Antworten auf das Abgeordneten-Anschreiben zum „Demokratiefördergesetz“ und „Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus“
Folge 1
Lesedauer 5 MinutenAm 5. März dieses Jahres veröffentlichte die 1bis19-Redaktion einen Musterbrief zum Thema „Demokratiefördergesetz“ und „Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus“, der als Vorlage für Anschreiben an die Abgeordneten der jeweiligen Wahlkreise genutzt werden kann. Er war zuvor schon an die Mitglieder von 1bis19 versandt worden mit Hinweisen darauf, wo die entsprechenden Wahlkreise und Mailadressen der Abgeordneten abrufbar sind. Im Folgenden dokumentieren wir einige Antwortschreiben der angeschriebenen Abgeordneten in anonymisierter Form.
Der Text des Anschreibens, auf das sich die Antworten beziehen, findet sich noch einmal ganz unten.
MdB (Bündnis 90 / Die Grünen) – Antwortschreiben 1:
Liebe…………………,
Vielen Dank für Ihre Nachricht.
Die pluralistische Demokratie basiert auf dem erklärten Grundkonsens, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Sie zu achten und zu schützen obliegt dem Staat. Sie haben recht, das Bundesverfassungsgericht besagt, dass die freie Meinungsäußerung ein Grundrecht ist. Diese Freiheit kann jedoch dort eingeschränkt werden, wo Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit tabulos und gewalttätig ausgedrückt werden. Ideologien der Ungleichwertigkeit gefährden das friedliche und gleichberechtigte Zusammenleben in einem demokratischen Gemeinwesen. Allen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken gehört deswegen ebenso zu den grundlegenden Aufgaben des demokratischen Verfassungsstaates wie der Schutz und die Pflege der verfassungsmäßigen Ordnung.
Um Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu unterbrechen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, sind kompetente zivilgesellschaftliche Organisationen nötig, die präventiv arbeiten und vor Ort demokratische Gegenangebote ermöglichen.
In ihrer Gesamtheit haben sich diese zivilgesellschaftlichen Projekte seit vielen Jahren bewährt und haben für die demokratische Gesellschaft unverzichtbare Funktionen übernommen. Sie tragen zur Stärkung der politischen Partizipation und Willensbildung sowie des sozialen Zusammenhalts bei, ermöglichen und fördern Empowerment, organisieren Selbsthilfe und Solidarität, bringen innovative und relevante Perspektiven in den politischen Diskurs und bilden trotz aller Widrigkeiten mittlerweile eine nicht mehr wegzudenkende Demokratie-Infrastruktur — diese gilt es zu erhalten, zu schützen und zu stärken.
Mit dem Demokratiefördergesetz schaffen wir als Ampelkoalition nun einen klaren gesetzlichen Auftrag des Bundes zur Förderung und Stärkung der Demokratie, der politischen Bildung, der Prävention jeglicher Form von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie der Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt und Teilhabe. Damit setzen wir ein zentrales Projekt aus dem Koalitionsvertrag zur Stärkung unserer demokratischen, freien, offenen und vielfältigen Gesellschaft um.
Viele unserer demokratie- und gesellschaftspolitischen Vorhaben haben wir auch in unserem Fraktionsbeschluss “Umbrüche und Aufbrüche – Gesellschaftlicher Wandel und Zusammenhalt” vom 21. März 2023 festgehalten. Sie finden weitere Informationen dazu hier:
https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/Fraktionsbeschluss_Umbrueche_Aufbrueche.pdf
Grüße
…………………………………. [MdB]
Auf das Schreiben der MdB entgegnete der Autor:
Guten Tag, liebe ………………………………………
Danke für Ihre Antwort.
Sie antworten jedoch allgemein und gehen nicht auf meine E-Mail und meine Besorgnis ein. Auch ich bin gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das ist doch selbstverständlich!
Meine Sorge ist, wie unten beschrieben, dass durch das „Demokratiefördergesetz“ die bereits jetzt gut funktionierende Gesetzeslage dahingehend erweitert wird, dass eben Meinungen, die nicht erwünscht sind, schon unterhalb der Kriminalitätsschwelle abgefangen und wegzensiert werden oder zu einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder im schlimmsten Fall sogar zu einer Verurteilung führen können. Diesen Mechanismus halte ich für hochgefährlich und eben nicht für das, was es sein soll, sondern im Gegenteil für demokratiegefährdend.
Ich denke, diese Sichtweise ist Ihnen durchaus bekannt. „Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu unterbrechen“ hört sich gut an, ist aber schwammig und im Ermessen des jeweiligen Betrachters. Sie nehmen mir hier meine Sorge nicht, sondern verstärken sie.
Wer beurteilt, was ein „Radikalisierungsprozess“ ist?
Wenn ich zum Beispiel sage, dass meiner Meinung nach die so genannte Corona-Impfung eine viel zu kurz getestete Behandlung ist, die viel zu viele Risiken hat, Menschen geschädigt hat, keinerlei Effekt auf die Eindämmung einer Übertragung hatte und bei allen Menschen unter 60 Jahren, die keiner Risikogruppe angehören, vollkommen unnötig war und bei Menschen über 60 Jahren allenfalls einen schweren Verlauf für 4-8 Wochen nach der Verabreichung abgemildert hat, ist das Ihrer Meinung nach ein beginnender Radikalisierungsprozess? Wenn ja, dann bitte ich Sie, mir mitzuteilen, ob Sie mich anhand dieser Aussage, weil Sie vollkommen anderer Auffassung sind, nun irgendwo melden wollten oder ob youtube, X und co. derartige Bekundungen dann ungefragt löschen werden, weil sie das Demokratiefördergesetz befolgen (was ja auch ohne „Demokratiefördergesetz“ schon regelmäßig passiert)? Wer beurteilt, was beginnende oder bereits stattgefunden habende „Radikalisierung“ ist?
Das ist nur ein Beispiel von vielen möglichen, das mir gerade einfällt, wo es kritisch für die Beurteilung desjenigen selbst schon ohne „Demokratiefördergesetz“ wurde, der einer bestimmten Meinung ist. Er ist dieser Meinung nicht aus verschwörungstheoretischer Ideologie, sondern aus einer tiefgehenden, wissenschaftlichen Recherche und Auseinandersetzung, wissend, dass es auch andere wissenschaftliche Sichtweisen gibt, die auch ihre Daseinsberechtigung haben. Es geht hier also um eine Deutungshoheit (z.B. DER EINEN Wissenschaft, die es natürlich nicht gibt, sondern viele verschiedene Thesen, Antithesen und Synthesen), die durchgesetzt werden kann, wenn man will. Das ist nicht demokratisch, sondern hochgefährlich und zeigt, dass die Verfasser dieses Demokratiefördergesetzes ein Menschenbild haben, das mich erschreckt. Sind wir nicht alle erwachsen? Oder sind wir Schüler, denen das Sagbare erklärt werden muss? Denen man erklären muss, wie man miteinander umgeht?
Ich weiß, dass es Hassrede und gruppenbezogene Ausgrenzung (zum Beispiel auch die von unter vielen anderen auch Ihnen geforderte, geförderte und praktizierte Ausgrenzung Ungeimpfter, zu denen ich gehöre) gibt, aber gegen die kann man mit den bereits vorhandenen Mitteln hervorragend vorgehen.
Weiterhin besorgte Grüße
……………………………
Auf die Entgegnung des Autors erfolgte keine weitere Korrespondenz der MdB (Bündnis 90 / Die Grünen).
Appendix:
Der Text des Musteranschreibens lautete im Übrigen wie folgt:
Sehr geehrter Herr/Frau [Name des Bundestagsabgeordneten],
ich wende mich an Sie, um meine Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen.
Am 13. Februar 2024 stellte die Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser, ein Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus vor. Darin setzt sie sich unter anderem für ein „Demokratiefördergesetz“ ein, das die finanzielle Förderung von politisch erwünschten Weltanschauungen verstetigen und echten Pluralismus verhindern würde, und strebt eine weitere Novellierung des Nachrichtendienstrechts an, insbesondere mit dem Ziel, Eingriffsschwellen für den administrativen Verfassungsschutz zu senken und richterliche Kontrollen unter dem Vorwand der „Entbürokratisierung“ abzubauen.
Die Äußerungen der Innenministerin und des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz auf derselben Pressekonferenz lassen klar erkennen, dass es nicht nur um die Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität geht, sondern auch darum, bestimmte Anschauungen und Einstellungen zu unterdrücken, die von der aktuellen Bundesregierung missbilligt oder abgelehnt werden.
Besonders besorgniserregend ist die geplante Umsetzung des Digital Services Act der EU durch das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG), welches Plattformbetreibern die Möglichkeit geben würde, mittels automatischer Inhaltserkennungstechnologien als „kritisch“ oder „nachteilig“ eingestufte Äußerungen zu löschen. Nutzer würden dann eher schweigen, als das Risiko einzugehen, als mögliche Störer oder Gefährder der „öffentlichen Debatte“ oder der „öffentlichen Sicherheit“ eingestuft zu werden.
Insgesamt könnte dies zu einer allgemeinen Atmosphäre der Angst und Unsicherheit führen, welche die für eine Demokratie unerlässliche freie Debatte im Wettbewerb der Meinungen einschränken würde.
Des Weiteren befürchte ich, dass im Rahmen der genannten Pläne kommunale Behörden dazu instrumentalisiert werden könnten, Bürger durch gewerbe-, gaststätten- oder ordnungsrechtliche Maßnahmen zu beeinträchtigen. Durch Einflussnahme auf Kreditinstitute könnten sogar Bankverbindungen und der Zugriff auf Konten beschränkt werden.
Wie das Bundesverfassungsgericht betont hat, ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ein unverzichtbares Element einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, da es den ständigen geistigen Austausch und den Wettstreit der Ideen ermöglicht:
„Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.“
BVerfGE 7, 198 [208] vom 15-Jan-1958 (Lüth)
Eine Grenze für Meinungsäußerungen regelt das allgemeine Strafrecht, das insbesondere Beleidigungen und Volksverhetzung verbietet. Unterhalb der Strafbarkeitsgrenze geäußerte Meinungen genießen Grundrechtsschutz. Auch staats- und regierungskritische oder von der Politik unerwünschte Meinungen sind vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt. Es ist grundrechtswidrig, unter Berufung auf einen unbestimmten Begriff wie „Staatswohlgefährdung“ missliebige Meinungen untersagen zu wollen.
Sie als Teil der Gesetzgebung sind deshalb aufgefordert, schwerwiegende Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit abzuwenden.
Ich bitte Sie daher dringend, das „Demokratiefördergesetz“ zu verhindern und Übergriffe der Nachrichtendienste auf möglicherweise unbequeme, aber unbescholtene Bürger abzuwehren.
Zudem bin ich als Teil Ihrer Wählerschaft an Ihrer Einstellung zu diesem Thema interessiert und bitte um eine Antwort, die Ihre Haltung zu diesem grundlegenden Thema verdeutlicht.
Mit freundlichen Grüßen,
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