von Martina Binnig
Lesedauer 3 MinutenAm 6. September veröffentlichte das Robert Koch-Institut den zweiten Teil seines „Sachstandsberichts Klimawandel und Gesundheit“. Darin werden die Auswirkungen des Klimawandels auf nicht-übertragbare Erkrankungen und die psychische Gesundheit behandelt. Im ersten Teil, der vor zwei Monaten herausgekommen ist, geht es um die Auswirkungen des Klimawandels auf Infektionskrankheiten und antimikrobielle Resistenzen. Im dritten und letzten Teil, der ebenfalls noch im Laufe dieses Jahres erscheinen soll, sollen dann „soziale Determinanten, Kommunikation und Handlungsoptionen“ thematisiert werden, also beispielsweise „zielgruppengerechte Kommunikation“. Bereits im Jahr 2010 hatte das RKI einen „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit“ vorgelegt, an den der aktuelle Bericht nun anknüpft.
Klimawandel als größte gesundheitliche Bedrohung der Menschheit
2010 wurde noch festgestellt: „Die klimabedingten gesundheitlichen Auswirkungen in Deutschland sind bisher nicht so stark ausgeprägt, als dass sie schon jetzt ausschließlich auf den sich vollziehenden Klimawandel zurückgeführt werden könnten.“ 2023 klingt das deutlich anders. Jetzt titelt das Robert Koch-Institut: „Der Klimawandel ist die größte Herausforderung für die Menschheit“. Dabei greift das RKI allerdings eine Formulierung der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2021 auf: Laut WHO ist der Klimawandel die größte gesundheitliche Bedrohung, der die Menschheit ausgesetzt ist. Und das 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris vereinbarte Klimaabkommen sei das wichtigste Public-Health-Abkommen des 21. Jahrhunderts. „Public Health“ wird definiert als Wissenschaft und Praxis zur Vermeidung von Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens und zur Förderung von physischer und psychischer Gesundheit unter Berücksichtigung einer gerechten Verteilung der vorhandenen Ressourcen.
Vor diesem Hintergrund ist der aktuelle RKI-Bericht zu verstehen: Das Institut bemüht sich, die Vorgaben der WHO sowie des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen. Zur Erinnerung: Das Pariser Abkommen verfolgt das Ziel, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Dabei ist mit vorindustriell allerdings lediglich der Beginn der Klimadatenaufzeichnungen in den 80er Jahren des 19. Jahrhundert gemeint. Warmphasen der Erde etwa im Mittelalter werden völlig ausgeblendet. An der RKI-Publikation, die durch das Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen der „Ressortforschung im Handlungsfeld »Globale Gesundheit«“ gefördert wird, sind übrigens insgesamt mehr als 90 Autorinnen und Autoren aus über 30 Forschungseinrichtungen und Behörden beteiligt.
Gesundheit in allen Politikfeldern
Das „Handlungsfeld Globale Gesundheit“ wiederum nimmt Bezug auf die WHO-Initiative „Universelle Gesundheitsversorgung“, durch die alle Menschen weltweit Zugang zum gesamten Spektrum an qualitativ hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen erhalten sollen, und zwar ohne finanzielle Einschränkungen. Die Verwirklichung der „Universellen Gesundheitsversorgung“ ist zudem eines der Nachhaltigkeitsziele, die die Vereinten Nationen im Jahr 2015 in der Agenda 2030 verabschiedet haben. Durch die Agenda 2030 sollen die Lebens- und Wirtschaftsweisen weltweit im Sinne der Klimaneutralität transformiert werden.
Dementsprechend lauten die Schlüsselbegriffe des aktuellen RKI-Berichts „One Health“, „Planetary Health” und „Health in All Policies“. Unter „One Health“ (eine Gesundheit) wird der Ansatz verstanden, den Menschen als Teil des Tierreichs zu sehen, das wiederum in eine gemeinsame Umwelt eingebettet ist. Mit „Planetary Health“ (planetare Gesundheit) wird ein Konzept bezeichnet, das die menschliche Gesundheit in Zusammenhang mit den politischen, ökonomischen und sozialen Systemen sowie den ökologischen Grenzen der Erde setzt und das 2015 u. a. von der Rockefeller Foundation vorgestellt wurde. Und „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikfeldern) ist eine von der WHO verfolgte Strategie, die eine ressort- und politikfeldübergreifende Zusammenarbeit im Sinne einer Gesundheit als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe verfolgt. Insbesondere die Bereiche Ernährung und Mobilität seien nämlich für die Gesundheit relevant, da ein gesundheitsförderndes Verhalten zugleich dem Klimaschutz diene. Muskelbasierte statt motorisierte Mobilität führe etwa gleichzeitig zu Emissionsreduzierung, zur Verbesserung der Luftqualität wie auch zur Erhöhung der körperlichen Aktivität.
Wissenschaftlicher Diskurs?
Auffällig ist: Die Autoren des Sachstandsbericht von 2010 wiesen mehrfach explizit auf die begrenzte Aussagekraft ihrer Forschungsergebnisse hin, da Klimaprojektionen, also modellgestützte Simulationen der zukünftigen Entwicklung des Klimas, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet seien. Dies gelte nicht zuletzt für die Einschätzung der gesundheitlichen Auswirkungen des angenommenen Klimawandels. Außerdem wurde 2010 noch erwähnt, dass auch niedrige Umgebungstemperaturen zu einer erhöhten Sterblichkeit führen könnten. Sogar ein gesundheitlicher Nutzen aufgrund des milderen, „mediterraneren“ Klimas wurde nicht ausgeschlossen.
2023 ist von einem wissenschaftlichen Diskurs zum Thema Klimawandel nichts mehr übrig geblieben. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Gründe dafür lediglich in der deutschen Politik zu suchen. Vielmehr fällt auf, dass international agierende Organisationen und Stiftungen immer mehr an Einfluss gewonnen haben. Hier ist vor allem die WHO zu nennen, die zu großen Anteilen von privaten Geldgebern finanziert wird, dennoch aber weitreichende Kompetenzen im Gesundheitsbereich aller Mitgliedsstaaten erlangt hat. Gerade auch in Hinblick auf den derzeit von der WHO verhandelten Internationalen Pandemievertrag und die Neufassung der Internationalen Gesundheitsvorschriften lässt die immer engere Verzahnung der Themen Klimawandel und Gesundheit, wie sie im aktuellen Sachstandsbericht des RKI zum Ausdruck kommt, nichts Gutes ahnen.