von Andreas Hansel
Lesedauer 5 MinutenVan Morrison, 1945 in Belfast (Nord-Irland) geboren, traf Anfang Mai dieses Jahres den Nagel auf den Kopf, als er in seinem Lied fragte, wo all die Rebellen geblieben seien und warum sie, bei all dem was in der aktuellen Krise weltweit geschieht, nicht an die Öffentlichkeit gehen. Er stellt in diesem Song die Frage, ob die Rocker und Punker denn wirklich die Rebellen sind, für die sie sich ausgeben, oder ob sie sich dieses Image nur zu PR-Zwecken angeeignet haben, um den ein oder anderen Euro oder Dollar zu verdienen. [1]
Van Morrison selbst protestierte bereits Anfang November 2020 musikalisch mit „No more Lockdown“ [2] gegen die Maßnahmen. Im Dezember legte er zusammen mit Eric Clapton nach und brachte „Stand and Deliver“ an den Start [3]. Er war der erste internationale Star, der mir mit seiner kritischen Haltung zu den Maßnahmen auffiel, wobei sich sein Protest explizit gegen die Maßnahmen in United Kingdom richtet. Rebell? Betagt, aber 100%!
Daneben hörte ich in Sachen Corona auch von Mick Jagger, als Lead Sänger der Rolling Stones absoluter Weltstar, der die Soundtracks der 68er-Revoluzzer schrieb. Jagger warf sein Image als Bürgerschreck über Bord und veröffentlichte zusammen mit Multi-Instrumentalist Dave Grohl „Eazy Sleezy“ [4], einen rockigen Song, der den Corona-Alltag reflektiert und Optimismus verbreiten will. Grohl hat es als Drummer der Foo Fighters ebenfalls zu Weltruhm gebracht. Gegenüber dem Rolling Stone Magazin äußerte Jagger, dass einer der Verse “eine Verarschung von Verschwörungstheorien” sei. Impfgegner bezeichnete er als irrational, und er äußerte, dass es keinen Sinn habe, mit solchen Leuten zu reden; bei ihnen würde rationales Denken nicht funktionieren. Er vertritt eine regierungskonforme Linie. Rebellen? Früher ja, heute Fehlanzeige.
Den Bandleader wegen politischer Haltung entlassen
Abseits der internationalen Megastars, bei unseren Nachbarn in Österreich, fiel mir Nina Proll als Sängerin auf. Bis dahin war sie mir lediglich als Schauspielerin bekannt. In dem hervorragend gemachten Musikvideo „I zoag die au“ [5] nimmt sie bereits im Juni 2020 das durch die Krise erwachte Denunziantentum brillant auf die Schippe und zeigt, was sie musikalisch und schauspielerisch kann.
Mit „Willkommen in der Demokratie“ [6] legte sie im Oktober desselben Jahres nach: Sie singt kritisch und mit Weitblick über den Verlust von Freiheit und Grundrechten. Auch äußerte sie sich auf ServusTV in der Sendung „Talk im Hangar-7“ kritisch zu den Maßnahmen und wirkte bei den Aktionen #allesdichtmachen [7] und #allesaufdentisch mit [8]. Rebell? Klare Sache, allerdings unterhalb des Radars von Van Morrison.
Mitte 2020 wurde mir in Deutschland erstmals ein gewisser Alex Olivari gewahr. Es ging durch die Medien, dass er als Bandleader bei Matthias Reim entlassen wurde, da er sich kritisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert hatte. Es irritierte mich zu dieser Zeit sehr, dass man als Musiker wegen einer kritischen Meinung zu politischen Dingen seinen Job verlieren kann, hatte ich doch etwas von einem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Erinnerung. Im August 2020 schrieb Olivari „Deutschland zeig dein Gesicht“ [9], ein Lied, das durchaus zu einer Art Hymne der Protestbewegung wurde. Seither schrieb und produzierte er eine ganze Reihe kritischer Titel, die sich überwiegend durch treffende Texte auszeichnen. Anfang Juni fragte er in dem Titel „Das Blatt wird sich wenden“ [10], wo die Empörung bleibt. In seinem Titel „Wir wollen Euch unterhalten“ [11] karikiert er die „wahren Rebellen“ unserer Zeit. Rebell? Aber so was von! Allerdings nur bei Maßnahmen-Kritikern bekannt.
Mit Schlagersternchen fürs Impfen werben
Die Toten Hosen zeichneten sich bei der Schweinegrippe 2009/10 noch als Rebellen aus, da sie das Virus und die Pandemie anzweifelten. Frontmann Campino schrie, zumindest auf einem der Konzerte, dem Publikum lauthals entgegen: Er lasse sich nicht impfen, und Frau Merkel würde er einen Brief schreiben [12].
Derzeit positionieren sich die Toten Hosen anders: Zusammen mit Sarah Connor, den Ärzten, BAP, Roland Kaiser, Howard Carpendale, Max Herre, Jan Delay, Trettmann, Peter Maffay und weiteren Schlagersängern promoten sie eine Impfwerbekampagne unter dem Motto „Damit das Leben weitergeht“. Selbstverständlich ist zu verstehen, dass diese Musiker wieder auf die Bühne wollen, dass sie Ihren Beruf ausüben und Ihre Fans beglücken wollen. Ob allerdings die beworbenen Maßnahmen unter rein gesundheitlichen Aspekten dazu geeignet sind, erscheint vor dem Hintergrund der tatsächlichen „Wirkungen“ der Impfstoffe eher zweifelhaft. Offen bleibt die Frage, ob der Brief an Frau Dr. Merkel jemals geschrieben und versendet wurde oder ob wir es bei Campino mit der Art Rebell zu tun haben, die Morrsion in seinem Text anprangert? Aktueller Rebellenfaktor: Tote Hose.
Aus deutscher Sicht ist noch der Wirbel um Nena zu erwähnen. Sie steht den Corona-Regeln kritisch gegenüber und hat das auf Ihren Konzerten auch kundgetan. Medial wurde sie unverzüglich ins Lager der Covidioten und Verschwörungstheoretiker (ab)geschrieben. Ihre für 2022 geplante Tour hat sie abgesagt, vermutlich auf Grund der geltenden Corona-Vorschriften. Vielleicht auch mangels Veranstalter? Rebellin: Absolut, wer hätte das erwartet?
Angst um Image und Existenz
Dann wäre da noch Eric Clapton anzuführen. Auch ein Weltstar. Er hat sich mit Astra Zeneca impfen lassen und bekam heftige Impfnebenwirkungen [13]. Zeitweise befürchtete er, nie wieder Gitarre spielen zu können. Zwischenzeitlich gab er bekannt, nicht mehr in Venues aufzutreten, bei denen eine Impfung Voraussetzung für den Einlass ist. Im August dieses Jahres veröffentlichte er den Titel „This Has Gotta Stop“ [14]. In dem Text geht er auf die Impfnebenwirkungen ein, stellt Fragen zur Zukunft seiner Kinder und singt, dass er diesen „Mist“ nicht länger aushalten kann. Dafür wurde er von namhaften Musikern hart kritisiert und in die Ecke der Impfgegner gestellt, beispielsweise von Brian May (Queen). Rebellenfaktor: Hoch, spielte er doch auch bei einigen Protestsongs von Van Morrison die Gitarre. Van Morrison singt in den letzten Zeilen seines Liedes, dass er keinen finden könne, nicht mal einen einzigen. Und ja, das kommt der Realität schon sehr nahe. Leider. Es gibt nur sehr, sehr wenige etablierte Musiker, die sich kritisch zu den Vorgängen auf der politischen Weltbühne äußern.
Zu Zeiten von Woodstock gab es haufenweise Künstler, die gesellschaftliche Themen aufgriffen und sich der Politik kritisch entgegenstellten. Musiker, die nicht an persönliche Konsequenzen dachten und in Ihren Texten die Missstände deutlich aufzeigten. Weil damals junge Männer in den Krieg geschickt wurden, sang Barry McGuire in Eve Of Destruction [15]: „You’re old enough to kill, but not for voting“. Heute werden Kinder und junge Menschen mit einem neuartigen, fragwürdigen Verfahren gegen einen möglichen schweren Verlauf einer Krankheit „geimpft“, die sie höchstwahrscheinlich nie bekommen werden und die ihnen nichts anhaben würde, wenn sie sie bekämen. Aber es bleibt still.
Es bleibt also die eingangs gestellte Frage, wo die kritischen Musiker heutzutage sind? Gibt es sie nicht oder gibt es nur wenige? Wird darüber nicht berichtet? Oder haben sie Angst um Ihr Image oder ihre wirtschaftliche Existenz? Äußern sie deswegen Kritik an der Politik und den Maßnahmen nicht oder nur unter vorgehaltener Hand? Werden wir irgendwann einen prominenten Musiker singen hören: „Finger weg von unseren Kindern“? Oder werden wir bald mit einem Remake der Toten Hosen beschallt: „Hey (hey, hey), hier kommt Imfpstoff! Ärmel hoch für einen kleinen Pieks.“
Im Herbst 2021 hat Van Morrison weitere Titel wie „Born to Be Free“ und „As I Walked Out“ nachgelegt und seinem Protest gegen die Corona-Maßnahmen der britischen Regierung nochmals Nachdruck verliehen. Vielleicht sollten sich Van Morrison und ich uns einmal in der Rapszene umschauen. Da scheint reichlich Rapbellion am Start zu sein.
Quellen und Links
[1] Van Morrison – Where Have All The Rebels Gone? (Official Audio)
https://youtu.be/zfWl3ijpmrQ
[2] Van Morrison , No More Lockdown
https://youtu.be/uUeuhM-NSjU
[3] Eric Claption / Van Morrison, Stand and Deliver
https://youtu.be/tMkV4vYr_ik
[4] EAZY SLEAZY — Mick Jagger with Dave Grohl — Lyric video
https://youtu.be/MN9YLLQl7gE
[5] Nina Proll, I ZAG DI AU
https://youtu.be/fTv66Q3OM2Y
[6] Nina Proll, Willkommen in der Demokratie
https://youtu.be/Z_jLLgbHjxo
[7] Nina Proll, #allesdichtmachen
https://youtu.be/khzU8TRCXkM
[8] Nina Proll, #allesaufdentisch, Interview mit Frau Dr. Beate Ulrike Guérot
https://allesaufdentisch.tv/demokratie-und-eigenverantwortung.html
[9] Alex Olivari „Deutschland zeig Dein Gesicht“
https://www.youtube.com/watch?v=QjiGOsheUn4&t=5s
[10] Alex Olivari, Das Blatt wird sich wenden
https://youtu.be/uCRev00REfo
[11] Wir wollen Euch unterhalten (Alex Olivari)
https://youtu.be/FVTpYo6RzMI
[12] Die Toten Hosen – Campino und die Schweinegrippe
https://www.youtube.com/watch?v=3dIyqxx_JD4
[13] Eric Clapton bereut Astrazeneca-Impfung wegen schwerer Nebenwirkungen, Berliner Zeitung
https://www.berliner-zeitung.de/news/eric-clapton-bereut-astrazeneca-impfung-wegen-schwerer-nebenwirkungen-li.160019
[14] Eric Clapton – This Has Gotta Stop (Official Music Video)
https://youtu.be/dNt4NIQ7FTA
[15] Barry McGuire – Eve Of Destruction
https://youtu.be/qfZVu0alU0I
[16] Rapbellions – die kritische Stimme des RAP
https://www.rapbellions.com/
Das ist eine notwendige Prüfung geworden, um den Opportunismus oder die angebliche Progressivität der Pop Music heutzutage einschätzen zu können. Mit den Stones war ja nie viel los und dass ich mit meinem alten Freund Van auf die alten Tage neue Freundschaft würde schließen können, hätte ich nicht unbedingt gedacht. Where have all the rebels gone? Listen to his latest record project, schöner Artikel, notwendige Erinnerung. Danke sagt Thomas.