Ein Beitrag von Eugen Zentner
Lesedauer 5 MinutenSeit Monaten gehen immer mehr Menschen montags auf die Straße, um ihren Unmut gegenüber der Corona-Politik auszudrücken. Die sogenannten Spaziergänge breiten sich bundesweit aus und werden zu einer festen Institution in jeder noch so kleinen Stadt. Wie groß die Euphorie ist, lässt sich allein daran erkennen, dass mit den Teilnehmerzahlen die Bereitschaft steigt, das Phänomen musikalisch zu verarbeiten. In den letzten Wochen sind drei Songs erschienen, die nicht nur die Montagsspaziergänge würdigen, sondern auch den Appell senden, an ihnen teilzunehmen. So sehr sie sich inhaltlich aber ähneln, so sehr unterscheiden sie sich in ihrer Machart. Sie wirken wie Hymnen in einem je eigenen Genre, geschrieben für ein spezielles Publikum.
Den Anfang machte der Liedermacher Alex Olivari mit «Wir laufen für die Freiheit. Der Titel ist Programm. In dem Song werden Gründe benannt, warum die Menschen jede Woche aufs Neue auf die Straße gehen und bereit sind, Strapazen wie Polizeigewalt oder Wetterkapriolen auf sich zu nehmen. „Du nimmst Deinen Mantel“, stimmt Olivari an, „draußen ist es kalt / Und die Nacht, die wird lang / Und vielleicht hast Du Zweifel / Vielleicht hast Du auch Angst / Weißt nicht, ob Du das bringen kannst / Wir zünden Kerzen an / Nehmen uns an die Hand / Diesen Weg, den gehen wir zusammen.“ Er habe sich ein bisschen in die Lage der Menschen hineinversetzen wollen, sagt der Liedermacher aus Köln. Viele Zeilen singt er aus ihrer Perspektive und gibt das wieder, was sie bewegt und antreibt.
Vergleich mit dem 17. Juni 1953
«Wir laufen für die Freiheit kommt als poppiges Stück mit Klavierklängen daher, als eingängiger Song, der unter die Haut geht. Er habe die Menschen emotional abholen wollen, so Olivari, vor allem jene, die sich erst jetzt auf den Weg machten und den Mut zur Opposition aufbrächten. In dem dazugehörigen Musikvideo werden Bewegtbilder heutiger Montagsspaziergänge den Archivaufnahmen vom 17. Juni 1953 gegenübergestellt, einem geschichtsträchtigen Tag, an dem deutsche Bürger in der DDR mutig gegen sozialistische Zwangsmaßnahmen demonstrierten. Olivari sieht da durchaus Parallelen zu der gegenwärtigen Situation, erkennt in der Art und Weise des Protests jedoch etwas weniger Entschlossenheit als damals. „Ich finde, wir dürfen mutiger sein. Wir halten – für meinen Geschmack – noch zu brav die Auflagen ein, die uns als Schikane aufgebürdet werden.“
Sein Song soll den Menschen Mut machen, sie aktivieren und energetisch stärken. Dementsprechend kämpferisch gibt sich Olivari in dem Refrain: „Wir laufen für die Freiheit / Sie wurde uns von Gott gegeben / Freiheit / Und noch viel mehr / Wir kämpfen für die Freiheit / Ohne sie wollen wir nicht leben / Ihr habt sie uns genommen Stück für Stück / Wir holen sie uns zurück.“ In die gleiche Kerbe schlägt das Duo Nico & Chris aus dem Landkreis Goslar. Die beiden Musiker haben den Song «Spazieren geh’n» produziert und werben darin dafür, weiterhin standhaft zu bleiben. Textlich ist er so aufgebaut, dass das Duo zunächst zwei Handlungsalternativen aufzeigt. In der gegenwärtigen Situation gebe es die Möglichkeit, passiv zuzuschauen und mit dem Strom zu schwimmen. Man könnte aber auch aufbegehren und Gesicht zeigen. Ein Spaziergang biete dafür eine gute Gelegenheit, so die Botschaft.
In dem Song hört sich das so an: „Wir könn’ zu Hause bleiben und die Augen davor schließen / Dass die Freiheit langsam stirbt und die Menschen sich nicht lieben/ Wir könn’ das alles glauben, was die Medien uns erzähl’n / Wir könnten aber auch eine andere Wahrheit wähl’n / Wir könn’ zusammenhalten, wir könnten uns auch spalten / Wir könn’ getrennte Wege gehen / Wir könn’ uns in die Arme nehmen / Doch wir sollten nicht vergessen, auch wenn wir uns nicht versteh’n / In diesen schweren Zeiten sollten wir spazieren geh’n.“ Diese Zeilen trägt das Duo zu einem energischen Rock-Sound vor, der einpeitschend und motivierend wirkt. Das soll er auch sein. Nico & Chris wollen mit dem Song vor allem Leute ansprechen, die die Corona-Politik zwar kritisch sehen, ihren Protest aber noch nicht auf Demonstrationen kundgetan haben.
Appell an die konformen Bürger
Wer jedoch genau hinhört, findet schnell heraus, dass der Song sich an eine weitere Gruppe von Menschen wendet: „Jetzt sagt mal ehrlich, Leute“, werden jene angesprochen, die der Corona-Politik trotz vieler Ungereimtheiten die True halten. „Was soll der ganze Scheiß? / Glaubt ihr noch an den Blödsinn? Was braucht ihr noch als Beweis? / Was muss denn noch geschehen, dass ihr es auch versteht / Dass ihr auch endlich aufsteht und mit uns ’ne Runde dreht / Gemeinsam sind wir viele, wir wachsen Stück für Stück / Wir holen uns am Montag unsere Freiheiten zurück“. Nico & Chris, die den Song zunächst als akustische Country-Version produziert hatten, zeigen genauso viel Willensstärke wie Alex Olivari.
Überschneidungen gibt es aber auch in der Beurteilung der Art und Weise des Protests. Zwar begrüßen sie, dass immer mehr Menschen sich den Spaziergängen anschließen, bezeichnen das Auftreten jedoch als zu brav. „Wir demonstrieren gegen die Corona-Maßnahmen, tragen aber Masken“, sagt Nico, der wie Chris mehrere Instrumente spielt, während dieser zusätzlich den Gesang übernimmt. Etwas anders sehen es die beiden Künstler SchwrzVyce und Giovanna Winterfeldt, die sich für ein gemeinsames Musikprojekt zusammengeschlossen und den Song «Spaziergang» veröffentlicht haben. Auch sie erwarten von den Montagsprotesten keine große Wirkung auf die Corona-Politik, finden es aber viel wichtiger, dass hier mündige Bürger zusammenkommen und lernen, sich wieder als Menschen zu begegnen – jenseits von Links-Rechts-Schemata und jeglicher Identifikationsflächen.
Zeilen voller Optimismus
Die Protestbewegung sei bunt gemischt, sagt Winterfeldt, die an der Aktion #allesaufdentisch teilnahm und seit geraumer Zeit in der Hauptstadt mit mehreren Mitstreiterinnen die Demonstration «Friedlich zusammen» organisiert. Die Diversität und Offenheit der Spaziergangsteilnehmer sollte in dem Song und dem dazugehörigen Musikvideo deutlich zum Vorschein kommen, weshalb sich die beiden Künstler sowohl textlich als auch visuell um eine angenehme Stimmung bemühen. Während sie in dem kurzen Clip die Spree entlanglaufen und von einer fröhlichen Menge begleitet werden, enthält der Refrain optimistische Zeilen: „Wir halten fest zusammen / Auf dem Weg zum Neuanfang / Wir gehen für unser Land / Ist der Weg noch so lang / Nichts was uns halten kann / Bei unserem Spaziergang.“
Der Song präsentiert sich als sanfte Ballade mit Klängen aus Hip-Hop und Soul. Er spricht Jung wie Alt an, ist in seiner Tonalität heiter, enthält aber auch kritische Töne. „Hey du, sag wann kommst du endlich raus? / Steh auf und mach doch mal die Glotze aus“, singt der Rapper SchwrzVyce, der in seinem Part auf die verzerrte Berichterstattung der Leitmedien anspielt: „Oh wow, du glaubst noch der Tagesschau? / Dann glaubst du wohl auch (noch) an den Nikolaus!“ Trotz dieser bissigen Worte hält sich das Konfliktpotential in Grenzen. Es überwiegt der Wunsch nach Harmonie, zumal viele Zeilen mit einer Geste der Verbindlichkeit vorgetragen werden. „Hey Du, zieh nicht so ein Gesicht / Wir gehen heut spazieren, sag mir, kommst du mit“, singt Giovanna Winterfeldt, die nicht nur Musik macht, sondern auch als Synchronsprecherin und Drehbuchautorin arbeitet. „Überall in der Bundesrepublik / Schritt für Schritt holen wir unser Land zurück / Hey du, ja, lieber Herr Polizist / Ich weiß, du tust auch nur deine Pflicht / Doch heut tu bitte, was richtig ist / Schließ dich an, deine Bürger brauchen dich.“
Musikalisch sprechen die drei Lieder ein jeweils anderes Publikum an. Darin liegt das Potential, noch mehr Menschen zu mobilisieren. Argumente dafür liefern die Songs allemal. Ob sie zum weiteren Anwachsen der Montagsspaziergänge beitragen, wird sich zeigen. Was sie schon jetzt erreicht haben, ist aber nicht weniger wert: die allgemeine Proteststimmung zu konservieren und die Botschaft so zu transportieren, dass sie emotional wie rational durchdringt.