ein Kommentar von Klaus Alfs
Lesedauer 6 MinutenLandwirtschaft nur noch für‘s Auge?
Landwirtschaft, die dem Zweck dient, alle Bürger mit erschwinglichen und zugleich hochwertigen Produkten zu versorgen, steht in Deutschland als solche zur Disposition. Wenn nicht noch Einschneidendes passiert, wird sie Schritt für Schritt durch eine hoch subventionierte Mischung aus Agrarmuseum, Ökospielwiese und Streichelzoo ausgetauscht. Das sieht von Weitem schön aus, ist aber so wirtschaftlich und nachhaltig, wie wenn man Hochöfen mit Geldscheinen befeuert.
Da die Bürger einfach nicht machen, was sie in Umfragen behaupten zu tun – nämlich ökomoralisch unter tierethischen Klima-Gesichtspunkten einzukaufen –, werden sie nach der vielbeschworenen Agrarwende scharenweise zu preiswerter Importware greifen. Dies wird der sogenannten Zivilgesellschaft in Gestalt von Greenpeace, Foodwatch, Heinrich- Böll-Stiftung, Habeck und Co. sowie den öffentlich-rechtlichen Moralanstalten ein steter Dorn im Auge bleiben.
Futtermittelimport gilt ihr zum Beispiel als verwerflich, weil Futterhändler, wenn Sie Soja importieren – Achtung Ironie! – Dritte-Welt-Ländern wie den USA, Brasilien oder Argentinien die Fläche rauben. Das nennt sich virtueller Landraub. Und wenn zum Beispiel deutsche Schweinemäster künftig Jungtiere mit kupierten Schwänzen aus Dänemark beziehen, weil wir ins Kupierverbot hineinstolpern, wird von Aktivisten sicher bald die Parole vom virtuellen Ringelschwanzraub ausgegeben.
Merke: Reiche Länder, die sich so schöne Dinge wie die „Würde der Kreatur“ oder die „Mitgeschöpflichkeit“ in ihre Verfassungen schreiben, die Agrarwenden ankurbeln und Tierhaltungswenden veranstalten, werden keine Moral,- sondern Importweltmeister. Oder es sie schotten sich vom Weltmarkt ab. Dann verwalten sie ihren selbstfabrizierten Mangel und drohen, zu Diktaturen zu werden.
Der pure Wahnsinn
Die hiesige Diskussion über Landwirtschaft und Ernährung ist hoffnungslos irrational. Es wird ihr auch künftig kaum Vernunft mehr einzublasen sein, denn sie steht unter einem unguten ideologischen Stern. Die verschiedenen Debatten treiben allesamt ganz von selbst auf ihren Fluchtpunkt zu: die Abschaffung der Landwirtschaft.
Die Idee, Landwirtschaft zu betreiben, meint der weltberühmte Biologe Jared Diamond, sei der schlimmste Fehler in der Menschheitsgeschichte gewesen. Damit steht Diamond nicht allein, sondern spricht einen mehr oder weniger offen artikulierten Konsens aus – nämlich, dass der Mensch ein Schädling des Planeten, der Natur sei. Die Natur, verstanden als das, was ohne menschliches Wirken von selbst existiert, gilt heute allgemein als Inbegriff des moralisch Guten. Die unbefleckte Natur ist nicht nur sauber, sondern rein wie die Jungfrau Maria.
Warum wohl fordern so viele Leute vehement eine ineffiziente Landwirtschaft ohne synthetischen Pflanzenschutz, ohne Kunstdünger, ohne Gentechnik selbstverständlich, gar ohne Viehhaltung? Weil die Leute das Gute wollen, und das Gute ist ihrer Meinung nach eben eine Welt mit möglichst wenig menschlichen Eingriffen in die Natur. Folgt man diesem Reinheitsgebot: Was wäre demnach der beste aller möglichen Weltzustände? Ein Weltzustand ohne Menschen.
Da kaum jemand mehr Ahnung von Landwirtschaft hat, glauben die Leute, man könne die Weltbevölkerung allein mit bunten Blümchen auf Magerwiesen ernähren oder indem man den Weltverdauungsverkehr regelt. Wir brauchen doch die ganze Technik und Chemie nicht, denken sie. Und die armen Tiere müssen wir auch nicht essen. Wer braucht schon noch Erträge, wer braucht schon sichere Ernten? Niemand. Das Manna fällt vom Himmel, wenn wir nur der Naturgottheit das Opfer unseres eigenen Verstandes bringen. Außerdem essen wir sowieso zu viel und unsere Tellerchen nicht leer. Und wenn wir das Tellerchen nicht leer essen, gibt es morgen kein schönes Klima.
Den Wenigsten dürfte allerdings bewusst sein, dass sie mit der puren Natur zugleich den puren Mangel glorifizieren. Denn Mangel ist der bestimmende Zustand der nicht vom Menschen modifizierten Natur. Die Verklärung des Mangels drückt sich im allgegenwärtigen Malthusianismus aus, also jener Theorie, dass die Nahrungsmittelproduktion mit dem Wachstum der Bevölkerung nicht mithalten könne („Grenzen des Wachstums“). Zusammen mit der stets herbeiphantasierten Apokalypse entsteht die gefährlichste Mischung, die es überhaupt gibt.
In seinem Buch „Black Earth“ warnt der Historiker Timothy Snyder: „Wenn sich am Horizont eine Apokalypse abzeichnet, scheint es sinnlos zu sein, auf wissenschaftliche Lösungen zu warten, dann muss natürlich gekämpft werden, dann kommt die Stunde der Blut-und-Boden-Demagogen.“ Wenn nebenwirkungsblinde Theoretiker und Moralapostel das Ruder übernehmen, hat das letzte Stündlein des Rechtsstaats bald geschlagen.
Tierschutzlabels für die Katz
Dass die Viehhalter mit Tierwohl-Initiativen aus der Defensive herauskommen, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die Anti-Fleisch-Propaganda wird auch dann nicht aufhören, wenn wir ein milliardenschweres staatliches Tierschutzlabel haben. Die Folge ist nur, dass Menschen als minderwertig abgestempelt werden, die noch Standardware kaufen und produzieren. Dabei können sich bereits heute allein in Deutschland über sechs Millionen Menschen aus finanziellen Gründen nicht mehr ausreichend mit eiweißreicher Nahrung und tierischem Eiweiß versorgen, vier Millionen Menschen können ihre Wohnungen nicht mehr angemessen heizen.
Heutzutage setzen die von den Medien hofierten Tierrechtler den Maßstab. Tierrechtler wollen die Nutztierhaltung nicht verbessern, sondern komplett abschaffen. Die tierrechtliche Botschaft ist ebenso einfach wie scheinplausibel: Wir müssen keine Tiere essen, weil wir auch Pflanzen essen können. Wenn wir dennoch Tiere essen, sind wir Unmenschen, die nur um des Genusses willen moralisch hochwertige Mitgeschöpfe killen. Verbesserte Haltungsbedingungen sind für Tierrechtler Theresienstadt, die Standardhaltung gilt als Eternal Treblinka. „Tieren auf dem Bauernhof mehr Raum, mehr natürliche Umwelt, mehr Gefährten zu geben, macht aus dem fundamentalen Unrecht kein Recht. Nur die völlige Abschaffung der Nutztierhaltung kann das wieder gutmachen“, schreibt der Philosoph Tom Regan. Er ist nicht irgend jemand, sondern ein hoch angesehener Professor.
Während also wir noch über den Ringelschwanz debattieren, ist in der Ethik schon längst von Pflanzenwürde, Ehrfurcht vor Ökosystemen, Flüssen, Wäldern und Meeren die Rede. In ihrem Buch Zoopolis erklärten Sue Donaldson und Will Kymlicka Tiere zu Staatsbürgern, mit Bürgerrechten und allem Drum und Dran. Das Werk wurde in der akademischen Welt sehr positiv aufgenommen, obwohl es sich für den Laien lesen mag wie eine Satire von Jonathan Swift.
Die Tierrechtsorganisationen und –autoren machen den öffentlichen Druck und berufen sich explizit aufs Tierschutzgesetz, das leider 1986 und 2002 entscheidend verunstaltet worden ist. 1986 kam das „Mitgeschöpf“ hinein, dessen Leben und Wohlergehen zu schützen sei (§ 1, 1), 2002 wurde der Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen. Beides fatale Missgriffe, die der Willkür von Tierrechts- und Umweltschutzorganisationen Tür und Tor öffnen. Auch diesen Entscheidungen haben es die Landwirte zu verdanken, dass immer mehr selbsternannte Tierbefreier unangemeldet ihre Ställe „besuchen“.
Die populäre Tierrechtlerin Hilal Sezgin schreibt in ihrem neuen Buch „Wieso? Weshalb? Vegan!“ zum Thema Tierwohl: „Ich setze das Wort in Anführungszeichen, weil es ganz lausige Lebensbedingungen sind, die man minimal verbessert, um sich dann so ein Siegel zu verdienen […] Es gibt sogar ein Siegel vom Deutschen Tierschutzbund, das angeblich dafür bürgt, dass es den Tieren dort etwas besser ergangen sei als in anderen Ställen – bis man sie tötete. Ich finde, keine Sorte Fleisch verdient ein Tierschutzlabel. Denn wenn ein Tier im Alter von wenigen Wochen oder Monaten auf einem Teller landet, wurde es offensichtlich nicht gut geschützt, sonst wäre es nicht tot.“
Tierschützer, die das menschliche Interesse an hochwertiger Nahrung noch mitberücksichtigen, haben in dieser Logik gar nichts mehr verloren, denn der Mensch ist nicht mehr Teil der Gleichung. Der soll ja zurück ins Glied und sich in der Nahrungskette gefälligst wieder hinten anstellen. Tierschützer, die zu eng mit der bösen Agrarindustrie zusammenarbeiten, werden als Kollaborateure wahrgenommen und bekommen weniger Spenden.
Höfesterben
Die Grünen und zahlreiche NGOs beklagen ebenso lautstark wie scheinheilig das sogenannte „Höfesterben“, obwohl sie es mit ihren Auflagen und der Förderung von Bioenergie selbst vorantreiben. Sie fordern kleine Einheiten, weil sie wissen, dass diese nicht einfach wiederkommen, wenn die großen Ställe verboten sind. „Dass die kleinen Ställe wieder rentabel werden, ist so unwahrscheinlich wie das Wiederauferstehen kleiner Tageszeitungen, des Bleisatzes samt Setzern und kleiner Druckereien“, meint der Agrarstatistiker Georg Keckl.
Und nun bitte ich sie, hier einfach eins und eins zusammenzuzählen!
Ein amtierender, grüner Landwirtschaftsministeri, nämlich Robert Habeck, hat bereits öffentlich verkündet, dass es keine moralische Rechtfertigung mehr gebe, Tiere für die Fleischproduktion zu töten. Zugleich ziehen er und seine Parteifreunde gegen das „Höfesterben“ zu Felde, in dem Wissen, dass die kleinen Höfe von anno dazumal allenfalls noch zur Verschönerung der Landschaft taugen werden (das meinte ich vorhin mit „Agrarmuseum“).
Die Schlussfolgerung ist glasklar: Am besten soll es in Deutschland nur noch Naturflächen geben. Der erste Schritt dazu ist, die Äcker im Dienste der vergotteten Biodiversität so verunkrauten und verschimmeln zu lassen, dass sie keine Erträge mehr liefern, und dies als Dienst am Gemeinwohl auszugeben. Die von Umweltverbänden heilig gesprochenen Wildgänse und Wölfe erledigen dann den Rest. Landwirte werden Wildgänse statt Kühe füttern und letztere den Wölfen zum Fraß vorwerfen müssen. Das geschieht im Übrigen schon jetzt, es interessiert nur niemanden.
Meine Damen und Herren! Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass es in der öffentlichen Debatte nicht im Mindesten darauf ankommt, was konventionelle Landwirte und Viehhalter meinen oder wollen. Ihr Wort hat keinerlei Gewicht. Sie haben es vielleicht noch nicht gemerkt, aber Sie sind bereits verurteilt. Sie brauchen sich nicht mehr zu rechtfertigen.
Sie müssen den Verbrauchern auch nichts erklären, denn Mangel an Wissen ist nicht das Problem. Die Leute wissen bereits alles: Mensch böse, Natur gut. Mensch muss weg.
Sie brauchen nicht auf Ihre Anliegen aufmerksam zu machen oder einen „Dialog“ anzubieten. Nobody cares. Kompromisse oder Verhandlungen mit selbsternannten Vermittlern aus irgendwelchen Kommissionen können Sie sich ebenfalls sparen. Es sei denn, Sie wollen sich auf Kosten Ihrer Kollegen und Kolleginnen zum Schaden derselben profilieren.
Alle, die echte Landwirtschaft statt Spielzeuglandwirtschaft betreiben, sind Opfer einer geschlossenen Ideologie, einer zirkulären Logik und Adressat von widersprüchlichen Forderungen der Kategorie „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. In dieser Konstellation können sie nicht gewinnen.
Landwirtschaft hat in Deutschland keine Zukunft. Je eher Sie das begreifen, desto besser. Entweder Sie führen einen wirklichen Kampf, statt sich anzubiedern, oder Sie ziehen sich aus der Produktion zurück, greifen vielleicht noch an Subventionen ab, was Sie kriegen können, und spätestens die nächste Generation macht dann das Licht aus.
i Robert Hackeck war von 2012-2018 Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Natur in Schleswig-Holstein.