von Martina Binnig
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Man reibt sich verwundert die Augen: Dieselben Protagonisten, die sich während der Corona-Zeit hinlänglich disqualifiziert haben, treten nach wie vor in Erscheinung, als wäre nichts gewesen.
„ExpertInnenrat Gesundheit und Resilienz“
Christian Drosten und Alena Buyx zum Beispiel sind ständige Mitglieder des „ExpertInnenrats Gesundheit und Resilienz“, der im März 2024 als Nachfolgegremium des „Corona-ExpertInnenrats“ seine Arbeit aufgenommen hat und seitdem regelmäßig Stellungnahmen abgibt. Brisant ist: Bei aktuellen Fragestellungen zur öffentlichen Gesundheit kann der „ExpertInnenrat“ die Bundesregierung ad hoc beraten. Der Rat ist in fünf verschiedene Arbeitsgruppen aufgeteilt mit den Schwerpunkten Public Health, Prävention, Innovation und Teilhabe, Health Security sowie Klimawandel. Zusätzlich zu den etwa 30 Mitgliedern des Rats kommen noch regelmäßige Gäste wie etwa RKI-Chef Lars Schaade und der vor allem durch die RKI-Protokolle bekannt gewordene Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm. Den Vorsitz des Rats hat Professor Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, inne. Er hatte im November 2021 an alle „Ungeimpften“ appelliert, sich den Pieks in den Arm zu holen, musste aber später zugeben, dass er über die Wirkung der Spritze nicht genügend gewusst habe. Auch die Impfapologeten Petra Dickmann, Leif-Erik Sander und Dirk Brockmann sind mit an Bord.
Klimawandel als größte Gefahr
Nach Erklärungen zu Themen wie „Stärkung der Resilienz durch Impfen und Hygiene“ oder „Resilienz und Gesundheitssicherheit im Krisen- und Bündnisfall“ veröffentlichte der „ExpertInnenrat“ am 19. Februar 2025 seine einstimmig beschlossene zwölfte Stellungnahme. Diesmal zum Thema: „Das Gesundheitswesen: Mitverursacher des Klimawandels – und Teil der Lösung“. Darin wird der Klimawandel als die größte globale Gefahr für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert bezeichnet. Hier greift der Rat allerdings lediglich eine Formulierung der WHO und des RKI auf. Weltweit sei das Gesundheitssystem für 4,4 Prozent der gesamten klimaschädlichen Emissionen verantwortlich; in Deutschland für etwa 5 Prozent der nationalen Emissionen. Neben den Treibhausgasen verzeichne der Krankenhaussektor auch ein hohes Abfallaufkommen, das mit rund 1.500 Kilogramm pro Krankenhausbett und Jahr fast dreimal so hoch ausfalle wie das einer Person eines Privathaushaltes.
Netto-Null-Emissionen im Gesundheitswesen
In der Stellungnahme werden CO2-Reduktionspotenziale aufgezeigt: Jede Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, jeder Anfahrtsweg zur Arztpraxis und jedes verschriebene Medikament verursache Treibhausgasemissionen, Abfälle und weitere Klima- und Umweltbelastungen. Der „ExpertInnenrat“ fordert daher zum Beispiel eine „ressourcenschonende“ Bauweise von Gesundheitseinrichtungen sowie ein erhöhtes Angebot an telemedizinischen Leistungen. Auch die Anwendung von Inhalativa bei Atemwegserkrankungen und Narkosegase berge noch großes Potenzial für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Empfohlen wird beispielsweise die Wiederaufbereitung von Narkosegasen und überhaupt ein Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft, indem medizinische Geräte für die Wiederverwendung konzipiert werden. Bei Rettungsdiensten, Krankentransport und ambulanter Pflege könne eine stärker elektrifizierte Fahrzeugflotte einen Beitrag zur Dekarbonisierung liefern. Der größte Anteil des CO2-Footprints stamme jedoch aus dem Warentransport. Daher sollten Produkte generell möglichst aus der Nähe bezogen werden, wozu allerdings die Produktionskapazitäten in Europa gesteigert werden müssten. Zusammenfassend stellt der Rat fest: „Der notwendige Weg zu Netto-Null-Emissionen im Gesundheitswesen ist nicht nur entscheidend zur Eindämmung des Klimawandels, sondern auch ein zentraler Eckpfeiler eines gesellschaftlichen Wandels hin zu Gesundheit und Wohlbefinden für alle.“
Folgebereitschaft der Bevölkerung
Aber auch noch weitere gute alte Bekannte aus Corona-Tagen treten derzeit wieder in Erscheinung. Zum Beispiel Cornelia Betsch und Heinz Bude. Bude war als Soziologe im März 2020 am vertraulichen Strategiepapier „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“ des Bundesinnenministeriums beteiligt. Dieses auch als „Panikpapier“ bekannte Machwerk vermittelt, wie die Bevölkerung am besten schockiert werden kann, indem die Bedrohung durch das Virus in möglichst drastischen Bildern ausgemalt wird. Vor allem Kindern sollte größtmögliche Angst eingejagt werden. Doch Bude, der bis Mai 2023 als Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel lehrte, zeigt sich auch im Nachhinein keineswegs beschämt darüber, an diesem Papier mitgearbeitet zu haben. Im Gegenteil: Am 24. Januar 2024 gab Bude während einer Podiumsdiskussion an der Universität Graz freimütig zu, dass es um „Folgebereitschaft in der Bevölkerung“ gegangen sei. Wörtlich sagte er: „Wir mussten ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese Formel ‚Flatten the Curve‘.“ Das habe „so nach Wissenschaft“ ausgesehen und den Leuten signalisiert: „Wenn ihr schön diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern.“ Dieses „Quasi-Wissenschaftsargument“ fand Bude nach eigener Aussage „irgendwie toll“. Das Video ist dankenswerterweise noch auf dem YouTube-Kanal der Gesellschaft für Soziologie an der Universität Graz (GSU) zu sehen, sodass sich jeder selbst ein Bild von Budes Ausführungen machen kann (ab ca. Minute 1:17:00).
Transformation als Zumutung: Eine „wissenschaftliche“ Tagung im Bundeskanzleramt
Man sollte meinen, dass sich Bude mit seiner öffentlich eingestandenen Begeisterung für eine Quasi-Wissenschaft zu Zwecken der Verhaltensmanipulation selbst entlarvt hätte und nicht mehr salontauglich wäre. Doch weit gefehlt: In einer kürzlich erschienenen Publikation der Bundesregierung mit dem Titel „Zwischen Zumutung und Zuversicht – Transformation als gesellschaftliches Projekt“ ist Bude ganz selbstverständlich wieder vertreten. Die Broschüre umfasst 220 Seiten und ist auf dem Publikationsportal der Bundesregierung frei zugänglich. Es handelt sich um einen Tagungsband, in dem der Übergang Deutschlands zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft thematisiert wird. Die Tagung, auf die sich der Band bezieht, hat bereits im Dezember 2023 im Bundeskanzleramt stattgefunden und wird auf der Website der Bundesregierung als „wissenschaftliche Fachkonferenz“ zum Thema „Gesellschaftliche Gelingensbedingungen der Transformation“ bezeichnet. Zur Tagung heißt es hier: „Der Übergang vom fossilen hin zu einem von Kohle, Gas und Öl unabhängigen Wohlstandsmodell ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Gegenwart. Einerseits braucht es für diesen Umbau jede Menge Innovationen, Investitionen und neue Infrastruktur. Andererseits ist diese Transformation aber sehr viel mehr als nur ein wirtschaftliches oder technologisches Projekt. Gerade in demokratisch verfassten Gemeinwesen können große politische Reformen nicht einfach so verordnet werden. Politischer Gestaltungswille und ein handlungsfähiger Staat sind für das Gelingen der Transformation zentral. Zugleich braucht es aber auch breite gesellschaftliche Akzeptanz und Bürgerinnen und Bürger, die den notwendigen Veränderungen mit Offenheit begegnen und selbst zu Gestalterinnen und Gestaltern werden.“
Experten für Nudging und Manipulation
Die Feststellung, dass in „demokratisch verfassten Gemeinwesen“ große politische Reformen nicht „einfach so verordnet“ werden können, klingt dabei geradezu bedauernd. Schließlich konnte im Ausnahmezustand der Coronakrise ziemlich viel „einfach so verordnet“ werden, was zuvor undenkbar gewesen war. Und so wundert es wenig, dass im Tagungsband einmal mehr die „Kommunikation“ der „Transformationspolitik“ im Mittelpunkt steht. Hier spielt das „Werben um gesellschaftliche Mehrheiten“ eine entscheidende Rolle. Beim „Übergang ins postfossile Zeitalter“ und bei der Transformation zur Klimaneutralität bis 2045 müssten nämlich notwendigerweise alle Bürger mitmachen. Und hier kommen dann die Soziologen als Experten für Nudging und Manipulation ins Spiel. Bude hält in seinem Tagungs-Beitrag ein Plädoyer für einen „semantischen Schnitt“, denn man treffe bei den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen auf eine sich verfestigende Abwehr gegenüber großen Veränderungen mit unbestimmtem Ausgang. Auffällig sei zudem die „Verlustwut“ bei den „Leistungsindividualisten aus dem unternehmerischen Mittelstand“, die bereits eine politische Stimme in „antisystemischen Parteien von rechts“ erhalten habe. Als Kniff schlägt Bude vor, einfach den Begriff der „Großen Transformation“ aus dem Verkehr zu ziehen. Dadurch würde der Horizont für eine neue ideenpolitische Orientierung geöffnet, die die „Staatsbedürftigkeit“ der Zivilgesellschaft, die Notwendigkeit öffentlicher Investitionen und nicht nur konsumtiver Verausgabungen sowie eine neue Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik denkbar mache. Kurzum: Bude will die gigantischen Probleme der „Transformation“ mal eben mit semantischen Mitteln lösen.
Eine weitere bekannte „Corona-Expertin“ ist ebenfalls am Tagungsband beteiligt: Cornelia Betsch. Die Direktorin des Institute for Planetary Health Behaviour (zu deutsch: Institut für klimagesundes Verhalten) an der Universität Erfurt, die auch in den Deutschen Ethikrat berufen worden ist, hatte schon 2017 den deutschlandweit ersten Masterstudiengang „Gesundheitskommunikation“ ins Leben gerufen. Betschs Spezialgebiet ist das Nudging, also das Schubsen in Richtung einer bestimmten Verhaltensweise. Sie wurde mit der Arbeit „Die Rolle von Risikowahrnehmung und Risikokommunikation bei Präventionsentscheidungen am Beispiel der Impfentscheidung“ habilitiert. Während der Coronakrise war Betsch Mitglied im Corona-Expertenrat des Bundeskanzleramts; sie initiierte das COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO) – eine Bürgerbefragung, die Aufschluss darüber geben sollte, wie Informationsangebote die Risikowahrnehmung der Bürger beeinflussen und daher gestaltet werden müssen. In einem Artikel, den sie bereits 2019 unter anderem zusammen mit Eckart von Hirschhausen im Ärzteblatt veröffentlichte, gab sie Tipps gegen die „Impfmüdigkeit“. Selbstverständlich wirkte sie 2021 dann auch am „Kommunikationshandbuch zum COVID-19-Impfstoff“ mit, das als „praktischer Leitfaden zur Verbesserung der Impfstoff-Kommunikation und Bekämpfung von Falschinformationen“ dienen sollte. Und im März 2022 forderte Betsch, dass die allgemeine Impfpflicht eingeführt werden müsse, um die Impfquote weiter zu erhöhen.
Gefälligkeitswissenschaftler
Betschs Beitrag im Tagungsband trägt den Titel: „Wie kommen wir aus der Individualisierungsfalle ins kollektive Handeln?“. Sie spricht sich für „verhaltenswissenschaftlich fundierte Politikgestaltung“ aus. Diese erfordere neben entsprechendem Fachwissen vor allem den Zugang zu Verhaltensdaten. „Fakten“ müssten „proaktiv und zielgruppengerecht“ kommuniziert werden, um „Falsch- und Desinformation“ entgegenzuwirken und bestenfalls zu verhindern. Ein engerer Austausch zwischen Wissenschaft, Politik/Verwaltung und Medien sei dafür unumgänglich. Goldene Zeiten also für Gefälligkeitswissenschaftler wie Betsch und Bude: Sie müssen den deutschen Bürgern nicht nur schmackhaft machen, dass sie für den Kampf gegen den Klimawandel verarmen werden, sondern sie müssen sie neuerdings auch noch davon überzeugen, dass sie ihre Ersparnisse für die Aufrüstung der EU zur Verfügung stellen sollen! Und natürlich sind auch Christian Drosten und Alena Buyx als bekannte Gesichter wieder gefragt. Dass sie alle in der Corona-Zeit offenkundig Propaganda betrieben und „Ungeimpfte“ wider besseres Wissen diffamiert haben: Wen stört´s?