Über Gemeinsamkeiten von Florentiner Republik und Gegenwart

ein Interview von Eugen Zentner mit Barbara de Mars

Lesedauer 5 Minuten
1bis19 . Über Gemeinsamkeiten von Florentiner Republik und Gegenwart
Cosimo de’ Medici (1389-1464), der Alte –  von Jacopo Pontormo

Die Publizistin Barbara de Mars studierte in München Germanistik, Theaterwissenschaften, Internationales Recht und Medienmarketing. Danach arbeitete sie bei Zeitungen, Zeitschriften und für das Fernsehen. Seit über zwanzig Jahren lebt sie nun in Italien, die längste Zeit davon im Goldenen Dreieck der Toskana zwischen Florenz, Arezzo und Siena, wo sie kulturgeschichtliche Bücher mit Bezug zur Renaissance schreibt. Zuletzt sind «Valdarno – geheimnisvolle Toskana», «Lesereise Florenz» und «Pratomagno» erschienen. Im Interview spricht sie über die Grundlagen unserer Kultur, über Analogien zwischen der Florentiner Republik und Gegenwart sowie darüber, ob sich Geschichte wiederholt.

Frau de Mars, Sie forschen schon sehr lange zur Renaissance. Was fasziniert Sie an dieser Epoche?

Der von Giorgio Vasari für die Kunst geprägte Begriff geht eigentlich zurück auf die ursprünglich literarische Bewegung des Humanismus. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts fand ein kleiner Kreis belesener Leute in Florenz, dass die damaligen gesellschaftlichen Verwerfungen mit dem Verfall der Sprache zu tun hätten. Nach dem Motto “ad fontes” (zu den Quellen) gruben sie antike Schriften aus und lasen die Originale, anstatt lediglich unreflektierte Meinungen wiederzugeben. Die antiken Schriften wurden naturgemäß unter den Vorzeichen der eigenen Zeit verarbeitet. So konnte aus den antiken Wurzeln Neues entstehen, sowohl was die Inhalte, als auch die Sprache als Medium anging. Diese Rückbindung spiegelte sich dann zunehmend auch in den bildenden Künsten.

Faszinierend finde ich, wie die damalige Florentiner Elite das Bemühen um Wissen und geistige Inhalte förderte; wie durchlässig die Gesellschaft war, welche Chancen sie eröffnete. Interessant auch, wie vernetzt die Leute waren, wie ein Albrecht Dürer selbstverständlich Kontakt zu Raffaello Sanzio hatte, ein Nikolaus von Kues mit dem Mathematiker Paolo dal Pozzo Toscanelli befreundet war. Es war eine globalisierte Welt, in der die Ideen kreisten.

In Ihrem halb fiktionalen, halb historisch-realen Buch «Pratomagno» erzählen Sie eine kurze Kulturgeschichte jener Zeit, wobei alle Fäden in der Figur Poggio Bracciolini zusammenlaufen. Wer war dieser Mann und was hat ihn ausgemacht?

Poggio Bracciolini war ein mittelloses Landei aus dem Florentiner “Contado” (Einflussbereich), der durch herausragende Bildung eine beispiellose Karriere als Sekretär von acht Päpsten hinlegte. Er gehörte zu den frühen Humanisten und war noch an der Sache selbst, der Zutageförderung von Wissen, interessiert. Für diesen Wert setzte er regelmäßig seine Karriere aufs Spiel. Aufgrund seiner enormen Belesenheit war es ihm möglich, 1417 in einem deutschen Kloster die einzige erhaltene Kopie von Lukrez’ “De rerum natura” ausfindig zu machen, die er dann seinen Florentiner Humanistenfreunden zugänglich machte.

In dem bis dahin verloren geglaubten Werk stand, dass der Mensch die Welt mit seinen Sinnen begreifen konnte; dass es für alles eine kausale, natürliche Erklärung gab und es somit weder Autoritäten noch Religionen bedurfte. Außerdem fand sich darin die auf Demokrit zurückgehende Lehre von den Atomen als kleinste Bausteine oder Samen. Damit hielt der Materialismus machtvoll in die Welt Einzug.

Darüber hinaus hat Poggio Bracciolini von Grund auf Dinge neu gedacht und so zum Beispiel zur Entwicklung einer leichter lesbaren Schrift beigetragen, die wir noch heute benutzen und unter dem Namen “Antiqua” kennen.

In dem Buch geht es aber auch um das Fundament unserer Kultur. Könnten Sie bitte erläutern, wie dieses Fundament aussieht?

Ein Fundament unserer Kultur liegt darin, dass Gedanken und Diskurse von der griechischen Antike her aufeinander aufbauen. Das hat übrigens auch Giorgio Vasari in den “Vite” so gesehen, als er von der “Rinascità”, der Renaissance, schrieb. Also Kontinuität anstelle von Disruption. Die spezifisch westlichen Problematiken des Dualismus, der Subjekt-Objekt-Trennung, der Auseinandersetzung zwischen einer sprachlich-qualitativen und einer mathematisch-mechanistischen, quantitativen Weltsicht begleiten uns heute noch. Dass weite Kreise der Gesellschaft – dem Wort nach jeder – am Diskurs in Freiheit teilhaben kann, gehört seit dem Humanismus und der Aufklärung ebenfalls zum Fundament unserer Kultur. Doch ist diese Teilnahme stets gefährdet und muss täglich neu errungen werden.

Sie vertreten die These, dass es zwischen dem Florenz des 15. Jahrhunderts und der Gegenwart Parallelen gibt. Wie sehen diese aus?

Parallelen sehe ich tatsächlich in der Gefährdung der Teilhabe der Bürger am Gemeinwesen. Florenz stand Jahrhunderte lang ganz vorne in der Emanzipation vom feudalen System und vom Kaiser. Der republikanische Drang, sich selbst zu regieren, war ein hervorstechender Charakterzug der Florentiner. Aristokratie, Oligarchen und ausländische Mächte nahmen das nicht einfach hin, sondern taten das Ihre, nach Kräften entgegenzuhalten. Es waren sehr konfliktreiche Zeiten.

Welche Rolle spielte die Freiheit in der Zeit davor, bis Cosimo der Ältere mit harter Hand zu regieren begann?

Im Prinzip entwickelte sich die Freiheit durch eine Art Machtvakuum, weil keiner der drei Päpste und verschiedenen europäischen Reiche klar die Oberhand gewann. Gleichzeitig blühte der Handel und stärkte das Bürgertum. Interessant finde ich, dass die damalige Elite von Florenz ihren Wohlstand nicht (nur) im Konsum durchbrachte, sondern sich ernsthaft für antikes Wissen interessierte. Im Jahr 1396 gelangte zum Beispiel die “Geographie” des Ptolemäus von Konstantinopel nach Florenz. Mithilfe dieses Buches konnte man später die dreidimensionale Welt auf ein Blatt Papier bringen, Landkarten zeichnen und so die Welt besser erschließen. Auch die Kirche war, bedingt durch ihr eigenes Chaos und den sich über Jahrzehnte ausdehnenden Zusammenbruch Konstantinopels, erstaunlich tolerant. So konnte zum Beispiel auch “De rerum natura” lange Zeit ungehindert zirkulieren.

Als Florenz im 14. Jahrhundert seine republikanische Blütezeit erlebte, herrschten quasi demokratische Verhältnisse. Konnte das Volk wirklich bei politischen Entscheidungen mitwirken? Und wenn ja, wie?

“Volk” ist natürlich ein großes Wort. Aber die, welche ihre Steuern ordentlich zahlten und in einer Zunft eingeschrieben waren, also einer produktiven Tätigkeit nachgingen, durften ihre Stimme abgeben. Die Wahlen der Signoria fanden alle zwei Monate statt, Ämter wurden ausgelost, das heißt es konnte prinzipiell jeden treffen. Die Regierenden wurden für die Dauer ihres Amtes im Palazzo Vecchio eingeschlossen, damit sie nicht bestochen oder unter Druck gesetzt wurden. Giano della Bella hatte bereits 1291 das Gesetz durchgedrückt, dass nur wer in eine Zunft eingeschrieben war ein politisches Amt übernehmen durfte. Deshalb schrieb sich zum Beispiel der politisch aktive Dante Alighieri bei den Medizinern und Apothekern ein. Aristokraten, die nur von der Rendite ihrer Ländereien lebten, durften kein politisches Amt übernehmen.

Als Cosimo der Ältere immer autoritärer wurde, ging er auch gegen die Opposition vor. Wie sah sie damals aus? Wie wurde sie bekämpft?

Um 1420 brach immer offener der Konflikt zwischen einflussreichen alten Familien und den “neureichen” Emporkömmlingen auf, ganz besonders zwischen den Albizzi und Medici. Es ging um wirtschaftliche Interessen, den Tuchhandel oder wer für den Papst den Zehnten eintreiben durfte. Als der Vater von Cosimo de’Medici dann 1429 starb, schien der Zeitpunkt günstig, und 1433 beschuldigten die Albizzi Cosimo de’Medici, eine Tyrannei errichten zu wollen. Für die republikanisch gesinnten Florentiner war ein derartiges Ansinnen von jeher das rote Tuch. Bei einem Verdacht wurde nicht viel Federlesens gemacht. Obwohl in diesen Jahren viele bahnbrechende Kunstwerke entstanden, waren die Zeiten andererseits extrem gewalttätig und dutzende Söldnerheere marodierten durch Italien. In dieser Atmosphäre löste man Probleme am besten an der Wurzel und verbannte Unbequeme vorsichtshalber oder brachte sie gleich um.

Zu einer weiteren Verschwörung gegen die Medici kam es 1478. In sie war übrigens auch Poggio Bracciolinis Sohn Jacopo verstrickt. Er wurde kurzerhand und noch am gleichen Tag im Palazzo Vecchio aufgehängt, obwohl Poggio zeitlebens ein Freund von Cosimo und jahrelang Kanzler von Florenz gewesen war. Die oft herbe Kritik des alten Freundes Poggio hatte der Medici hinuntergeschluckt. Die nachfolgenden Generationen nahmen auf sentimentale Verbindlichkeiten keine Rücksichten mehr.

Die Analogie zur Gegenwart bestätigt die These, dass sich die Geschichte wiederholt? Wie sehen Sie es?

In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts gab es in Florenz zwei große Historiker bzw. politische Denker: Niccolò Machiavelli und Francesco Guicciardini. Machiavelli kam nach ausgiebigem Studium der römischen Geschichte im “Fürsten” zum Schluss, dass Schemata erkennbar seien. Er glaubte also für die verschiedensten Situationen Handlungsanweisungen geben zu können. Guicciardini vertrat stattdessen die Auffassung, jede Situation müsse “a discrezione”, einzeln und neu beurteilt werden. Das bedeutete eine größere Eigenverantwortung der Handelnden.

Was glauben Sie, wie sich die liberalen Demokratien in den nächsten Jahren entwickeln werden?

Die liberalen, westlichen Demokratien sind großen Pressionen ausgesetzt, zum Beispiel durch supranationale Unternehmen und Bürokratien sowie technikfixierte Ideologien. Ein erheblich verengter Korridor für das Individuum zeichnet sich ab. Neue politische Instrumente wären gefragt, vor allem aber überzeugende Ideen, die der Gesellschaft wie dem Einzelnen alternative Perspektiven eröffnen. Beispiele aus der Vergangenheit könnten dabei durchaus Anregungen liefern.

Teilen