Bundesverfassungsgericht erhält Preis für den „kreativsten“ Umgang mit den Grundrechten, Teil 2: Carlos A. Gebauer

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BVerG – Symbolbild KI generiert (eigen)

Auch Carlos A. Gebauer, Rechtsanwalt, Publizist und Mitglied der Jury beim 1bis19-Preis für den „kreativsten“, d.h. fragwürdigsten Umgang mit den Grundrechten, begründete die Vergabe des Preises an das Deutsche Bundesverfassungsgericht. Im Wortlaut heißt seine Begründung wie folgt:

„Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Arbeit auf der Grenze zwischen Recht und Politik den Inhalt und die Bedeutung der Grundrechte in Deutschland jahrzehntelang prägend konturiert. Als historische Antwort auf die totalitären und menschenverachtenden Exzesse der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hat die Karlsruher Judikatur gleich nach Gründung des Gerichtes in der damals noch jungen Bundesrepublik den naturrechtlichen Ansatz des Grundrechtekataloges methodisch überzeugend als Basis einer freiheitlich-demokratischen Ordnung ausdifferenziert. Die Staatsorganisation wurde von dem Gericht feingliedrig als Instrument ausgeformt, um individuelle Freiheitsrechte gegen bedrängende Eingriffe abzusichern, um eine moderne und aufgeklärte Rechtsordnung widerspruchsfrei auszuformulieren und um den Staat international als völkerrechtlichen Akteur für einen weltweiten Frieden hörbar zu machen.

Indem die Rechtsprechung des Gerichts dem üblichen politischen Tagesgeschäft in nüchterner Sachlichkeit und professioneller Unaufgeregtheit verfassungsrechtliche Grenzen setzte, erwarb es sich das Vertrauen der eigenen Bevölkerung ebenso wie das Ansehen internationaler Gerichtshöfe. Die juristische Arbeit im Karlsruher Schlossbezirk wirkte so über die Grenzen Deutschland hinaus in die europäischen Nachbarstaaten und über diese hinaus sogar rechtsfortbildend in weite Teile der Welt.

Im Gefolge der weltweit diskutierten Corona-Epidemie hat das Bundesverfassungsgericht die ihm angetragenen Rechtsschutzbegehren – erstaunlicherweise konsequent abweichend von seiner zuvor jahrzehntelang gepflegten freiheitlichen, grundrechteschützenden Judikatur – mit wenig sichtbarer richterlicher Empathie und einem nicht konturenscharfen, gleichwohl aber umso deutlicher betonten, überragenden Gemeinwohlinteresse zurückgewiesen. Nach anfangs langem Schweigen auf vielgestaltige Beschwerden Betroffener hin hieß das Gericht überaktivistische politische Maßnahmen gut, steigerte es den Raum der exekutiven Einschätzungsprärogative in faktisch grenzenlose Sphären und verschloss es sich dem Wehklagen isoliert Sterbender, schutzloser Schulkinder, ohnmächtiger Unternehmer und Arbeitnehmer, akribischer Mediziner und – ganz besonders – verzweifelter Menschen in Gesundheitsberufen, deren Expertise sie vor eilends zugelassenen Arzneimittelgaben warnte.

Das Bundesverfassungsgericht hat
– mit seinen pandemischen Auslegungsmethoden einer epidemiegeschichtlich ungesehenen Übervorsicht,
– mit dem Dulden des fachwissenschaftlichen Abgehens von etablierten Standards,
– mit der Zuweisung von Ausnahmekompetenzen an verfassungsrechtlich nicht vorgesehene Gremien,
– mit dem Hinnehmen einer exekutiv definierten und fachgerichtlich nicht überprüften Risikolage,
– mit der Steigerung prozessualer Darlegungslasten für Beschwerdeführer und
– mit dem Ausbleiben einer selbstkritischen Eigenkorrektur trotz Vorlage eines deutlichen richterlichen Normenkontrollantrages
die Grundrechte unserer Verfassung nicht freiheitlich-individualschützend, sondern schrankenschaffend repressiv interpretiert. Das Gericht hat damit das über siebzig Jahre hinweg stetig gewachsene Vertrauen in seine integrierende, unparteiisch vermittelnde Funktion zwischen Staat und Bürger und insbesondere in seine Rolle als kompetenter Sachwalter wissenschaftlicher Rationalität erheblich beschädigt.

Wer nur beschließt, ohne zu urteilen; wer nur berät, ohne zuzuhören; wer Tatsachen nur glaubt, statt Beweis zu erheben; wer rechtlich subsumiert, ohne den Sachverhalt skeptisch und kritisch auf seine Tatbestandsrelevanz zu prüfen – der läuft notwendigerweise Gefahr, fehlerhaft zu entscheiden. Ein letztinstanzliches Richterwort darf nicht auf Restzweifeln ruhen, es sei denn, es spricht sich wegen der nicht ausgeräumten Bedenken zugunsten der Freiheit und gegen den Eingriff aus. Juristische Kreativität darf nicht in Gegnerschaft zur Freiheit treten. Juristische Präzision setzt aufgeklärte wissenschaftliche Skepsis voraus. Juristische Sensibilität in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat kennt nur eine Richtung: In dubio pro libertate!“


Weitere Berichte zur Preisverleihung: kontrafunk Nachrichten (ab Minute 4:10); Tichys Einblick, Die Achse des Guten, reitschuster.de, Vera Lengsfeld, Norbert Häring, Haintz Media, multipolar u. a.

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