Nation ist Krieg?

ein Essay von Rechtsanwalt und Steuerberater Christian Moser

Lesedauer 7 Minuten
1bis19 - Nation ist Krieg?
Die Beschwörung des Westfaelischen Friedens in Münster – Gemälde von Gerard Terborch 1648

Was hat es nicht für fürchterliche, vernichtende Kriege gegeben, was haben die Völker nicht gelitten, wie viel Blut floss, wie viele Seelen verdarben und alles nur, so glaubt man, weil Staaten gegeneinander kämpften. Die kindliche Vorstellung, dass Kriege doch am Leichtesten dadurch zu vermeiden seien, dass die Führer, die sie anzettelten, selbst in den Ring stiegen, anstatt die Völker kämpfen zu lassen, ist jedermann geläufig und spricht die Herzen an. Die Frage ist aber, wer sind denn nun genau diejenigen, die in diesen Ring zu steigen hätten? Wer hat denn die Kriege der letzten Jahrhunderte angezettelt? Waren es die Staatenlenker? Waren es die Nationalstaaten? War es Nationalstolz, der diese Kriege verursachte?

Nehmen wir einmal den ersten 30-jährigen Krieg. Der fand von 772 bis etwa 804 nach Christus statt. Damals kämpften die Franken gegen die Sachsen. War das Nationalismus? Gewiss nicht, denn es waren zwei deutsche Stämme, die hier gegeneinander standen. Nun könnte man sagen, dass das, was wir heute unter Nationalismus verstehen, sich damals auf der Ebene jener Stämme abspielte.

Jedoch waren damals zwei Dinge beherrschend und auslösend für den langen Krieg. Karl der Große versuchte, mit seinen Franken ein umfassendes Reich aufzurichten, das die Nachfolge des Römischen Reiches würde antreten können. Zur Erweiterung und Sicherung dieser Herrschaft über die romanisierten keltischen Ureinwohner im Westen und andere deutsche, also deutsch sprechenden Stämme im Osten bediente er sich der von Rom her bereits vorhandenen kirchlichen Strukturen. Daher führte er auch im Osten das Christentum ein. Es ist bemerkenswert, dass er selbst, obwohl getauft, nicht an das Christentum glaubte. Das unterstreicht, dass die Christianisierung reines Machtkalkül war. Umso blutiger fiel sie für die Sachsen, wie schon für die Friesen aus. Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein. Die Sachsen wehrten sich unter der Führung von Widukind, die Friesen zuvor unter der Führung von Radbod.

Selbstbestimmung versus Universalismus

Hier trafen, um es mit heutigen Worten zu beschreiben, Imperialismus und Religion auf Stämme, die ihre Lebensart und ihre Freiheit behalten wollten. Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass jener Krieg von eben diesem Imperialismus und diesem Missionierungseifer und vor allem von der Brutalität herrührte, mit der beides durchgesetzt wurde.

Nicht anders war dies fast ein Jahrtausend zuvor, als die Römer selbst über Germanien herfielen. Es war ein germanischer Fürstensohn, der als Geisel in Rom großgezogen worden war und die Römer in- und auswendig kannte, ja ein verdienter römischer Heerführer war, und sich doch am Ende gegen die Besatzer wandte, in deren Diensten er selbst stand, weil er nicht mehr mitansehen konnte, wie sie sich über das Leben derer erhoben, aus deren Reihen er stammte.

Die Auslöser waren damals, dass das universale Rom nach der selbst schon blutigen Eroberung Germaniens bis zur Elbe den angestammten Deutschen seine Rechtsprechung überstülpte, die Bodenschätze des Landes ausbeutete, Sklavenhandel nach Rom betrieb und vor allem Steuern einführte, etwas, das die Germanen zuvor nicht kannten. Sie versorgten sich selbst und tauschten, brauchten deshalb kein Geld. Die Römer führten das Geld ein und nutzen es zur Ausbeutung der Provinz. Nicht etwa erhob sich hier die nationale Selbstbestimmung über die unschuldigen Römer, sondern der römische Universalismus, das römische Weltbürgertum verbunden mit ihrer Zentralherrschaft unterdrückte die angestammten Völker, formte sie in ihrem Sinne um.

Nachdem der Senat ein Kopfgeld auf Arminius ausgesetzt hatte und er daraufhin von seinen eigenen Verwandten ermordet worden war, zogen die Römer, wie man heute weiß, noch jahrzehntelang mordend und plündernd durch Deutschland bis zur Ostsee. In Rom steht heute noch die Triumphsäule des römischen Kaisers Germanicus, auf der man unsere Vorfahren auf den Knien findet, auf den Knien vor jener ersten Weltmacht, die uns gegenüberstand. Der Limes trennte damals das geteilte Deutschland auf in freies Germanien hier und besetztes Weltbürgertum dort. Das Bild des 20. Jahrhunderts wurde damals vorweggenommen, mit dem Unterschied, dass im 20. Jahrhundert beide Seiten von zwei sich Schaukämpfe liefernden Universalismen unterworfen waren.

Instrumentierte Religion

Im zweiten Dreißigjährigen Kriege war es erneut die Religion, die den Auslöser gab. Nun stand katholischer Universalismus gegen den Freigeist lokaler Reformbewegungen, den Protestanten innerhalb des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Dem waren bereits mehrere Religionskriege vorausgegangen, die Bauernkriege und die Hussitenkriege. Nun entwickelte sich ein Flächenbrand, denn die Schwäche der universalen Kaiserkrone weckte die Begehrlichkeiten der umliegenden Hegemonialmächte Frankreich und Schweden. Hier zeigte sich, was sich in späteren Zeiten wiederholen sollte, dass die Mittellage des deutschen Nationalstaates stets zu Übergriffen der umliegenden Mächte führte. Ins Rollen kam jener Krieg erst durch die religiöse Propaganda und vor allem wiederum die Rücksichtslosigkeit, mit der der Konfessionszwang durchgesetzt wurde.

Die Propaganda war aber nur vorgeschobenes Instrument des Imperialismus der beteiligten Mächte. Den Blutzoll zahlten die einfachen Leute in den verheerten deutschen Landen. Das Ergebnis war die totale Zersplitterung und Entmachtung Deutschlands im Westfälischen Frieden, was heute von den Universalisten gerne als Geburtsstunde des Völkerrechtes bezeichnet wird. Das ist in der Tat sehr bezeichnend.

Die Entmachtung eines Volkes in seinem eigenen Siedlungsraume ist nichts anderes als Imperialismus der Siegernationen. Unvermeidlicherweise muss sich die Selbstbestimmung gegenüber dem ausgreifenden Universalismus stets in der Defensive befinden. Es kann gar nicht anders sein, denn solange ein Volk noch seine Identität besitzt und sei es rudimentär, wird es zu irgendeinem Zeitpunkte den Wunsch verspüren, sich auf diese Identität zu besinnen, vor allem dann, wenn es das Gefühl hat, von der Oberherrschaft übervorteilt zu werden. Es ergibt sich hieraus automatisch die Situation einer Unterdrückung durch die Universalherrschaft. Das um seine Selbstbestimmung kämpfende Volk befindet sich naturgesetzmäßig in der Defensive, selbst dann, wenn es die offene Auseinandersetzung beginnt. Die Unterdrückung ging dieser Auseinandersetzung voraus.

Imperialistische Konsequenz

Gab es Kriege, in denen ein Nationalismus gegen den anderen stand? Vielleicht die Kriege Friedrichs des Großen? Nun, Preußen war ja die facto keine Nation, sondern ein Zuchtbegriff. Preußen war eine Dynastie, die ein bestimmtes Ethos begründete, das man heute unter dem Preußentum versteht. Insofern lässt sich hier der Begriff des Nationalismus ohnehin nur eingeschränkt verwenden. Auslöser jener Kriege war der völkerrechtlich ambivalente Angriff Friedrichs auf Schlesien, also eine Angelegenheit dynastischer Hausmacht und der politische Zwang zur Arrondierung. Aus der Sicht der Schlesier selbst muss man feststellen, dass diese nach den Erlebnissen der habsburgischen Gegenreformation die Preußen freudig begrüßten, ähnlich, wie man dies im 20. Jahrhundert im Sudetenland, in Danzig, in Posen, in Westpreußen, aber auch in Kroatien und der Ukraine beobachten konnte. Der zweite schlesische Krieg und der siebenjährige Krieg waren wiederum von den Imperialismen Habsburgs, Frankreichs und Russlands bestimmt. Dass Preußen hier nicht mehr ausgriff, sondern um sein Leben rang, wurde in Kunersdorf versinnbildlicht.

Die Napoleonischen Kriege gingen vom französischen Universalismus, dem französischen Weltbürgertum aus und hatten den Freiheitswillen der Deutschen und Russen gegen sich.

Vielleicht handelte es sich bei dem Deutsch-Dänischen Kriege um Nationalismus? Mag sein, dass die Dänen damals sich ein wenig überschätzten. Es herrscht ja heute in Dänemark selbst ungefähr die Auffassung, dass die damalige dänische Führung wohl zu viel dänisches Frühstück nebst dazugehöriger Getränke genossen haben dürfte. Gewiss lässt sich der Zankapfel Schleswig darauf zurückführen, dass es sich um ein deutsch-dänisches Mischgebiet handelte. In solchen Bereichen gerät das Selbstbestimmungsrecht der Völker in große Schwierigkeiten und führt zwangsläufig zur Auseinandersetzung. In dem Moment aber, in dem ein Nationalismus es in Kauf nimmt, fremde Völker unter seine Herrschaft zu bringen, ist er insoweit eben kein Nationalismus mehr, sondern Imperialismus. In diesem Spannungsverhältnis liegt die Ursache solcher Auseinandersetzungen und es ist das imperialistische Moment, das hier den Ausschlag gibt.

Übrigens wurde der Begriff des “Selbstbestimmungsrechtes der Völker”, wenn auch ideell immer vorhanden, erst im Jahre 1918 zum völkerrechtlichen Begriff, als US-Präsident Wilson damit Deutschland köderte, die Waffen niederzulegen. Dem war der erste Akt des bisher letzten 30-jährigen Krieges vorausgegangen, dessen Auslöser wiederum nicht etwa Nationalismen waren, sondern wirtschaftliche Interessen des britischen Empire, der panslawistische Universalismus und im Hintergrund jener plutokratische Universalismus, mit dem wir es heute weiterhin zu tun haben.

Herrschaft und Interessen

Freilich führte das einmal aufs Tableau gehobene Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Zwischenkriegszeit zu all jenen Konflikten, die den zweiten Akt der heißen Auseinandersetzung einläuteten. Die Ursache der Konflikte der Zwischenkriegszeit lag aber nicht im Selbstbestimmungsrecht der Völker selbst, sondern in der Willkür der imperialistischen Siegermächte, die das von Amerika versprochene Selbstbestimmungsrecht vergewaltigte.

Im Osten trafen im Polnisch-Sowjetischen Kriege der kommunistische Imperialismus auf den polnischen Imperialismus des Intermariums und Letzteres spielte mit der Rückendeckung der britischen Blanko-Vollmacht 1939 die entscheidende Rolle für die Eskalation – und heute wieder, wie Zbigniew Brzeziński uns wissen ließ.

Dass ein Imperialismus auf diese Weise untergehen kann, dafür erbrachte Churchill den eindrucksvollen Beweis, auch wenn so mancher Brite dies bis heute noch nicht verstanden hat.

An die Stelle des britischen Imperialismus trat der amerikanische, der sich erneut auf das universelle Weltbürgertum beruft und unter dem Wahlspruch “freedom and democracy” die Welt in Grund und Boden bombt, im Namen Gottes, des Friedens und der Freiheit Drohnen-Morde verübt, die Staaten unterwandert und so dafür sorgt, dass überall dort Kämpfe aufflammen, wo es dem Interesse des großen Bruders dient. Sie haben ihren Machiavelli gelesen. Dessen Buch hieß übrigens nicht “Die Nation”, sondern “Der Fürst”.

Dagegen nimmt sich die sowjetische Herrschaft während des Kalten Krieges vergleichsweise provinziell aus. Unter der sowjetischen Herrschaft blieben die Völkerschaften einigermaßen intakt, was man von der amerikanischen Herrschaft nicht behaupten kann. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion traten so auch wieder Konflikte hervor, die unter der universalistischen Klammer zunächst befriedet schienen. In Europa war dies der Krieg auf dem Balkan. Hier ist die spannende Frage, ob jene Kriege tatsächlich nationalistischen Ursprunges waren und der Universalismus sich zuvor den Frieden auf die Fahne heften durfte, oder ob nicht gerade der amerikanische Universalismus beim Wiederaufbrechen der alten Wunden seine Finger im Spiel hatte. Lügen gab es auch hier wieder genug. Das amerikanische Interesse an der Zerstörung der Handelswege von Europa in den vorderen Orient war ja vorhanden. Und auch hier zeichnete sich bereits der Anfang der Einkreisung Russlands ab, dessen serbisches Brudervolk sein wesentlicher, auch ideeller Verbündeter war.

Instrumentierung von Angst

Mit dieser Einkreisung Russlands stehen wir heute vielleicht erneut an der Schwelle zur Fortsetzung der Weltkriege, deren Ziel nach George Friedman darin bestand und besteht, Deutschland und Russland auseinanderzuhalten, um die amerikanische Hegemonialherrschaft zu sichern. Wiederum ist es der Universalismus und der Gedanke des Weltbürgertumes, der die Völker in Aufruhr bringt und der die Aufrührer gut bezahlt.

Vielleicht hülfe es, wenn sich alle Staaten, vor allem die imperialistischen, auf ihren Nationalismus, auf die Selbstbestimmung und Selbstbeschränkung besännen, die Amerikaner auf die Monroe-Doktrin und die Deutschen darauf, dass das deutsche Interesse wie schon zu allen Zeiten im europäischen Frieden liegt – wenn wir nur erst einmal frei wären.

Bis dahin sind wir noch aus jener anderen Richtung der Propaganda der Angst, der Aversion, der Gewaltspirale ausgesetzt. Aus der Psychologie weiß man, dass gegensätzliche Gefühle im Menschen nicht gleichzeitig existieren können. Wer Dankbarkeit empfindet, kann nicht zugleich ängstlich oder wütend sein.

Nationalismus ist dem Begriff nach das Bewusstsein, hineingeboren zu sein. Es ist nicht das Gefühl, sich über andere zu erheben, das ist Imperialismus. Nationalismus ist das Gefühl, dankbar zu sein für die Altvorderen, für die Möglichkeit, ihr Werk fortzusetzen und es in die Hände der Nachfahren übergeben zu dürfen. Ihnen wollen wir eine blühende und heile Welt hinterlassen. Wenn wir diese Dankbarkeit für unsere Identität, für die uns mitgegebene Kraft empfinden, so kennen wir keine Angst und keinen Groll. Ohne Angst und Groll haben wir die Möglichkeit, den anderen Völkern die Hand zu reichen, die dieselbe Dankbarkeit in ihrem Herzen fühlen. Ein gutes Gefühl ist eben schöner als ein schlechtes. Das macht die Wahl uns leicht.

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