von Katja Leyhausen
Lesedauer 5 Minuten
Meine Damen und Herren, liebe 1bis19-Mitglieder, liebe Gäste,
Auf der heutigen Jahresveranstaltung des 1bis19-Vereins für Grundrechte werden viele prominente Namen aus Politik und Gesellschaft fallen. Doch die wichtigen Namen müssen zuerst genannt werden. Namensnennungen haben eine magische Funktion. Ich persönlich habe das – ausgerechnet – im akademisch-wissenschaftlichen Umfeld erfahren. Einer der klugen Professoren sagte uns Studenten damals: „Sie können in der Wissenschaft jeden Fehler machen, jeder Fehler ist verzeihlich, denn er kann korrigiert werden. Was sie nicht tun dürfen, ist, den Eigennamen einer Person falsch zu zitieren. Es kann nicht zurückgenommen werden, wenn Sie den Namen eines Menschen einmal falsch ausgesprochen oder falsch geschrieben haben, wenn sie ihn an einer völlig falschen Stelle zum Zitat heranziehen oder an einer wichtigen Stelle nicht erwähnen.“
Wie viele bekannte Namen standen in den vergangenen Jahren für den kreativ verächtlichen Umgang mit unseren Grundrechten – alles Namen, die wir eigentlich so selten wie möglich erwähnen sollten. Sie sollen bitte dem Vergessen der Geschichte überlassen werden – egal wie bomfortionös ihre gesellschaftliche Position war und wie folgenreich daher ihr zerstörerisches Handeln. Wir wissen spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Politik: Es gibt genügend Leute, die sich beruflich profilieren und persönlich bereichern an dem Leid, das sie selbst verursachen. Das wird aufgearbeitet werden. Die Geschichte wird sie verurteilen, sie wird sie bedauern und schließlich vergessen.
Aber es gibt die anderen Namen, die bleiben werden, wenn wir es uns nicht nehmen lassen, sie immer wieder zu nennen, um ihnen die Ehre zu erweisen. Daher soll hier an erster Stelle der Name Christian Dettmar genannt sein. Sie kennen ihn alle, wir erinnern uns alle: Seit März 2020 waren unseren Kindern sämtliche Grundrechte genommen worden: Die Würde und das Wohl der Kinder sind systematisch von Politik und Mehrheitsgesellschaft mit Füßen getreten worden. Man hat sie eingesperrt und aus dem sozialen Leben ausgesperrt, und als sie gönnerhaft zur Schule wieder zugelassen wurden, wurden sie gleich wieder weggesperrt – dieses Mal hinter Operations- und Staubschutzmasken. Das war sehr kreativ!
Regierungsbehörden wie das RKI waren über den unwissenschaftlichen Aberglauben bestens informiert. Nicht Gesundheitsschutz war das Ziel des Maskenzwangs, sondern die militärische Disziplinierung der Bevölkerung. Das war schon für Erwachsene schädlich und unwürdig, und erst recht für wehrlose Kinder. Wir alle waren ohnmächtig, wir haben unsere Kinder vor diesem Missbrauch nicht beschützen können.
Da kam, im April 2021, die Nachricht, dass ein Familienrichter vom Amtsgericht Weimar einen mutigen Beschluss gefasst hatte: Christian Dettmar hatte für zwei Schulen die Maskenpflicht aufgehoben. Als erster deutscher Richter hatte er dafür Sachgutachten eingeholt. Er hatte sich also nicht auf die offiziellen Gerüchte verlassen, sondern die juristischen und medizinischen Grundlagen geprüft: Er prüfte die Verhältnismäßigkeit der Masken-Verordnung, indem er sich über die medizinischen Tatsachen aufklärte.
Damit tat Christian Dettmar das, was auch jeder andere Richter entweder selbst hätte tun müssen oder als Revisionsinstanz von anderen Richtern einfordern müssen. Bzgl. der vielen Coronaverordnungen waren seinem Beschluss ja zahlreiche andere Verfahren anderer Gerichte vorausgegangen. Doch Christian Dettmar war der erste Richter in Deutschland, der die Missachtung der Grundrechte tatsächlich gerichtlich überprüft hat. Dabei ist er zu dem Ergebnis gekommen, zu dem jeder Richter hätte kommen müssen: jeder Richter, der unabhängig ist im Denken und frei von Bequemlichkeits- und Versorgungsansprüchen sowie von politischem Opportunismus.
Mit dieser Unabhängigkeit hat er prompt den unerbittlichen Verfolgungseifer der deutschen Strafbehörden auf sich gezogen, bis hin zum Bundesgerichtshof. Ein Wunder ist das nicht, denn er hat die deutsche Justiz tief beschämt und bloßgestellt. Seit Ende letzten Jahres ist Christian Dettmar rechtskräftig wegen Rechtsbeugung verurteilt. Ihm ist seine berufliche Position und Ehre genommen worden, seine Bezüge und seine Pensionsansprüche. Seine Krankenversicherungskosten sind in die Höhe geschossen. Sogar das passive Wahlrecht ist ihm durch das Urteil und soziale Stigma der Rechtsbeugung entzogen.
Hier müssen wir die juristische Frage nicht aufwerfen, was Rechtsbeugung ist und inwiefern formale Verfahrensfehler zur Verurteilung geführt haben mögen. Juristen haben beobachtet: Das Strafverfahren, dem Christian Dettmar ausgesetzt wurde, weist seinerseits formale Merkwürdigkeiten auf. Freilich ist nicht jeder Verfahrensfehler gleich ein Fall von Rechtsbeugung. Was aber – dem Wortlaut des Gesetzes nach – notwendig zum Tatbestand der Rechtsbeugung dazugehört, das ist persönliche Vorteilsnahme. Wir stellen uns also Christian Dettmar vor, wie er in den Medien auftritt: bescheiden, sachlich, transparent, glaubwürdig spricht er zum Thema, ohne sich in Widersprüche zu verheddern, ohne Eitelkeit und nachtragende Aggressionen.
Das Gegenbild muss aufgerufen werden: die Politinfluencer der Coronazeit, wie sie in schlecht gespielten Theaterrollen vorgaben, aus politischer Verantwortung zu handeln, aus ethisch-moralischer Vollkommenheit oder aus wissenschaftlicher Omnipotenz. Schon damals haben sie sich Bundesverdienstkreuze, diverse Preise und vor allem lukrative Funktionen gegenseitig zugeschoben. Nachweislicher Betrug, freche Lügen und persönliche Vorteilsnahme werden bis heute nicht geahndet. Im Gegenteil: Wer das kritisiert und in Frage stellt, ist von der ersten Stunde an mit aggressivster Rachgier überzogen worden, und wird es bis heute: mit willkürlichen Hausdurchsuchungen, harten Gefängnisstrafen und ökonomischer Vernichtung.
Die Mitglieder des Vereins 1bis19 haben sich davon nicht einschüchtern lassen. Heute hätten wir Christian Dettmar gerne einen Preis für seinen würdigen Umgang mit den Grundrechten verliehen. Er wäre verbunden mit der kleinen symbolischen Summe von 1019 Euro. Das Geld hätte vielleicht eine Crowd-Funding-Aktion initiieren können – zugunsten Christian Dettmars oder auch zugunsten der durch die Corona-Politik geschädigten Kinder bspw. Wir können diesen Preis aber nicht vergeben, weil die, die ihm sowieso schon Übles wollen, ihm sogar im Nachhinein noch unterstellen könnten, er habe den Beschluss damals nur deshalb gefasst, damit er im Oktober 2025 in Köln die Preissumme von 1019 Euro für sich einstreichen kann.
Das alles wird nicht vergessen, sein Name wird nicht vergessen. Christian Dettmar hat sich als Einzelperson getraut, zugunsten der Würde und Rechte der Kinder den Konflikt mit dem Freistaat Thüringen einzugehen, mit der mächtigen Institution Schule, mit der guten Corona-Mehrheits-Gesellschaft, mit ihren protzigen, vorlauten Medien und – wie ich schon sagte – im Grunde mit dem deutschen Justizapparat als ganzem. Welchen Vorteil hätte er davon haben sollen? Und wenn der Weg seines Widerspruchs (an irgendeiner Stelle im Verfahren) formaliter vielleicht nicht der richtige gewesen sein mag –
Welcher Weg wäre denn der richtige gewesen? Alle Wege waren ja versperrt! Die Hirne waren vernagelt, die Augen waren verblendet, die Ohren dicke zugestopft. Der Mund des Gesetzes war zahnlos und feige.
Wenn ich an diesen gesellschaftlichen Irrsinn denke, muss ich Hannah Arendt lesen. Sie hat sich ja mit dem Verhalten von „Menschen in finsteren Zeiten” ausführlich beschäftigt. „Menschen in finsteren Zeiten“ – das ist der Titel einer Aufsatzsammlung von ihr, mit dem sie Bertold Brechts berühmtes Gedicht An die Nachgeborenen zitiert. Es ist genau das Gedicht, auf das noch heute angespielt wird, wenn die Kritiker regierungsnaher Milieus sich weigern, bloß „von Bäumen zu sprechen“. Im Gedicht sind finstere Zeiten nämlich die „Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“.
Brecht schrieb das Gedicht nach 1933 im Exil, er sprach also darin eindeutig von den „finsteren Zeiten“ des Nationalsozialismus. Anders Hannah Arendt. Sie wandte sich mit ihrer Textsammlung 1955 an ihre amerikanischen Freunde, zu denen sie sich 1941 ins Exil geflüchtet hatte. Sie sprach ausdrücklich von den „Verbrechen und Katastrophen“ der amerikanischen Geschichte und warnte die US-Amerikaner genauso wie alle anderen Menschen: Finstere Zeiten, so schrieb sie wörtlich, „sind nicht nur nichts Neues in der Geschichte, sondern auch nichts Seltenes“.
Das war der Grund dafür, dass sie nicht nur von Bäumen sprach, sondern unablässig das Böse am Menschen thematisierte, um es zu verstehen, um es zu verhindern. Es war auch der Grund dafür, dass sie sich vielleicht noch mehr als für das menschlich Böse für die menschliche Größe interessierte: für menschliche Größe in finsteren Zeiten. Als Merkmale dafür nannte sie „Würde, Standhaftigkeit“ und einen „lachenden Mut.“
Sie haben es bestimmt alle gesehen: Wenn Christian Dettmar heute über seinen Fall spricht, dann hat er trotz allem ein Lachen in den Augen. Es ist ein Lachen, das von innen kommt und das nach außen ansteckend wirkt. Damit verbinde ich den Namen Christian Dettmar. Im Namen aller Mitglieder von 1bis19 möchte ich ihm von Herzen für dieses warme und unverzagte Lachen danken. Wir wünschen ihm, dass er es nie verlieren möge.
Literatur
Arendt, Hannah (2007): Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik (Some questions of moral philosophy, 1965). Aus dem Nachlass herausgeg. von Jerome Kohn. Aus dem Engl. von Ursula Ludz. München (Piper).
Arendt, Hannah (2014): Menschen in finsteren Zeiten (Men in dark times, 1955) Herausgegeben von Ursula Ludz. München (Piper).