ein Beitrag von Eugen Zentner
Lesedauer 5 MinutenDie Impfpflicht für das Personal im Gesundheitswesen ist beschlossene Sache. Wer bis Mitte März keinen Vakzin-Nachweis vorlegt, verliert den Arbeitsplatz. Das schreibt das neue Infektionsschutzgesetz vor, von dem Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen betroffen sind. Seit seiner Anpassung herrscht in der Branche pure Aufregung. Gute zehn bis zwanzig Prozent des Personals lehnen die Impfung weiterhin ab und leisten lautstark Widerstand. Die Situation erinnert an die Verhältnisse in den USA, wo viele Krankenhäuser die Impfung zunächst zur Pflicht gemacht hatten. Doch dann kündigten Tausende Ärzte und Pfleger, was die Einrichtungen in eine beispiellose Personalnot brachte.
In Deutschland zeichnet sich das gleiche Schicksal ab. Ein Teil des impfunwilligen Personals im Gesundheitswesen probt den Aufstand und ist bereit bis zum Äußersten zu gehen. Das belegt ein Facebook-Post von Dr. med. Markus Motschmann, der seit 22 Jahren die Augenklinik in Haldensleben leitet: „Mit der Impfpflicht für das Gesundheitswesen hat das Regime die «Rote Linie» überschritten“, heißt es dort. „Ich steige aus! Mir sind die persönlichen Folgen bewusst: mit 57 Jahren bin ich zu jung für die Rente und zu alt für einen Neustart.“ Der Mediziner geht ein hohes Risiko ein, empfindet es aber als seine Pflicht, dem Gewissen zu folgen. Es gebe Werte, „die wichtiger sind als oberflächlicher Konsum und billiger Trend: festes Gottvertrauen, persönliche Ehre und menschliche Würde“. Die Impfpflicht bezeichnet er als taktische Maßnahme, mit der auf das Personal im Gesundheitswesen Druck ausgeübt werden soll. Die Vernichtung der beruflichen Existenz sei ein Hebel der Disziplinierung.
Hoffnung auf Annullierung
Motschmann sieht das medizinische Personal an einem Scheideweg und betont, dass sich jeder entscheiden müsse, ob er sich der Willkür des Regimes unterwerfen wolle oder standhaft bleibe. Mit seiner Kündigung setze er ein Zeichen und hoffe darauf, dass viele seinem Beispiel folgen: „Der Wahnsinn kann gestoppt werden, wenn wir nicht mehr mitmachen! Entscheide dich jetzt“, lautet sein Appell. In den USA zeigte die Kündigungswelle durchaus Wirkung. Mehrere Krankenhauskonzerne haben, wie DIE WELT kürzlich titelte, aufgrund eines „Ärzte-Exodus“ die Impfpflicht aufgehoben. Dass sie am Ende auch in Deutschland gekippt wird, darauf hofft Jan Jansen, ein Physiotherapeut, der für die Sana Kliniken AG in Zwenkau arbeitet. Seit geraumer Zeit verrichtet er dort seinen Dienst auf der Corona-Station, wobei seine Aufgabe darin besteht, die Patienten so gut es geht zu mobilisieren. Sie sollen höchstmögliche Selbständigkeit erlangen.
Aufgrund seines engen Kontakts zu Covid-Kranken weiß Jansen, dass die Situation nicht so dramatisch ist, wie sie in den Medien dargestellt wird. Eine Impfpflicht für das Pflegepersonal empfindet er als unsinnig. „Der allergrößte Teil der Infizierten, die an Covid erkranken, übersteht es problemlos“, sagt er. „Viel entscheidender ist aber, dass sie danach sogar eine bessere Immunabwehr gegen Neuinfektionen haben“. Deswegen verstehe er nicht, warum das impfkritische Personal zu einem «Pieks» gezwungen werde, zumal mittlerweile durchaus bekannt sei, dass Geimpfte ebenfalls im Krankenhaus landen könnten. Jansen findet es vor allem unfair, dass die Politik die Impfpflicht auf die medizinischen Einrichtungen abwälzt. Die Sana Kliniken AG zum Beispiel habe sich bislang sehr darum bemüht, sowohl Personal als auch Patienten zu schützen. „Bei uns im Haus hat man viele Maßnahmen durchgeführt – unabhängig vom Impfstatus.“
Vernetzung innerhalb des Betriebs
Wie es nun für ihn weitergeht, weiß Jansen nicht. Impfen werde er sich auf gar keinen Fall. „Bevor ich das mache, bekomme ich lieber Corona“, sagt der Physiotherapeut, der seinen Beruf sehr gerne ausübt und ihn nur ungern verlieren würde. Selber zu kündigen, kommt für ihn nicht in Frage. Stattdessen wartet er ab, bis sein Arbeitgeber die Reißleine zieht. Zukunftsängste hat auch seine Kollegin Sindy Schütze. Die Ergotherapeutin erlebte nach Verkündung der Impfpflicht schlaflose Nächte. Als ausgebildete Friseurmeisterin ist sie zwar guter Dinge, nach Verlust ihres Jobs beruflich wieder Fuß fassen zu können, doch der öffentliche und betriebliche Druck setzt ihr zu.
Die Diffamierung nehme Züge an, die sprachlos machen, sagt sie. Wer sich nicht impfen lassen wolle, werde wie ein Verbrecher an den Pranger gestellt. „Jeder hat doch einen Grund, warum er oder sie sich dagegen aussprechen“, so Schütze. „Das wird aber gar nicht berücksichtigt.“ Die blinde Wut gegen sogenannte «Impfgegner» sorgt bei ihr für Kopfschütteln. Sie selber sei nicht per se gegen Impfungen, sondern hält die Corona-Vakzine für unausgereift. „Sie wurden quasi aus dem Boden gestampft“, sagt die 44-Jährige, deren Skepsis durch die vielen Narrativänderungen genährt wird.
Anfangs hieß es noch, dass die Impfung eine freiwillige Entscheidung bleibt. Zwei Dosen sollten einen dauerhaften Schutz garantieren. Mittlerweile ist von einem «Impf-Abo» die Rede. „Was kommt als nächstes“, fragt sich Schütze, die als Mutter befürchtet, dass bald auch Kinder gesetzlich zu einer Impfpflicht genötigt werden könnten. Um dem Druck entgegenzuwirken, vernetzt sie sich mit ihren Kollegen. Sie haben eine Telegram-Gruppe erstellt und kommunizieren dort darüber, wie sich die Impfpflicht vereiteln ließe. Der Austausch tue ihr gut. „Man merkt, dass man nicht alleine ist. Das gibt mir neue Kraft.“ Einknicken will Schütze jedenfalls nicht, auch wenn sie am Ende ihre Arbeit verlieren könnte. Weil dieses Szenario sehr wahrscheinlich sei, habe sich die Ergotherapeutin bei der Agentur für Arbeit bereits als «arbeitssuchend» gemeldet.
Vermehrt Krankheitsausfälle in den Kliniken
Diese Strategie verfolgen nicht wenige Betroffene des Gesundheitswesens. In diversen Telegram-Kanälen rufen sie ihre Kollegen dazu auf, ein gewichtiges Zeichen zu setzen. Wenn sie sich in großer Zahl «arbeitssuchend» melden, so das Kalkül, erkennen die Entscheidungsträger, wie massiv der Widerstand tatsächlich ist und welche Probleme dem Gesundheitswesen drohen. Diese zeigen sich schon jetzt, wie Antonia Schuldis berichtet. Die 40-Jährige arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin an dem Universitätsklinikum Freiburg und erlebt seit gut einem halben Jahr, dass sich die Krankheitsausfälle häufen. „Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt sie. „Es herrscht ein enormer Arbeitskräftemangel, den wir kompensieren müssen.“
Die Ausfälle habe die Politik selber zu verantworten. Sie übt einen immer stärkeren Druck auf die Klinik aus, die ihn an das ungeimpfte Personal weitergeben muss. Seit ungefähr der Booster-Kampagne sei er besonders stark spürbar. „Wir müssen uns jetzt täglich vor der Stationsleitung testen lassen“, so Schuldis. Alternativ dazu könne die Testung durch Kollegen erfolgen. Vorher habe die Universitätsklinik die politischen Maßnahmen relativ vernünftig umzusetzen versucht und einen gewissen Spielraum zugelassen, was Personal wie Patienten zugute gekommen sei. Nun müsse sie Vorgaben erfüllen, die die Gesundheits- und Krankenpflegerin als „eine Form der Diskriminierung“ bezeichnet. „Die neuen Test-Regularien suggerieren, dass ich nicht glaubhaft bin“, sagt sie erbost. „Dabei habe ich auf der Covid-Station gearbeitet und mir genügend Wissen über die Thematik angeeignet.“
Die neuen Bedingungen sorgten nicht nur für zusätzlichen Stress, sondern untergrüben auch die Arbeitsmoral. Schuldis fühlt sich innerlich zerrissen, weil sie ihren Beruf liebt. „Ich habe im Gesundheitswesen so viele tolle, intelligente Leute kennen gelernt“, sagt sie. „Bis zur Corona-Politik habe ich das System als sehr stabil wahrgenommen. Mittlerweile herrscht aber Chaos.“ Der Mehraufwand steigere sich kontinuierlich, weshalb ihr die Arbeit immer weniger Spaß bereite. Die Impfpflicht werde die Notsituation weiter verschärfen, ist sie sich sicher. Schon jetzt ließe sich beobachten, dass Kollegen zunehmend kurz nach der Spritze krankheitsbedingt ausfallen. „Wir müssen praktisch für zwei arbeiten“, beschwert sich Schuldis. Prämien gebe es keine. Die erhielten nur die «Geboosterten», wie sie von einer Arbeitskollegin erfahren habe.
Agentur für Arbeit schon jetzt überlastet
Der Impfdruck werde auf verschiedenen Ebenen ausgeübt. Sie finde das ungeheuerlich, zumal alle Daten darauf hindeuteten, dass das Vakzin keine Wirkung zeige. „Warum soll ich mich dann impfen lassen“, fragt die Gesundheits- und Krankenpflegerin rhetorisch. „Ich bin doch kein Versuchskaninchen.“ Um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, hat sie sich ebenfalls «arbeitssuchend» gemeldet. So reibungsfrei wie in ihrem Fall läuft es jedoch nicht immer ab. Von ihren Kollegen habe Schuldis gehört, dass die Sachbearbeiter bei der Agentur für Arbeit den Hörer gar nicht mehr abheben. Der Andrang scheint zu groß zu sein. Andere erzählen davon, dass die Agentur für Arbeit selber nicht weiß, wie sie in dieser Situation handeln soll. Die Meldung als «arbeitssuchend» sei nicht möglich, heißt es lediglich. „Sie stehen genauso im Regen wie wir“, so Schuldis. „Wir müssen jetzt abwarten, bis das Universitätsklinikum ein Statement dazu abgibt.“ Derweil sucht die 40-Jährige nach weiteren Möglichkeiten, ihren Protest kundzutun. Seit einigen Wochen beteiligt sie sich in Freiburg an Demonstrationen, die unter anderem von Angehörigen der Pflegeberufe mitorganisiert werden. Die Betroffenen stehen nicht nur lautstark für ihre Interessen ein, sondern gründen auch Initiativen wie «Pflege zeigt Gesicht» oder «Pflege für Aufklärung», um gemeinsam eine Gegenkraft zu bilden. Noch bleiben ihnen knapp drei Monate, die Verantwortlichen zu überzeugen, dass die Impfpflicht mehr schadet als nutzt. Ob ihr Engagement den erhofften Erfolg zeitigt, wird sich zeigen. Bis dahin wollen sie nichts unversucht lassen.