Eigenverantwortung und Augenmaß: Der schwedische Sonderweg

von Henning Rosenbusch

Lesedauer 10 Minuten
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© sigtuna SE

Der schwedische Sonderweg, basierend auf Empfehlungen und Freiwilligkeit, ohne Lockdowns, komplette Schulschließungen oder Maskenpflichten spaltete von Beginn an die Gemüter. Weniger in Schweden, mehr im Ausland.
Und obwohl die hiesige Impfkampagne langsam stockt und sich vor allem Jüngere nicht ganz nach den Vorstellungen der Verantwortlichen impfen lassen, gehen die Skandinavier auch hier weiterhin den Weg der Freiwilligkeit: Die Behörden forderten die Regierung kürzlich auf weitere Einschränkungen wie die maximale Personenzahl bei Veranstaltungen, Versammlungen oder an Restaurant-Tischen Ende September aufzuheben. Und: Für Geimpfte und Ungeimpfte gelten weiterhin die gleichen Regeln, die Behörden schreiben: „Für Geimpfte: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie andere anstecken, ist geringer, aber das Risiko ist nicht 0. Daher sollten Sie weiterhin die allgemeinen Empfehlungen befolgen.“

Auf zusammengegencorona.de wirbt das deutsche Bundesgesundheitsministerium von Beginn an und bis heute dagegen nur mit dem Slogan “wir bewältigen diese Krise am besten gemeinsam”. Bisher war das schon nur ein bloßes Lippenbekenntnis: Vor allem Kinder, aber auch ohnehin benachteiligte gesellschaftliche Gruppen trugen durchweg die Hauptlasten der Maßnahmen in den vergangenen eineinhalb Jahren. Menschen, die Lockdowns und Schulschließungen mit Verweis auf Kollateralschäden kritisierten, wurden vom ersten Tag an ausgegrenzt und diffamiert.

Ohne Diffamierung und gegenseitige Ausgrenzung

Aber im September 2021 steigert sich der Umgang mit „den anderen, [jetzt dabei: die Ungeimpften], die sich auf Einschränkungen gefasst machen müssen” (Baden-Württembergs Landeschef Winfried Kretschmann) längst in ein Gegeneinander: Kanzleramtsminister Helge Braun würde allen, die sich gegen die Spritze entscheiden, den Zugang zur Gesellschaft gerne zeitweise völlig verwehren („2G“). Die „Daumenschrauben für Ungeimpfte” (BILD) werden also je nach Bedarf weiter angezogen. Und, wie könnte es auch anders sein, wie kein anderer trifft Karl Lauterbach den Punkt an dem wir uns heute befinden mit einem geradezu beispielhaften orwellschen „Doppeldenk“, beschrieben in der Dystopie „1984”: „Es ist keine Diskriminierung, sondern ungleiche Behandlung.”
 
Eine Gesellschaft, in der „ob geimpft oder ungeimpft, ob für oder gegen Lockdowns miteinander im Kontakt, im Gespräch blieben“ und „ohne Diffamierung und gegenseitige Ausgrenzung die besten Lösungen zur Überwindung der Krise gesucht werden“, gibt es in Schweden. Dies behauptet der Intensivmediziner (Hospital Ystad) Rainer Gatz zuletzt in der Berliner Zeitung

Eine fortschreitende gesellschaftliche Spaltung wie in Deutschland entwickelt sich in Schweden jedenfalls nicht oder lange nicht in dem Ausmaß: „Covidioten”, „Maskenmuffel” oder nicht zuletzt Impfgegner als „gefährliche Sozialschädlinge” (Rainer Stinner, FDP) – dieVerrohung der Debatte in Deutschland gibt Rainer Gatz zu denken: „Ich kann die Polarisierung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland nur schwer ertragen. Auch in Schweden gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zur Pandemie und den Maßnahmen gegen diese, doch ich erlebe es nicht, dass diese Unterschiede Familien- und Freundschaftsbande bedrohen.“ 

Im Marathon einer Pandemie

Der schwedische Staatsepidemiologe und damit Hauptverantwortliche des Sonderweges, Anders Tegnell, wird die Einschätzung eines Intensivmediziners in der vergleichsweise hart getroffenen Region Schonen (schwedisch: Skåne) mit Freude zur Kenntnis nehmen. Seit Beginn der Pandemie steht er bei den Pressekonferenzen in Stockholm regelmäßig im Kreuzfeuer der Journalisten und wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass es eben trotz Pandemie nicht nur Corona-Fallzahlen und Todesfälle gibt. Und, dass Lockdowns und Schulschließungen während des „Marathons” (Tegnell) einer Pandemie Probleme nur verschieben, beziehungsweise am Ende sogar verschärfen.

So hielten Tegnell und seine weitgehend auch auf regionaler Ebene unabhängigen Behörden bis heute Kurs und setzten dabei aber auch „nur“ ihren 2019 frisch vorgestellten Pandemieplan um. Und dieser sah, wie übrigens alle Pandemiepläne weltweit bis 2020, keine Lockdowns vor.
Und so gab es in Schweden bis heute weder einen Lockdown, noch komplette Schulschließungen oder eine Maskenpflicht. Natürlich gab es Maßnahmen, die vergangenen Winter im Vergleich zur ersten Welle verschärft worden waren: Etwa Beschränkungen für die maximale Anzahl an Personen, die Geschäfte oder Gaststätten betreten dürfen. Oder Maskenempfehlungen für öffentliche Verkehrsmittel in den Spitzenzeiten. Restaurants mussten teils um 20.30 Uhr schließen, was sofort Kritiker auf den Plan rief, denn um diese Zeit waren in den Ballungszentren folglich die öffentlichen Verkehrsmittel ein weiteres mal am Abend ausgelastet. Ebenso gab es zeitlich begrenzte Besuchsverbote für Pflegeheime und die Aufforderung, sofern möglich, zuhause zu arbeiten. Diese jedoch vergleichsweise milden Eingriffe ins Leben der 10,5 Millionen Schweden wurde während des Frühlings und Frühsommers 2021 stufenweise aufgehoben.

Kein Wegfall der Lebensräume für Kinder wie in Deutschland

Um es zu verdeutlichen: es gab in Schweden keinerlei Maskenkontrollen, keine allgegenwärtige Polizei oder Ordnungskräfte, keine Testpflichten, keine Apps, keine Abfrage der Daten beim Besuch von Geschäften oder Restaurants, keinerlei Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich und somit auch kein Denunziantentum, keine Ausgangssperren, keine Rodelpolizei, keine Sperrung von öffentlichen Bereichen oder Sitzgelegenheiten, keine Testpflichten in Schulen. Überhaupt wurde von Beginn an versucht, die Kinder weitestgehend nicht mit Maßnahmen zu belasten: zwei Mal, jeweils für wenige Wochen während der ersten und zweiten Welle, wurde die „gymnasiale Oberstufe“ ins Homeschooling geschickt. Schwedischen Untersuchungen zufolge hatte dies auch negative Auswirkungen auf die Jugendlichen, aber lange nicht in dem Ausmaß wie in Deutschland, wo einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) bereits Anfang Februar 2021 (!) zu dem Ergebnis kam, dass ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten zeigten: Unter anderem depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden wie zum Beispiel Niedergeschlagenheit oder Kopf- und Bauchschmerzen. Die Leiterin der Studie, Ulrike Ravens-Sieberer resümierte, dies sei „ein Ausdruck der Erschöpfung: durch die geschlossenen Schulen und Freizeiteinrichtungen ist ein Großteil der Lebensräume der Kinder weggefallen.“ Ihnen würden die Freunde und die sozialen Kontakte fehlen.

Dagegen gab es in Schweden nicht einmal eine Quarantänepflicht für positiv Getestete oder gar deren Kontakte (Familie), sondern nur die Empfehlung, falls Symptome auftreten, zuhause zu bleiben und sich dann an den Rat des behandelnden Arztes zu halten:
Auf der Webseite von Folkhälsomyndigheten, der schwedischen Gesundheitsbehörde, findet sich eine interessante Anleitung, wie mit einem positiven PCR-Test umzugehen ist: Die Tests könnten nicht verwendet werden, um festzustellen, ob jemand infektiös ist:
„Die Gesundheitsbehörde hat nationale Kriterien zur Beurteilung der Infektionsfreiheit bei Covid-19 entwickelt. Die PCR-Technologie, die in Tests zum Nachweis von Viren verwendet wird, kann nicht zwischen Viren unterscheiden, die in der Lage sind, Zellen zu infizieren, und Viren, die vom Immunsystem unschädlich gemacht wurden, und daher können diese Tests nicht verwendet werden, um festzustellen, ob jemand infektiös ist oder nicht.“ Somit gibt es wohl auch keine rechtliche Grundlage für eine durch den schwedischen Staat verordnete Quarantäne.

Ohne Lockdowns und ohne Impfdruck

Auch die unter anderem von Karl Lauterbach verbreitete Mär, dass Lockdowns die Wirtschaft schützen würden, lässt sich nun mit Zahlen von Eurostat für 2020 einfach widerlegen: Das Bruttoinlandsprodukt Schwedens schrumpfte um 2,8 Prozent und damit um weniger als die Hälfte des europäischen Durchschnitts (-6,1 Prozent). Deutschland kam hier auf -4,9 Prozent. Im IMD-Ranking der effizientesten Volkswirtschaften arbeitete sich Schweden während der Pandemie von Platz 9 (2019) auf Platz 6 (2020) und für 2021 gar auf den 2. Platz hinter der Schweiz vor. Und auch in Sachen Impfquote kommt Schweden, ohne Druck durch 3G oder 2G, gut voran und liegt mit 68 Prozent Erstgeimpften knapp vor Deutschland (65 Prozent).

„Wir Schweden sind ohnehin ein depressives Völkchen: Lockdowns oder gar Ausgangssperren wären vielen von uns nicht gut bekommen“, meint die 48-jährige Eliza aus Sigtuna, wenige Kilometer nördlich von Stockholm. Sie nahm die Corona-Pandemie bisher sehr ernst und hielt sich an die Empfehlungen der Behörden, aber in den letzten Monaten ist das Thema weitgehend aus ihrem Alltag verschwunden. Und dies gilt wohl sogar für die Mehrheit im Lande, nachdem sich der erneute Anstieg der positiv Getesteten im März und April, „die dritte Welle“, kaum noch auf die Corona-Todesfallzahlen in Schweden ausgewirkt hatte.

Beim Schutz der Bevölkerung vor Corona wurde in Schweden immer auch an Risiken für die Gesundheit durch Maßnahmen gedacht. So betonte Chefepidemiologe Tegnell wiederholt, dass Lockdowns große psychische Schäden anrichten könnten, die etwa zu Alkoholmissbrauch oder Depressionen führen. Des Weiteren hätten die Kinder ein Recht auf Bildung. Auch der Chef der schwedischen Gesundheitsbehörden, Johan Carlson, unterstützte Tegnell immer wieder mit diesen Argumenten.

„In einem interdisziplinären Ansatz kann eine Gesundheitsfolgenabschätzung mögliche positive und negative gesundheitliche Konsequenzen von Politik, Programmen oder Projekten systematisch analysieren und bewerten. Dadurch gewonnene evidenzbasierte Empfehlungen können in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, mit dem Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und zu fördern“ – so steht es auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) geschrieben.

Was war der Preis für den schwedischen Sonderweg?

Also eine zumindest bis 2020 in Deutschland durchaus gängige Praxis. International oder bei der WHO ist die Gesundheitsfolgenabschätzung als „Health Impact Assessment” bekannt.
Stephan Kohn (SPD), ein Referent im Innenministerium soll so etwas im Frühjahr 2020 im Alleingang versucht haben. Er warf der Regierung daraufhin vor, der Lockdown sei eine übertriebene Maßnahme nach einem Fehlalarm gewesen. Die Kollateralschäden seien größer als der Nutzen. Der Mann wurde sofort beurlaubt. Matthias Schrappe (ehem. stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung im Gesundheitswesen) gab ihm schon damals in einigen Punkten Recht.

Es gilt nun also die alles entscheidende Frage zu beantworten: Welchen Preis musste Schweden für diesen vergleichsweise lockeren Weg bezahlen, der gesellschaftliche und auch gesundheitliche Kollateralschäden weitgehend vermeiden konnte?

Nimmt man für diese Bilanz einzig und allein die „Corona-Toten“ her, also binnen 30 Tage nach positivem Test Verstorbene, ist die Antwort schnell gefunden: Hier liegt Schweden weiterhin mit 1447 Corona-Toten pro eine Million Einwohner vor Deutschland (1103), ist aber mittlerweile weit hinter den Schnitt der EU mit Lockdowns und Schulschließungen aller Orten zurückgefallen (1700). Vor allem wenn man die skandinavischen Länder untereinander vergleicht sieht Schweden nicht gut aus: Norwegen (151), Finnland (188) und Dänemark (450) schlagen ihren geographischen Nachbarn um Längen. Wobei es jedoch auf den gleichen Breitengraden in Estland (990), Lettland (1400) und Litauen (1743 Corona-Tote pro eine Millionen Einwohner) schon wieder zu ganz anderen Ergebnissen kam.

Die Rolle von Vitamin D und verschwiegene Risikogruppen

Aber ist ein epidemiologischer Vergleich nur deshalb gut, weil Länder gemeinsame Grenzen haben? Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell sagt hier ganz klar nein: „Schweden ist von der Bevölkerungsstruktur her eher mit Mitteleuropa zu vergleichen.“

Eine bisher genutzte epidemiologische Kennziffer für Ländervergleiche ist der Urbanisierungsgrad. Hier befindet sich Schweden mit 87 Prozent Menschen der Gesamtbevölkerung, die in Städten leben in etwa auf einem Niveau mit den Nachbarn. Zum Vergleich Deutschland liegt hier bei 77 Prozent. Eine im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstandenes wissenschaftliches Papier untersucht die „population weighted densitiy“ also die „bevölkerungsgewichtete Dichte“ und will damit herausfinden wie nah die durchschnittlichen Bewohner eines Landes beieinander leben, Zitat: „Deutschland hat zum Beispiel eine bevölkerungsgewichtete Dichte ρW = 1641 Personen/km – niedriger als in Schweden (das mit 2327) oder Irland – was die Tatsache widerspiegelt, dass die Bevölkerung Deutschlands relativ gleichmäßig über das Land verteilt ist“.

Auch in Sachen Einwanderungsquote ist Schweden (16,8 Prozent) besser mit Deutschland (14,9) als mit Rest-Skandinavien vergleichbar: die Coronakrise hat gerade nicht-westliche Einwanderer viel stärker getroffen als in Schweden geborene Personen oder Europäer, nicht zuletzt eine Studie der Uni Göteborg hat dies herausgefunden: auch Tegnell gab sich im letzten Jahr überrascht davon, dass sich das Virus in ärmeren Vororten, wo oft mehrere Familien und Generationen auf wenigen Quadratmetern zusammenleben, viel schneller verbreitete. Die skandinavischen Nachbarn haben niedrigere Anteile dieser weitgehend verschwiegenen Risikogruppe oder es handelt sich wie im Falle Norwegens um mehrheitlich europäische Einwanderer.  Und das hat durchaus Relevanz: Im Rahmen von Forschungen hat sich gezeigt, dass – in Europa – vor allem ältere Menschen und Einwanderer mit dunkleren Hauttypen besonders häufig einen Mangel an Vitamin D aufweisen. Diverse Studien sprechen hierbei von enormen Auswirkungen auf den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung, sobald zu wenig Vitamin D im Organismus vorhanden ist. So auch eine Studie der Universität Cantabria aus Santander (Spanien). Das Forschungsteam um Studienleiter José L. Hernandez wies in einer Klinik nach, dass 80 Prozent aller behandelten Covid-19-Patienten einen Vitamin-D-Mangel hatten.

Statistische Ländervergleiche und ihre Parameter

Wer den hohen Anteil nicht-europäischer Einwanderer auf den Intensivstationen Schwedens, aber auch Deutschlands anspricht, begibt sich auf ein politisches Minenfeld, denn obwohl Tegnell hier Selbstkritik übte („unterschätzt“), wurde ihm in den Mund gelegt, er hätte Einwanderer für die Ausbreitung des Virus beschuldigt. Dabei zeigt sich, dass es in Sachen Covid-19 auch in Deutschland zumindest einen Armutseffekt gibt. Und schon sind wir auch bei weiteren Risikofaktoren für schwere Covid-19-Verläufe: “Armut macht dick, unbeweglich und abhängig” (FAZ)“. Bewegungsarmut gilt sogar als höheres Risiko für Covid-19 als Fettleibigkeit, Bluthochdruck oder Rauchen. Und so spielen hier mehrere zu beachtende Faktoren ineinander.

Als deutsches Bundesland im hohen Norden würde sich Schweden jedenfalls bei der Zählung der binnen dreißig Tagen mit positivem Test Verstorbenen jedenfalls hinter Sachsen (2510 Corona-Tote pro eine Millionen Einwohner), Thüringen (2070), Sachsen-Anhalt (1600) und Brandenburg (1510) auf recht unauffällig auf Platz fünf einreihen.
Der „härteste Parameter, den wir haben“ ist laut Gesundheitswissenschaftlern wie Martin Sprenger jedoch die Gesamtsterblichkeit während der Pandemie, die jeden Todesfall erfasst und das Geschehen mit den Vorjahren vergleicht und hier treten interessante Dinge zutage:
Seit Jahresbeginn bis inklusive August sind bevölkerungs- und altersbereinigt in Schweden fünf Prozent (ungefähr 5000) weniger Menschen gestorben als statistisch (Vergleichsjahre: 2016-2019) zu erwarten gewesen wäre. Im gleichen Zeitraum soll es jedoch rund 5500 Corona-Tote gegeben haben, die sich also in der Gesamtsterblichkeit überhaupt nicht abbilden lassen

Verschiedene Forscher haben mittlerweile auch die Gesamtsterblichkeit für das Jahr 2020 betrachtet: Im britischen Spectator hatte man im Artikel „Schweden, Covid und Lockdown – ein Blick auf die Daten“ nicht nur die oben erwähnte „bevölkerungsgewichtete Dichte“ zum Ländervergleich herangezogen, sondern auch die Berechnungen des Zentrums für evidenzbasierte Medizin der Universität Oxford für die Gesamtsterblichkeit: Schweden schnitt hier mit 1,5 Prozent Übersterblichkeit 2020 sogar besser ab als Deutschland (3,3 Prozent) – trotz mehr gezählten Corona-Toten. In anderen Berechnungen steht Schweden dagegen schlechter da als Deutschland – immer jedoch befand es sich im besseren Drittel der EU was diesen Vergleich angeht.

Selbst „Long-Covid“ lässt sich mit schwedischen Zahlen zum ausbezahlten Krankengeld entkräften, laut Inzidenz (im vergangenen Winter teils doppelt und dreifach so hoch wie in Deutschland) war der Erreger in Schweden ja weit verbreitet: „Seit 2018 ist der Krankengeldsatz langsam rückläufig. Dieser Trend hat sich während der Pandemie fortgesetzt, mit Ausnahme einer kurzen Phase während der ersten Welle. Die Pandemie führte zu einem Anstieg der Zahl der Krankschreibungen, aber die meisten waren nur von kurzer Dauer, so dass die Auswirkungen der Pandemie auf den zugrundeliegenden Rückgang der Krankschreibungsrate nur marginal waren. Der Krankengeldsatz ist im Juli 2021 4,4 % niedriger als im Juli 2020″, heißt es in der aktuellen Analyse der schwedischen Sozialversicherungsbehörde „Försäkringskassan“.

Kinder sind noch immer keine Pandemietreiber

Mitte August öffneten in Schweden die meisten Schulen nach den Sommerferien. Ohne Masken, ohne Massentests, ohne Hygieneregeln. Dafür mit Anfassen, mit Freude am Lernen, am Miteinander: mit Kindern, die Kind sein dürfen.
Es gab wieder Unkenrufe aller Orten, auch in Schweden meldeten sich die üblichen Kritiker des Sonderweges wieder zu Wort und forderten Vorsicht und Maßnahmen. Fast vier Wochen später sterben, wie schon seit Mitte Juni, kaum noch Menschen in Schweden mit und an Corona, von rund 10,5 Millionen Menschen seitdem rund einer am Tag. Der Altersdurchschnitt der mit positivem Test Verstorbenen liegt bei 84 Jahren weiterhin im Rahmen der hiesigen Lebenserwartung. Mit der Anzahl der Tests steigt auch wieder die Inzidenz in Schweden, aber deren Positivrate ist seit Schulstart am 16. August von 5,6 Prozent auf drei Prozent gefallen.

Kinder sind noch immer keine Pandemietreiber. Und deren unbeschwerter Alltag entlastet schwedische Familien schon mal erheblich. Der Intensivarzt Rainer Gatz aus Ystad resümiert, es sei seiner Wahlheimat (seit 2003) gelungen die Pandemie „mit Augenmaß” zu bekämpfen. Die Verantwortlichen hatten keinen Tunnelblick auf Corona-Tote, sondern rechneten potenziell verlorene Lebensjahre durch Lockdowns oder Schulschließungen gegen und setzten ihren Pandemieplan aus 2019 um: es könnte sich noch weiter herauskristallisieren, dass dies eben kein „Versagen“ war, wie deutsche Medien bis heute größtenteils immer wieder behaupten, sondern ausgewogen und vorausschauend mit in der Tradition einer guten Gesundheitsfolgenabschätzung.

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