Sachbuch: «Zombie-Journalismus (2021)»

Eine Rezension von Eugen Zentner

Lesedauer 5 Minuten

Die Leitmedien haben sich während der Corona-Krise nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Seit 18 Monaten kennen sie nur eine Richtung. Sie folgen der Regierungslinie und zermalmen jede Meinung, die davon abweicht. Kritiker der Maßnahmen werden immer und immer wieder diffamiert, Skandale klein gehalten, Widersprüche ignoriert. Der Publizist Marcus Klöckner nennt diese Art der Berichterstattung „Zombie-Journalismus“. Was er darunter versteht, erläutert der Autor in seinem gleichnamigen Buch, das nun im Rubikon-Verlag erschienen ist: „So wie Zombies in Filmen Jagd auf Menschen machen, um ihre Gehirne zu fressen, so zielt der Zombie-Journalismus auf die Freiheit der Gedanken. Der Zombie-Journalismus «springt» förmlich aus den Medien raus und stürzt sich auf Bürger, die die vorherrschenden Erzählungen kritisch hinterfragen.“

Das sind deutliche Worte. Und in diesem Stil geht es munter weiter. Klöckner nimmt kein Blatt vor den Mund, er geht mit den Leitmedien hart ins Gericht, indem er pikante Beispiele aus der Berichterstattung der letzten anderthalb Jahre herausgreift und sie sowohl inhaltlich als auch formal auf Verstöße gegen journalistische Standards abklopft. Es geht um Nena und die Initiative #allesdichtmachen, um das nachfolgende WDR-Interview mit Jan Josef Liefers und die vielen Kampagnen gegen «Schwurbler», «Maskenverweigerer» und «Impfvordrängler». Klöckner legt nicht weniger vor als eine schonungslose, aber fundierte Textanalyse, die, wie er es ausdrückt, auf „Schleifchen“ verzichtet.

Vermischung von Nachricht und Kommentar

Sie beginnt bereits auf der Sprachoberfläche, wo das Wörtchen «umstritten» im sogenannten «Qualitätsjournalismus» besonders häufig auftaucht, wenn es um Personen geht, deren Meinung nicht dem offiziellen Narrativ entspricht. Der Autor erinnert zurecht daran, dass eigentlich alle umstritten sind, die in der Öffentlichkeit stehen. Die Ansichten über bestimmte Personen und deren Aussagen gehen auseinander. Für ein pluralistisch verfasstes Gemeinschaftswesen sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Doch die Leitmedien verwenden das Wörtchen «umstritten» als vernichtendes Instrument, mit dem sich missliebige Kritiker vom Diskurs ausschließen lassen. „Wenn Journalisten“, schreibt Klöckner erbost, „einen Politiker, einen Künstler, Schauspieler, Richter, gleich wen, solange er sich nur in die Öffentlichkeit gewagt hat, nicht leiden können, dann kleben sie ihm völlig schmerzbefreit, selbst in einem nachrichtlichen Beitrag, das Etikett «umstritten» an.“

Die Verwendung negativ konnotierter Begriffe stellt bloß eine Technik der Manipulation dar. Eine andere ist die Vermischung von Nachricht und Kommentar. Klöckner bezeichnet die Verantwortlichen abschätzig als „Haltungs“- oder „Weltbildjournalisten“ und moniert, dass sie in ihre Artikel gerne die eigene Wertung einfließen lassen, wenn sie über tagesaktuelle Ereignisse berichten. Für sie demonstrieren zum Beispiel nicht 10.000 Menschen, sondern 10.000 «Corona-Leugner», «Verschwörungsmystiker» oder eben «Schwurbler». Tatsachen würden nicht objektiv und neutral vermittelt, sondern aus der subjektiven Sicht der jeweiligen Journalisten dargestellt, die es nicht lassen könnten, selbst in Nachrichtentexten ihre Meinung kundzutun. Anders ausgedrückt: Sie berichten nicht, was ist, sondern wie es sein soll.

Mit viel Ironie und Sarkasmus

Die Liste der Fallbeispiele ist lang. Klöckner zeigt detailliert, wie die Journalisten der Leitmedien bestimmte Fakten unter den Teppich kehren, dafür andere immer wieder wiederholen, wie sie Quellen zitieren, die im Prinzip keine Aussagekraft haben, wie sie sich in Widersprüche verstricken und vor allem mit zweierlei Maß messen. In die Analysen mischt sich viel Ironie, die bisweilen in Sarkasmus, ja sogar in Zynismus übergeht. Der Unmut des Autors kommt deutlich zum Ausdruck, sorgt aber auch für große Unterhaltung. Klöckner versteht es, seine Kritik so zuzuspitzen, dass sie ins Schwarze trifft, ohne langweilig zu wirken. Stilistisch zieht er alle Register. Mal schildert er seine Analysen aus der Perspektive der „Haltungsjournalisten“, mal spricht er sie direkt an. Mal sind die Ausführungen hoch expressiv und anklagend, mal sachlich-neutral und beschreibend.

Wie jedes Buch richtet sich auch «Zombie-Journalismus» an ein breites Publikum. Es will aufklären und veranschaulichen, inwiefern die sogenannten «Qualitätsmedien» handwerklich pfuschen. Dafür sollen vor allem Laien sensibilisiert werden, die nicht wissen, welche Manipulationsmöglichkeiten die Sprache bietet und wie Journalisten sie in der Praxis nutzen. Das Buch lässt sich aber auch als eine Abrechnung lesen, in der sich Klöckner direkt an seine Kollegen aus dem Mainstream wendet und sie mit ihren Verfehlungen konfrontiert. Ihre Tricks und Kniffe sind offensichtlich, lautet die Botschaft. Der Autor entlarvt sie quasi performativ, indem er die Fallbeispiele in Einzelteile zerlegt, die Schummeleien aufzeigt und zugleich demonstriert, wie saubere journalistische Arbeit aussehen müsste. Der rote Stift streicht nicht nur durch, er korrigiert auch.

Schulterschluss statt Herrschaftskritik

Zwischen den Zeilen schimmern immer wieder Erklärungsversuche durch, warum die „Haltungs-“ und „Weltbildjournalisten“ der Politik nach dem Mund reden und warum sie die gleichen Ansichten haben wie jene, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Klöckner schöpft hier aus der Habitus-Theorie des französischen Intellektuellen Pierre Bourdieu. Ihm zufolge bestimmen die sozialen Strukturen, in denen Akteure aufwachsen, deren Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien. Journalisten, so die Schlussfolgerung, stammen meist aus der gleichen gesellschaftlichen Klasse wie Politiker, Beamte oder Unternehmer. Sie sind Söhne und Töchter von Angestellten, Selbständigen oder Akademikern. Sie haben an den gleichen Universitäten studiert, leben in den gleichen urbanen Vierteln und besuchen die gleichen Cafés. So entsteht eine geistige Nähe, die sich letztendlich auch in der Berichterstattung zeigt.

Klöckner sieht darin einen Grund, warum die Redaktionen der Leitmeiden sich weit von dem entfernt haben, was Journalismus seinem Anspruch nach sein sollte: herrschaftskritisch. Er müsse den Mächtigen auf die Finger schauen, sie kontrollieren und korrigieren. Erst dann verdiene er es, als „Vierte Gewalt“ bezeichnet zu werden. Während der Corona-Krise sei diese Funktion aber sogar in ihr Gegenteil verkehrt worden: „Etwas weiter gedacht haben sich Medien allerdings zu einem verlängerten Arm, ja zu einem Sprachrohr der Politik gemacht. Sie haben vom ersten Moment an politische Entscheidungen nicht nur mitgetragen, sie haben durch ihre wirklichkeitserzeugende Macht gewirkt wie ein Pseudo-Realitätsverstärker.“

Ein neues Mediensystem

Um keinen „Zombie-Journalismus“ abzuliefern, müssten Leitmedien aus der akademisch geprägten Blase ausbrechen und die sozialen Bedingungen des einfachen Volkes im Blick behalten. Sie müssten dessen Interessen genauso berücksichtigen wie die Nöte und Sorgen. Journalisten seien nämlich auch Übersetzer. „Ihre Aufgabe“, erklärt Klöckner, „ist es, die Sprache «des Volkes» beziehungsweise die Sprache der (einfachen) Bürger «nach oben» zu übersetzen. Sie sollen die Äußerungen, die «der Mann auf der Straße» macht, aufnehmen und gegebenenfalls so, dass es verständlich ist, mit in den Diskurs einspeisen. Das ist, wohlgemerkt, eine ziemlich wichtige und edle Aufgabe in unserer Demokratie. Denjenigen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben. Denjenigen Formulierungshilfe zu geben, die nicht in der Lage sind, sich so gewählt, gesetzt, klar und präzise im Ausdruck zu artikulieren, wie das notwendig ist, um im öffentlichen Diskurs Gehör zu finden.“

Zum Schluss plädiert Klöckner für ein komplett neues Mediensystem. Reformen empfindet er eher als sinnlos, weil die „mentalen Strukturen“ einem macht- und herrschaftskritischen Journalismus von vornherein entgegenwirkten. Einen Ausweg böten nur alternative, unabhängige Medien, die jedoch einen weiteren Qualitätssprung machen müssten. Dafür seien Ressourcen notwendig, weshalb sich Klöckner dafür ausspricht, dass Bürger, denen Demokratie etwas bedeutet, unterstützend tätig werden und beim Aufbau eines neuen Mediensystems mitarbeiten sollten. Diese Vorschläge klingen sehr optimistisch und runden das Sachbuch wunderbar ab – eines, das zu den wohl besten der letzten Jahre gehört. Es ist scharfsinnig, argumentationsstark und anregend. Ein absoluter Lesegenuss.

1bis19-Zombiejournalismus-Rezension
Zombie-Journalismus – Was kommt nach dem Tod der Meinungsfreiheit von Marcus Klöckner, Verlag Buchkomplizen, Frankfurt 2021
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