Interview mit Matthias Guericke vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA)

von Achim Kupferschmitt

Lesedauer 6 Minuten
Netzwerk KRiStA-Werbeplakat Symposium 21.10.2023

Matthias Guericke ist Gründungsmitglied des im März 2021 gegründeten Vereins Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) und einer der Organisatoren des diesjährigen KRiStA-Symposiums, das am 21.10.2023 in Halle (Saale) stattfindet. Achim Kupferschmitt, Vorstandsmitglied der Initiative 1bis19, hat sich mit ihm unterhalten.

Kup: Ich sitze hier mit Matthias Guericke, wir kennen uns seit eineinhalb Jahren und duzen uns daher. Lieber Matthias, magst du dich kurz vorstellen: Wer bist du, was macht du beruflich, und wie bist du zu KRiStA gekommen?

Guericke: Ich bin 53 Jahre alt und Richter an einem Amtsgericht in Thüringen. Anfang 2021 gab es einen Aufruf, dass ein Netzwerk von coronamaßnahmenkritischen Richtern und Staatsanwälten gegründet werden sollte und Interessierte sich melden sollten.

Kup: Hattest du, bevor der Aufruf von Pieter Schleiter zur Gründung von KRiStA kam, selbst schon mit der Idee gespielt, etwas ähnliches auf die Beine zu stellen?

Guericke: Pieter Schleiter hatte Ende 2020 eine sehr umfangreiche Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, mit der er die Prüfung verschiedener Normen aus dem Infektionsschutzgesetz und verschiedener Corona-Verordnungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit erreichen wollte. Die Verfassungsbeschwerde wurde dann auf der Webseite 2020news.de zunächst anonym veröffentlicht. Später entschied er sich, mit seinem Namen an die Öffentlichkeit zu treten. Richard Haakh, ebenso wie Pieter aktuelles Vorstandsmitglied, kontaktierte Pieter daraufhin und schlug vor, kritische Richter und Staatsanwälte zu vernetzen. Mir selbst liegt es vom Typ her nicht so nahe, Netzwerke zu gründen. Insofern wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Ich bin Pieter Schleiters Aufruf gefolgt und war dann seit der Gründung bei KRiStA dabei.

Kup: Wie sah dein Engagement vor der Gründung von KRiStA, also vor März 2021, aus? Bist du auf Demos gegangen?

Guericke: Ja, ich habe an Demos in Halle und Berlin teilgenommen und habe im Sommer 2020 selbst zwei Eilanträge gegen Coronaregeln beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Thüringen gestellt. Diese waren – natürlich – erfolglos.

Kup: Wie genau kam die Ablehnung juristisch zustande? Kann das OVG dies ohne Begründung ablehnen?

Guericke: Nein, das OVG hat in der Sache entschieden und die Entscheidungen auch relativ ausführlich begründet.

Kup: Kannst du die Ablehnungsbegründung grob skizzieren? Ich kenne das aus meinen eigenen Verfahren vor Verwaltungsgerichten in der Pfalz und Baden-Württemberg, dass die Gerichte mit Textbausteinen unter Verweis auf die regierungsabhängige Behörde des Robert-Koch-Instituts (RKI) begründen, dass die Regierung im Recht sei. Also im Zirkelschluss: Die Regierung ist im Recht, weil sie sagt, dass sie im Recht ist. Wie war das bei dir?

Guericke: Das war so ähnlich. Ich habe sehr umfangreich vorgetragen, die Entgegnung war: Nichts Genaues weiß man nicht, das RKI sage so und so, und außerdem gebe es im Eilverfahren nur eine summarische Prüfung. Dies führe zum Ergebnis, dass nicht erkennbar sei, dass der Verordnungsgeber den Einschätzungsspielraum, der ihm zukommt, überschritten habe.

Kup: Wie ist es dazu gekommen, dass KRiStA im September 2022 das erste Mal ein Symposium veranstaltet hat und dies nun am 21. Oktober 2023 erneut tut? Was war und was ist die Motivation?

Guericke: Wer genau die Idee hatte, weiß ich nicht mehr. Es gab sie auf jeden Fall schon Ende 2021, und ein paar Mitglieder fingen an, sich damit zu beschäftigen. Durch verschärfte Corona-Regeln war die Durchführung als Präsenzveranstaltung in der ersten Jahreshälfte 2022 allerdings nicht möglich. Es war uns wichtig, eine Präsenzveranstaltung zu haben, wo Leute zusammenkommen, sich persönlich treffen können. Eine Präsenzveranstaltung hat eine andere Energie, als per Videokonferenz an einem Vortrag teilzunehmen oder Artikel zu lesen.

Kup: Es gab ja jetzt auch andere Gruppierungen, die größere Präsenzveranstaltungen stattfinden ließen, allerdings waren diese Veranstaltungen dann geschlossen und geheim, um ein polizeiliches Einschreiten zu vermeiden. Warum habt ihr als „kritische“ Menschen hier den Regeln der Kontaktbeschränkungen gehorcht, die ihr für nicht verfassungskonform und damit ungültig betrachtet?

Guericke: Das würde ich so nicht sagen, dass wir „gehorsam“ sind. Aber wir wollten eine Veranstaltung machen, die öffentlich stattfindet und die wir bewerben können, und das ging nur, wenn es nach aktuellen Verordnungen erlaubt war. Für uns war allerdings klar: Wir machen eine Veranstaltung nur, wenn es ohne Genesenen/Geimpft/Getestet-Regeln möglich ist.

Kup: Wie würdest du das Symposium vom letzten Jahr bewerten? Hat es die gesetzten Ziele erreicht? Wird dieses Jahr etwas anders gemacht – oder genau wieder so?

Guericke: Wir waren letztes Jahr sehr zufrieden, es waren knapp 400 Leute anwesend. Soweit wir es mitbekommen haben, waren die allermeisten zufrieden bis begeistert von der Atmosphäre, der Qualität der Vorträge und der Diskussionen. Aus unserer Sicht hat das Symposium sein Ziel absolut erreicht. Dieses Jahr wird es von der Struktur sehr ähnlich. Im letzten Jahr ging es allerdings ausschließlich um die Aufarbeitung des Corona-Geschehens, also das Thema aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Dieses Jahr ist das Symposium thematisch breiter angelegt. Es geht um den allgemeinen Zustand der Gesellschaft und des Rechtsstaats, die Krisenphänomene. Wir wollen versuchen zu verstehen, was die übergeordneten gesellschaftlichen Dynamiken und politischen Entwicklungen sind.

Kup: Wir führen dieses Interview auf der Nachveranstaltung nach der 1bis19-Tagung „Der Griff nach den Grundrechten“. Kritisch könnte man sagen, dass Veranstaltungen wie diese oder auch die KRiStA-Symposien sich in gewisser Weise ja nur an die Blase, also an politisch Gleichgesinnte richten. Hast du Erkenntnisse, dass ihr etwas mit dem letzten Symposium erreicht habt, was sich über die eigene Blase hinaus erstreckte? Wurdet ihr von Medien rezipiert? Habt ihr neue Leute erreicht, die ihr vorher nicht erreicht habt?

Guericke: Die herkömmlichen Medien haben uns beschwiegen. Es waren nur Journalisten von alternativen Medien vor Ort. Ich denke, die herkömmlichen Medien wie z. B. die Lokalpresse wussten nicht, wie sie mit unserer Veranstaltung umgehen sollen. In Halle wäre eine Veranstaltung wie das Symposium an sich ein berichtenswertes Ereignis gewesen. So viel passiert dort nicht.

Kup: Der Saal, in dem das Symposium stattfindet, ist vermutlich einer der größten Veranstaltungsorte, den man in Halle mieten kann?

Guericke: Es gibt noch größere, aber auf jeden Fall einer der größeren, mit Platz für 500 Personen im Parkett und zusätzlichen Plätzen auf der Empore. Wir stellen uns natürlich die Frage, was man mit solchen Veranstaltungen erreichen kann. Zunächst hilft es den Leuten, die vor Ort sind. Es gibt ihnen wichtige Impulse.

Kup: Ist so eine Veranstaltung dann eine Art Selbsthilfegruppe?

Guericke: Das klingt sehr negativ, das würde ich nicht so sagen. Es ist der Versuch, Antworten auf Fragen zu bekommen, die Menschen bedrängen und die diese sich nicht selbst beantworten können. Dies ist wichtig und notwendig. Und dann geht es auch darum, dass die Teilnehmer sich vernetzen können. Das bewirkt auch eine emotionale Stärkung der Teilnehmer. Außerdem gab es auch einzelne Teilnehmer, die vor dem Symposium noch nicht ganz dem kritischen Lager zuzurechnen waren, sondern eher neutral zurückhaltend, aber dann auf der Veranstaltung kritische Impulse aufnehmen konnten. Selbstverständlich kommen auf das Symposium keine Leute, die die Einstellung vertreten, dass alle Maßnahmenkritiker „Querdenker“ seien, denen man nicht zuhören müsse.

Allein die Tatsache, dass eine solche Veranstaltung öffentlich stattfindet, in der Stadt Plakate hängen, hat meines Erachtens eine Wirkung. Wir wollten das Ganze auch nicht in einem abgeschlossenen Raum veranstalten, beispielsweise einem Hotel.

Kup: Ja, ich kann das bestätigen, ich war auch vor Ort: Man kann als Fußgänger quasi aus Versehen direkt zum Eingang des Tagungsgebäudes laufen, von der Veranstaltung erfahren und sich spontan entscheiden, teilnehmen zu wollen.

Kommen wir zum Abschluss zu einem philosophischeren Aspekt. Du hast neben Jura auch Evangelische Theologie studiert. Man gewinnt den Eindruck, dass die Kirchenvertreter selbst nicht besonders gefestigt in ihrem Glauben sind. Dass sie selbst nicht daran glauben, dass der Leib, die Materie, die physische Welt nicht alles ist, indem sie sich Gottesdienste, die Gemeinschaft, das Abendmahl – essentielle Punkte ihrer Glaubenspraxis – wegen einer vermeintlichen Gefahr für den Leib verbieten ließen.

Guericke: Die Kirchen, evangelische wie katholische, haben in der Corona-Krise ebenso versagt wie andere gesellschaftliche Teilsysteme. Das war für mich auch persönlich eine große Enttäuschung. An sich könnte man erwarten, dass andere Ressourcen und andere Perspektiven in den Kirchen vorhanden sind, um nicht vom ersten Tag auf die Linie des offiziellen Corona-Narrativs einzuschwenken und auf kritische Fragen zu verzichten. Ich habe leitende Kirchenvertreter per E-Mail-Verkehr darauf angesprochen und kritisiert, dass nicht einmal mehr gesehen wurde, dass es in Gemeinden auch Menschen mit kritischer Haltung gab. Es wurde so agiert, als wären alle Gemeindemitglieder von dem offiziellen Narrativ überzeugt, was eine implizite Ausgrenzung der Kritiker bedeutete.

Kup: Bist du selbst gläubig, und denkst du, dein Glaube hat dir geholfen, nicht der Corona-Ideologie anhängig zu werden?

Guericke: Das ist schwer zu sagen. Man wird von verschiedenen Dingen geprägt. Es ist schwer, das konkret zuzuordnen. Ich bin in der DDR aufgewachsen. Die evangelische Kirche war dort etwas Widerständiges. In der Kirche lernte ich, dass man kritisch hinterfragen muss, was von der Regierung öffentlich verkündet wird. Dies hatte sicher einen Einfluss. Erstaunlich ist, dass es Leute gibt, die in der DDR-Kirche eine sehr kritische Rolle gegenüber dem Staat einnahmen, bei Corona dann aber vollkommen unkritisch waren.

Kup: Ich bedanke mich für das Gespräch. Karten für das Symposium gibt es auf

https://eventfrog.de/de/p/fuehrungen-vortraege/symposium/symposium-rechtsstaat-und-demokratie-in-der-krise-7095118532795393876.html

zu erwerben.

Die Veranstaltung findet am Samstag, 21.10.2023, von 10 bis 19 Uhr im Volkspark im Schleifweg 8a in 06144 Halle (Saale) statt. Es sprechen der Philosoph und Publizist Dr. Michael Andrick, der Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht Volker Boehme-Neßler, die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Prof. Ulrike Guérot und der Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Steuer- und Verfassungsrecht Philipp Kruse, LL.M..

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