Not kennt kein Gebot

Zum Ausnahmezustand der Jahre 2020 bis 2023

eine Analyse von Rechtsanwalt Horst G. Fischer

Lesedauer 11 Minuten
Die Entgleisung

Es kam ab März 2020 binnen kürzester Zeit zu einer Vielzahl an Gesetzesänderungen, Ergänzungen und Neuregelungen auf Bundes- und Landesebene, so dass man selbst als juristisch geschulter Bürger kaum hinterherkam, deren Erforderlichkeit, Sinn, Zweck und Auswirkungen in Ruhe durchdenken zu können. Das bürgerliche Leben in der Gesellschaft, war auf den Kopf gestellt. Dem juristischen Laien war es noch viel weniger möglich, all das zu verarbeiten und zu erfassen, was ihm geschah. Der Bürger war wortwörtlich überwältigt. Politiker regulierten, Parteien und Medien verlangten eine Vielzahl an Maßnahmen zur Restriktion des tagtäglichen Lebens. Das Recht kam und nahm dem Bürger seine Rechte mit der Begründung, es sei alternativlos, zu seinem Wohle und überhaupt dürfe man diese Maßnahmen „niemals hinterfragen“.1 Das Wohl des einzelnen Bürgers wurde zugleich als übergeordnetes Gemeinwohl mit zwei eng zusammenhängenden Gründen kommuniziert und dann oktroyiert: die Gesundheit des Einzelnen und die Überlastung des Gesundheitssystems.2 Alle Maßnahmen waren daran ausgerichtet, diese beiden Kriterien zu erfüllen.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit kann man die Maßnahmen und Regelungen wie folgt zusammenfassen:

Lockdown – Isolation – PCR-Tests – DNA-Datenbank – WarnApp – Kontaktnachverfolgung – Masken – Ausgangssperre – Impfung – 2. Impfung – Testpflicht – Booster – 3G – 2G – 2G+ / 2G++ – Impfpflicht (berufsbezogen) – Impfpflichtdebatte – Kontaktbeschränkungen und -vermeidung – Ausgrenzung – Arbeitsverbote – Erwerbsverbote – enteignungsgleiche Eingriffe, Erwerbs- und Berufsverbote und Lohnabzüge im Krankheitsfall.

All diese von den Parlamenten und den Regierungen verhängten Maßnahmen untersagten die Ausübung elementarer Grundrechte. Das föderale Prinzip der Bundesrepublik stand ebenso zur Debatte wie die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung über die Anordnungskompetenz dieser staatlichen Maßnahmen. Begleitet wurde all dies von den Medien, die für ihre Berichterstattung direkt und/oder mittelbar von der Regierung bezahlt wurden3, Gegenansichten und Kritik nicht zuließen, veröffentlichten oder, soweit inhaltlich keine Auseinandersetzung erwünscht war, in den direkten Angriff auf die Person mit übler Nachrede, Verleumdung und Beleidigung übergingen4.

Unterstützung erhielten die Medien und die Regierungen von bezahlten NGOs und sog. Fakten-Checkern, die Meldungen und Nachrichten als Fake-News einordneten und für Löschung auf Social-Media-Kanälen sorgten bzw. Nachrichten und Quellen in ihrer Reichweite einschränkten („Shadow-Bann“). Dass zudem eigens von der Regierung abgestellte Personen als „Anti-Desinformations-Zellen“ aktiv wurden, ist mit den Twitter-Files und den Erkenntnissen zur Cyber Threat Intelligence League5 für die weltweit tätigen Kommunikationsplattformen („Twitter“, „Instagram“, „Facebook“) bewiesen. Der Kampf gegen sogenannte „Desinformation“ wird das NetzDG ablösend über den Digital Service Act (DSA) fortgeführt. Die Zensur unliebsamer Kritik, die teils unter dem Begriff „Hass und Hetze“ erfolgt, wird über den strafrechtlich relevanten Bereich hinaus auf Meinungen und wissenschaftliche Erkenntnisse betrieben.6

Der Staatsnotstand im Grundgesetz

Der Ausnahmezustand ist kein Staatsnotstand. Ein Ausnahmezustand ist im Grundgesetz nicht normiert. Es finden sich aber Regelungen zum Staatsnotstand.7 So gibt es den „Verteidigungsfall“ in den Art.115a ff. GG oder den einem Verteidigungsfall vorgelagerten „Spannungsfall“ in Art. 80a GG. Beide sind jedoch auf eine Bedrohungslage durch eine andere staatliche Macht von außen ausgerichtet. Daneben gibt es noch den „Inneren Notstand“ des Art. 91 Abs. 1 GG. Dieser ermöglicht bei einer drohenden Gefahr für den Bestand des Bundes, seiner Länder oder der freiheitlich demokratische Grundordnung Polizeikräfte anderer Länder oder des Bundes zur Unterstützung anfordern. Und schließlich gibt das Grundgesetz für eigens benannte Krisenszenarien oder zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Art. 35 GG der jeweiligen Regierung des Bundes (Abs. 3) oder eines Landes (Abs. 2) ebenfalls die Erlaubnis, Polizeikräfte anderer Länder und des Bundes oder Militär anzufordern oder einzusetzen.

Gemeinsam ist allen Regelungen, dass diese – mit Ausnahme des Verteidigungsfalles – keine Eingriffe in die Kernbereiche des Grundrechtsschutzes nach den Art. 1 bis 20 GG vorsehen. Nur im Verteidigungsfall des Art. 115c GG ist ausdrücklich eine Abweichung bei den Enteignungsregelungen des Art. 14 Abs. 3 GG (Abs. 2 Nr. 1) und bei Freiheitsentziehungen eine von Art. 104 GG abweichende Frist (Abs. 2 Nr. 2) vorgesehen. Nur er erlaubt besondere Maßnahmen und Einschränkungen der Freiheitsrechte nach Art. 12a GG (zB. Wahl des Arbeitsplatzes). Für den Fall des Gesundheitsschutzes regeln zwei Grundrechte ausdrücklich Schrankenbestimmungen bei Seuchengefahr: die Freizügigkeit des Art. 11 Abs. 2 GG und die Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 Abs. 7 GG. Beides wird ausdrücklich in Art. 17a Abs. 3 GG zum Schutze der Zivilbevölkerung hervorgehoben.

Nach Auffassung des Autors haben wir in Deutschland zwischen März 2020 mit der Verhängung des ersten Lock-Downs bis zur Aufhebung der letzten Maßnahmen im März 2023, also über einen Zeitraum von drei Jahren in einem Ausnahmezustand gelebt. Für die angeordneten Pandemiemaßnahmen könnte aufgrund ihrer Breite und des konzentrierten Eingriffs in eine Vielzahl an Freiheitsrechten und der Segregation zweier Bevölkerungsgruppen allenfalls Art. 35 Abs. 2 und 3 GG herangezogen werden, der ausdrücklich auf (über-) regionale Katastrophen, Unglücksfälle und eine gemeine Gefahr abstellt. Es blieb jedenfalls bis zur Entscheidung des BVerfG zur Bundesnotbremse I und II daher bei der Wertung des Art. 19 Abs. 2 GG, dass kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf8. Wesensgehalt meint hier den Kernbereich eines jeden Grundrechtes. Kernbereich ist stets der zur Wahrnehmung des Rechtes unbedingt erforderliche Handlungsspielraum des Individuums zur Wahrung seines Rechtes auf (Handlungs-) Freiheit und zur Abwehr gegenüber Eingriffen des Staates in diese Freiheiten. Eine „verfassungsgemäße Diktatur“9 ist im Grundgesetz nicht vorgesehen.

Gemeinwohl über Freiheitsrechten des Einzelnen

Necessitas legem non habet; der Volksmund kennt diesen Satz als Sprichwort: die Not kennt kein Gebot10. Der Satz beschreibt die Gründe für die Verhängung eines Ausnahmezustands. Das BVerfG umgeht diese zur Rechtfertigung der Maßnahmen notwendige Feststellung in seinen Bundesnotbremsenentscheidungen, indem es eine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers innerhalb des bestehenden Rechtssystems behauptet. Dem Gesetzgeber stünde es frei, in Notfällen gemeiner Art (z.B. hier Pandemie, ggf. auch Klimawandel, Völkerwanderung, Energieknappheit etc.) die grundrechtlich geschützten Rechte der Bürger bis in ihren Kernbereich einzuschränken.11 Die Regelungen seien auch nicht aufgrund veränderter Tatsachen- und Erkenntnislage verfassungswidrig geworden. Es reiche z.B., wenn der Gesetzgeber die Freiheitsrechte bestimmter Personengruppen berücksichtige, einer erneuten Abwägung des Grundrechtsschutzes bedürfe es „für die nicht vollständig Geimpften und Genesenen“ dann nicht mehr, da die ursprünglich erfolgte Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht und den Gemeinwohlbelangen zutreffend gewesen sei.12 Das Gemeinwohl wird damit über die Freiheitsrechte des Einzelnen gestellt. Das dem Individuum zustehende Freiheitsrecht wird kollektiviert und dient damit nicht mehr dem Schutz des Einzelnen, sondern dem Schutz der Gemeinschaft als Kollektiv.

Die Regelungslücke zur allgemeinen Not

Einer solchen Auslegung widerspricht der Wille des Grundgesetzgebers. Es besteht keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke in unserer Verfassung, die es erlaubte, dem Gesetzgeber über die Einschätzungsprärogative „Notbeseitigung“ Grundrechte faktisch außer Kraft zu setzen. Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949 in Bonn die Annahme des am 08. Mai 1949 beschlossenen Grundgesetzes festgestellt und das Grundgesetz auf Grund seiner Feststellung ausgefertigt und verkündet. Es sind formell gültige Rechtssätze, an denen sich alle Gesetze auszurichten haben. Es ist geltendes Recht. Als solche unterfallen die Rechtssätze den normalen juristischen Auslegungsmethoden.13 Will der Gesetzgeber Regelungen erlassen, die die grundrechtlich geschützten Rechte einschränken oder in Notzeiten aufheben, ist er an diese gesetzlichen Vorgaben des Grundgesetzes gebunden. Es erscheint im Hinblick auf die oben genannten Regelungen zu Krieg, Unruhen und Krankheiten ausgeschlossen, dass unser Grundgesetzgeber eine pandemische Notlage vergessen haben könnte.

Gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten waren in der Menschheitsgeschichte immer bekannt und sie sind Bestandteil der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG geworden. Dennoch hat der Grundgesetzgeber keine allgemeine Ermächtigung in Art. 35 Abs. 2 oder Abs. 3 GG und auch nicht in 80a GG geschaffen. Der die Freizügigkeit der Deutschen gewährende Art. 11 GG hingegen enthält z.B. ausdrücklich einen Gesetzesvorbehalt für die Seuchenbekämpfung. Und in die durch Art. 13 GG geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung darf ebenfalls zur Bekämpfung von Seuchengefahr gemäß Abs. 7 eingegriffen werden. Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke liegt e contrario nicht vor und kann auch nicht mit einer Einschätzungsprärogative behauptet werden. Eine Seuchengefahr kann deshalb auch nicht in der Systematik des Grundgesetzes als übergeordneter, verfassungsrechtlicher Grund zur Beschränkung der Freiheitsrechte herangezogen werden, soweit keine konkrete Gefahr für den Einzelnen damit verbunden ist. Eine allgemeine Beschränkung oder ein Verbot der Grundrechtsausübung aufgrund einer Notlage ist nicht vorgesehen.

Der Souverän entbindet sich von den Zwängen der Verfassung

Steht hiermit fest, dass die Einschränkung der Grundrechte auch für den Fall gemeiner Not nur in eng begrenzten Rahmen ausdrücklich erwähnter Fälle einer konkreten Gefahr für den Einzelnen vorgesehen ist, denn daran hat sich das GG orientiert, ist die Verhängung eines Ausnahmezustands über die Gesellschaft wegen einer tatsächlichen oder prognostisch behaupteten Notwendigkeit z.B. wegen einer von der WHO ausgerufenen oder möglicherweise bevorstehenden Pandemie oder der mit Modellberechnungen behaupteten Gefahren wegen eines Klimawandels noch viel weniger durch das Grundgesetz gedeckt (Arg. a majore ad minus). Ein solcher Verstoß lässt nur noch mit einem gesetzlich nicht geregelten Ausnahmezustand, d.h. der anordnungssetzenden Macht an sich begründen. Dieses stellt stets einen logischen Zirkelschluss dar. Der verfassungsgebende Souverän entbindet sich von den Zwängen der Verfassung und erlässt Gesetze, die ihr widersprechen.14 Welche Aufgabe käme einem Parlament also zu? Hat es die Macht (des Volkes), über den Ausnahmezustand zu entscheiden? Kann es mit der Behauptung eines Ausnahmezustandes die Gesetze, die die Freiheit gewährleisten sollen, beseitigen? Darf es überhaupt die konkrete Gestaltung eines Ausnahmezustands regeln? Selbst mit dem Willen, die Rückkehr zur Verfassung gewährleisten zu wollen, dem Grundgesetz wieder Geltung zu verschaffen? Impfen wir uns also in die Freiheit zurück; mit der Impfung darf der Bürger wieder das Grundgesetz in Anspruch nehmen, ist der Einzelne wieder Bestandteil der Gesellschaft.15

Das Parlament darf die Grundrechte durch einfaches Recht nicht außer Kraft setzen.16 Der Kernbereich muss erhalten bleiben, wie das Grundgesetz es verlangt. Das Parlament kann auch nicht den Ausnahmezustand feststellen, um mit einer (akuten oder bevorstehenden) alternativlosen Notwendigkeit die zeitweilige Außerkraftsetzung der Grundrechte zu begründen. Derartiges ist im Grundgesetz nicht vorgesehen und aus historischen Gründen nicht gewollt. Durch Coronamaßnahmen betroffen waren: Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 4, Art. 5, Art. 6, Art. 7, Art. 8, Art. 11, Art. 12, Art. 13, Art. 14, Art. 19 und Art. 115 GG. All diese Grundrechte wurden innerhalb einer parlamentarisch festgestellten „Notlage“ bis hin zum Wesensbereich17 einfachgesetzlich zeitweilig eingeschränkt. Was keinesfalls erlaubt ist und dem Grundgesetz apriori18 widerspricht, ist das einfachgesetzliches Recht mit der Behauptung, die Regelung sei „notwendig“ und „alternativlos“, im Gesetz werde dem Zitiergebot19 Folge geleistet und das Parlament habe als demokratisches Organ der Gewaltenteilung genehmigt, die Grundrechte kollusiv einzuschränken oder faktisch zeitweilig außer Kraft zu setzen. Hierfür gibt es auch keine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Es ist rechtstechnisch unzulässig, dass ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt durch einfaches Recht eingeschränkt wird und/oder zweckbestimmt und strukturell aufgehoben wird.

Der Ausnahmezustand

Mit dem Wort Ausnahmezustand verbindet man regelmäßig die Definition staatlicher Souveränität im Sinne Carl Schmitts: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“20 Aber was ist dieser Ausnahmezustand, der der staatlichen Macht unbegrenzte über die jeweilige Verfassung hinausreichende Befugnisse einzuräumen vermag? Der Jurist denkt beim Ausnahmezustand in einem Niemandsland zwischen Öffentlichem Recht und politischer Notwendigkeit. Der Bürger jedoch lebt im Ausnahmezustand und muss sich darin zurechtfinden. Der als Gemeinwohl behauptete politische Wille wird mit einer gesellschaftlichen, politisch alternativlosen Notwendigkeit begründet.21 Jedoch: „Der Ausnahmezustand ist kein Sonderrecht (wie das Kriegsrecht), sondern er bestimmt, indem er die Rechtsordnung suspendiert, deren Schwelle oder Grenzbegriff“, schreibt Giorgio Agamben.22 Agamben legt dar, dass einer der wesentlichen Züge des Regierens mittels eines Ausnahmezustands die vorübergehende Abschaffung der Gewaltenteilung, der Unterscheidung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative ist. Es geht um nicht mehr als die Abschaffung des Rechts mittels gesetzten Rechts.23

Letzteres erreicht nur, wer die öffentliche Meinung kontrolliert und den Widerspruch gegen die als Gemeinwohlbelang deklarierte Notwendigkeit nicht zulässt. Ob die Abschaffung des Rechts nun parlamentarisch oder regierungsseitig erfolgt und zur Wiederherstellung einer verfassungsmäßigen Ordnung führt oder in einer verfassungsgemäßen Diktatur endet, kann dahingestellt bleiben.

Die veröffentlichten RKI-Protokolle belegen, dass es entgegen der wissenschaftlichen Expertise des RKI nur einen politischen Willen gab, den ersten Lockdown zu verhängen und die Grundrechtsausübung zu verbieten. Es war, wie Frau Dr. Merkel in der BPK am 21.01.2021 bekundete, eine politische Entscheidung, keine, wie die RKI-Protokolle belegen durch eine konkrete Gefahr begründbare Not. Souverän sei nach Schmitt derjenige, der die Regel setzt, nicht wer ihr folgt. Der Souverän „entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notfall vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen. Er steht außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung …“ und „entscheidet, worin das öffentliche oder staatliche Interesse … besteht“.24

Ausnahme von der geltenden Rechtsordnung aus politischen Motiven

Die geltenden Regeln aber sind das Grundgesetz und die Freiheitsrechte des Individuums. Sie bilden die Rechtsordnung, auf der die Demokratie fußt. Diese wurde faktisch außer Kraft gesetzt, indem den Bürgern die Wahrnehmung der Freiheitsrechte aus Gründen eines übergeordneten Gemeinwohls bei nur abstrakter Gefahr versagt wurde. Aber nur mit einer konkret bevorstehenden Gefahr für den anderen oder die Gesellschaft als Ganze lässt sich ein verfassungsgemäßer Staatsnotstand vom verfassungswidrigen Ausnahmezustand differenzieren. Hier gab es keine konkrete Gefahr für den Einzelnen, die den Normalzustand des allgemeinen Lebensrisikos überschritt. Der Rechtszustand war damit die aus politischen Motiven herbeigeführte Ausnahme von der geltenden Rechtsordnung. Und dieser Zustand war verfassungswidrig, wie die auf ihm beruhenden Regelungen. Es ist bedeutend, dass der Grundgesetzgeber die Verhängung eines Ausnahmezustands trotz des vorhandenen Bewusstseins einer gemeinen Gefahr nicht in das Grundgesetz aufgenommen hat. Ganz im Gegenteil hat der Gesetzgeber 1986 das Problem sehend zur Verteidigung der FDGO den inneren Notstand in Art. 80a GG aufgenommen.

Es entbehrt rückblickend in der Gegenwart nicht einer gewissen Ironie, dass er dem Bürger zur gleichen Zeit das Recht zum Widerstand in Art. 20 Abs. 4 GG einräumte.25 Denn jeder angeordnete Ausnahmezustand stellt die Gefahr für den Einzelnen, seine Freiheit und die freiheitliche Grundordnung der Gesellschaft dar.

1 Die Alternativlosrhetorik der Frau Dr. Merkel wurde gerade auch zu Pandemiezeiten oftmals bemüht und Prof. Dr. Wiehler, damals Chef des RKI, äußerte am 28.07.2020 in einer Pressekonferenz, dass diese Regeln unter dem Aspekt der Hygiene und des Gesundheitsschutzes „überhaupt niemals hinterfragt“ werden dürften.

2 Demnächst wird die One-Health-Doktrin oder auch Global Health Security Agenda der WHO auf der Tagesordnung stehen. Die Abstimmung hierüber steht 2024 aus. Die Folgen für Demokratie und Verfassung sind weitreichend.

3 Aktuell sind Zahlungen an die „Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft gemeinnützige GmbH“ in 2023 aus der Bundeskasse iHv 431 TEUR und der Landeskasse NRW iHv 145 TEUR Gegenstand medialer Berichterstattung; in Jahr 2021 gab die Bundesregierung für „Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern“ 67 Millionen EUR für externe Agenturen aus (WELT.de vom 25.10.2022); von 2018 bis 2022 zahlte die Bundesregierung 1,47 Mio EUR an Journalisten, hiervon 875 TEUR an Journalisten des ÖRR (BT-Drucksache 20/5822).

4 Die charmanteste Bezeichnung war es, einen Wissenschaftler als „umstrittenen“ zu bezeichnen, wobei es auf die jeweilige Fachrichtung nicht ankam. Die wissenschaftliche Aussage an sich wurde nicht diskutiert; oft war es eine Kontaktschuld, um die Person selbst als „umstritten“ zu qualifizieren. Der kritische Normalbürger wurde als „Querdenker“, „Covidiot“, „Menschenfeind“, „Wissenschaftsleugner“ (sic!), „Schwurbler“, „Bekloppter“ diffamiert und als politisch-gesellschaftliche Gefahr dargestellt: „Rechtsextremist“.

5 vgl. Michael Shellenberger: „Hogwarts School of Misinformation“: https://public.substack.com/p/ctil-files-1-us-and-uk-military-contractors

6 Das staatliche Betreiben erfolgt über die rechtliche Verpflichtung privater Unternehmen.

7 Knapp zusammenfassend der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages; WD 3 – 3000 – 064/23 – abrufbar über die Website des BT, dort unter https://www.bundestag.de/analysen.

8 Art. 19 Abs. 2 GG: In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Formal-legalistisch erhält das BVerfG zwar diese Rechtsprechung, materiell bedeutet dies jedoch nicht mehr viel.

9 In Anführungszeichen gesetzt, denn „es gibt dem Begriff Diktatur einen Hauch von gesellschaftlicher Akzeptanz durch umschmeichelnden Bezug zur Verfassung“, wie ein Freund des Verfassers es formulierte.

10 Ein Gebot ist allerdings kein juristisches Gesetz. Gemeint im lateinischen Satz aber ist ein Akt der Legislative, ein formell gültiges Gesetz, lex. Richtiger wäre als Übersetzung daher: das Notwendige kennt kein widerstreitendes Gesetz; bzw.: die Notwendigkeit beseitigt die Rechtsgebundenheit des Souveräns an das Gesetz / die Verfassung.

11 BVerfG Bundesnotbremse I (Az: 1 BvR 781/21; Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen; Rdz. 142 und 145 zur selbstvollziehenden Gesetzestechnik; Rdz. 185 Geeignetheit; Rdz. 204 Erforderlichkeit; Rdz. 217 Verhältnismaß i.e.S.); gleichlautend iE. auch Bundesnotbremse II (1 BvR 971/21; Schulschließungen)

12 BVerfG, a.a.O., hier Rdz. 236 für Kontaktbeschränkungen

13 Vgl. zu den Methoden der Auslegung der Gesetze zB. Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Springer-Verlag

14 Und wenn dem so sein sollte, dann hatte sich der Souverän auch nicht entbunden, sondern wurde von den

Zwängen der Verfassung „befreit“.

15 J. Spahn am 24.08.2021 in der WELT: „Wir impfen Deutschland zurück in die Freiheit“ Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article233333163/Jens-Spahn-zu-Corona-Wir-impfen-Deutschland-zurueck-in-die-Freiheit.html; K. Lauterbach in der Impfpflichtdebatte am 26.01.2022 „Die Freiheit gewinnen wir durch Impfung zurück“ Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/reden/bundestag-260122; H. Wüst auf X (vormals Twitter) am 23.01.2022: „Menschen dürfen ihre individuelle Freiheit nicht über die Freiheit der Allgemeinheit stellen“, kurz später nahezu gleichlautend bei Anne Will.

16 Die Weimarer Reichsverfassung sah hingegen in Art. 48 Abs. 2 und 3 WRV noch die vorrübergehende ganz oder zeitweilige Außerkraftsetzung von Grundrechten vor. Einer solchen Außerkraftsetzung widerspricht Art. 19 Abs. 2 durch den unbedingten Schutz des Wesensgehaltes ausdrücklich.

17 Was den Wesensbereich kennzeichnet und wie dieser zu bestimmen ist, müsste an anderer Stelle erörtert werden. Hier soll die Feststellung der Grundaussage genügen.

18 Und zwar im Kant’schen Sinne, als ein von der Erfahrung unabhängiges Wissen aus den Begriffen heraus.

19 Das Zitiergebot besagt, dass im Gesetz selbst das Grundrecht benannt wird, in das durch das Gesetz eingegriffen wird. Es hat eine Warn- und Hinweisfunktion für den Parlamentarier. Er soll wissen, dass er mit seiner Entscheidung über das Gesetz ggf. die Freiheitsrechte beschränkt. Das eingreifende Gesetz stellt sich als Schranke des Grundrechts dar. Das BVerfG selbst prüft in seiner Anrufung dann, ob die Abwägung, die das Parlament vorgenommen hat, seines Erachtens zutreffend war und die Einschränkung vor dem Grundgesetz Bestand haben kann.

20 Carl Schmitt, Politische Theologie, 1985, S. 11

21 Dies beschreibt zugleich den tieferen Grund der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung über das NetzDG und den DSA. Ziel ist die Herstellung eines als Notwendigkeit erkannten Konsenses in der Gesellschaft.

22 Agamben, Edition Suhrkamp, 1. A. (2004), Ausnahmezustand, S. 11

23 Ich persönlich sehe eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Recht und Gesetz. Recht beruht auch auf überpositiven (nicht objektiv feststellbaren, metaphysischen, unabänderlichen allzeit gültigen) Normen und ist im Idealfall zugleich der Inbegriff aller geltenden Normen einer Gemeinschaft; Gesetze beruhen auf einem formellen Rechtsetzungsakt der Gemeinschaft, einer beliebigen Politik des Zeitgeistes je nach Kultur.

24 Carl Schmitt, a.a.O., S. 12

25 Ironisch, weil natürlich die siegreiche Kraft im Streit der Meinung das Recht für sich in Anspruch nimmt und mit Macht durchsetzt.

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