von Martina Binnig
Lesedauer 4 MinutenUnter dem Titel „Hauptsache GEIMPFT“ hat die österreichische Initiative „What’s Opera Doc“ eine 30-minütige Doku über die Diskriminierungen im Kulturbereich während der Corona-Krise produziert, die unter die Haut geht. Denn in der Reportage wird beklemmend deutlich, welch immenser Druck auf Bühnenkünstler wie etwa Opernsänger lastete, die eine höchstpersönliche gesundheitliche Entscheidung nicht dem Staat oder ihrem Theater überlassen wollten. Mitwirkende sind die Sängerinnen Jenifer Lary, Renée Morloc und Marlis Petersen, Dirigent Karl Sollak, Sänger Thomas Stimmel sowie – anonymisiert – eine Gesangsdozentin, eine Musik-Managerin und ein Tontechniker. In Interviewausschnitten, die zu einer Collage zusammengefügt sind, lassen die acht Künstler differenziert an ihren persönlichen Erlebnissen teilhaben.
Die renommierte Opernsängerin Elisabeth Kulmann von „What’s Opera Doc“ beginnt ihre Einführung in die Doku mit den Worten: „Wir müssen reden.“ Es funktioniere nicht, einfach zu sagen: „Schwamm drüber, war ja nix!“ Denn es gebe Wunden, die versorgt werden müssten. Das zeige überdeutlich die umfangreiche Recherche mit zahlreichen Korrespondenzen, die „What’s Opera Doc“ über mehrere Monate hinweg geführt habe. Aus Gesprächen mit den acht repräsentativen Mitwirkenden seien über 10 Stunden Interviewmaterial entstanden, aus dem die wichtigsten Aspekte zusammengefasst worden seien. Es gehe darum, Diskriminierungen aufzuzeigen, einen Anstoß zur dringend nötigen Aufarbeitung des Unrechts, das vielen angetan worden sei, zu geben, aber auch dazu einzuladen, wieder aufeinander zuzugehen, sich mit gegenseitigem Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen und ganz im Sinne der Aufgabe der Musik Brücken zu bauen.
Angst vor Jobverlust
Die Doku beginnt mit einer Stimme aus dem Off, die Tagebuchaufzeichnungen vorliest. Die Stimme ist verfremdet und gehört der anonymisierten Gesangsdozentin. Minutiös hat sie ihre Ängste festgehalten. Angst davor, keine Konzertbuchungen mehr zu bekommen. Angst, ihre Managerin und ihren Job an der Uni zu verlieren. Angst, nicht habilitiert werden zu dürfen, weil der Hochschulbetrieb nur noch unter 2G-Bedingungen abläuft. Dabei sind medizinische Behandlungen gerade für Sänger eine heikle Angelegenheit. So gibt Jenifer Lary zu bedenken, dass jeder Eingriff in den Körper die Stimme verändern kann. Was ein durchaus rationaler Grund dafür ist, bei neuen Behandlungen wie der mRNA-Technologie vorsichtig zu sein, wurde aber als „unsolidarisch“ und „rechts“ bezeichnet und mit dem Vorwurf verknüpft, „der Wissenschaft“ nicht zu vertrauen.
Renée Morloc berichtet ebenfalls von Diffamierungen, denen sie ausgesetzt war, und Marlis Petersen hatte den Eindruck, dass es manchen sogar zu passe gekommen sei, andere degradieren zu können. Thomas Stimmel wiederum bekam bei einer Premierenfeier von der Intendantin gesagt, dass er leider zukünftig nicht mehr engagiert werden könne, da nur noch Geimpfte besetzt würden. Er verspürte keinen bösen Willen dahinter, doch es machte ihn sehr traurig. Stimmel fasst zusammen: „Für mich ist es erschreckend, dass innerhalb kürzester Zeit so tiefe Gräben in eine Gesellschaft gerissen werden können.“
Vorauseilender Gehorsam
So hätten manche Intendanten in vorauseilendem Gehorsam noch schärfere Regeln durchgesetzt als notwendig. Doch Stimmel sieht es als die Pflicht eines engagierten Staatsbürgers an, Machtmissbrauch auch anzuprangern. Renée Morloc erzählt, wie ihr die Schuld für die „Unfreiheit“, die Leute wie sie an den Theatern geschaffen hätten, gegeben und ihr nahe gelegt worden sei, „wieder demokratischen Prinzipien“ zu folgen. Sie sei als unkollegial diskreditiert, aus der Gesellschaft ausgeschlossen und entmenschlicht worden – wie eine Aussätzige. Beispielsweise musste sie als einzige auf der Bühne in dem Moment eine Maske aufsetzen, in dem sie aufhörte zu singen, sodass das Publikum sofort sehen konnte, dass sie „ungeimpft“ war. Für die alle zwei Tage geforderten PCR-Tests habe sie auch schon mal drei Sunden in bitterer Kälte Schlange stehen müssen. Und als ein geimpfter Kollege als Einspringer einmal nicht mehr rechtzeitig einen Test vorlegen konnte, musste nicht er, sondern sie als Ungeimpfte sogar beim Singen eine Maske tragen.
Auch Marlis Petersen machte absurde Erfahrungen: Als ein Regisseur trotz dreifacher Impfung positiv getestet worden war, musste sie „zum Schutz“ nach Hause und eine Woche in Quarantäne gehen, obwohl sie selbst negativ getestet und völlig gesund war. Auch als ein viermal geimpfter Kollege einen positiven Test hatte, wurde wiederum sie nach Hause geschickt. Man habe einfach die Regeln, die von oben kamen, befolgt, selbst wenn sie völlig unlogisch waren. Neben den Interviews sind in der Doku auch kurze Videoausschnitte als Zeitdokumente eingearbeitet, in denen beispielsweise das geflügelte Wort von der „Pandemie der Ungeimpften“ (Markus Söder) oder sogar der „Tyrannei der Ungeimpften“ (Frank Ulrich Montgomery) festgehalten ist.
Ungeimpfte als Sündenböcke
Grundlage für die Degradierung der „Ungeimpften“ als Sündenböcke war die These, dass eine Impfung davor schütze, andere anzustecken. Genau dies war jedoch nie der Fall, wie Thomas Stimmel anmerkt: In einer Anhörung im EU-Parlament im Oktober vergangenen Jahres gab sogar eine Pfizer-Sprecherin zu, dass die Impfstoffe nie daraufhin getestet worden seien, eine Fremdansteckung zu verhindern. Auch diese Szene ist in der Doku im Original zu sehen.
Karl Sollak weist darauf hin, dass wie in einer Wildwest-Manier in gut und böse unterschieden und gleichsam durch Berufsverbote Existenzen vernichtet worden seien. Während sich die kanadische Politikerin Danielle Smith für die Diskriminierung der „Ungeimpften“ entschuldigt habe, warte man in Österreich jedoch noch vergeblich auf das Eingeständnis der verantwortlichen Politiker, sich geirrt zu haben. Sollak würde nie jemandem anderen sagen, dass er sich nicht impfen lassen solle, möchte aber für sich selbst entscheiden können, was für ihn gut ist. Die Erfahrung, dass ihnen die Selbstbestimmung genommen wurde, betrifft selbstverständlich nicht nur Künstler, doch waren gerade diejenigen unter ihnen, die in der Öffentlichkeit agierten, in besonderem Maß dem Druck von Politik, Medien, Arbeitgeber, Familie und Freunden ausgesetzt. Es sei, so Thomas Stimmel, eine derart große Angst gesät worden, dass rationales Denken nicht mehr möglich gewesen sei.
Es geht den Protagonisten der Doku nicht um Anschuldigungen, sondern darum, „ehrlich miteinander weiter musizieren“ zu können. Doch dazu müsse ausgesprochen werden, was geschehen ist. An den Theatern werde allerdings so getan, als wäre nie etwas gewesen. Vielleicht werden manche, denen die Dimension der Ausgrenzungen bislang nicht bewusst war, weil sie selbst nicht davon betroffen waren, durch den Kurzfilm tatsächlich zum Nachdenken angeregt. Jedenfalls lädt „What’s Opera Doc“ dazu ein, Künstler-Persönlichkeiten kennen zu lernen, die kritisch hinterfragen und sich mutig zu Wort melden.
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