Bibliometric analysis of highly disseminated COVID-19 research papers“, Learned Publishing, Bd. 34, Nr. 4, S. 568–577, 2021, doi: 10.1002/leap.1403.

[10] M. Riccaboni und L. Verginer, „The impact of the COVID-19 pandemic on scientific research in the life sciences“, PLOS ONE, Bd. 17, Nr. 2, S. e0263001, Feb. 2022, doi: 10.1371/journal.pone.0263001.

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