Wahlbetrug anlässlich der Bundestagswahl

von Ulrich Fischer

Lesedauer 6 Minuten
Hütchenspieler- © 1bis19 (Andreas Hansel)

I. Vorbemerkung

Einleitend erlaube ich mir, aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.03.2003 – 8 C 14.02 – wie folgt zu zitieren:

Nur solche Wahlen verleihen demokratische Legitimation im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, die ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes bzw. der Wahlbürger erfolgt sind (vgl. Beschluss vom 30. März 1992 – BVerwG 7 B 29.92 -). Jede Form des Vorenthalts von Wahrheit beeinträchtigt die Autonomie des Menschen bei seiner (Wahl-) Entscheidung darüber, wie viel Wahrheit er sich zumuten kann und will. Die Wahrheit ist als Rahmenbedingung individueller Autonomie unentbehrlich. So sehr vom Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Bürgers ausgehen und dieses Verhalten selbst mit Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern (BVerfGE 44, 125 <139 f.>).

Der bewusst vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer kommunalen Wahlprüfung gewählte, weit gefasste Wortlaut der zitierten Passage ist nach Auffassung des Verfassers auch auf Wahlverfahren nach dem Bundeswahlgesetz anzuwenden. Dass der Begriff der freien Wahl je nach Wahlebene unterschiedlich ausgelegt werden könnte, erscheint weder rechtsdogmatisch noch verfassungspolitisch vertretbar.

II. Unregelmäßigkeiten und Wahlverstöße

1. Nichtberücksichtigung von im Ausland befindlichen Briefwählern 

Es ist offenkundig, ja allgemeinkundig, dass hunderttausende von (Briefwahl-) Stimmen, mindestens 200.000, keinen Eingang in das Wahlergebnis gefunden haben bzw. nicht abgegeben werden konnten, weil die zeitlichen und postalischen Voraussetzungen durch die Wahlbürokratie nicht hinreichend gewährleistet waren bzw. sich als funktionsunfähig erwiesen haben. Dabei weiß der Einspruchsführer naturgemäß, dass die Wahl unter einem erheblichen Zeitdruck anberaumt wurde. Aber schon die Gründungsväter des Grundgesetzes und der Gesetzgeber der relevanten Wahlgesetze wussten, dass nicht nur im Ausland, sondern auch im Deutschen Reich, in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik, Wahlen kurzfristig anberaumt werden konnten und wurden – übrigens deutlich kürzer als im vorliegenden Fall –, obwohl es damals keine Digitalisierung, kein Internet, keine Flugzeuge usw. gab.

2. Unzulässiger Briefwahlumfang

Ausweislich des amtlichen Wahlergebnisses haben an der Bundestagswahl 2025 insgesamt 18.497.796 Briefwähler teilgenommen. Somit lag der Anteil der Briefwahlstimmen bei 37,0 Prozent.

Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich, dass, je höher der Briefwahlanteil ist, umso mehr Skepsis angebracht ist, oder mit anderen Worten: Je mehr der Gesetzgeber zulässt, die Briefwahl ohne Angabe triftiger, dringlicher, sachlicher Gründe durchzuführen, ergeben sich potenzierte Risiken für eine Wahlgefährdung. Der Blick auf die Statistik der Bundeswahlleiterin ist eindeutig. Allein von 1994 bis 2025 hat sich die Zahl der Briefwähler fast verdreifacht!

Vor dem Hintergrund der mitgeteilten Zahlen vertrete ich die Auffassung, dass die Briefwahl anlässlich der Bundestagswahl 2025 in ihrem hier gegebenen überproportionalen und ausufernden Ausmaß (der Briefwahlanteil bei der Bundestagswahl 2021 muss unter den besonderen Bedingungen der damals herrschenden Corona-Ausnahmezustände betrachtet werden) einen schweren Wahlfehler darstellt. Denn weder die Freiheit der Wahl noch deren Geheimhaltung – nach Grundgesetz und Bundeswahlgesetz wesentliche Voraussetzungen einer freiheitlich-demokratischen Wahl – sind bei der Briefwahl in so hohem Maße garantiert, wie bei der persönlichen Stimmabgabe.

3. Wählertäuschung und Wählerbetrug bzw. Verstoß gegen die guten Sitten als allgemeines Rechtsprinzip

 „Wählertäuschung und Wählerbetrug“ sind auch bei der Beurteilung der Ordnungsgemäßheit einer Bundestagswahl im Rahmen einer Wahlprüfung relevant. Das ist aus dem oben zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ersichtlich: Jedwede Voraussetzung für eine die Legitimation der Volksvertretung begründende Wahl ist die, dass diese frei von Täuschungen und Betrügereien nicht nur im strafrechtlichen, sondern auch im ethisch-moralisch, politisch-hygienischen Sinne ist. Namentlich der Abgeordnete Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der Fraktion der CDU/CSU, war es, der dafür gesorgt hat, dass eine Vielzahl von Wählern bei der Abgabe ihrer Stimme darüber getäuscht wurde. Er, der als Kanzlerkandidat nicht nur aufgestellt war, sondern sich auch selbst so präsentiert hat, hatte vollmundig und entschlossen, Versprechen abgegeben, sollte er mit seiner Partei als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgehen und er das Amt des Bundeskanzlers übernehmen.

Wenn  der Kanzlerkandidat  einer großen Volkspartei also  bundesweit öffentlich, ausdrücklich und mehrfach und immer wieder und dezidiert darstellt, mit ihm komme auf keinen Fall die Aufhebung oder Aufweichung der sogenannten Schuldenbremse des Grundgesetzes in Betracht, dann liegt ein Sachverhalt vor, der, genauso wie die Aussage dieses Wahlbewerbers, nie mit einer anderen Partei, nämlich der Alternative für Deutschland (AfD), zusammenzuarbeiten, so überragende Bedeutung im Gesamtkonzept der Bewerbung um Wählerstimmen im Rahmen der zulässigen Wahlwerbung hat, dass sich dieser Kandidat dann auch nach der Wahl daran festhalten lassen muss.

4. Verstoß gegen die Chancengleichheit der Wahl durch mediale Beeinflussung

In voller Kenntnis und Würdigung sowohl des § 5 Parteiengesetzes (Gleichbehandlung) als auch der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten abgestuften Chancengleichheit bei der Behandlung politischer Parteien rügt der Verfasser des Weiteren, dass insbesondere in Verbindung mit den bindenden Festlegungen des Medienstaatsvertrages eine chancengleiche und faire, letztlich damit freie Wahl deshalb nicht stattgefunden hat, weil sämtliche öffentlich-rechtlichen Medien eine Partei in schwerster Weise benachteiligt haben, nämlich die Partei mit dem Namen „Alternative für Deutschland“.

Zwar ist auch die Spitzenkandidatin der genannten Partei zu diversen Diskussionsrunden in den öffentlich-rechtlichen Bereichen ARD und ZDF, sogenannten Triellen und Quadriellen, aufgetreten. Sie hatte die Gelegenheit, ihre Position dort zu betonen, auch in Abgrenzung zu den anderen Kandidaten, die dort zugelassen waren. Dagegen ist nichts zu erinnern. Entscheidend aber ist die Tatsache, dass die Gesprächsführung bzw. -leitung durch die Moderatoren in den genannten Sendeformaten für jeden auch nur einigermaßen halbwachen Zuschauer erkennbar parteiisch zuungunsten der Kandidatin war, deren Partei nicht für würdig befunden wird, das Vizepräsidenten-Amt im Bundestag auszuüben.  

Die offensichtliche mediale Ungleichbehandlung wurde dadurch nicht abgemildert, sondern im Gegenteil verstärkt, dass das Publikum – anders als von den öffentlich-rechtlichen Medien behauptet – nicht nach Zufallskriterien zusammengestellt war, sondern nachweislich im Vorfeld dieser Sendungen Befragungen möglicher Kandidaten durchgeführt wurden und solche Kandidaten, die zu erkennen gaben, dass sie nicht mit den damaligen Regierungsparteien übereinstimmten, sondern andere Parteien bevorzugten, insbesondere die AfD, gar nicht erst in die Publikumsarena hineingelassen wurden.

5. Wahlbehinderung durch Störung von Parteitagen  

Ohne die freie Durchführung von Versammlungen zur Listenaufstellung, wie sie im Bundeswahlgesetz genannt sind, ist eine Wahl schlechterdings nicht möglich. Die Listenaufstellung durch die Parteien gehört unmittelbar zur Wahl und kann von dieser nicht getrennt werden.

Nun steht aber fest, dass, nur um ein Beispiel zu nennen, der von der Partei AfD organisierte 16. Parteitag in Riesa am 11. und 12. Januar 2025 gewaltsam und durch Drohung gestört wurde, so dass es stimmberechtigten Personen und Delegierten erst Stunden nach Beginn der Veranstaltung möglich war, aufgrund von Straßenblockaden, Straßenabsperrungen, Umleitungen wegen Protestveranstaltungen usw., den Versammlungsort zu erreichen. Die Personen, die ausdrücklich dazu aufgerufen hatten, den Parteitag zu verhindern, verhielten sich nicht passiv, sozusagen am Straßenrand stehend und winkend, rufend und Plakate haltend. Nein, sie gingen aggressiv und gewaltsam gegen sich auf öffentlichen Verkehrswegen befindliche Fahrzeuge und Fußgänger vor, die ihrer gesetzlichen Verpflichtung  nach Maßgabe der genannten Normen nachkommen wollten. Somit ist ein Fall des § 107 StGB (Wahlbehinderung mit Gewalt oder durch Drohung) gegeben.

III. Erheblichkeitsprüfung und Mandatsrelevanz

Ohne die genannten Mängel hätte ein anderes Wahlergebnis erzielt werden können. Dieses ist nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern ganz überwiegend wahrscheinlich. Die Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) hätte die 5%-Hürde übersprungen, was zu einer völligen Veränderung der wahlpolitischen Konstellation und der konkreten Personenbesetzung des Bundestages geführt hätte. Zudem ist als sicher zu unterstellen, dass das Wahlergebnis beispielsweise in Bezug auf die Parteien CDU und AfD so anders ausgefallen wäre, dass die Sitzzahl, die die jeweilige Partei erreicht hätte, deutlich verändert gewesen wäre, zum einen bei der AfD nach oben, bei der CDU nach unten. Mindestens 200.000 „Auslandsdeutsche“ im oben genannten Sinne konnten trotz bekundeten Wahlinteresses ihre Stimme wegen der allgemeinkundigen organisatorischen und postalischen Umstände nicht zur Geltung bringen.

Bekanntlich hat das BSW äußerst knapp unter 5 % der Stimmen geholt. Es fehlen nach jetzigem Auszählungsstand, unter Berücksichtigung etwaiger schon durchgeführter Neuauszählungen, die möglicherweise aber bisher nicht abgeschlossen sind, also nur 9000 Stimmen. Ca. 5 % von 200.000 Wahlberechtigten sind unter Zugrundelegung des tatsächlichen Wahlergebnisses etwa 10.000 Wahlberechtigte. Somit springt sofort ins Auge, dass die Mandatsrelevanz in Sachen BSW offensichtlich gegeben ist, auch wenn man die dann  entsprechend erhöhte Wahlbeteiligung berücksichtigt.

Wenn 37 % der Wähler eine Wahlmethode wählen, bei der nicht gewährleistet ist, dass die Freiheit und gar, dass der einzelne Wahlberechtigte eine freie und geheime Wahl hat, wenn zudem bekannt ist, dass bei der Briefwahl mehr Fehler und Unregelmäßigkeiten auftreten können, aufgrund der komplizierteren Vorgänge als bei der persönlichen Stimmabgabe, lässt sich ohne großen intellektuellen Aufwand erkennen, dass auch hier die Mandatsrelevanz gegeben ist. Denn hier kommt nicht nur das Wahlergebnis des BSW in den Fokus, sondern auch das der FDP. Die Sitzverteilung zwischen den übrigen jetzt im Bundestag vertretenen Parteien zeigt, dass hier bereits eine Stimmenzahl von 10.000 ausreicht, um zu einer Verschiebung der Mandate zu führen.

Wäre die Wählertäuschung und der Wählerbetrug – auch von Carsten Linnemann begangen – nur in den Wahlversammlungen mit geringen Zuschauerzahlen, nur in Anzeigen- und Provinzblättern, nur in regionalen Spartensendern, nicht auch im Internet vorgekommen, so wäre nach Überzeugung des Verfassers eine Wahlbeeinflussung und damit eine Erheblichkeit für das Wahlergebnis nicht im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Maßgaben gegeben.

Zusammenfassend ergibt sich somit als Ergebnis, dass auch unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei einer wertenden Gesamtschau aller dargelegten Wahlmängel die geforderte erhebliche Mandatsrelevanz gegeben ist.

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