Auch Führer können entlassen werden

ein Kommentar von Rechtsanwalt und Steuerberater Christian Moser

Lesedauer 4 Minuten
1bis19 - Auch Führer können entlassen werden
Der Untergang des Pruitt-Igoe-Quartiers (1972) © U.S. Department of Housing and Urban Development

Ein Großunternehmen von Weltrang steht vor dem Abgrund. Der Weltmarktführer hat es geschafft, innerhalb etwa eines Jahrzehnts alles zu verlieren und in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Wie konnte das geschehen?

Es handelt sich um ein traditionsreiches Familienunternehmen, das über Generationen weitergegeben wurde und bereits schlimmste Stürme überstanden hat, darunter mehrere Totalverluste. Immer wieder musste es seine Rechtsform ändern. Auch feindliche Übernahmen fanden statt und am Ende sind die Beteiligungsverhältnisse unübersichtlich geworden.

Das Besondere: Alle Angehörigen der Gründerfamilie arbeiten selbst im Unternehmen mit, dazu noch einige andere. Das Unternehmen bietet zudem Menschen, die nicht zum Unternehmen gehören, Kost, Logis und Heilfürsorge. Dinge des täglichen Bedarfs können von der Belegschaft mitbestimmt werden, egal, ob sie zur Gründerfamilie gehören, oder nicht.

Die Unternehmensführung aber wird von der Gründerfamilie selbst bestimmt. Die Gründerfamilie ist nicht gerade klein und darum gestaltet sich die Auswahl der Geschäftsführer schwierig. So gibt es im Unternehmen nicht nur einen Betriebsrat und eine Gewerkschaft, sondern gleich mehrere Vereinigungen potentieller neuer Geschäftsführer, ausgestattet mit gigantischen Budgets, die für die zukünftigen Geschäftsführer Werbung machen.

Da gab es öfter Anlass zu Unmut, denn es ist nicht immer offensichtlich, woher die Budgets der Geschäftsführerwahlvereine kommen. Es war jedenfalls in letzter Zeit immer mehr abzulesen, dass, obwohl sich diese Werbung an die Gründerfamilie richtete, am Ende Interessen in den Vordergrund gestellt wurden, die nicht mehr den Erfolg des Unternehmens betrafen.

Alle zwangsweise beim Betriebsarzt

Das Unternehmen hat eine breite Produktpalette von Güter-Produktion über Dienstleistung bis hin zu Kultur und Landschaftspflege. Der Tausch hochwertiger Produkte gegen Rohstoffe funktionierte in der Vergangenheit hervorragend, eine Zeitlang sogar ohne Devisen, was einst zur mutwilligen Vernichtung des Unternehmens durch seine Konkurrenten führte, wie der Geschäftsführer eines dieser Konkurrenzunternehmen in seine Memoiren schrieb. Trotzdem konnte das Unternehmen neu aufgebaut werden und erlebte eine neue Blüte.

Nun aber ist eine Geschäftsführung am Ruder, die über keinerlei wirtschaftliche Kenntnisse verfügt. Sie interessiert sich buchstäblich für heiße Luft, kann aber offensichtlich keine Bilanzen lesen. Schon die vorhergehende Geschäftsführung hatte das Unternehmen mehrfach komplett heruntergefahren und den größten Teil der Belegschaft zwangsweise zum Betriebsarzt geschickt, dessen Behandlung dann zu erhöhten Krankenständen führte. Die neue Geschäftsführung kündigt nun an, dass die Rettung eines anderen Unternehmens es gebiete, die Produktion des eigenen Unternehmens notfalls anzuhalten.

Obwohl die Gründerfamilie in den Produktionsprozess voll integriert ist, regt sich gegenüber der Geschäftsführung vergleichsweise wenig Widerstand. Teile der Familie sind sehr aktiv und bemühen sich, die anderen Familienmitglieder aufzuklären, diese aber zeigen zu großen Teilen Desinteresse oder glauben der Geschäftsführung, die auf eine höhere Moral verweist, die nicht hinterfragt werden dürfe. Unterdessen steht das Unternehmen nunmehr vor dem totalen Ruin.

Ähnliche Familienunternehmen verkauften in der Vergangenheit auch schon mehr ein Gefühl als ein gutes Produkt, dies oft genug unter Zuhilfenahme von Gewalt und Betrug. Bei diesem Unternehmen ist es aber umgekehrt. Es hat aufgehört zu produzieren und vermarktet statt dessen eine Idee, die völlig unattraktiv ist und sich lediglich gegen sich selbst richtet, denn sie setzt sich bewusst über jede betriebswirtschaftliche Vernunft hinweg.

Mühelos abgeschöpfte Einkommen durch Zins

Man fasst sich an den Kopf! Diejenigen, die über ein Mindestmaß an wirtschaftlichem Verstand verfügen, stehen ratlos vor dem Niedergange des Weltmarktführers.

Die Gründerfamilie ist unüberschaubar alt, das Unternehmen besteht in unterschiedlicher Form aber immerhin schon seit tausend Jahren. Sein Name ist Deutschland.

Es gibt so manchen Kritiker in der Gründerfamilie, dem deutschen Volk, der sich darüber beschwert, dass Deutschland eine Firma sei, eine GmbH oder dergleichen. Das ist vom juristischen Standpunkt betrachtet Unfug.

Gleichwohl wird Deutschland vornehmlich von wirtschaftlichen Interessen regiert. Schaut man sich die Ergebnisse an, dann handelt es sich nicht um die Interessen der eigenen Wirtschaft, es muss eine fremde sein. Ob es nun die chemische Industrie des Auslandes, die Autoindustrie Amerikas oder Chinas oder amerikanische Investoren in Wärmepumpen sein mögen, ist nur eine vordergründige Frage. Immer geht es um Konzerne und hinter diesen Kapitalsammelbecken steckt letztlich die Finanzindustrie. Ich sage lieber Hochfinanz, denn sie stellt nichts her. Und fleißig im Wortsinne ist sie schon gar nicht. Ihr Kennzeichen ist das mühelos abgeschöpfte Einkommen durch den Zins.

Kein Wunder also, dass eine Führung, die nicht dem Unternehmen selbst, sondern seinen Finanziers verpflichtet ist, im fremden Interesse in dieses Unternehmen hineinregiert.

Steuerberatern wird in der Ausbildung der “Leverage-Effekt” nahegelegt. Diese nach ihrem Erfinder benannte Hebelwirkung besagt, dass ein möglichst geringer Einsatz von Eigenkapital unter Hinzufügen von über 80% Fremdkapital zu einer maximalen Eigenkapitalrendite führe. Das Ergebnis dieses Rechenspieles ist die totale Abhängigkeit des Unternehmers von seinen Geldgebern. Die meisten Unternehmer kennen das. Man ist nicht mehr Herr im eigenen Hause und genauso geht es Deutschland jetzt.

Die wahre Schizophrenie

Entgegen den Unkenrufen, dass die Bundesrepublik eine Firma sei, wäre es geradezu zu wünschen, der Staat würde mindestens so verantwortungsvoll geführt werden, wie es für ein wirkliches Familienunternehmen selbstverständlich ist. Einem Familienunternehmen würde es nicht einfallen, feindliche Übernahmen zu dulden und Geschäftsführer und Prokuristen zu beauftragen, die offensichtlich in fremdem Solde stehen. Sie würden auch nicht nach marktschreierischen Anpreisungen und sachfremden Erwägungen eingesetzt, sondern nach ihren Befähigungen und Referenzen. Im Falle des Versagens würden sie sofort entlassen und haftbar gemacht werden. Obendrein achtet im Wirtschaftsleben das Finanzamt peinlich darauf, dass die Buchführung des Unternehmens höchsten Anforderungen entspricht.

Jedoch die Organisation unseres gesamten Zusammenlebens und das Fundament unserer gesamten Wirtschaft wird Laiendarstellern und ihren auswärtigen Gönnern in die Hände gelegt, ohne dass irgendjemand dafür haftet, außer der Gründerfamilie selbst. Das ist die wahre Schizophrenie dieses Deutschlands und seines Unterganges, den wir mit staunenden Augen und offenem Munde erleben müssen.

Was aber kann die Gründerfamilie unternehmen, um ihr Unternehmen zu retten?

Nun, sie muss die Verhältnisse umkehren. Ins Lateinische übersetzt nennt man dies Revolution. Die unfähige und von fremden Interessen geleitete Geschäftsführung muss durch eine fähige und treue Geschäftsführung ersetzt werden. Damit dies möglich ist, muss das Fremdkapital durch Eigenkapital ersetzt werden. Das heißt, die fremden Investoren müssen aus dem Unternehmen herausgekauft und die selbst erwirtschafteten Gewinne so in das Unternehmen reinvestiert werden, dass es in Zukunft auf eigenen Füßen stehen kann. Dann kann es sein eigenes Potential wieder ganz entfalten und kann seine Gründerfamilie die Früchte ernten.

Nur frei können diese und die Belegschaft im wahrsten Sinne zufrieden sein. Und wer zufrieden ist, hat eben dies, nämlich Frieden.

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