Mindestens drei: Über ein Diskursprinzip der Landschaftskommunikation

von Kenneth Anders

Lesedauer 6 Minuten
Landschaft – © Kenneth Anders

Die bipolare Störung des Diskurses

„Pro oder contra“, so heißt es bei gern bei Diskussionsveranstaltungen, „ja oder nein?“ Was spricht auch dagegen, in einer Debatte konträre Positionen zu beziehen und sie öffentlich auszutragen? Um es vorweg zu sagen: Nichts spricht dagegen, es ist sogar oftmals geboten. Und doch gilt: Hat eine gesellschaftliche Debatte erst einmal eine dauerhaft polare Struktur angenommen, die nur noch schwarz oder weiß zulässt, ist wahrscheinlich etwas schiefgegangen. Denn es gibt zu den meisten Sichtweisen nicht nur zwei konträre, sondern viele Perspektiven, die voneinander abweichende, alternative Aspekte in den Mittelpunkt stellen oder anders verknüpfen und die alle einen Anteil am Bild der Wirklichkeit für sich reklamieren können. Reduzieren wir einen Sachverhalt im Interesse von Entscheidungen auf eine duale Logik, haben wir bereits viele Möglichkeiten ausgelassen, unsere Orientierung nach verschiedenen Richtungen hin abzusichern.

Die Frage nach „Ja“ oder „Nein“ verdankt sich in unserer Gesellschaft meist der Engführung des politischen Diskurses. Einerseits ist das unvermeidbar, denn politische Entscheidungen müssen nun einmal getroffen oder abgelehnt werden. Dieser Umstand führt allerdings dazu, dass das Prinzip „Legitimation hier, Delegitimation dort“ zur zentralen Figur des politischen Diskurses wird. Deshalb werden unsere Diskurse von Gefahren, Zwangslagen und Alternativlosigkeiten beherrscht, und die Betroffenen finden sich in Lagern wieder: Hier die Einsichtigen, dort die Uneinsichtigen. In der Gegenwart vermischen sich diese Muster zudem mit den alten Zuschreibungen von rechts und links, was wiederum polare Logiken fördert.

Sobald Diskurse die Gesellschaft in gegnerische Lager spalten, verknüpfen sich die inhaltlichen Ansichten mit einer sozialen Position, die der Einzelne nicht mehr verlassen kann, ohne seine gesellschaftliche Stellung zu gefährden. Nehmen wir an, in einer Debatte kann eine Partei mit guten Argumenten auftreten. Für die Parteigänger der gegnerischen Position ist es ohne Gesichtsverlust dann kaum mehr möglich, diesen zuzustimmen. Denn das hieße, das Lager wechseln. Also investieren beide Lager nur noch in möglichst wirksame Strategien, Recht zu behalten und eine vermeintlich schweigende Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. Dies wiederum löst Mobilisierungen aus, wie sie erstens in Form von Medienkampagnen und zweitens in Form von bekenntnishaften Sprachregelungen derzeit das Bild bestimmen, was zu einer Entmündigung der Bürger führt.

Über die Landschaft gibt es kein Monopol

Im Diskurs über die Regionalentwicklung sind mein Kollege Lars Fischer und ich früh auf dieses Problem gestoßen. In unserem Büro für Landschaftskommunikation realisierten wir Projekte zur Regionalentwicklung, die z.B. Fragen des Naturschutzes oder des Ausbaus von Wind- und Sonnenenergienutzung berührten. Bei diesen Themen gerät man unversehens in eine duale Logik. Doch es war schnell klar: Landschaft ist angeeignete Natur. Die Aneignungsweisen, von denen sie geprägt wird, sind so vielfältig, dass verschiedene Sichtweisen auf den miteinander geteilten Raum geradezu zwingend sind.

Das bebildert das obige Foto. Auf den ersten Blick scheint klar, was auf diesem Foto zu sehen ist: Traktorspuren in einem Rapsfeld, in denen das Wasser steht. Was das Bild bedeutet, hängt aber von der Perspektive ab. Für die einen berichtet es von der schwierigen Bewirtschaftung der Ackersenken. Für andere kündet es von einer frühen Honigtracht. Die nächsten werden an das Verbot denken, das Saatgut gegen den Rapsglanzkäfer zu beizen, und wieder andere werden in erster Linie das frohe Gelb des Schlags in einem Frühjahr registrieren, in dem es endlich einmal geregnet hat. Wie dem auch sei, alle tragen mit ihrer Perspektive etwas zur Interpretation des Bildes bei, das wir uns von der Landschaft machen.

Deshalb gibt es in der Landschaft kein Monopol, weder hinsichtlich ihrer Nutzung noch hinsichtlich des für sie relevanten Wissens. Landwirte werden ihre Landschaft anders beschreiben als Künstler, Naturschützer wiederum anders als Wasserbauer. In der Landschaft ist duales Denken tödlich. Es zwingt die Gesellschaft in die Einseitigkeit, wo Vielseitigkeit die zentrale Bedingung für ein gutes Leben ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die verschiedenen Teilsysteme immer nur eine eingeschränkte Geltung im Raum beanspruchen können. Nehmen wir die so genannte Energiewende: Sie ist kein reines Rechtsgeschäft, aber auch kein rein wirtschaftlicher Prozess. Die Einrichtung von Vorrangflächen für Windräder oder Photovoltaikanlagen ist auch eine politische, eine ökologische und eine ästhetische Angelegenheit. Unsere gesellschaftlichen Regeln, das weiß jeder Mensch, können diesen Aspekten nur eingeschränkt gerecht werden. Also sind Klugheit, Abwägung, ja Zurückhaltung und ein hoch qualifiziertes Raumverständnis gefragt.

Die Arbeitsweise als Modell gesellschaftlicher Kommunikation

In der Landschaftskommunikation gehen wir davon aus, dass grundsätzlich alle Menschen zur Verständigung über eine Angelegenheit etwas beitragen können, sofern sie jedenfalls eine eigene Erfahrung beisteuern können: Die Menschen bewohnen ihre Landschaft, sie bewirtschaften, malen, zeichnen oder besingen sie, erforschen oder fotografieren sie, verwalten oder pflegen sie. Jede dieser einzelnen praktischen Aneignungen – seien sie theoretisch, ästhetisch oder praktisch-stofflicher Natur – stiftet eine spezifische Sichtweise auf die Landschaft, die als Bausteine eines gemeinsamen Wissens begriffen werden können. Aufgabe der Landschaftskommunikation ist es nun, diese Bausteine mit den Menschen zu formatieren und in einen gemeinsamen Horizont zu stellen, sodass miteinander geteiltes, kollektives Wissen entsteht. Dies geschieht, indem das Erfahrungswissen der Menschen erfragt, dokumentiert und mit anderen Beiträgen verknüpft wird. Am Anfang steht also die Beschreibung. Das Urteil wird auf später verlegt, es ist die kollektive Leistung des Diskurses. Landschaftskommunikation heißt abwarten, fragen, zuhören und dokumentieren, was die Leute zu sagen haben. Wissenschaftlich produziertes Wissen spielt hierbei natürlich auch eine Rolle, aber es hat keine Priorität. Denn die Forderung der Integrität und Erfahrungsgebundenheit richtet sich an alle Beiträge, die hierfür genutzt werden, nicht nur an die wissenschaftlichen. Das wissenschaftliche Wissen ist nicht per se das bessere, gesicherte Wissen, es hat lediglich eigene Qualitätsmerkmale, die eingehalten oder gegen die verstoßen werden kann – wie im Alltagswissen auch.

Das so entstehende Wissen vom Raum und von der Landschaft hat keine duale Struktur, es passt nicht in ein Schwarzweiß-Schema, sondern integriert verschiedenste Beobachtungen, Beschreibungen und Erfahrungen in einen gemeinsamen Horizont. Dieser Horizont ist vielstimmig und verbunden, denn alle Beschreibungen beziehen sich auf denselben Gegenstand: die miteinander geteilte Landschaft.

Innere Korrektive und die Qualität der Diskursbeiträge

„Führt dies nicht in die Beliebigkeit?“, wurde ich neulich gefragt. Nun, es gibt zwei Korrektive, die dafür sorgen, dass das Ergebnis einer kollektiven Wissensproduktion mehr ist als buntes Einerlei.

Erstens: Die Inhalte der Landschaftskommunikation haben eine Beziehungsqualität. Sie sind weder rein subjektiv noch rein objektiv. Wer über seine Beziehung zur Landschaft in ihren vielen Facetten spricht, billigt sowohl der Wirklichkeit des Raums als auch der Wirklichkeit des eigenen Erlebens einen Anteil an der Wahrheit zu. Diese Abwägung ist kostbar, sie führt tatsächlich zu Ergebnissen in einer hohen Qualität, wie die Texte, die in diesem Prozess entstehen, immer wieder beweisen.

Zweitens: Jeder, der für diese Kommunikationsform um seinen Beitrag gebeten wird, gibt diesen Beitrag in dem Wissen frei, dass auch die anderen Menschen den eigenen Beitrag später lesen oder jedenfalls zur Kenntnis nehmen können. Die Befragten setzen sich also von allein zu den anderen Menschen in Beziehung, was im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit und auch die Integrität der Beiträge sehr hilfreich ist. Denn Beschreibungen können von anderen überprüft und korrigiert werden – sie haben ja einen gemeinsame Erfahrungsgegenstand vor sich, den miteinander geteilten Raum.

Aus diesen beiden Gründen ist es selten vorgekommen, dass das mit den Mitteln der Landschaftskommunikation erzeugte kollektive Wissen sich als nicht belastbar oder als willkürlich erwiesen hat. Es ist im Gegenteil eine zuverlässige Weise, gemeinsam zu einer komplexen Sicht auf eine komplexe Welt zu gelangen. Voraussetzung ist die möglichst reiche Streuung der Perspektiven. Zum Thema Landwirtschaft fragen wir zum Beispiel zwar überwiegend Landwirte (denn diese haben die entscheidende Erfahrung), streuen dann aber das Befragungsset so weit wie möglich, indem wir kleine und große Betriebe, Direktvermarkter und Marktfruchtbauern, Tierhalter und reine Feldbaubetriebe, biologisch zertifizierte und so genannte konventionelle Betriebe, alteingesessene und neu eingerichtete Betriebe und viele weitere Merkmale unterscheiden. Auf diese Weise kommt man zu einer Übersicht, in der verschiedene einzelne Beiträge sich gegenseitig implizit erhellen, kommentieren und auch relativieren. Individuelle Einsichten werden um das Verständnis unterschiedlicher Interessen bereichert. Beides ist relevant.

Nach über zwanzig Jahren Erfahrung mit dieser Arbeitsweise meine ich, dass jedes gesellschaftlich relevante Thema mit dieser leicht umzusetzenden Annäherung gut bearbeitet werden kann: im Sinne einer Bestandsaufnahme des vorhandenen Erfahrungswissens, einer Gewichtung verschiedener Sichtweisen und Argumente und schließlich eines Einstiegs in einen fundierten Diskurs, der den Beteiligten Möglichkeiten zur Identifikation, zum Weiterdenken und zur Auseinandersetzung bietet. Ob es das Bildungssystem, das Gesundheitssystem oder irgendein anderer Bereich des gesellschaftlichen Lebens ist: Alle diese nicht mehr gut bestellten Felder bräuchten dringend eine Bestandsaufnahme im Lichte verschiedener Erfahrungen. Schaut man sich dagegen die öffentlichen Diskurse an, sieht man schnell, dass sie von so genannten Experten und Politikern dominiert werden, das massenhafte Erfahrungswissen der Menschen dagegen konsequent ausgegrenzt oder für bestimmte Positionen in Dienst genommen wird. Die Engführung des Diskurses auf zwei gegensätzliche Alternativen, von denen letztlich nur eine als akzeptabel proklamiert wird, ist nicht im Interesse der Menschen und wird unserer Welt nicht gerecht. Sie ist ein Mittel der Propaganda.

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